Erstveröffentlichung im Makronom
Um Transformationsprozesse nicht nur zukunftsfähig, sondern auch geschlechtergerecht gestalten zu können, müssen die Erkenntnisse der Feministischen Ökonomie einbezogen werden. Ein Beitrag von Ulrike Knobloch.
Was folgt aus der Klimakrise für unsere Wirtschaft(sweisen) und das Denken darüber? Im Angesicht der Fridays-for-Future-Proteste hat sich aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik eine neue Initiative herausgebildet: Economists for Future. Mit der gleichnamigen Debattenreihe werden zentrale Fragen einer zukunftsfähigen Wirtschaft in den Fokus gerückt. Im Zentrum stehen nicht nur kritische Auseinandersetzungen mit dem Status Quo der Wirtschaftswissenschaften, sondern auch mögliche Wege und angemessene Antworten auf die dringlichen Herausforderungen und Notwendigkeiten. Dabei werden verschiedene Orientierungspunkte für einen tiefgreifenden Strukturwandel diskutiert.
Einen Großteil unserer Lebenszeit verbringen wir mit Arbeit – also mit Erwerbsarbeit, unbezahlter Haus- und Betreuungsarbeit sowie Freiwilligenarbeit. Dabei ist nicht nur in Pandemiezeiten die Haus- und Betreuungsarbeit für jedes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem überlebenswichtig. Falls sich jemand nicht um Hausarbeit kümmern muss, ist das ein Privileg, das in unserer Gesellschaft immer noch viele Männer, sehr viel seltener Frauen haben. Und selbst wenn vieles rund um den Haushalt gegen Bezahlung gemacht wird, müssen diese Tätigkeiten noch von jemandem organisiert und koordiniert werden.
Um Transformationsprozesse nicht nur zukunftsfähig, sondern auch geschlechtergerecht gestalten zu können, müssen die Erkenntnisse der Feministischen Ökonomie einbezogen werden. Allerdings gibt es nicht die Feministische Ökonomie: In den vergangenen 30 Jahren haben sich viele kritische Ökonom*innen mit Geschlechterfragen befasst und eigenständige Wirtschaftstheorien entwickelt. Ich habe dafür den Begriff „Plurale Feministische Ökonomie“ geprägt.
Gerade durch ihre Pluralität kann die Feministische Ökonomie die Machtstrukturen und Geschlechterungerechtigkeiten in Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen von verschiedenen Seiten beleuchten. Dabei wird auch die Kategorie Geschlecht in all ihren Formen – als Unterscheidungskategorie, als Prozesskategorie und als Strukturkategorie – in die wirtschaftstheoretischen, wirtschaftspolitischen und wirtschaftsethischen Untersuchungen einbezogen.
Ohne einen Blick auf die unbezahlte Arbeit und ihre geschlechtsspezifische Verteilung bleiben ökonomische Analysen verkürzt und bekommen das Wesentliche nicht in den Blick
So unterschiedlich diese Ansätze im Einzelnen sind – ihre Gemeinsamkeit besteht darin, dass sie die Bedeutung der unbezahlten Arbeit für jedes Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sichtbar machen, auch wenn sie die unbezahlte Arbeit unterschiedlich benennen (z.B. Hausarbeit, Reproduktionsarbeit, Sorge- oder Versorgungsarbeit). Zudem haben feministische Ökonom*innen immer wieder betont, dass in der Ökonomie der Fokus auf die Versorgung der Menschen mit dem zum (guten) Leben Notwendigen zu legen ist (z.B. Nelson 1993; Busch-Lüty et al. 1994).
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Die nicht-feministische Ökonomie – orthodoxe wie heterodoxe – interessiert sich in der Regel nur für die bezahlte Arbeit in der Marktwirtschaft und für das darauf bezogene staatliche Handeln, aber weder für die Sozialwirtschaft noch für die Hauswirtschaft. Auch die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung (VGR) weist nur einen Teil der wirtschaftlichen Produktivität aus. So sind in der VGR zwar Einkommen und Konsum privater Haushalte enthalten, nicht aber deren Produktionsleistungen. Doch wenn Wirtschaft auf Markt und Unternehmen beschränkt bleibt, unterliegt die Ökonomie einer Tischlein-deck-dich-Illusion, dass sich wie im Märchen der Tisch selbst deckt und sich analog die Wäsche selbst wäscht, das Essen selbst kocht und Kinder, Kranke und andere Hilfsbedürftige sich selbst versorgen, solange dafür nicht bezahlt wird.
