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Claudius Gräbner-Radkowitsch, Jonas Lage und Frauke Wiese
Erstveröffentlichung im Makronom
Die sozial-ökologische Krisen unserer Zeit machen deutlich: Suffizienz als Schlüsselprinzip politischen Handelns ist notwendig. Jedoch sind die Auswirkungen tiefgreifender Suffizienzpolitik auf unsere Ökonomie bisher zu wenig verstanden.
Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt. Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.
In den vergangenen Jahren und Jahrzehnten haben sich zahlreiche sozial-ökologische Krisen von planetarem Ausmaß immer weiter zugespitzt. Der Klimawandel und ein zunehmender Biodiversitätsverlust sind nur zwei wichtige Beispiele für den Raubbau an den ökologischen Kapazitäten des Planeten. Trotz dieser Übernutzung ökologischer Ressourcen erleiden viele Menschen weiterhin Mangel an Nahrung, Wohnraum oder gesellschaftlicher Teilhabe (siehe z.B. hier). So gibt es aktuell kein einziges Land auf der Welt, das auf eine ökologisch nachhaltige Art und Weise wirtschaftet und gleichzeitig ein Mindestniveau an sozialem Wohlstand und Sicherheit bereitstellt.
Obwohl die politische Aufmerksamkeit und Anstrengung – international wie national – insbesondere hinsichtlich des Klimaschutzes in den letzten Jahren rasant zugenommen hat, liegt das Ziel, die Klimaerwärmung auf 1,5 Grad zu begrenzen, in weiter Ferne. Die bislang umgesetzten politischen Maßnahmen greifen dabei bisher vor allem auf sogenannte Effizienz- und Konsistenzstrategien zurück. Beide Ansätze beschreiben vornehmlich sozio-technische Innovationen, wobei Effizienzstrategien in der Regel auf eine Erhöhung von Wirkungs- und Ressourcennutzungsgraden abzielen und Konsistenzstrategien eine Schließung von Stoffkreisläufen und den Umstieg auf erneuerbare Energien anstreben. Ohne Zweifel sind beide Strategien essentiell für die Einhaltung von Klimazielen.
Leider hat trotz aller technologischen Fortschritte der Fokus auf Effizienz- und Konsistenzmaßnahmen bislang nicht zu dem erhofften Erfolg geführt: Während z.B. CO2-Emissionen nicht nur global stabilisiert, sondern auf (netto) null gesenkt werden müssen, sind die Emissionen in den vergangenen Jahren global sogar weiter gestiegen. Daher erscheint es höchst fraglich, ob diese beiden Ansätze ausreichen, um die dringend notwendige absolute Reduktion von ökologischen Belastungen zu erreichen.
Für den mangelnden Erfolg gibt es zahlreiche Gründe. Dazu zählen unter anderem Rebound-Effekte, Verlagerungs-Effekte, Externalisierungen sowie Ressourcenknappheit. Rebound-Effekte beschreiben die Kompensation von Effizienzgewinnen durch Mehrverbrauch an anderer Stelle und wurden vielfach empirisch und theoretisch beschrieben (z.B. hier, hier oder hier). Beispielsweise konnten im Wohnbereich in Deutschland seit den 1970er Jahren enorme Effizienzgewinne durch bessere Dämmung erreicht werden, unter anderem angeregt durch die Energieeinsparverordnung. Gleichzeitig hat sich jedoch die Wohnfläche pro Kopf im gleichen Zeitraum mehr als verdoppelt, sodass der gesamte Raumwärmebedarf heute ungefähr auf dem Niveau von vor 30 Jahren liegt:
Entwicklung des Wärmebedarfs pro Person, der Wohnfläche pro Kopf und des Wärmebedarfs pro Wohnfläche für den Wohnsektor in Deutschland im Vergleich zum Ausgangsjahr 1990. Daten: Statistisches Bundesamt und Arbeitsgemeinschaft Energiebilanzen; eigene Darstellung.
Als Verlagerungseffekte bezeichnet man das Phänomen, dass eine Krise in einem Bereich gelöst, damit jedoch eine neue Krise in einem anderen Bereich neu ausgelöst oder verstärkt wird. So kann ein massiver Ausbau erneuerbarer Energien beispielsweise für die Herstellung synthetischer Kraftstoffe zur Emissionsminderung beitragen, sich jedoch gleichzeitig problematisch auf die Biodiversität (hier und hier) und Ressourcennutzung (hier und hier) auswirken.
