Warum bleibt die Vielfalt des wirtschaftswissenschaftlichen Meinungsspektrums in der medialen Berichterstattung weitgehend unberücksichtigt? Warum kommen immer dieselben (oft fachlich orthodoxen) Stimmen zu Wort? Die Selektionslogik des Medienmarkts und der so genannte Nachrichtenwert tragen maßgeblich dazu bei.
Dieser Artikel wurde auf Agora42 erstveröffentlicht.
In der Kolumne Jenseits von Angebot und Nachfrage nehmen Autor*innen aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik die fachlichen Scheuklappen der Lehrbuchökonomie ab und werfen einen pluralökonomischen Blick auf gesellschaftspolitische Fragestellungen.
Da volkswirtschaftliche Entwicklungen im Allgemeinen nicht Teil der Alltagserfahrung der Bürger*innen sind, stellen die Massenmedien für viele die einzige Informationsquelle zur Wahrnehmung des wirtschaftspolitischen Geschehens dar. Noch stärker als in deutschen Hochschulen dominiert die neoklassische Modellökonomik die deutsche Medienberichterstattung. Mediale Diskurse über „die Wirtschaft“ werden dabei häufig einseitig und homogen geführt. Dies ist angesichts der starken Medienwirkung von wirtschaftspolitischen Themen auf die öffentliche Meinung, vor allem im Hinblick auf Wahlen äußerst kritisch zu sehen.
In einer modernen Demokratie erfüllen Massenmedien eine unentbehrliche Funktion. Indem sie die sozioökonomischen Entwicklungen abbilden, fungieren sie als Gatekeeper der Interaktion zwischen Politik und Öffentlichkeit. „Was wir über unsere Gesellschaft, ja über die Welt, in der wir leben, wissen, wissen wir durch die Massenmedien“, so der Soziologe Niklas Luhmann über Die Realität der Massenmedien und die Rolle der Medien als Konstrukteure politischer Wahrnehmung. Den demokratischen Auftrag, Bürger*innen in ihrer Meinungsbildung zu unterstützen, erfüllen die Massenmedien idealerweise durch die Aufarbeitung von Informationen und Ereignissen, mit dem Ziel, die Gesellschaft umfassend, sachgerecht und möglichst objektiv über (volkswirtschaftliche) Entwicklungen zu informieren, um so einen konstruktiven Diskurs zu fördern. Dass die Medienberichterstattung in der Praxis jedoch von ihrer Idealvorstellung abweicht, gilt weithin als unbestritten.
Luhmanns Ansatz zufolge sind die Ereignisse und Probleme, über die in den Medien berichtet werden, nur Auszüge, eingebettet in eine selektive Perspektive. Doch verglichen mit der häufig willkürlichen Realität erscheint diese rekonstruierte Medienrealität meist in einer geschlossenen, sinnvollen Form, in der Wirkung und Ursache, als zweifelloser Kausalzusammenhang dargestellt werden. Dies macht es für die Empfänger*innen der Nachrichten scheinbar klarer, aussagekräftiger, interessanter und häufig auch beruhigender als die direkte, objektive Beobachtung des Geschehens in der Realität.
Die Problematik der Selektivität wird durch einen steigenden Konkurrenzdruck auf dem Medienmarkt noch verschärft: Seit Beginn der 1990er Jahre hat sich der Medienmarkt zunehmend von einem Angebots- zu einem wettbewerbsorientierten Nachfragemarkt entwickelt. Durch den steigenden Wettbewerbsdruck, insbesondere durch die Zunahme digitaler Medien, nimmt der Grad an Publikumsorientierung der Medienberichterstattung zur Sicherung der Marktanteile stetig zu (Sarcinelli 2009). Um auf solch einem nachfrageorientierten Medienmarkt wettbewerbsfähig zu sein, muss die spezifische Auswahl von Themen und Informationen der Medienberichterstattung, so angepasst werden, dass sie einen möglichst breiten Empfängerkreis unterhalten kann (Luhmann 2017). Diese Anpassung an den Markt hat weitreichende Auswirkungen auf die Qualität der Medienberichterstattung: Um ein möglichst breites Interesse zu wecken, werden bestimmte Konfliktelemente ausgewählt, die anschließend vereinfacht, übertrieben oder in einem negativen Licht dargestellt werden. Auf diesem Medienmarkt führt eine Steigerung der Pluralität der Berichterstattung häufig jedoch nicht zu einer Steigerung der Umsatzzahlen oder Einschaltquoten (Sarcinelli 2009). Vielmehr ist zu erkennen, dass die Massenmedien durch ihre Nachfrageorientierung bestimmten Gesetzmäßigkeiten folgen, die dazu führen, dass mediale Diskurse weder neutral noch pluralistisch, sondern tendenziös und homogen geführt werden (Meyer 2015).
