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Franziska M. Hoffart und Michael Roos
Erstveröffentlichung im Makronom
Die Economists4Future wollten eine Diskussion über notwendige Konsequenzen der Klimakrise für die Wirtschaftswissenschaften anstoßen – was bisher aber kaum gelungen ist. Das liegt vor allem daran, dass der neoklassische Mainstream weiterhin Diskursverweigerung betreibt. Ein Beitrag von Franziska M. Hoffart und Michael Roos.
Was folgt aus der Klimakrise für unsere Wirtschaft(sweisen) und das Denken darüber? Im Angesicht der Fridays-for-Future-Proteste hat sich aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik eine neue Initiative herausgebildet: Economists for Future. Mit der gleichnamigen Debattenreihe werden zentrale Fragen einer zukunftsfähigen Wirtschaft in den Fokus gerückt. Im Zentrum stehen nicht nur kritische Auseinandersetzungen mit dem Status Quo der Wirtschaftswissenschaften, sondern auch mögliche Wege und angemessene Antworten auf die dringlichen Herausforderungen und Notwendigkeiten. Dabei werden verschiedene Orientierungspunkte für einen tiefgreifenden Strukturwandel diskutiert.
Dieser Beitrag zieht ein Zwischenfazit der Debattenreihe „Warum die Klimakrise die moderne Ökonomik herausfordert“. Ihr Ausgangspunkt war eine Einladung der Economists4Future zur Diskussion über notwendige Konsequenzen der Klimakrise für die Wirtschaftswissenschaften.
Die Reihe hat viele wertvolle Beiträge hervorgebracht, die wir nachfolgend rekapitulieren werden. Das wichtigste Ergebnis ist leider, dass innerhalb der Reihe bisher keine echte Debatte stattgefunden hat und der eigentliche Diskurs über die Bedeutung der Klimakrise für die Wirtschaftswissenschaft noch aussteht. Es hat deswegen keine Debatte im Sinne eines Streitgesprächs stattgefunden, weil sich alle publizierten Beiträge einig darüber waren, dass die neoklassische Klimaökonomik hochproblematisch ist – niemand hat den Mainstream verteidigt, und eine inhaltliche Auseinandersetzung mit der Kritik war öffentlich kaum sichtbar. An einer zu geringen Reichweite kann dies angesichts der großen Leserschaft der Debatten kaum liegen.
Dieses Muster ist allerdings auch losgelöst vom Klimadiskurs zu beobachten. Die große Mehrheit des neoklassischen Mainstreams ignoriert die vielfache, wohlbegründete Kritik und folgt ihrem Paradigma unverändert. Dieses Verhalten kommt einer Diskursverweigerung gleich, die eine Debatte unmöglich macht. Mehr noch: Wir argumentieren, dass die Diskursverweigerung die Verantwortung von Wissenschaftler*innen und daraus folgende Pflichten verletzt.
Fünf Kritikpunkte an der neoklassischen Klimaökonomik erscheinen uns besonders schwerwiegend:
Die Kritikpunkte beziehen sich auf Inhalt und Qualität der Mainstreamforschung. Ergänzend kann die Quantität kritisch beleuchtet werden. Oswald und Stern (2019) kommen wie Roos und Hoffart (2020) zu dem deprimierenden Ergebnis, dass es sehr wenig ökonomische Forschung zur Klimakrise gibt. Dass sowohl qualitative wie auch quantitative Mängel vorliegen, ist bezeichnend für den bedenklichen Zustand der neoklassischen Klimaökonomik in Speziellen und der Neoklassik im Allgemeinen.
Die große Mehrheit des neoklassischen Mainstreams verweigert seinen Kritikern*innen den Diskurs über die eigene Forschung und den Zustand des Fachs
Alles in Allem wird die neoklassische Klimaökonomik als wenig hilfreich – wenn nicht sogar als hinderlich – bei der Suche nach Antworten eingeschätzt, wie das von Klimaforschern empfohlene und politisch vereinbarte Ziel erreicht werden kann, die globale Erwärmung auf 1,5°C oder maximal 2°C zu begrenzen. Am schwersten wiegt jedoch der Vorwurf, dass ihre Empfehlungen, eine effiziente Klimapolitik zu verfolgen und trotz der Risiken von Kipppunkten eine Kosten-Nutzen-Analyse vorzunehmen, katastrophale Folgen haben kann. Der von William Nordhaus als optimal erachtete Temperaturanstieg von ca. 3°C bis 2100 birgt nach Ansicht vieler Klimaforscher das beträchtliche Risiko selbstverstärkender Effekte mit katastrophalen Folgen, die bis zur Vernichtung der menschlichen Lebensgrundlagen reichen können.