Wenn Verlagerungseffekte in einer geografischen Dimension stattfinden, spricht man häufig von einer Externalisierung: In diesem Fall werden umweltschädliche Aktivitäten von einer Region – häufig im Globalen Norden – in eine andere Region – häufig im Globalen Süden – ausgelagert, sodass sich die Umweltbilanz der externalisierenden Region zwar auf den ersten Blick verbessert, insgesamt jedoch keine positiven ökologischen Effekte entstehen. Vielmehr werden die Kosten nicht-nachhaltigen Verhaltens Regionen und Menschen aufgebürdet, die noch nicht einmal von den positiven Effekten dieser Aktivitäten profitieren können.
Technikoptimismus scheint mehr Wunschdenken denn empirisch fundierte Handlungsorientierung zu sein
Ein aktuelles Beispiel für solche Verlagerungseffekte sind die geplanten Importe synthetischer Kraftstoffe in Klimaneutralitätsszenarien für Deutschland. Da die Kombination aus Effizienz- und Konsistenzstrategien nicht ausreicht, um den erwarteten zukünftigen Energieverbrauch decken zu können, werden die Energieträger in anderen Regionen produziert und tauchen in der produktionsbasierten Berechnung nationaler Emissionen nicht mehr auf (für weitere Beispiele und die mögliche Berücksichtigung solcher Emissionen siehe z.B. hier, hier, hier oder hier).
Eine weitere Grenze bisheriger Klimaschutzmaßnahmen ist zudem die Nicht-Substituierbarkeit bestimmter knapper Ressourcen wie Land, seltener Erden sowie Elementen wie Phosphor oder Lithium. Diese Ressourcen sind für die Umsetzung vieler technischer Innovationen unverzichtbar. Es ist noch nicht klar, wie die entsprechenden Bedarfe in der Zukunft gedeckt werden könnten, wodurch zudem potenziell problematische Abhängigkeiten von den Produktionsländern entstehen und eine globale Energiewende gefährdet werden kann.
Natürlich ist es – trotz der eben skizzierten Schwierigkeiten – theoretisch möglich, dass es in den nächsten Jahren zu technischen Innovationen kommt, die es der Menschheit erlauben werden, ihren ökologischen Fußabdruck global ausreichend zu reduzieren, gerade wenn die Anreizsysteme wie z.B. über eine höhere Bepreisung umweltschädlicher Aktivitäten verbessert werden. Dennoch sind Erfahrungen aus den letzten Jahrzehnten diesbezüglich alles andere als ermutigend. Entsprechend erscheint ein derartiger Technikoptimismus mehr Wunschdenken denn empirisch fundierte Handlungsorientierung und in Anbetracht der unumkehrbaren Folgen einer zu hohen Erderwärmung kein guter Handlungsleitfaden zu sein.
Vor dem Hintergrund des unzureichenden Erfolgs von Effizienz- und Konsistenzmaßnahmen erscheint es überraschend, dass eine dritte in Nachhaltigkeitsdebatten diskutierte Strategie bisher weitestgehend unbeachtet bleibt: die Suffizienz. Angesichts der oben beschriebenen Herausforderungen mehren sich jedoch sowohl im wissenschaftlichen als auch im politischen Diskurs die Forderungen nach Suffizienzmaßnahmen, zuletzt auch durch den IPCC.
Suffizienz beschreibt sowohl ein Ziel als auch eine Nachhaltigkeitsstrategie. Konkret zielt Suffizienz darauf ab, sozial-ökologische Schäden durch die Reduktion von (bestimmten) Produktions- und Konsumptionsaktivitäten zu vermeiden bzw. zu reduzieren. Im Gegensatz zu Effizienz- und Konsistenzstrategien lassen sich mithilfe einer Suffizienzperspektive mögliche absolute Grenzen des Konsums und nachhaltige Konsumkorridore identifizieren. Die Grenzen der Korridore zielen dabei sowohl auf die Vermeidung von exzessivem Konsum, der die Lebenschancen anderer Menschen (und Spezies) gefährdet, als auch die Vermeidung von Mangel und der damit einhergehenden Unfähigkeit, menschliche Grundbedürfnisse befriedigen zu können. Solche Konsumkorridore operationalisieren die Implikationen von Nachhaltigkeitskonzepten, wie dem Donut von Kate Raworth, für die Produktion und den Konsum von Gütern und Dienstleistungen.
