In den hohen Führungsetagen großer Unternehmen werden weitreichende Entscheidungen getroffen. Entscheidungen, die den Lebensalltag hunderter oder gar tausender Menschen bestimmen. Entscheidungen, die die Wirtschaftspolitik eines ganzen Landes maßgeblich beeinflussen können. In hohen Führungsetagen wird zudem viel Geld verdient, deutlich mehr als bei den einfachen Angestellten weiter unten in der Hierarchie – in Deutschland teils 100- bis 200- mal so viel.
Ganz oben in der Hierarchie winken neben großer Verantwortung auch viel Macht und viel Geld – und vor allem regieren hier mehrheitlich weiße Männer. Andere Geschlechter schaffen es meist gar nicht soweit. Praktisch sind es so meist Männer, die die Welt gestalten und ihr ihren Fingerabdruck hinterlassen. Doch auch ökonomisch zeigen sich die Auswirkungen. Frauen etwa verdienen insgesamt weniger als Männer, bekommen weniger Rente, haben weniger Vermögen.
Das hat verschiedene Ursachen. Ein Faktor jedoch: schlechtere Aufstiegschancen. Unter dem Begriff der gläsernen Decke diskutiert die Fachliteratur ein Phänomen, das unter anderem Frauen den Aufstieg in der Hierarchie verschiedener Organisationen nur bis zu einem bestimmten Punkt ermöglicht. Irgendwann stockt der Fahrstuhl und auch die Treppe führt nur vor eine verschlossene Tür. Für vergleichbar qualifizierte Männer ist sie jedoch offen. Warum ist das so und wie wird das Problem seitens der Politik angegangen?
Weibliche Personen sind seltener in Führungspositionen, das spiegelt sich auch klar in den Daten wider. Das statistische Bundesamt gibt an: Während der Anteil der Erwerbstätigen in Führungspositionen in Deutschland im Jahr 2023 für die Männer bei 71,3 Prozent liegt, müssen die Frauen sich mit einem Wert von 28,7 Prozent begnügen. Und das schon seit Jahren: Seit 2011 hat sich an dieser Verteilung nicht maßgeblich etwas geändert.
Auch im europäischen Vergleich steht Deutschland damit nicht gut da und bewegt sich 2022 im letzten Drittel – deutlich unter dem EU-Durchschnitt von 35,1 Prozent. Mit einem Frauenanteil von 45,0 Prozent führt das baltische Lettland die Verteilung an. Relativ hohe Quoten verzeichnen auch Polen (42,9 %) und Schweden (41,7 %). Das Schlusslicht bildet Kroatien mit lediglich 21,6 Prozent. Das gibt das statistische Bundesamt mit Verweis auf die Eurostat-Datenbank an.
Die Definition der Führungskräfte der vorherigen Statistiken ist relativ allgemein gehalten und fasst verschiedene Hierarchiestufen zusammen. Spannend ist jedoch auch, die verschiedenen Ebenen im Detail zu betrachten. Das European Institute for Gender Equality füllt diese Lücke für große Unternehmen, indem es sich zum einen den Frauenanteil in den Vorständen anschaut, zum anderen jedoch auch das Geschlecht der Firmenchefin beziehungsweise des Firmenchefs.
Anfang 2024 lag der Frauenanteil in den Vorständen bei 39 Prozent – Tendenz steigend. Anteil an Firmenchefinnen lag jedoch nur bei 5,3 Prozent – Tendenz leicht steigend, aber sehr wechselhaft. Hier zeigt sich besonders: Mit Höhe der Hierarchieebene nimmt der Frauenanteil stark ab.
Bei einem genaueren Blick lässt sich jedoch auch erkennen: Dieser Gender Hierarchy Gap unterscheidet sich zwischen verschiedenen Branchen. Eine Analyse von Candidate Select, einer Ausgründung der Universität Bonn, zeigt den größten Hierarchieunterschied zwischen den Geschlechtern in der Branche Medien/Marketing.
Hier herrscht nur eine Gender-Parität oder ein weiblicher Vorsprung in 18 Prozent der Unternehmen. Außerdem sehr niedrig sind die Branchen Engineering/Construction sowie Energy/Utilities (beide 26 %). Am geringsten der zehn untersuchten Branchen ist der Hierarchieunterschied im Consulting mit 40 Prozent.