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Die Vertreter*innen der neoklassischen Klimaökonomik sollten auf diese Kritik in wissenschaftlich gebotener Weise reagieren und sie entweder entkräften oder ihre Aussagen revidieren. Roos und Hoffart (2020) argumentieren, dass Wissenschaftler*innen im Allgemeinen und Ökonom*innen im Besonderen akademische und gesellschaftliche Verantwortungen tragen, sowie daraus resultierende Pflichten. Von diesen beiden Arten der Verantwortung ausgehend, argumentieren Roos und Hoffart für die Verantwortung von Ökonom*innen zur Bekämpfung von Klimawandel. Neben der Verantwortung, relevante Forschung zu betreiben und die Konsequenzen der eigenen Forschung zu beachten, ist im Kontext dieses Beitrages vor allem die Pflicht, einen offenen und herrschaftsfreien Diskurs zu führen, besonders relevant.
Diese Pflicht, die sowohl die eigene als auch fremde Forschung betrifft, verlangt, auf Kritik zur eigenen Arbeit einzugehen und unvoreingenommen Feedback zu geben. Sie schließt eine generelle Offenheit, sowie Informiertheit über intra- und interdisziplinäre Forschungsentwicklungen mit ein, die eine kritische Selbstreflexion bezüglich der eigene Methodik, Rolle und Normativität erfordert. Die Allianz der Wissenschaftsorganisationen in Deutschland sieht dies genauso. Sie leitet aus der grundgesetzlich garantierten Freiheit der Wissenschaft zehn Selbstverpflichtungen ab, wozu der offene Diskurs in der Wissenschaft und die Auseinandersetzung mit Andersdenkenden ebenso gehören, wie der aktive Austausch mit der Gesellschaft. Die American Economic Association fordert in ihrem Code of Professional Conduct Ähnliches von Ökonom*innen:
“(…)an environment where all can freely participate and where each idea is considered on its own merits. Economists have a professional obligation to conduct civil and respectful discourse in all forums”.
Die große Mehrheit des neoklassischen Mainstreams verweigert seinen Kritikern*innen den Diskurs über die eigene Forschung und den Zustand des Fachs. Seit Langem werden einige der oben genannten Aspekte auch unabhängig vom Klimawandel von Ökonom*innen anderer Denkschulen kritisiert (siehe z.B. Simms).
Es ist bezeichnend, dass es in der Volkswirtschaftslehre üblich ist, von orthodoxen und heterodoxen Ökonom*innen zu sprechen. Die Orthodoxie ist die richtige Lehrmeinung, während die Heterodoxie falsche und daher abzulehnende Meinungen umfasst. Ein solches Verständnis gehört eher in die Welt der Religion als in die Wissenschaft. So ist es wenig verwunderlich, dass national wie international Stimmen laut werden (z.B. Rapley; Hauser; Nelson), welche die Ökonomik als eine Wissenschaft wie eine Religion bezeichnen und den Beruf des Ökonomen, als „the most important priesthood of our times“ bezeichnen.
Die Mainstream-Definition des Faches ist ein Beleg für den neoklassischen Glauben, die einzig wahre Volkswirtschaftslehre zu sein. Die gängige Lehrbuchdefinition ist, dass die Volkswirtschaftslehre die Wissenschaft von Wahlhandlungen unter Knappheit ist. Dies ist jedoch nur das Verständnis der Neoklassik, die sich selbst aber nicht als eine Denkschule unter vielen versteht. Andere Denkschulen haben andere Definitionen des Fachs, die in gängigen Lehrbüchern nicht vorkommen. Die Definitionsvielfalt macht es schwer, überhaupt eine einzige Definition der Volkswirtschaftslehre zu geben.
Es ist konsistent, dass Vertreter*innen einer wahren Lehre die Lehre von Abweichlern*innen als falsch und unwissenschaftlich verstehen. Der einfachste Weg, den Diskurs zu verweigern, ist die Kritik einfach zu ignorieren. Wenn Ignorieren keine Option mehr ist, reagiert der Mainstream oftmals ausweichend oder abwiegelnd, spielt die Kritik herunter oder diskreditiert. Hierfür gibt es zahlreiche Beispiele. Drei möchten wir kurz diskutieren.