Im Fokus des kommunikationswissenschaftlichen Agenda-Setting-Ansatzes steht die Annahme, dass Massenmedien das Problembewusstsein innerhalb einer Gesellschaft beeinflussen, indem sie bestimmen, welche Themen, in welchem Umfang öffentliche Aufmerksamkeit erhalten und über die Bewertung und Interpretation dieser Themen entscheiden (Framing) (Schulz 2011). Eine wichtige Bestimmungsgröße innerhalb dieses Konzepts, nach der Journalist*innen selektieren, welche Informationen an das Publikum vermittelt werden, stellt der so genannte Nachrichtenwert dar. Dieser ergibt sich anhand von Nachrichtenfaktoren wie beispielsweise Negativismus, Personalisierung, Eindeutigkeit, kultureller oder geografischer Nähe.
Nachrichtenfaktoren können als kollektive Relevanzindikatoren verstanden werden, die dazu dienen die Komplexität politischer Ereignisse zu reduzieren, um ein schlüssiges Nachrichtenbild zu erzeugen und Verhaltenssicherheit für die Journalist*innen zu schaffen. Die Erfüllung der Nachrichtenfaktoren ist nicht nur ausschlaggebend dafür, ob über ein Ereignis berichtet wird oder nicht, sondern wirkt sich auch auf den Beachtungsgrad innerhalb der Berichterstattung in Form von Umfang, Überschriftengröße, Platzierung oder der Visualisierung des Beitrags in der Zeitung oder der Zeitschrift aus (Schulz 2011).
Betrachtet man das „Ökonomen-Ranking“ der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), welches vom Schweizer Institut Media Tenor durchgeführt wird, fällt auf, dass in den deutschen Medien überwiegend ein überschaubarer Kreis von Vertretern orthodoxer Denkschulen zu Wort kommt. „Topökonomen“ in der Rubrik Medien, stellen in dem Ranking der FAZ, bei dem Zeitschriften, Zeitungen, Fernsehsendungen und Radionachrichten des Deutschlandfunks der letzten zwölf Monate ausgewertet werden, sowohl der aktuelle als auch der ehemalige Präsident des ifo Instituts, Clemens Fuest und Hans-Werner Sinn dar.
Während Fuest sich innerhalb des Rangkings ab 2014 stetig verbessern konnte und in den Jahren 2017 bis 2019 jeweils den ersten Platz belegte, wird Hans-Werner Sinn, nach jahrzehntelanger Medienpräsenz trotz Ruhestands, indem er sich seit 2016 befindet, noch immer häufig zitiert und zählt nach wie vor zu den präsentesten Ökonom*innen innerhalb der deutschen Medienlandschaft. Dabei wird Sinn zu einem weiten Spektrum an Themen wie Euro, Griechenland, Arbeitsmarkt, Flüchtlings- oder Coronakrise befragt. Zweifelt man das Narrativ an, Hans-Werner Sinn sei der „Lehrmeister aller“, kann seine häufige Medienpräsenz, darauf zurückgeführt werden, dass er, ebenso wie Clemens Fuest, als starker Verfechter der orthodoxen neoklassischen Theorie, ebenfalls über eine hohe Medienkompetenz verfügt und häufig komplexe Sachverhalte in ihrer vermeintlichen Einfachheit darstellt.