Ohne einen Blick auf die unbezahlte Arbeit und ihre geschlechtsspezifische Verteilung bleiben ökonomische Analysen verkürzt und bekommen das Wesentliche nicht in den Blick. Dagegen erweitern Feministische Ökonom*innen sowohl das Verständnis von Wirtschaft als auch das Verständnis von Arbeit. Wirtschaft ist dann nicht nur Marktwirtschaft, sondern auch Staatswirtschaft, Sozialwirtschaft und Hauswirtschaft (z.B. Knobloch 2010); Nicht nur Erwerbsarbeit ist Arbeit, sondern auch unbezahlte Haus-, Betreuungs- und Freiwilligenarbeit (z.B. Budowski, Knobloch & Nollert 2016).
Dass unbezahlte Arbeit keine vernachlässigbare Größe ist, sondern in Deutschland sogar umfangreicher als die bezahlte Arbeit, lässt sich anhand von statistischen Untersuchungen gut zeigen. Die entsprechenden Zeitverwendungserhebungen hat das Statistische Bundesamt bisher dreimal durchgeführt. Um über die Veränderungen der unbezahlten Arbeit – nicht nur, aber auch während der Corona-Pandemie – mehr zu erfahren, müssten diese Zeitverwendungserhebungen allerdings viel häufiger als nur alle 10-12 Jahre durchgeführt werden.
Das Vier-Sektoren-Modell (siehe Abbildung) ist ein guter Ausgangspunkt um zu illustrieren, dass Versorgungsarbeit in heutigen Wirtschafts- und Gesellschaftssystemen in verschiedenen Sektoren geleistet wird: im Marktsektor, im öffentlichen Sektor, im Non-Profit-Sektor und im Haushaltssektor. Gewirtschaftet wird also nicht nur in privaten und öffentlichen Unternehmen, sondern auch in Non-Profit-Organisationen und privaten Haushalten. Dabei sind die Besonderheiten, Logiken und vorrangigen Handlungsprinzipien aller vier Sektoren zu untersuchen und zu verstehen, z.B. dass der Haushaltssektor durch seine Sorge- und Versorgungslogik geprägt ist.
Wenn unbezahlte Arbeit zu bezahlter Arbeit wird, ohne dass der Gesamtumfang der Leistungen zunimmt, handelt es sich eigentlich nicht um Wachstum, sondern um Verlagerungsprozesse
Zudem ist es erhellend, mithilfe des Vier-Sektoren-Modells die Verlagerungsprozesse zwischen den Sektoren in den Blick zu nehmen. Grundsätzlich lässt sich jede Richtung der Verlagerungsprozesse benennen: Privatisierung als Verlagerung vom Staat zu den Unternehmen oder Verstaatlichung in umgekehrter Richtung. Ich halte die Verlagerungsprozesse der Versorgungsarbeit von und in die privaten Haushalte für mindestens ebenso bedeutsam, wie Privatisierung und Verstaatlichung – wenngleich sie in Wissenschaft, Politik und Medien selten Thema sind. Auch diese Verlagerungsprozesse gilt es zu benennen. Bei der Verlagerung von unbezahlten Tätigkeiten aus den privaten Haushalten in die übrigen Sektoren spreche ich von Monetarisierungsprozessen, im umgekehrten Fall von Entmonetarisierungsprozessen.
Die Ökonomie der bezahlten und unbezahlten Arbeit macht auch ein anderes interessantes Phänomen sichtbar: Ein Teil des in den vergangenen 50-60 Jahren ausgewiesenen Wachstums des Bruttoinlandsprodukts (BIP) beruht auf einer Verlagerung der Versorgungsarbeit von den privaten Haushalten in die übrigen drei Sektoren. Vorher unbezahlte Tätigkeiten, wie z.B. Kinderbetreuung und Altenpflege, werden jetzt also gegen Bezahlung erbracht. Dadurch wird eine Erhöhung des BIP ausgewiesen, ohne dass real mehr geleistet wird. So oft wir auch über das BIP-Wachstum informiert werden, wir erfahren nichts über die Größenordnungen und Auswirkungen dieser Monetarisierungsprozesse. Wenn aber unbezahlte Arbeit zu bezahlter Arbeit wird, ohne dass der Gesamtumfang der Leistungen zunimmt, handelt es sich eigentlich nicht um Wachstum, sondern um Verlagerungsprozesse, die nur sichtbar werden, wenn die unbezahlte Arbeit in die Analyse einbezogen wird. Dieses Phänomen bezeichne ich als Pseudo-Wachstum.
