Warum wir eine agile Klimapolitik brauchen

Jonathan Barth & Jakob Hafele
Economists for Future, 2019
Niveau: débutant
Perspectives: Économie écologique, Autre
Sujet: Institutions, gouvernements & politiques, Ressources, environment & climat
Format: Essay

                



Im Angesicht der Klimakrise und der Fridays-for-Future-Proteste hat das Netzwerk Plurale Ökonomik unter #Economists4Future dazu aufgerufen, Impulse für neues ökonomisches Denken zu setzen und bislang wenig beachtete Aspekte der Klimaschutzdebatte in den Fokus zu rücken. Dabei geht es beispielsweise um den Umgang mit Unsicherheiten und Komplexität sowie um Existenzgrundlagen und soziale Konflikte. Außerdem werden vielfältige Wege hin zu einer klimafreundlichen Wirtschaftsweise diskutiert – unter anderem Konzepte eines europäischen Green New Deals oder Ansätze einer Postwachstumsökonomie. Hier finden Sie alle Beiträge, die im Rahmen der Serie erschienen sind.

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Warum wir eine agile Klimapolitik brauchen

Die scheinbare Eindeutigkeit der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse von Maßnahmen gaukelt eine Berechenbarkeit vor, die nichts mit der Realität zu tun hat. Vielmehr braucht es gerade in der Klimapolitik einen Ansatz, der flexibel reagieren kann und gleichzeitig die Entwicklung neuer innovativer Lösungen befördert: das sogenannte agile Politikdesign.

Jonathan Barth & Jakob Hafele

Erstveröffentlichung im Makronom

 

Die öffentliche Debatte hat sich in der Klimapolitik bisher vor allem um Maßnahmen gedreht: Emissionshandel oder CO2 Steuer, Investitionsprogramm oder Innovationsanreize, Verbote, Subventionen oder die Kennzeichnung von nachhaltigen Produkten. Das ist verständlich. In Maßnahmen schlägt sich nieder, was getan wird. Es ist deshalb wichtig und richtig, sehr genau zu überlegen, welche konkreten Maßnahmen eingeführt werden.

Doch der alleinige Fokus auf Maßnahmen reicht nicht aus, denn die Wirtschaft ist heutzutage hoch komplex und gleichzeitig adaptiv: Milliarden von Akteuren nehmen täglich am globalen Wertschöpfungsprozess teil, interagieren und stellen sich auf immer wieder wandelnde Rahmenbedingungen ein. Diese Komplexität ist für die Klimapolitik besonders bedeutend. So betrifft Klimapolitik die unterschiedlichsten Ressorts und Stakeholder.

Gleichzeitig führt die Komplexität dazu, dass die Folgen von Politikmaßnahmen immer schwerer abgeschätzt werden können. Zwar lassen sich grobe Schlüsse ziehen und einzelne Muster beobachten: Preisdifferenzen spielen beim Konsum eine Rolle, internationaler Wettbewerb setzt Arbeitsplätze unter Druck. Dieses Wissen sollte genutzt werden. Doch die scheinbare Eindeutigkeit der wirtschaftswissenschaftlichen Analyse von Maßnahmen gaukelt eine Berechenbarkeit vor, die nichts mit der Realität zu tun hat.

Der europäische Emissionshandel (ETS) ist ein gutes Beispiel: Durch Lobbying, welches in den ökonomischen Modellen zum ETS nicht groß beachtet wurde, wurden zu viele Zertifikate ausgeschüttet. Damit wurde der Mechanismus systematisch untergraben und die Lenkungswirkung fällt weit hinter die Erwartungen zurück. Genauso zeigen die französischen Gelbwesten, was passieren kann, wenn die soziale Dimension der Klimapolitik vernachlässigt wird.

Agiles Politikdesign als Weg in die Zukunft?

Oft wird also erst im Nachhinein klar, welche Maßnahmen wie und warum funktionieren – und welche nicht. Daher braucht es einen Politikansatz, der flexibel reagieren kann und gleichzeitig die Entwicklung neuer innovativer Lösungen befördert: das sogenannte agile Politikdesign.