Somit kann Sinns Beiträgen, durch die Erfüllung verschiedener Nachrichtenfaktoren wie beispielsweise Konsonanz, Eindeutigkeit, fehlende Variation und Bezug auf Eliten (Sinn kann als Teil der Ökonom*innen-Elite gesehen werden) ein positiver Nachrichtenwert zugeordnet werden.
Einer pluralen Perspektive, die vom Mainstream abweicht und nicht die scheinbar einfachen und offensichtlichen Antworten liefert, wird dagegen innerhalb der wirtschaftspolitischen Berichterstattung ein negativer Nachrichtenwert beigemessen. Journalist*innen, die bestrebt sind, mit ihren Beiträgen die festgesetzten Nachrichtenwerte zu erfüllen, um innerhalb der Grenzen der kommerziellen Medienlogik zu agieren, tragen durch diese Orientierung zu einer Homogenisierung des Mediendiskurses zugunsten der orthodoxen, marktfreundlichen Richtungen bei (Schulz 2011).
Dieser Mangel an Pluralität ist problematisch, weil die Vielfalt ökonomischer Perspektiven nicht durch Alltagserfahrungen des Publikums abschätzbar ist. Einem nicht-akademischen Publikum dürfte es schwerer fallen die Korrektheit der ökonomischen Medienberichterstattung zu beurteilen und nachzuvollziehen, ob zu bestimmten Sachverhalten tatsächlich ein wissenschaftlicher Konsens herrscht oder Nachrichten lediglich auf Kosten der Pluralität vereinfacht dargestellt wurden. Dies ist grade im Hinblick auf die politische Meinungsbildung der Bürger*innen von hoher Bedeutung.
Einfluss zu entfalten und damit Legitimität zu beanspruchen, kann häufig nur im Lichte der Öffentlichkeit und unter den Bedingungen der Massenmedien erreicht werden. Dies wird sich auch in Zukunft nicht so schnell ändern. Daraus ergibt sich die Herausforderung für Ökonom*innen, die plurale Perspektiven vertreten, mit ihren Modellen, Einschätzungen und Ideen in der gegenwärtigen Medienlandschaft Gehör zu finden. Dazu braucht es Motivation und Mut, aber vor allem auch eine dementsprechende Medienkompetenz.
Komplexe Zusammenhänge auch für Laien sowohl verständlich als auch erträglich zu kommunizieren – ohne dabei dem vulgärökonomischen Jargon zu verfallen, stellt eine Königsdisziplin dar. Dass dies aber durchaus möglich ist, zeigt nicht zuletzt die Chemikerin Mai Thi Nguyen-Kim, die einem jungen Publikum wissenschaftliche Erkenntnisse über ihre Social-Media Kanäle verständlich und fachlich kompetent präsentiert und so den Weg in die massenmediale Beachtung gefunden hat.
Es braucht Mut, aber die Vielfalt ökonomischer Theorien und Denkschulen verdient mehr Beachtung und das nicht nur in universitären Hörsälen.
Francis Rohr ist Masterstudent im Studiengang Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen, studierte zuvor Volkswirtschaftslehre in Bochum und arbeitet als wissenschaftliche Hilfskraft am RWI – Leibniz-Institut für Wirtschaftsforschung im Kompetenzbereich Gesundheit. Seit 2019 ist er Mitglied im Netzwerk Plurale Ökonomik. Sein besonderes Interesse gilt gesundheitsökonomischen und sozialpolitischen Themen.
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Niklas Luhmann: Die Realität der Massenmedien (Springer VS, 2017) Winfried Schulz: Politische Kommunikation. Theoretische Ansätze und Ergebnisse empirischer Forschung (Springer VS, 2008) Ulrich Sarcinelli: Politische Kommunikation in Deutschland. Zur Politikvermittlung im demokratischen System (Springer Science & Business Media, 2011) Thomas Meyer: Die Unbelangbaren – Wie politische Journalisten mitregieren (Suhrkamp, 2015) |
scobel – Die Macht der Medien und des Marktes (3sat, 2016) |