Ein fraglicher Umgang mit Kritik zeigt sich in der Antwort des Vereins für Socialpolitik auf einen offenen Brief des Netzwerks Plurale Ökonomik, in dem mehr Theorien- und Methodenvielfalt und eine Reflexion der normativen Annahmen gefordert werden. Die offizielle Antwort vom damaligen Vorstandmitglieds Michael Burda ist eher eine Scheinantwort, die der eigentlichen Kritik ausweicht und sie herunterspielt, ohne ernsthaft nach den Regeln des guten Diskurses auf diese einzugehen.
Wirklicher Pluralismus betrifft nicht nur die methodische, sondern ebenso die ontologische und epistemologische Ebene
Burda bricht die Kritik auf drei Aspekte herunter und ignoriert alle sechs Forderungen. Diese Aspekte, die an der eigentlichen Kritik vorbeigehen, diskutiert er auf eine oberflächliche Art und Weise. Die „vermeintliche übertriebene Mathematisierung“ entkräftet er, indem er sich auf die Wichtigkeit der Mathematik und bekannte Ökonomen beruft. Eine genauere Erläuterung gibt es nicht. Dabei begeht er mindestens zwei Argumentationsfehler. Bekannt als argumentum ad verecundiam oder Autoritätsargument wehrt Burda die Kritik ab, in dem er mit dem Verweis auf renommierte Experten versucht, Ehrfurcht zu erzeugen, ohne diese oder deren Argumente in den Diskurs einzubringen. Zusätzliche rechtfertigt er die Verwendung der Mathematik damit, dass viele Ökonomen vor ihm dies genauso getan haben.
Ein Verweis auf den Ist-Zustand genügt jedoch nicht für die Rechtfertigung des Soll-Zustandes, was als Soll-Sein-Fehlschluss bekannt ist. Diese Reaktion, die in ähnlicher Weise an anderer Stelle wiederholt wird, stellt keine angemessene Reaktion auf Kritik dar. Zudem missinterpretiert Burda die angebliche Methodenvielfalt der neoklassischen Ökonomik als wahren Pluralismus und verwechselt damit Pluralität mit Pluralismus. Wirklicher Pluralismus betrifft nicht nur die methodische, sondern ebenso die ontologische und epistemologische Ebene. Die neoklassische Ökonomik praktiziert zwar unterschiedliche Methoden. Jedoch basieren diese auf derselben Ontologie, nämlich einem Fokus auf Knappheit als zentrales ökonomischen Problem. Das ist nicht plural. Die diesjährige Jahrestagung zum Thema „Klimaökonomik“ liefert eine neue Chance, einen echten Diskurs aufzunehmen.
Das zweite Beispiel bezieht sich auf einen Spiegel-Artikel des Ökonomen Rüdiger Bachmann von 2012, in dem er seine Disziplin gegen Kritiker*innen verteidigt. Dabei steht der Titel „Lernt unsere Sprache, bevor ihr mitredet“ sinnbildlich für die Art, wie er Kritiker*innen begegnet, nämlich diskreditierend. Bekannt als klassischer ad-hominem Argumentationsfehler greift Bachmann nicht das Argument seiner Kontrahenten*innen, sondern die Personen selbst an und verstößt damit gegen wissenschaftliche Diskursregeln. In einem Antwortartikel meldeten sich Studierende bestürzt zu Wort und bemängeln ebendies:
„Die Unterstellung, wir beherrschten die Sprache der Ökonomen nicht und sollten deshalb nicht mitreden […] ist unerhört. Und der damit verbundene Versuch uns einzuschüchtern, ist einer Diskussion unangemessen.“
Desinteresse und fehlende Offenheit für den Diskurs zeigt sich auch in der Ablehnung der Einladung zum „Roundtable dialog on pluralism in economics“. Laut Negru und Negru hat kein*e neoklassische*r Ökonom*in die Einladung angenommen, die das International Journal of Pluralism and Economics Education 2015 versendet hat. Ein ähnliches Bild vermittelt der Call for Papers der ersten Debattenreihe von 2019. Laut Auskunft der Initiator*innen stammte nur eine von 24 Einreichungen nicht aus dem Umfeld der Pluralen Ökonomik.
Ignoranz, fehlender Respekt und Argumentationsfehler scheinen ein weiterverbreitetes Antwortmuster zu sein. Der neoklassische Mainstream ignoriert und reagiert aus einer Überheblichkeit heraus, die nicht von schlechtem Stil zeugt, sondern für die es keinen guten Grund gibt. Spätestens seit der anhaltenden Kritik am Zustand der Volkswirtschaftslehre ist die Überheblichkeit unangebracht. Die Verantwortungsverletzung im Rahmen des offenen Diskurses ist letztendlich ein Verstoß gegen die gute wissenschaftliche Praxis und leider kein Einzelfall. Wie wir in Roos und Hoffart (2020) zeigen, führt die Praxis der neoklassischen Ökonomik zu Konflikten mit und Verletzung von weiteren Verantwortungen, sodass wir für eine Verantwortungskrise der Volkswirtschaftslehre argumentieren.
