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Beate Fischer
Erstveröffentlichung im Makronom
Wie muss die Energiewende gestaltet werden, damit sie nicht als Gängelung durch eine sich weiter differenzierende Klimaschutzbürokratie wahrgenommen wird – sondern in der Breite der Bevölkerung eine aktive Befürwortung und Bejahung entsteht?
Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt. Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.
„Was dem Einzelnen nicht möglich ist, das vermögen viele.“ Dieses Zitat von Friedrich Wilhelm Raiffeisen gehörte zu den zentralen Leitsätzen einer im Nachhinein sehr kurzen Gründungsbewegung, die vor reichlich zehn Jahren in Deutschland angetreten war, um die Energiewende vor Ort umzusetzen. Innerhalb von nur fünf Jahren gründeten sich zwischen 2009 und 2014 mehr als 600 Energie-Genossenschaften, die sich dem Ausbau der Photovoltaik, dem Betrieb von Nahwärmenetzen und in geringerem Umfang der Windkraft verschrieben hatten.
Für viele vor Ort Engagierte schien das bisher Unmögliche möglich: Es wurde nicht nur diskutiert, wie man sich regional zu 100% mit erneuerbaren Energien versorgen kann, sondern mit jeder Anlage kam man diesem Ziel einen Schritt näher. Über Parteigrenzen und hergebrachte ideologische Gräben hinweg gab es vielerorts ein bisher unbekanntes Engagement für Umwelt- und Klimaschutz, das auch wirtschaftlich der jeweiligen Region zu Gute kommen sollte. Nicht länger sollte Kaufkraft für den Erwerb von Gas und Öl ins Ausland abfließen, sondern durch regionale Wirtschaftskreisläufe in der Region gehalten werden.
Doch dieser Gründungsbewegung wurde gewollt oder ungewollt bundespolitisch ein schnelles Ende bereitet: Die zentrale Rechtsgrundlage, das Erneuerbare-Energien-Gesetz, wurde ab 2012 unter dem vermeintlichen Eindruck explodierender Kosten mehrfach geändert, so dass die Wirtschaftlichkeit für viele genossenschaftliche Projekte nicht mehr gegeben war. Bürokratische Hürden erschwerten massiv ein Engagement für die Energiewende und die Projektierungsrisiken waren für bürgerschaftliche Genossenschaften kaum noch tragbar. Nicht zuletzt rückten die Aktivitäten der Energie-Genossenschaften ins Visier der Bundesfinanzaufsicht, die finanzielle Beteiligungen an größeren Investitionsvorhaben prüfte und damit für große Verunsicherung sorgte.
Heute, ein knappes Jahrzehnt später, ist die Dringlichkeit, die Erderwärmung, wenn schon nicht mehr aufzuhalten, dann doch zumindest abzumildern, so präsent wie nie zuvor. Gleichzeitig stellt der Krieg in der Ukraine die bisherige Strategie der verstärkten Erdgasnutzung als Übergang zu einer vollständig regenerativen Energieversorgung in Frage. Durch ein umfassendes Technologie- und Investitionsmanagement strebt die aktuelle Bundesregierung einen zügigen, möglichst klimaneutralen Umbau der technischen wie baulichen Infrastruktur in Deutschland an. In einer bisher nicht gekannten Dynamik soll vor allem der Ausbau der Photovoltaik und der Windkraft an Land erfolgen, sollen Gebäude gedämmt, der Verkehr elektrifiziert und Heizungssysteme modernisiert werden.
Dieser technologische Wandel wird nicht nur Treibhausgase reduzieren, was ja das erklärte Ziel ist, sondern vielerorts auch zu massiven Veränderungen des vertrauten Landschaftsbildes führen, man denke hier an einen enormen Zubau von Freiflächenphotovoltaik und Windparks. Bereits jetzt wird darüber debattiert, wie man landwirtschaftliche Flächen verstärkt für Agri-Photovoltaik nutzen könnte, wie man Seen für schwimmende Solarparks erschließt und ob man „biodiversitätsfördernde“ Photovoltaik in regionalen Grünzügen und Landschaftsschutzgebieten erlauben sollte. Zudem werden sich Umgebungsgeräusche verändern, z.B. durch den siedlungsnahen Zubau von Windkraftanlagen und die massenhafte Verbreitung von Luft-Wärme-Pumpen. Gebäudeeigentümer werden in sehr kurzer Zeit für ihre Verhältnisse komplexe Investitionsentscheidungen treffen und sich zunehmend auf einem Markt bewegen müssen, der sich aufgrund knapper werdender Rohstoffe sowie einem ausgeprägten Personalmangel immer mehr zu einem Verkäufermarkt entwickelt.
