Sommerakademie für plurale Ökonomik 2019: Workshops
Allgemeine Informationen
Die Workshops sind das Kernelement der Sommerakademie. Unser Ziel ist es, dass die Workshops Euch eine tief gehende und intensive Lernerfahrung bieten, deswegen werdet Ihr an einem Workshop die gesamte Woche über teilnehmen. Wie Du im Wochenplan sehen kannst, wird es insgesamt 16 Workshop Einheiten geben (inklusive interdisziplinärer Einheiten und Dokumentation), was einem kompletten Kurs über ein Semester an einer Universität entspricht.
Die Workshops sind so angelegt, dass Sie euch einen guten Einstiegspunkt in die entsprechende ökonomische Denkschule bieten. Deshalb wird - abgesehen von einem allgemeinen Interesse an Wirtschaft(-swissenschaft) - kein weiteres Vorwissen oder ein spezifisches Studienfach vorausgesetzt. Mach' Dir also keine Sorgen, wenn Du noch nie etwas von Komplexitätsökonomik oder Institutionenökonomik gehört hast - alles was Du brauchst, ist das Interesse eine neue Denkschule kennen zu lernen.
Workshop 1: Feministische Ökonomie
Lilly Schön (Hochschule für Technik und Wirtschaft Berlin)
Justina Lee (Universidad de Buenos Aires, Netzwerk Ni una menos, Berlin)
Sprache: Englisch
In diesem Workshop untersuchen wir, wie wir mit einer Geschlechterperspektive ein tieferes Verständnis der Funktionsweise unserer Wirtschaftssystems erlangen. Von zentralem Interesse werden Phänomene wie unbezahlte Carearbeit, geschlechtliche Arbeitsteilung, Machtstrukturen und Diskriminierung sein. Sie werden als die unsichtbare Basis betrachtet, auf der alle anderen wirtschaftlichen Abläufe stattfinden. Wir werden mit einem Überblick über die zentralen Prinzipien, Konzepte und Erkenntnisse der feministischen Ökonomie und ihrer Kritik am Mainstream beginnen. Außerdem werden wir diskutieren, wie eine feministische Perspektive multiple Krisen innerhalb unserer Gesellschaft aufdeckt, was unser Verständnis von Phänomenen wie der Wirtschafts- und Finanzkrise erweitert. Wir werden uns außerdem Fragen widmen wie der Krise der Reproduktion, der Auswirkung von Austeritätspolitik auf Frauen (jeweils auch im Globalen Süden) und sozialen Kämpfen um diese Phänomene.
Workshop 2: Ungleichheitsökonomik
Sebastian Gechert (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Düsseldorf)
Jan Behringer (Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung, Düsseldorf)
Sprache: Deutsch
Der Workshop beschäftigt sich mit der Einkommens- und Vermögensverteilung in Europa und weltweit und geht dabei auch auf Indikatoren und Datenquellen der Ungleichheitsforschung ein. Die Teilnehmenden erhalten einen Überblick über historische und aktuelle Ungleichheitsentwicklungen und deren Ursachen und politische Implikationen. Ein Schwerpunkt des Workshops liegt auf dem Verhältnis von Ungleichheit und makroökonomischen Entwicklungen.
Workshop 3: Kritische Institutionenökonomik
Stephan Panther (Cusanus Hochschule, Bernkastel-Kues)
Sprache: Englisch
Institutional Economics ist als Begriff mehrdeutig. Die dem Mainstream zugehörige New Institutional Economics hat insbesondere in den 1990er und 2000 Jahren einen enormen Siegeszug erlebt, als Teil eines Institutional Turns in allen Sozialwissenschaften. Innerhalb dieser letztgenannten Entwicklung erlebte auch die Original oder Critical Institutionalism in der Tradition von Thorstein Veblen eine Wiederbelebung, die am besten durch Geoffrey Hodgson repräsentiert wird. Kernkonzepte sind Gewohnheit, Veränderung und Evolution.