Aber wer konkret wird im Kontext der Klimaökonomik eigentlich kritisiert? Ein prominenter Adressat ist z.B. der Sachverständigenrat, dem in Roos (2020) ebenfalls einige der oben genannten Vorwürfe gemacht werden. Im Prinzip sind aber alle Ökonom*innen angesprochen, die z.B. eine CO2-Bepreisung als ausreichendes Instrument zur Bewältigung der Klimakrise propagieren, sich dem Diskurs entziehen oder ihn entgegen der wissenschaftlichen Praxis mit unlauteren Mitteln führen.
Wie ließe sich das ändern? Mindestens drei Wege sind denkbar.
Erstens können Vertreter des Mainstreams immer wieder direkt konfrontiert und zu Debatten eingeladen werden. Dies muss nach Möglichkeit in Formaten und Foren geschehen, wo es schwierig ist, der Debatte auszuweichen. Dazu ist eine Öffentlichkeit abseits der akademischen Zirkel notwendig.
Der Klimawandel ist zu komplex und zu wichtig, um nur eine ökonomische Perspektive in der Öffentlichkeit und Politik zu Wort kommen zu lassen
Zweitens können private oder öffentliche Forschungsmittel mit der Auflage vergeben werden, ein Thema aus unterschiedlichen Perspektiven im Sinne einer intradisziplinären Auseinandersetzung mit alternativen Ansätzen zu beleuchten. Ein Beispiel dafür ist die vom Umweltbundesamt in Auftrag gegebene Studie „Gesellschaftliches Wohlergeben innerhalb planetarer Grenzen“, in der das neoklassische Konzept des grünen Wachstums dem Konzept des „Degrowth“ aus der ökologischen Ökonomik gegenübergestellt wird und die Argumente für und gegen beide Positionen ausführlich erörtert werden. An der Studie arbeiteten Autoren aus unterschiedlich positionierten Instituten mit, die schließlich zum Synthesekonzept der vorsorgeorientierten Postwachstumsposition gelangten. Der Beitrag von aus dem Moore (RWI) und Hofmann (IÖW) aus der Makronom-Debattenreihe ist ein seltenes Beispiel, dass ein echter Diskurs möglich ist, wenn es äußere Anreize dazu gibt.
Schließlich könnten Expertengremien und Sachverständigenräte gezielt plural mit Vertreter*innen unterschiedlicher Denkschulen besetzt werden. Diese Gremien könnten den öffentlichen Auftrag bekommen, gesellschaftlich relevante Themen ausgewogen aus verschiedenen Perspektiven darzustellen. Wesentlich für einen offenen Diskurs in der Volkswirtschaftslehre ist mehr Pluralismus und Verantwortungsübernahme. Wünschenswert ist ein interessierter Pluralismus, der die Koexistenz verschiedener Denkschulen akzeptiert und einen konstruktiven Austauschen zwischen diesen fordert.
In diesem Sinne möchten wir ausdrücklich die Adressat*innen unserer Kritik zum konstruktiven Diskurs einladen – vielleicht wird so aus der nächsten Debattenreihe eine wirkliche Debatte im Sinne eines respektvollen, akademischen Streitgespräches. Seit Langem gibt es unterschiedlichen Strömungen der (Klima-)Ökonomik, die wertvolle Alternativen für Forschung und Lehre aufzeigen. Nur werden diese vom Mainstream marginalisiert. Der Klimawandel ist zu komplex und zu wichtig, um nur eine ökonomische Perspektive in der Öffentlichkeit und Politik zu Wort kommen zu lassen.
Zu den AutorInnen:
Franziska M. Hoffart ist wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Ruhr-Universität Bochum und Referentin für Wirkungstransparenz und Nachhaltigkeit der GLS Bank. Sie forscht aus einer komplexitätsökonomischen Perspektive zur low-carbon Transformation im Energiesektor, klimabezogenen Risiken im Finanzsektor, sowie der Verantwortung von Ökonom*innen in der Klimakrise.
Michael Roos ist Professor für Volkswirtschaftslehre an der Ruhr-Universität Bochum. In seiner Forschung beschäftigt er sich mit der Nachhaltigkeitstransformation aus komplexitätsökonomischer Perspektive. Insbesondere forscht er zu Fragen der Energiewende, der Mobilitätswende und des Klimawandels.