Zwei zentrale Prinzipien unterscheiden die Genossenschaft von anderen Unternehmensformen: das Demokratieprinzip und das Identitätsprinzip
Damit diese technologische Transformation gelingt, muss die Bevölkerung, wie es gerne im Politikjargon heißt, „in der Breite mitgenommen“ werden. Nicht nur, um eine passive Toleranz der anstehenden Veränderungen ihres Lebensumfeldes zu erreichen und damit den zu erwartenden lokalen Widerstand gegen die fortschreitende Technisierung der Landschaft einzuhegen. Sondern auch, um eine Aktivierung der Menschen in dem Sinne zu erreichen, dass sie ihren persönlichen Gestaltungsspielraum ausnutzen und die Vorteile eines energetisch modernisierten Hauses sowie der dazu notwendigen Energieversorgungsinfrastruktur erkennen und bereit sind, Lebenszeit und Geld zu investieren. Oder anders formuliert, drängt sich die Frage auf: Wie muss die Energiewende gestaltet werden, damit sie nicht als Gängelung durch eine sich weiter differenzierende Klimaschutzbürokratie wahrgenommen wird, als ein aufgezwungener technokratischer Prozess, als ein Verlust an Lebensqualität, sondern dass in der Breite der Bevölkerung eine aktive Befürwortung und Bejahung der Energiewende entsteht? Damit diese tatsächlich als Fortschritt und nicht als eine Überforderung oder Zumutung erlebt wird.
Energie-Genossenschaften könnten hierzu einen wichtigen Beitrag leisten. Von ihrem Selbstverständnis her sind Genossenschaften in erster Linie Wirtschaftsvereine. Die Genossenschaft wird häufig als eine besondere Unternehmensform angesehen, in der auch soziale, kulturelle und ökologische Zwecke verfolgt werden.
Zwei zentrale Prinzipien unterscheiden die Genossenschaft von anderen Unternehmensformen: das Demokratieprinzip und das Identitätsprinzip. Ersteres besagt, dass jedes Mitglied unabhängig vom eingebrachten Kapital das gleiche Stimmrecht hat. Das zweite Prinzip bezieht sich auf die Identität zwischen Eigentümern und Kunden, die eine Vorteilnahme der Eigentümer gegenüber ihren Kunden sinnlos macht. Inwiefern beide Prinzipien mit Leben gefüllt werden, hängt letztlich vom Einzelfall ab. Aber sie bieten einen guten Rahmen, um energie- und umweltpolitisch engagierten Menschen ein hohes Maß an Selbstwirksamkeit zu erlauben, Vertrauen aufzubauen, heterogene Interessen zu integrieren und damit neuartige Kooperationen zu ermöglichen.
Dass dies nicht nur in der Theorie so ist, sondern auch in der Realität funktioniert, stellen einige bis heute aktive Energie-Genossenschaften unter Beweis. Ein paar Beispiele:
Ob Energie-Genossenschaften sich dauerhaft vor Ort etablieren können, hängt von vielen verschiedenen Faktoren ab – nicht zuletzt auch (vom zumeist ehrenamtlichen Engagement) einzelner Personen. Wie fast jedes ehrenamtliche Engagement ist dies nur dauerhaft aufrecht zu erhalten, wenn es den Ehrenamtlichen mehr zurückgibt als es sie „kostet“ – sei es in Form von erlebter Selbstwirksamkeit, wirtschaftlichem Erfolg, einem Gemeinschaftsgefühl oder öffentlicher Anerkennung. Will man die Früchte dieses Engagements politisch für die Energiewende und den Klimaschutz nutzen, müssen die politischen Rahmenbedingungen derart sein, dass wirtschaftliche Risiken tragbar und der bürokratische Aufwand geringgehalten wird.
Aber auch Energie-Genossenschaften sind in ihren Möglichkeiten begrenzt. So vermag nicht jede lokale Energie-Genossenschaft, die Unterstützerinnen und Unterstützer in einem Konflikt um Windkraft zu bündeln. Beispielsweise verfolgt die Energiegenossenschaft Odenwald nur noch Windkraftprojekte, sofern diese auf klaren Mehrheiten in den kommunalpolitischen Entscheidungsgremien aufbauen. Auch ist die Wirksamkeit finanzieller Bürgerbeteiligung letztlich begrenzt. Wer sich zum Beispiel in seiner Lebensqualität massiv vom Lärm, vom Schlagschatten und der Verschandelung der Landschaft durch Windkraftanlagen bedroht sieht, wird sich auch nicht durch eine versprochene Rendite kaufen, geschweige denn überzeugen lassen.
Die Kritiker von Bürgerbeteiligung und damit auch von Energie-Genossenschaften wenden gerne ein, dass Bürgerbeteiligung viel kostet, aber wenig bringt. Man könnte argumentieren, dass das in gewisser Weise im Einklang mit der Forschung steht, die zwar qualitativ positive Wirkungen von Bürgerbeteiligung in Energie-Genossenschaften aufzeigt, aber bisher quantitativ kaum belegen kann.
Letzteres mag der Tatsache geschuldet sein, dass Energie-Genossenschaften bis heute eine Nische geblieben sind. In einer deutschlandweiten Befragung von privaten Finanzentscheidern im Jahr 2019 gab nur etwa ein Drittel der Befragten an, überhaupt zu wissen, was eine Energie-Genossenschaft ist. Dies spiegelt sich auch in der geringen Zahl der Mitglieder wider, die sich in Deutschland auf gerade einmal etwa 200.000 beläuft.
