Der Natur Rechte verleihen: Wie tauschen wir, wenn aus Waren nicht-menschliche Personen werden?

Der Natur Rechte verleihen: Wie tauschen wir, wenn aus Waren nicht-menschliche Personen werden?

Foto: Sam Carter | unsplash

Diedrich Lange
Netzwerk Plurale Ökonomik, 2023
Niveau: débutant
Perspectives: Économie écologique, Autre
Sujet: Réflexion sur l'économie, Ressources, environment & climat
Format: Essay

Das Grundgesetz gibt uns Rechte von Natur aus, aber welche Rechte hat die Natur? Verleiht sie nur Rechte, hat aber selbst keine? Das kann nicht sein.

           


Dieser Artikel wurde auf Agora42 erstveröffentlicht.
In der Kolumne Jenseits von Angebot und Nachfrage nehmen Autor*innen aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik die fachlichen Scheuklappen der Lehrbuchökonomie ab und werfen einen pluralökonomischen Blick auf gesellschaftspolitische Fragestellungen.


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Die ökologischen Krisen können auch als eine Folge missachteter Rechte der Natur aufgefasst werden. Viele Stimmen sprechen sich daher für die Verbriefung dieser Rechte aus, beginnend im Grundgesetz. Zum Beispiel Jens Kersten, Rechtswissenschaftler an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Er schlägt für Artikel 1, Absatz 2 eine Ergänzung vor: „Das Deutsche Volk bekennt sich darum zu… der Verantwortung für die Natur…“ und erhofft sich von der Änderung, dass das „ökologische Verantwortungsprinzip … auf die gesamte Verfassungsordnung des Grundgesetzes“ ausstrahlt.

Damit hätte Vater Rhein, an dessen Ufer das Grundgesetz 1949 in der damaligen Bundeshauptstadt Bonn das Licht der Welt erblickte, endlich Chancen auf eigene Rechte. Mehrere Staaten sind übrigens schon einige Schritte weiter: Die Natur (Pacha Mama) hat in Ecuador sowie in Bolivien Grundrechte, auch Flüsse in Neuseeland und Kanada haben Rechte oder ein See in Indien.

Noch ein Denkmalsturz?

Die politische Ökonomie hat damit ein nicht ganz neues Thema. Allgemein und sehr abstrakt gesprochen, ist es das Recht von Nicht-Personen, das auch ökonomische Fragen aufwirft. Wer oder was sollen Nicht-Personen sein? Etwa Aliens? Ja, vielleicht, aber näher liegen andere (Un-)Wesen wie Avatare, künstliche Intelligenzen oder Roboter. Eine noch näher liegende Antwort wären natürliche Wesen, auf die wir schauen, ohne auf die Idee zu kommen, sie als Personen wahrzunehmen. Obwohl es hier Ausnahmen gibt: Manche Menschen betrachten ihr Lieblingstier als Alter Ego. Aber was ist mit der – schwindenden – Fülle an Flora und Fauna?

Das Bürgerliche Gesetzbuch hat darauf eine Antwort. Es bezeichnet die menschlichen Rechtssubjekte als natürliche (!) Personen im Unterschied zu juristischen Personen und Nicht-Personen als „Sachen“. Inzwischen macht das bürgerliche Recht bei Tieren eine Ausnahme in §90a BGB, ohne ihnen allerdings dieselben Rechte wie einer natürlichen Person zuzuerkennen. Und als Eigentum werden sie doch nach Sachenrecht behandelt.

Die Ökonomik nennt die Nicht-Personen hingegen Güter, Ressourcen, Waren oder auch Kapital. Dort werden sie nach verschiedenen Kategorien sortiert, etwa private Güter, öffentliche, Gemeinschafts- oder Klubgüter. Alle sind sie wie selbstverständlich Nicht-Personen, über die verfügt werden darf als Objekt privaten oder öffentlichen Eigentums. Das grundsätzliche Eigentum an der Natur stellt aber auch die Commons-Forschung nicht infrage.