Durch eine Obergrenze könnten Rebound-Effekte vermieden werden, wohingegen eine Untergrenze eine gerechte Verteilung des Vorhandenen anvisiert
Aufgrund dieses Fokus auf das „rechte Maß”, wird die Suffizienz auch als Rahmen für die beiden anderen Strategien beschrieben (siehe hier und hier). Damit ist gemeint, dass aus einer Suffizienzperspektive zunächst ein absoluter Rahmen an ökologisch verträglichen und sozial notwendigen Konsum identifiziert bzw. verhandelt wird, welcher dann möglichst effizient und auf Basis von erneuerbaren Energien und Rohstoffen bereitgestellt wird. Durch eine solche Obergrenze könnten beispielsweise Rebound-Effekte vermieden werden, wohingegen eine Untergrenze eine gerechte Verteilung des Vorhandenen anvisiert. Mithilfe einer Suffizienzperspektive wird die häufig implizit verhandelte normative Debatte um die Grenzen der Konsumkorridore zudem explizit gemacht.
Suffizienz umfasst auch eine strategische Dimension zur Erreichung von Nachhaltigkeitszielen. Suffizienzstrategien erweitern die vorhandenen sozio-technischen Innovationen der Effizienz- und Konsistenzstrategien um soziale Innovationen. Es geht um Veränderungen sozialer Praktiken und kollektive Verhaltensänderungen sowie die Frage, wie gesellschaftliche Organisation aussehen muss, damit Bedürfnisse möglichst gerecht und ressourcenschonend – also innerhalb der Konsumkorridore – befriedigt werden können. Die Suffizienz fragt beispielsweise: Wie müssen unsere Dörfer und Städte aussehen, damit Menschen gerne und gut auf maßvoller Wohnfläche wohnen? Wie kann Mobilität gewährleistet werden, ohne dass wir 48 Millionen Pkw (Tendenz steigend) in Deutschland brauchen? Antworten auf diese Fragen lassen sich nur in begrenztem Maße individuell beantworten, weswegen es Suffizienzpolitik bedarf, welche ein „gutes Leben einfacher” werden lässt.
Die Erfahrungen der Vergangenheit legen nahe, dass eine Erreichung der Klima- und Nachhaltigkeitsziele ohne Suffizienzpolitik nicht möglich ist. Dass derlei Maßnahmen keine reine Utopie sind zeigt sich darin, dass einige Städte und Gemeinden bereits an der konkreten Umsetzung entsprechender Suffizienzstrategien arbeiten. Die Stadt Zürich hat Suffizienz sogar als handlungsleitendes Prinzip verankert. Auch in den Nachhaltigkeitsstrategien einzelner europäischer Länder finden sich bereits jetzt einzelne Suffizienzmaßnahmen. Allerdings reichen diese Leuchtturmprojekte nicht für eine notwendige Suffizienzwende aus. Vielmehr bedarf es einer umfassenden Suffizienzpolitik auf allen politischen Ebenen.
Neben anderen Themenbereichen sind die volkswirtschaftlichen Implikationen von Suffizienzmaßnahmen noch weitgehend unerforscht und genießen gerade in der Ökonomik eine relativ geringe Aufmerksamkeit – mit Ausnahme bestimmter „heterodoxer“ Paradigmen wie die Ökologische Ökonomik (z.B. hier, hier oder hier).
Das ist deshalb problematisch, weil nach Ansicht der Autor*innen nicht nur die volkswirtschaftliche Forschung durch eine Auseinandersetzung mit dem Themenbereich Suffizienz profitieren würde. Auch das Design und die effektive Umsetzung von Suffizienzmaßnahmen würde durch entsprechende begleitende volkswirtschaftliche Forschung gewinnen. Ansonsten könnten gut gemeinte Maßnahmen leicht zu unbeabsichtigten und negativen sozialen und ökologischen Folgen führen und damit der dringend notwendigen Transformation einen Bärendienst erweisen.