Die Erzeugung in der eigenen Region oder in Deutschland könnte ein sinnvoller Maßstab dafür sein, wie viel (oder vielmehr wie wenig) Energie in Deutschland nachhaltig erzeugbar ist
Ein weiterer Kritikpunkt bezieht sich darauf, dass Energie-Genossenschaften – trotz der vergleichsweise sehr niedrigen Anforderungen an eine (finanzielle) Beteiligung – eine überdurchschnittlich vermögende Mitgliedschaft aufweisen und daher ihr häufig proklamiertes Ziel, alle gesellschaftlichen Schichten ansprechen zu wollen, zumindest in der Masse nicht erreichen. Dies dürfte teilweise auf den ursprünglich eher investiven Charakter der Genossenschaften zurückzuführen zu sein. In denjenigen Genossenschaften, in denen es eine direkte Lieferbeziehung zwischen der Genossenschaft und ihren Mitgliedern gibt, wie dies bei Nahwärme-Genossenschaften der Fall ist, werden Energie-Genossenschaften ihrem inklusiven Anspruch schon deutlich stärker gerecht. Für stromproduzierende Energie-Genossenschaften ist bisher jedoch der regulatorische Rahmen ungünstig, so dass hier eine direkte Lieferbeziehung organisatorisch sehr aufwändig (wie im Falle von Mieterstrom-Modellen) oder wirtschaftlich nicht darstellbar ist.
An diesem Punkt setzen aktuelle konzeptionelle Überlegungen und politische Forderungen von Akteuren im Feld der Bürgerenergie an, die unter dem Begriff „Energy Sharing“ entsprechende Veränderungen der Regulatorik einfordern. Diese Überlegungen beziehen sich auf europäisches Recht, konkret auf die Erneuerbare-Energien-Richtlinie II. Die Richtlinie besagt in Art. 22, dass die europäischen Mitgliedsstaaten es privaten Haushalten ermöglichen sollen, sich an sogenannten Erneuerbaren-Energien-Gemeinschaften zu beteiligen, die regenerativen Strom vor Ort für ihre Mitglieder erzeugen, zwischenspeichern und zum Verbrauch bereitstellen. So könnten vor Ort größere, gemeinschaftlich finanzierte Freiflächenphotovoltaik- und Windkraftanlagen mit kleineren privaten Anlagen kombiniert werden und über entsprechende Energiemanagementsysteme und Speichertechnologien eine tatsächliche Lieferbeziehung zwischen ihren Mitgliedern etablieren.
Da mittlerweile die Stromgestehungskosten aus Windkraft und Photovoltaik vergleichsweise niedrig in Relation zu den Kosten für Strom aus dem öffentlichen Netz sind, könnte der Bundesgesetzgeber durch den geschickten Einsatz von finanzpolitischen Instrumenten Anreize schaffen, um eine stärkere Partizipation von Bürgern und Bürgerinnen an der Energiewende zu ermöglichen, z.B. durch die Befreiung von regional erzeugtem und verbrauchtem Strom von Abgaben und Umlagen. Bürger und Bürgerinnen würden also nicht länger nur indirekt durch die Investition in Erneuerbare-Energien-Anlagen profitieren, sondern eben auch direkt den regional erzeugten Strom günstig beziehen können.
Dass dies ein vielversprechender Weg ist, darauf deuten auch deutschlandweit repräsentative Befragungsergebnisse aus dem Jahr 2019 hin. 43% der befragten privaten Haushalte, die nicht Mitglied in einer Energie-Genossenschaft waren, äußerten ein hohes Interesse, sich finanziell an einer Energie-Genossenschaft beteiligen zu wollen. 36% konnten sich sogar eine ehrenamtliche Beteiligung vorstellen. Hochgerechnet wären das mehrere Millionen neue Mitglieder in Energie-Genossenschaften.
Diese prinzipielle Bereitschaft sollte energiepolitisch adressiert werden, damit möglichst viele Menschen die Energiewende zu ihrer Sache machen. Und schlussendlich geht auch kein Weg an der Frage vorbei, in welchem Umfang benötigte Energie überhaupt nachhaltig regenerativ erzeugbar ist. Die Erzeugung in der eigenen Region oder in Deutschland könnte ein sinnvoller Maßstab dafür sein, wie viel (oder vielmehr wie wenig) Energie in Deutschland nachhaltig erzeugbar ist. Es wäre viel stärker Rechenschaft darüber abzulegen, aus welchen anderen Weltregionen man zu vertretbaren ethischen und ökologischen Bedingungen zusätzlich Energie importiert und welche Rolle eine Reduktion des Energiebedarfs in Zukunft spielen muss.
Zur Autorin:
Beate Fischer ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Mikroökonomik und empirische Energieökonomik an der Universität Kassel und hat neben ihrer wissenschaftlichen Tätigkeit praktisch verschiedenste Formen der Bürgerbeteiligung in den Bereichen der Anti-Atomkraft-Bewegung, des Urban Gardening und der solidarischen Landwirtschaft erprobt.