An dieser Sichtweise ist nichts selbstverständlich. Vor allem, wenn es um Lebewesen geht, die einen Subjektcharakter tragen wie wir. Das Recht der Person ist ein Konstrukt, mit dem sich die Menschheit auf einen Sockel über den Rest der Schöpfung gestellt hat.

Ist es also an der Zeit für einen weiteren Denkmalsturz, der dieses Mal uns alle von dem Sockel herunterwirft, weil wir uns ein Vorrecht über die Mitwelt angemaßt haben, das uns so nicht zusteht? Doch Vorsicht an der Sockelkante: Das Recht der Person ist Ausgangspunkt und Grundlage der Menschenrechte.

Die Erfindung der Person

Dies kann an der Begriffsgeschichte der Person verdeutlicht werden, die für den wirtschaftlichen Liberalismus zentrale Bedeutung hat, stellt er doch das Individuum gegen das Kollektiv oder den Staat als den Entscheidungsträger in der Marktwirtschaft heraus, von dem alles abhängt. Der Liberalismus knüpft an der Tradition des Individualismus an. Dessen antiken Ursprung hat Hannah Arendt in Vita Activa beschrieben: „Wie tief dieser ‚Individualismus‘ im griechischen Wesen gelegen haben muß, läßt sich vielleicht daraus entnehmen, daß das Wort für ‚jeder‘, hékastos, in seiner Grundbedeutung so viel wie ‚abgesondert‘, ‚fern von‘ heißt.“

Die vollgültige Inszenierung der Person, was das Recht, ihre moralischen Implikationen und die politisch-wirtschaftliche Dimension des Begriffs betrifft, leistete Cicero. Mitten in den Endzeitwirren der römischen Republik bündelt er in dem Wort persona, das eigentlich für die Maske im Theater steht, seine normativen Anforderungen an die Humanität. So schreibt der Philosoph Volker Gerhardt in Individuum und Menschheit: „…als Person hat sie eine über sich selbst hinausweisende Allgemeinheit, die in ihrem Selbstbegriff als Mensch enthalten ist. Und in diesem Selbstbegriff als Mensch repräsentiert sie die Menschheit. Und die Würde des einzelnen Menschen resultiert daraus, dass er Teil der Menschheit ist.“

Aber, so könnte weniger eingewendet als hinzugefügt werden, können wir nicht doch etwas Platz auf dem Sockel machen? Der Soziologe Frank Adloff fordert in seiner Abhandlung Politik der Gabe etwa, den Eigenwert der Natur anzuerkennen. Er gilt unbedingt und ist nicht abzuleiten von ökonomischen Zielsetzungen. Moralphilosophisch gesprochen ist die Natur nicht als Mittel zu betrachten, sondern als Zweck, wie dies Immanuel Kant in seinem berühmten kategorischen Imperativ für den Menschen fordert.

Natürlicher Tausch

Adloff kritisiert die politische Ökonomie dafür, dass sie den kategorischen Imperativ nicht weit genug fasst. Sie gilt als Wissenschaft von Tausch und Transaktion, begrenzt beides jedoch auf Menschen. Woher stammt diese viel zu enge Begrenzung?

Der Tausch ist kein exklusives menschheitliches Merkmal, sondern allenthalben anzutreffen in der Natur als Austausch von Nährstoffen zwischen Lebewesen und als Symbiose in vielfältiger Form. Diese Symbiosen erfolgen in autonomer Regie und sind nach den neuen Erkenntnissen der Biologie geradezu die Regel und nicht die Ausnahme.