So muss bei der Ausgestaltung von Suffizienzmaßnahmen wie z.B. der Festlegung der Konsumkorridore berücksichtigt werden, über welche Kanäle bindende Konsumobergrenzen in bestimmten Bereichen makroökonomische Variablen wie Löhne, Inflation oder das Zinsniveau beeinflussen, und welche Implikationen für die individuelle und funktionale Einkommens- und Vermögensverteilung zu erwarten sind, bzw. durch welche Begleitmaßnahmen diese Implikationen gesteuert werden könnten. Auch die Abschätzung indirekter Effekte setzt eine vertiefte volkswirtschaftliche Analyse voraus. Nur so können nicht intendierte Folgen wie z.B. eine sozio-ökonomisch gefährliche deflationäre Spirale als Folge von angestrebter Konsumreduktion, verhindert werden.
Für eine vernünftige politische Entscheidung bedarf es einer nachvollziehbaren Abschätzung der entsprechenden Konsequenzen und einer Identifikation der relevanten Wirkungsmechanismen
Auch für den Umgang mit Staatsfinanzen und die Ausgestaltung finanzpolitischer Regulierungsrahmen würde die Umsetzung von Suffizienzmaßnahmen notwendige Änderungen bedeuten, da eine dauerhafte absolute Reduktion von Konsumaktivitäten in einem Land ceteris paribus mit geringeren Wachstumsraten und damit höheren Schuldenquoten einhergehen würde – eine Situation, die weder mit den aktuellen europäischen Regulierungsrahmen noch mit einer nachhaltigen Finanzierung wichtiger staatlicher Aktivitäten, auch im Bereich der Wohlfahrtssicherung, kompatibel wäre.
Und auch wenn Suffizienzmaßnahmen im Prinzip als Komplemente zu Effizienz- und Konsistenzmaßnahmen zu begreifen sind, kann es unter bestimmten Umständen durchaus zu Zielkonflikten kommen, z.B. wenn die Umsetzung von Suffizienzmaßnahmen die Gewinnaussichten von Investitionen verringern und damit zu einer geringeren Investitionsdynamik auch in für die nachhaltige Transformation unserer Wirtschaft zentrale Sektoren führen könnte. Selbst wenn die Volkswirtschaftslehre hier keine abschließenden Antworten geben kann, bedarf es für eine vernünftige politische Entscheidung doch einer nachvollziehbaren Abschätzung der entsprechenden Konsequenzen und einer Identifikation der relevanten Wirkungsmechanismen.
Eines ist klar: Eine umfassende Umsetzung von Suffizienzmaßnahmen, wie sie von vielen Forscher*innen als notwendig erachtet wird, muss mit weitreichenden Reformen in unseren nationalen und internationalen Institutionen einhergehen. Eine solche Reformagenda – oder wahrscheinlich treffender: ein solches Transformationsprogramm – geht notwendigerweise mit Risiken, Kontroversen und Unsicherheiten einher. Gleichzeitig erscheint sie vor dem Hintergrund des Status Quo unvermeidbar zu sein.
In diesem Rahmen müssen konkrete und auch langfristig tragfähige Vorschläge erarbeitet werden. Dazu zählen
Die Auseinandersetzung der Volkswirtschaftslehre mit diesen Fragen ist dringend notwendig und würde helfen, die Erfolgsaussichten von Suffizienzpolitik zu maximieren.
Zu den AutorInnen:
Claudius Gräbner-Radkowitsch ist Juniorprofessor für Plurale Ökonomik an der Europa-Universität Flensburg, Projektleiter am Institut für die Gesamtanalyse der Wirtschaft (ICAE, Johannes Kepler Universität Linz), sowie Research Fellow am ZOE. Institut für zukunftsfähige Ökonomien in Köln.
Jonas Lage promoviert im Rahmen einer interdisziplinären Nachwuchsforschungsgruppe am Norbert Elias Center for Transformation Design and Research der Europa-Universität Flensburg zu Fragen suffizienzorientierter Stadtentwicklung und sozial-ökologischer Transformation.
Frauke Wiese ist Juniorprofessorin für die Transformation der Energiesysteme an der Europa-Universität Flensburg und leitet eine interdisziplinäre Nachwuchsforschungsgruppe zum Thema Energiesuffizienz.