Agiles Politikdesign reagiert auf Komplexität, indem es in Feedbackschleifen, statt in linearen Prozessen denkt. Der erste Schritt dafür ist, klar definierte und verbindliche Ziele festzulegen. Darauf aufbauend muss in einem zweiten Schritt genau geklärt werden, wie unterschiedliche Bereiche zu diesem Ziel beitragen und dies evaluiert wird. Politikmaßnahmen werden erst darauf aufbauend und auf Basis des besten vorhandenen Wissens bewertet. Mit einem solchen durchdeklinierten Politikdesign ist es möglich, zu beobachten, ob die Politikmaßnahmen in der Lage sind, Ziele und mögliche Unterziele zu erreichen.

Beispielhafte Darstellung eines Politikdesigns mit verbindlichen Zielen und Maßnahmen zur Ermöglichung einer fairen nachhaltigen Transformation der Wirtschaft

Agile Prozesse finden die richtigen Maßnahmen durch einen Suchprozess, in dem ausprobiert, verworfen und nachjustiert wird. Hier verbirgt sich auch der entscheidende Vorteil gegenüber dem reinen Fokus auf Maßnahmen: Fällt die Evaluation negativ aus, werden Politikmaßnahmen angepasst.

In der politischen Praxis lässt sich dies durch Mittel der Strukturförderung, durch Verordnungen, Vorschriften, Ausschreibungen oder Subventionen umsetzten. So könnte beispielsweise durch Strukturförderung die Transformation von Braunkohleregionen zu Standorten nachhaltiger Wirtschaft vorangetrieben werden. In Transition Labs und Reallaboren könnten Politik, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gemeinsam Innovationen nachhaltiger Produktion entstehen lassen, während ein staatlich getragener Ausbau des öffentlichen Verkehrs die Region attraktiver macht.
Dieses agile Politikdesign kann juristisch langfristig eingerahmt werden, um sicherzustellen, dass klimaschädliche Aktivitäten durch Verbote und Regulierung transformiert oder minimiert werden. Ein Beispiel hierfür wäre eine CO2-Steuer. So entsteht ein Politikmix, der innerhalb eines gesetzlich festgelegten Korridors neue Wege beschreitet und sich dabei auf verbindliche Ziele zubewegt. Das schafft gleichzeitig Flexibilität und Planungssicherheit.

Prozessdesign agiler Klimapolitik

Agile Klimapolitik – mit Zielen Planungssicherheit schaffen und den Wandel gerecht gestalten

Mit dem Klimaschutzgesetz (KSG) entwickelt sich die Klima-Governance der Bundesregierung genau in diese Richtung weiter. Das Gesetz definiert bis 2030 sektorspezifische Ziele, deren Erreichung jährlich von einem Expertenrat überprüft wird. Bei Nicht-Erreichung sind die Ministerien aufgefordert nachzubessern, sodass die Ziele im Folgejahr erreicht werden. Auch in anderen Staaten wie Großbritannien war ein agiler Ansatz mit dem „Climate Change Act“ bereits erfolgreich. Dass dies eine grundsätzliche und begrüßenswerte Innovation ist, wird dabei häufig übersehen.

Doch Vorsicht: Der aktuelle Vorschlag der Bundesregierung geht in vielen Punkten an dem vorbei, was notwendig wäre. Erstens ist das Ambitionsniveau nicht nur unzureichend, es ist auch ein Bruch mit den Klimazielen von Paris. Zusammengerechnet ergeben die im KSG veranschlagten Emissionen aller Sektoren zwischen 2020 und 2030 rund 7,4 Gigatonnen (Gt) CO2. Das entspricht jedoch dem insgesamt bis 2100 verbleibenden Gesamtbudget von 7,3 Gigatonnen für Deutschland, wie Stefan Rahmsdorf bereitsausführlich dargelegt hat. Wenn das Abkommen von Paris erfüllt werden soll, wird die Bundesregierung also nachsteuern müssen.