Insbesondere der umgekehrte Fall dieses Phänomens ist schon seit Langem bekannt, wenn auch nicht benannt. Der Wohlfahrtsökonom Arthur C. Pigou hat es – geprägt von der Geschlechterordnung seiner Zeit – folgendermaßen formuliert:
“Yet again, the services rendered by women enter into the dividend when they are rendered in exchange for wages, whether in the factory or in the home, but do not enter into it when they are rendered by mothers and wives gratuitously to their own families. Thus, if a man marries his housekeeper or his cook, the national dividend is diminished. These things are paradoxes.” (Pigou 1932, I.III.2)
Aus der Hauswirtschaft können Wirtschaftstheorie, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsethik ein Handlungsprinzip übernehmen, das dort zwar auch nicht mehr in Reinform vorkommt, aber noch vorhanden ist. Es ist das sorgende Versorgen, dem eine andere Logik des Tätigseins zugrunde liegt. Denn im Haushalt hat die Sorge- und Versorgungslogik Vorrang vor der Markt- und Verwertungslogik – ohne den Haushalt idealisieren zu wollen. Denn auch Haushalte unterliegen heute der von Markt und Kapital geprägten Zeitknappheit, sind durchrationalisiert oder im schlimmsten Fall verwahrlost. Die Markt- und Verwertungslogik ist also auch im Haushalt längst verbreitet, aber – so zumindest meine Hoffnung – noch nicht durchgehend.
Ein zentrales, auch in der Feministischen Ökonomie bisher vernachlässigtes Thema, ist das der vergeschlechtlichten Organisation (engl.: gendered organization). Dabei sind unter Organisationen nicht nur private und öffentliche Unternehmen, For- und Non-Profit-Organisationen, sondern auch private Haushalte zu fassen. Denn wir befinden uns nie in einem geschlechtsneutralen Raum, schon gar nicht in Organisationen. Das Bewusstsein für die geschlechtsspezifische Prägung von Organisationskulturen und -strukturen ist ein zentraler Ausgangspunkt, der gerade auch für private Haushalte nicht zu vernachlässigen ist. Denn Organisationen im Allgemeinen und private Haushalte im Besonderen sind in die kapitalistische Marktwirtschaft eingebettet, so dass die zum Teil versorgenderen Prinzipien auch im Haushalt nicht in Reinform existieren, sondern auf die Markt- und Erwerbslogik treffen und damit kollidieren.
Jede Wirtschaftstheorie, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsethik muss sich die Frage stellen, von welchem Haushaltsmodell sie ausgeht
Auch die normativen Grundlagen unseres Versorgungssystems sind an vielen Stellen zu hinterfragen. Ich möchte damit beginnen, den Haushalt zu „queeren” und ein zukunftsfähiges Haushaltsmodell zu entwickeln. Das bedeutet, nicht beim heteronormativen Familienernährer-Modell und seinen Nachfolgern stehenzubleiben, sondern ein universal gültiges Haushaltsmodell zu formulieren. Jede Wirtschaftstheorie, Wirtschaftspolitik und Wirtschaftsethik muss sich die Frage stellen, von welchem Haushaltsmodell sie ausgeht: Klein- oder Großfamilie, Familien- oder Gemeinschaftshaushalt, Single-Haushalt mit einer jungen oder alten Person oder – was am sinnvollsten wäre – von all diesen Haushaltsformen. Um zu einem universalen Haushaltsmodell zu gelangen, habe ich die möglichen Haushaltsformen anhand der Verteilung der bezahlten und unbezahlten Arbeit „durchdekliniert“ (siehe Übersicht).
Auf die Frage, welches Haushaltsmodell zukunftsfähig ist, lautet meine Antwort: Vor allem die Modellversionen unter E Allgemeines Verdiener*innen- und Versorgungs-Modell, wobei es wichtig ist, entweder alle drei Varianten im Blick zu behalten oder gleich vom universalen Verdiener*innen- und Versorgungs-Modell (Variante Ec) auszugehen, denn darin wird am deutlichsten, dass sich jeder Mensch in jedem Haushalt um bezahlte und unbezahlte Arbeit kümmern muss, dass beide Arbeitsformen gleichwertig sind und niemand automatisch das Privileg hat, dass jemand anders die Hausarbeit für ihn erledigt.
Um Wirtschafts- und Gesellschaftssysteme in Richtung einer zukunftsfähigen und geschlechtergerechten Verteilung sorgender Versorgungsarbeit zu gestalten, können die vielfältigen Ansätze der Feministischen Ökonomie, insbesondere auch die kritische Haushaltstheorie weiterhelfen. Denn eine solche Gestaltungsaufgabe erfordert, mehr darüber zu wissen, wer in einer Gesellschaft durch wen mit dem zum (guten) Leben Notwendigen wie und wo versorgt wird, wer wen mit dem zum (guten) Leben Notwendigen wie und wo versorgt und wie zukunftsfähiges und geschlechtergerechtes sorgendes Versorgen aussehen soll.
Zur Autorin:
Ulrike Knobloch ist seit 2016 Professorin für Ökonomie und Gender im Fach Wirtschaft und Ethik an der Universität Vechta.