Warum gibt es immer noch einen so großen Hierarchieunterschied in Deutschland? An der Bildung liegt es jedenfalls nicht. Der Anteil der Studienanfängerinnen liegt dem statistischen Bundesamt zufolge seit Jahren bei über 52 Prozent und auch der Anteil der Hochschulabsolventinnen liegt seit mehreren Jahren leicht über 50 Prozent. Dass das Geschlecht einen Einfluss auf die Noten im (Master-)Studium hat, konnte eine aktuelle Studie der FU Berlin ausschließen.
Zur Wahrheit gehört jedoch auch, dass Mädchen und Jungen sich für tendenziell für verschiedene Studiengänge entscheiden. Während der Frauenanteil bei erfolgreich abgelegten Abschlussprüfungen in den Ingenieurswissenschaften laut statistischem Bundesamt im Jahr 2022 beispielsweise nur 25,9 Prozent beträgt, liegt er beim Lehramt im Primarbereich bei 86,6 Prozent. Logischerweise schlägt sich sie die unterschiedliche Studienwahl auch in der folgenden Berufswahl nieder.
Eine Analyse des Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Instituts der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung für 2021 zeigt: Frauen arbeiten am häufigsten in den Branchen Gesundheitsweisen (80 %), Sozialwesen (76 %) und Erziehung/Unterricht (72 %). Männer hingegen zieht es eher in den Maschinenbau, das Bauinstallation/Ausbaugewerbe sowie den Hoch-/Tiefbau (83 %). Da der Markt in verschiedenen Branchen unterschiedliche Gehaltshöhen und Aufstiegschancen vorsieht und diese in den typischen „Männerbranchen“ höher sind, führt dies logischerweise zu weniger Frauen in hohen Führungsetagen und niedrigeren Gehältern.
Ein weiterer Baustein in der Erklärung der unterschiedlichen Aufstiegschancen ist die immer noch sehr ungleich verteilte Care-Arbeit innerhalb deutscher Familien. Für 2024 gibt das statistische Bundesamt den Gender Care Gap mit 44,3 Prozent an – so viel Prozent mehr der Sorgearbeit übernehmen Frauen demnach im Vergleich zu Männern. Während Männer rund 20,5 Stunden Care-Arbeit leisten, übernehmen Frauen rund 30 Stunden pro Woche, gibt das statistische Bundesamt an.
Der erhöhte Workload für die Frauen kann zu mehreren Effekten führen: Entweder die Frau übernimmt die Sorgearbeit zusätzlich zur normalen Lohnarbeit und riskiert Überlastungen, oder sie reduziert die Lohnarbeit und geht in Teilzeit. Dass Frauen daraufhin häufiger in Teilzeit gehen, zeigen auch die Daten des statistischen Bundesamtes. Erwerbstätige Frauen waren 2023 demnach zu 49,9 Prozent in Teilzeit, bei den Männern waren es 13,3 Prozent. Niedrigere Löhne der Frauen sowie das Ehegattensplitting, das einen großen Unterschied zwischen den Einkommen der Ehepartner insgesamt steuerlich begünstigt, setzen dabei weitere Anreize für dieses Modell.
Zwar gibt es heute erste Experimente mit Doppelspitzen, bei denen sich zwei Personen die Unternehmensführung teilen, im Schnitt sollte Teilzeitarbeit jedoch weiterhin eher zu Karrierenachteilen führen. Auch eine Überlastung durch Lohnarbeit und Sorgearbeit ist hier sicherlich nicht förderlich. Mit Blick auf die ungleich verteilte Care-Arbeit ist es also weiterhin nicht verwunderlich, dass mehr Männer als Frauen auf den hohen Führungspositionen sitzen.
Ein weiterer Faktor ist schlichtweg Diskriminierung: die Frage nach dem Kinderwunsch, Vorurteile und Klischees, nicht zugetraute Führungsqualitäten bei gleicher Qualifikation. In unserer von weißen Männern geprägten Arbeitswelt sind unterbleibende Beförderungen teilweise einfach ein Ausdruck unfairer Ungleichbehandlung. Dies betrifft jedoch nicht nur Frauen, sondern auch Menschen mit fremder Herkunft, abweichender Sexualität sowie weitere marginalisierte Gruppen.
Die herrschende Geschlechterungleichheit ist auch in der Bundespolitik angekommen. Um die die Ungleichheit zu reduzieren, hat die Bundesregierung in verschiedenen Legislaturperioden unterschiedliche Maßnahmen ergriffen.