Doch nicht nur das Reduktionsziel ist zu gering. Auch wurde vermieden, gesetzlich klare Ausbauziele für die einzelnen Transformationsfelder anzugeben. Zwar definiert das KSG Reduktionsziele für einzelne Sektoren von Energie bis Landwirtschaft. Doch ebenso wichtig wäre es, gesetzlich und rechtlich verbindlich zu verankern, wohin sich diese Sektoren als Alternative zum Status Quo entwickeln sollen, um die nötige Planungssicherheit für die Industrie zu schaffen.

Wie Johanna Schiele und Hanns Koenig richtig argumentieren, sind Innovationen träge und verbreiten sich in machen Sektoren, wie beispielsweise dem Wärmesektor oder in der Großindustrie, nur sehr langsam. Heizungssysteme in Gebäuden werden beispielsweise nicht alle zwei Jahre erneuert. Aktuell werden jedoch immer noch Ölheizungen verbaut, innovative Alternativen zu Hochöfen, wie etwa wasserstoffbasierte Verfahren, sind bisher noch gänzlich Zukunftsmusik. Es braucht also eine aktive Politik, welche den Aufbau einer klimafreundlichen neuen Ökonomie mit einem langfristigen Blick vorantreibt. Der Traum einiger Ökonomen, dass höhere Preise auf CO2 alleine zu den nötigen Veränderungen führen, greift zu kurz.

Eine aktive Politik ist darüber hinaus insbesondere auch wegen den sozialen Implikationen der Klimapolitik erforderlich. Dabei reicht es nicht aus, leidglich die Einnahmen aus CO2-Steuern wieder zu verteilen, sei es über die Senkung der EEG-Umlage oder die Erhöhung der Pendlerpauschale. Vielmehr ist es notwendig, die alternativen ökologischeren, aber häufig auch teureren Lebensstile für die unteren Einkommensschichten ebenfalls zugänglich zu machen.

Am Beispiel des Pendlers wird dies deutlich: Solange jemand in einer schlecht angebunden Region wohnt und zur Arbeit pendeln muss, ist ein Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel nicht möglich – egal wie hoch der CO2-Preis ist. Wie Tom Krebs bereits detailliert ausgeführt hat, trifft dies eben überproportional stark einkommensschwache Haushalte, denn gut angebundene Wohngebiete sind in der Regel teurer. Das war letztlich auch das Problem der Gelbwesten.

Der Aufbau CO2-armer Infrastruktur ist also notwendig (und aktuell zu unschlagbaren Konditionen finanzierbar). Doch auch hier hat es die Bundesregierung verpasst, Ziele zu definieren: Wie viele Menschen sollen sich in Zukunft öffentlichen Nahverkehr leisten können? Wie hoch soll die Belastung auf welche Einkommensgruppe ausfallen? Erst solche sozialen Ziele und ihre regelmäßige Evaluation machen es möglich abzuschätzen, ob die im KSG skizzierten Maßnahmen tatsächlich die intendierten Effekte entfalten.

Das Klimaschutzgesetz: Ein Tiger ohne Zähne?

Werden die festgelegten Ziele dann in einzelnen Bereichen nicht erreicht, kann eine agile Politik nachsteuern. Hierfür braucht es jedoch zwei Dinge: Mut und Innovation. Wenn sich beispielsweise Verkehrsminister Andreas Scheuer nicht traut, den Weg zu einer zukunftsfähigen Mobilität zu beschreiten, ist ein harter Sanktionsmechanismus nötig. Sanktionen stellen sicher, dass die Ziele erreicht werden, Handeln nicht mehr auf die lange Bank geschoben wird und sich die einzelnen Ministerien ihrer Verantwortung nicht entziehen. Budgetkürzungen im Haushalt wären dafür ein Mittel.

Durch den fehlenden Sanktionsmechanismus entsteht der fatale Anreiz, ineffektive Maßnahmen zu formulieren, statt mutig neue Dinge auszuprobieren. Zwar legt die EU-Lastenverteilungsverordnung solche Sanktionen für Deutschland in den nicht vom Emissionshandel abgedeckten Sektoren fest. Doch in der aktuellen Version des KSG wird nicht aufgeführt, wie sich diese auf die einzelnen Sektoren verteilen, wenn die Ziele nicht erfüllt werden. Außerdem werden die Zahlungen erst 2027 fällig und haben damit kaum Konsequenzen für den nächsten Haushaltsetat des jeweiligen Ministeriums.