Der Schwerpunkt dieses Workshops liegt auf dem Critical Institutionalism und wird von der folgenden Frage geleitet: Wie kann der institutionelle Wandel auf der Grundlage einer normativ gehaltvollen Wirtschaftstheorie gesteuert werden? Der Workshop verfolgt einen interdisziplinären Ansatz und untersucht auch verschiedene Ansätze der Wirtschaftssoziologie wie Bourdieus Habitus, Feldtheorien und die französische Ökonomie der Konventionen.
Workshop 4: Unternehmertum & sozial-ökologische Transformation
Jana Gebauer (Die Wirtschaft der Anderen sowie Institut für ökologische Wirtschaftsforschung, Berlin)
Sprache: Deutsch oder Englisch
In diesem Workshop erweitern wir unsere Perspektive darauf, wer eigentlich "die Unternehmen" sind. Die dominante Wahrnehmung beschreibt sie als groß und expansiv, stets gewinnmaximierend und im globalen Verdrängungswettbewerb stehend. Eine Vielfalt von wirtschaftlichen Akteuren weicht jedoch davon ab - sie sind eher klein, regional verankert und ausgerichtet auf gemeinwohlorientierte, solidarische und kooperative Werte und Qualitäten. Wir finden sie in vielfältigen alternativwirtschaftlichen Nischen, aber auch unter den kleinen und mittleren Unternehmen (KMU) der sogenannten Normalwirtschaft. Sie fordern unser Verständnis "vom Unternehmen", von "der Wirtschaft" und auch von der Rolle, die Unternehmen möglicherweise in einer sozial-ökologischen Transformation übernehmen können, heraus. Vor dem Hintergrund gesellschaftskritischer Transformationsansätze wie Postwachstum diskutieren und vergleichen wir daher beispielsweise wachstumskritische KMU, Unternehmen der Gemeinwohlökonomie, Transition Enterprises, Sustainable Entrepreneurs sowie genossenschaftliche, selbstverwaltete und solidarökonomische Initiativen. Wir nehmen all diese Akteure und ihre Ansätze als Teil pluraler Ökonomien wahr und entwickeln eine Vorstellung davon, wie sie in ein transformatives Verständnis von regionalen Postwachstumsökonomien integriert werden könnten.
Workshop 5: Postwachstum und Ökologische Ökonomik
Birte Strunk (Institut für zukunftsfähige Ökonomien, Bonn)
Sprache: Englisch
In diesem Workshop geht es um eine systematische Auseinandersetzung mit dem Degrowth-Diskurs sowie dessen Einordnung in die Ökologische Ökonomie. Zu Beginn des Workshops setzen wir uns mit der Notwendigkeit einer sozial-ökologischen Transformation und einer Kritik am grünen Wachstum als Lösung für ökologische Herausforderungen unserer Zeit auseinander. In einem nächsten Schritt diskutieren wir theoretisch-konzeptionelle Grundlagen für eine sozial-ökologische Transformation hin zu einer Postwachstumsgesellschaft. In einem dritten und letzten Teil werden bestimmte, auch innerhalb des Degrowth-Diskurses kontrovers diskutierte Themen behandelt, so z.B. Degrowth und Staat, feministische Perspektiven auf Degrowth und Verbindungslinien zu Umweltgerechtigkeitsbewegungen im Globalen Süden.
Workshop 6: Politische Ökonomie im Anschluss an Karl Marx
Anna Weber (Universität Kassel)
Sprache: Englisch
In diesem Kurs blicken wir auf strukturelle Machtungleichheiten und Interessen im Kapitalismus. Dabei helfen uns zentrale Konzepte von Karl Marx sowie neuere Theorien der Kritischen Politischen Ökonomie, die Marx Werke weiter denken. Wir erinnern uns an den Beginn der Finanzkrise in 2007/08 und wollen die Krisenanfälligkeit des Kapitalismus verstehen: Wie genau steht Marx zu Finanzkrisen? Welche Rolle spielen Finanzmärkte im Kapitalismus? Und wie können wir im Anschluss an Marx diese und andere (ökonomische) Krisen interpretieren? Der Kurs möchte auch zum Träumen anregen und alternative Ideen diskutieren, wie eine post-kapitalistische Gesellschaft organisiert werden könnte. Zentral bei alledem ist, dass die Teilnehmenden ihr Wissen und ihre eigene Urteilsfähigkeit stärken, um sich kritisch zu wirtschaftlichen Fragen und deren gesellschaftlichen Folgen positionieren zu können und auch um gegenüber dem Erbe von Marx und dem Marxismus eine eigene Position entwickeln zu können.