Eine davon ist die Förderung der Initiative Klischeefrei. Durch Bildungsangebote ab der Grundschule sollen junge Menschen unterstützt werden, Berufe zu finden, die zu ihren Stärken passen und nicht zu herrschenden Rollenbildern. Damit möchte die Bundesregierung das Ungleichgewicht zwischen den Geschlechtern in den unterschiedlichen Branchen reduzieren und Frauen in die „Männerberufe“ mit den besseren Möglichkeiten heben. Für eine Aufwertung der frauendominierten sozialen Berufe betont die Regierung die Anhebung des Mindestlohns sowie die neue Tarifbindung in der Pflege. Ob das reicht, ist fraglich.
Um auch Väter mehr in die Sorgearbeit einzuspannen – zumindest minimal und direkt nach der Geburt eines Kindes – gibt es den Partnerschaftsbonus beim Elterngeld. Die Regel ermöglichte bisher eine Verlängerung des möglichen Elterngeldes, wenn beide Elternteile, also praktisch meist auch der Vater, zwei Monate Elternzeit nehmen. Mit der aktuellen Sparpolitik wurde jedoch selbst dieser kleine Anreiz auf einen Monat gekürzt. Andere Länder, etwa Finnland, gestehen einen Teil des Elterngeldes beispielsweise allein den Vätern zu.
Eine Möglichkeit, die zu erledigende Care-Arbeit auszulagern und mehr Zeit für die Lohnarbeit zu gewinnen, ist ein flächendeckendes Kita-Angebot. Die Bundesregierung schreibt sich auf die Fahne, dieses groß ausbauen zu wollen. Mit der herrschenden Spardebatte ist aber wohl auch damit nicht zu rechnen. Darüber hinaus wollte die Ampel das Ehegattensplitting reformieren, doch auch das steht bisher in den Sternen.
Wenn alle anderen Maßnahmen nicht zum Erfolg führen, bietet sich zum Zertrümmern der gläsernen Decke noch der Weg der Brechstange: die Quote. Nach unter anderem norwegischem Vorbild führte Deutschland 2015 eine fixe Mindestfrauenquote für die Aufsichtsräte börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Unternehmen ein. 2021 schärfte die Bundesregierung nun weiter nach, unter anderem mit einem Mindestbeteiligungsgebot für große Vorstände, verpflichtende Regelungen zu Zielgrößen und Berichtspflichten sowie erhöhten Sanktionen. Seitdem ist der Anteil der Frauen in den Aufsichtsräten um knapp vier Prozent gestiegen.
Frauen besetzen deutlich seltener Führungspositionen als Männer. Auch im europäischen Vergleich steht Deutschland in der Hinsicht schlecht da. Je höher die Hierarchiestufe dabei ist, desto größer die Differenz zwischen den Geschlechtern. Große Unterschiede gibt es hier jedoch hinsichtlich verschiedener Branchen.
Gründe für das Phänomen gibt es mehrere. Zum einen wählen Frauen oft Berufe, in denen Aufstiegschancen und Gehälter deutlich niedriger sind als in klassischen „Männerberufen“. Darüber hinaus arbeiten Frauen häufiger in Teilzeit und erledigen die familiäre Sorgearbeit, was auch in den niedrigeren Gehältern und einem Steuersystem, das diese Aufteilung fördert, begründet ist. Zusätzlich ist Diskriminierung weiterhin ein Thema.
Um die eingefahrene Verteilung der Sorgearbeit zu durchbrechen, ist eine Abschaffung des Ehegattensplittings überfällig. Darüber hinaus würde eine Angleichung der Löhne von Männern und Frauen Aufteilungsanreize zum Nachteil der Frauen entgegenwirken. Eine Bildungsinitiative für eine klischeefreie Berufswahl ist sicher förderlich. Hilfreich wäre auch, die Löhne in den sozialen Berufen anzuheben – nicht nur mit Blick auf die Geschlechtergerechtigkeit.
Finnland hat es vorgemacht und mit der Elternzeit allein für den Vater mehr Männer in die Sorgearbeit gebracht – womöglich auch ein Modell für Deutschland? Für eine gute Vereinbarung von Familie und Beruf ist zudem ein gutes Kita-Angebot unabdingbar. Mit der deutschen Schuldenbremse wird das schwierig, eine Reform ist auch hier überfällig. Und wenn am Ende nichts mehr hilft, muss es vielleicht auch die Quote sein.
Florian Schaaf studiert den Master Sozioökonomie an der Universität Duisburg-Essen. Er hat mittlerweile mehrjährige journalistische Erfahrung und engagiert sich nebenbei in der Hochschulgruppe Plurale Ökonomik.