Durch den fehlenden Sanktionsmechanismus entsteht der fatale Anreiz, ineffektive Maßnahmen zu formulieren, statt mutig neue Dinge auszuprobieren. Jahr für Jahr kann Andreas Scheuer ein Maßnahmenwunschpaket nach dem anderen erstellen und deren Wirkung überbewerten, ohne Konsequenzen befürchten zu müssen. So geht nicht nur wichtige Zeit verloren, sondern wird auch die Zielerreichung untergraben.

Es wird mutige und neue Ideen brauchen, wie der Wandel in den unterschiedlichen Transformationsfeldern von Ernährung bis Wirtschaft fair und gerecht gelingen kann. Solche Innovationen entstehen, wenn möglichst unterschiedliche Perspektiven zusammenkommen. Doch in der Politik fehlen die Kreativitätsräume dafür. Stattdessen werden Vorschläge entweder innerhalb einzelner Ministerien oder von einzelnen Experten entwickelt, und erst spät mit anderen Ministerien oder gesellschaftlichen Stakeholdern abgestimmt. Das ist fatal. So kann gerade das Wissen anderer Ministerien und Akteure aus der Praxis essenziell sein, um wirksame Vorschläge zu entwickeln, die gleichzeitig auf große Akzeptanz stoßen.

Auch hier werden in agilen Organisationen neue Methoden genutzt, auf die die Politik zurückgreifen sollte: In co-kreativen und nutzerzentrierten Prozessen kommen unterschiedlichste Menschen zusammen, um für ein gemeinsames Ziel Ideen zu entwickeln und ihre Arbeit abzustimmen. Die Politik täte gut daran, solche Prozesse als Ergänzung zur Entwicklung von Vorschlägen in Ministerien durchzuführen.

Was zu tun wäre

Das Klimaschutzgesetz mag ein erster Schritt auf dem Weg hin zu einem agilen Politikdesign sein, das versucht, der Komplexität der heutigen Zeit gerecht zu werden. Positiv ist, dass das KSG eine Sicherheit bei der Wirkung von Maßnahmen vor noch vertraut es auf die Einfachheit von Preis- und Anreizmechanismen. Es ist damit ein Beispiel, wie Politik mit der Komplexität wirtschaftlicher Zusammenhänge umgehen kann, ohne die politischen Ziele dem Markt zu überlassen. Damit kann es auch auf andere Politikbereiche ausstrahlen.
 
Trotzdem fällt das KSG weit hinter das Mögliche zurück. Es fehlen verbindliche wirtschaftliche und soziale Ziele zum Aufbau einer zukunftsfähigen Ökonomie, die Planungssicherheit für die Wirtschaft schaffen, Investitionen dorthin lenken, wo es notwendig ist, und die sozialen Folgen der Klimapolitik abfedern. Genauso fehlt es an für die Nachsteuerung notwendigen harten Sanktionsmechanismen und Räumen für politische Innovation. Die Bundesregierung hat also noch viel zu tun, wenn sie den Anforderungen an eine Klimapolitik im Zeitalter der Komplexität wirklich gerecht werden will.

 
Zu den Autoren:

Jonathan Barth ist Mitgründer und Partner am ZOE-Institut für zukunftsfähige Ökonomien und koordiniert dort das Projekt „Policymaking beyond growth”. Er berät die EU und nationale Regierungen zum Nexus zwischen Klimapolitik, Wohlbefinden und Wirtschaftswachstum. Auf Twitter: @JonathanB4RTH
Jakob Hafele arbeitet mit der UN, der EU, nationalen Regierungen und Industrieclustern an zukunftsfähiger Industriepolitik. Er ist Mitgründer und Partner bei ZOE und für die Strategie- und Organisationsentwicklung verantwortlich. Auf Twitter: @JakobElefah

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