Workshop 7: Komplexitätsökonomik
Claudius Gräbner (Universität Duisburg-Essen, Universität Linz)
Torsten Heinrich (Universität Oxford)
Sprache: Englisch
Dieser Kurs beschäftigt sich sowohl mit theoretischen als auch mit methodologischen Konzepten der Komplexitätsökonomik. Wir beginnen mit einer Geschichte der Komplexitätsökonomik und ihren Wurzeln in verschiedenen Disziplinen. Wir gehen dann auf die meta-theoretischen Grundlagen und ihre Beziehungen zum philosophischen Konzept des Systemismus ein. Die Teilnehmenden erhalten eine Einführung in die vielfältigen Modellierungsansätze der Komplexitätsökonomik: Spieltheorie, evolutionäre Dynamiken, nicht-lineare dynamische Systeme und Netzwerktheorie. In der Diskussion empirischer Aspekte der Komplexitätsökonomik konzentrieren wir uns auf die Bedeutung von heavy tailed-Verteilungen, wie zum Beispiel Power Laws, und wie mit diesen umzugehen ist. Ein Slot pro Tag führt die Teilnehmenden in die Programmiersprache Python und die Technik agentenbasierter Simulationen ein.
Workshop 8: Postkeynesianische Ökonomik
Steve Keen (Kingston Universität London)
Elisabeth Springler (Fachhochschule des bfi Wien)
Sprache: Englisch
Die erste Hälfte des Workshops beinhaltet eine detaillierte Einführung in die postkeynesianische Ökonomik, basierend auf John Kings Lehrbuch Introduction to Post-Keynesian Economics. Der Workshop beginnt mit den Ursprüngen der postkeynesianischen Ökonomik und einer Abgrenzung zur Alt- und Neu-Keynesianischen Ökonomik. Er fährt fort mit methodologischen Fragen, politischen Implikationen und Vergleichen mit anderen heterodoxen Denkschulen. Die zweite Hälfte des Workshops konzentriert sich auf mathematische Modelle finanzieller Instabilität, ausgehend hauptsächlich von Hyman Minskys Financial Instability Hypothesis.
Workshop 9: Kritik der Ideengeschichte des neoklassischen Mainstreams
Dimitris Milonakis (University of Crete)
Thomas Dürmeier (Goliathwatch, Hamburg)
Sprache: Englisch
Die neoklassische Mainstream-Ökonomie hat sich als Lehrmethode und Ansatz für das ökonomische Denken in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts durchgesetzt. Diese Dominanz ist mit einem absoluten Mangel an Akzeptanz gegenüber alternativen Analyseverfahren- und Methoden verbunden. Methodisch gesehen sind die Hauptmerkmale der neoklassischen Denkschule zum einen ihre formalisierte Ausrichtung mit der damit verbundenen mangelnden Praxisrelevanz und zum anderen die Verwendung einer deduktivistischen Methodik. Die jüngste Finanzkrise hat die Grenzen dieser methodischen Ansätze am deutlichsten verdeutlicht, und doch scheinen die Mainstream-Ökonomen weiterzumachen wie zuvor. Dieser Workshop verfolgt vier Ziele:
1) die jüngsten Entwicklungen in den Wirtschaftswissenschaft darzustellen (z.B. Formalismus, Deduktivismus),
2) die Grenzen dieser methodischen Ansätze aufzuzeigen,
3) die Reaktionen der Mainstream-Ökonomen auf die Wirtschaftskrise und ihre Bedeutung zu untersuchen, und schließlich
4) Alternativen aus der Arbeit von Amartya Sen und Pierre Bourdieu vorzuschlagen.
In dem letzten Abschnitt werden außerdem neue methodische Ansätze wie die mikroökonomische Diskursanalyse und die Leistungsanalyse ("power analysis") sowie deren mathematischen Anwendungsmöglichkeiten (soweit dies möglich ist) vorgestellt.