Adloff referiert die Literatur und bezieht sich auf den Biologen, Philosophen und Publizisten Andreas Weber, nach dem „man die Prozesse des Lebens als das Hin- und Herfließen von Gaben verstehen muss. Lebende Systeme befinden sich zumeist in einem Zustand des dynamischen Gleichgewichts, den man auch als einen Zustand der Gegenseitigkeit betrachten kann. Die Trias von Geben, Nehmen und Erwidern zirkuliert um einen ungefähren Gleichgewichtszustand.“

Das klingt nach – nein, keinem marktlichen Gleichgewicht von Angebot und Nachfrage, wie gleich zu sehen sein wird. Der Grund liegt in dem bürgerlich-rechtlichen Begriff der Person. Transaktionen finden als Vertragsschluss zwischen – und nicht über – Personen statt, und zwar als Verträge über Nicht-Personen. Ihnen bleibt per Definition die Rolle des Objekts, des Gutes, der Ware.

Diese Gegenüberstellung zur Person kann nicht anders sein, weil und sofern sie mit dem Eigentumsrecht verknotet ist. Das Bild eines hegenden und pflegenden Umgangs mit der Natur, der auf eine Tauschbeziehung setzt – der Mensch gibt seine Arbeit, die Natur ihre Früchte – ist eine Beschönigung und hat mit der Wirklichkeit wenig gemein. Was wir von der Natur erhalten, vergelten wir ihr in der Regel nicht, sondern denjenigen, die die Eigentumsrechte halten. Daraus zieht Frank Nullmeier, Politikwissenschaftler an der Universität Bremen, den zwingenden Schluss, dass die Zuerkennung von Rechten an nicht-menschliche Entitäten mit Änderungen des Eigentumsrechtes verbunden sein muss. Wie sich dieser Prozess juristisch ausgestalten könnte, hat Jens Kersten in seinem Werk Das Ökologische Grundgesetz in allerersten Grundzügen umrissen.

Es bleibt ein paradoxes Ergebnis: An der lebensentscheidenden Stelle der Abhängigkeit von und des Austauschs der Menschheit mit der Natur findet kein Tausch in der Ökonomik statt. Daran ändern auch solche Ansätze nichts, die eine ökologische Werttheorie als Bestandteil der allgemeinen Gleichgewichtstheorie anstreben, insofern sie sich strikt an das tradierte Schema der Personalität und der mit ihm verbundenen Subjekt-Objekt- oder Mensch-Gut-Beziehung halten.

Eine plurale Ökonomik für eine grundlegend neue Situation

Wie könnte eine politisch-ökonomische Umsetzung des Rechtes für Nicht-Personen aussehen? Aus ihnen werden auf dem Wege der juristischen Transformation nicht-menschliche Personen. Es sind Identitäten, die wir willkommen heißen könnten auf unserem Denkmalsockel, falls sie dort nicht längst als Haustier Platz gefunden haben. Auf dem Sockel steht dann eine neue Arche Noah für die kommenden Fluten.

Mit Blick auf die ökologischen Katastrophen bahnt sich eine plurale Transformation der Ökonomik an. Es wird nicht reichen, die Perspektive der nicht-menschlichen Personen als zusätzliche Nebenbedingung in die bekannten Optimierungskalküle aufzunehmen. Denn diese laufen Gefahr, ihr Objekt zu verlieren. Dieses Objekt hat sich auf den Weg gemacht, zum Subjekt zu werden. Die ökonomische Entscheidungstheorie steht dann zunehmend im Freien; ihr Homo oeconomicus hadert allein mit sich und der Welt.

Denn, was er an der Welt wahrnimmt, ist der Preis der Objekte, die ihm als Ware gelten. Informationen wertet der Homo oeconomicus für die Preissignale aus. Er geht davon aus, dass diese Preissignale, ihr Auf und Ab, die Welt hinreichend abbilden, sofern ihr Spiel nicht verzerrt wird.

Doch erhält die Natur Rechte, fehlt der Preis, weil die nicht-menschliche Person keine Ware ist und so wie Menschen keinen Preis tragen darf. In der Grundlegung der Metaphysik der Sitten schreibt Kant: „Was einen Preis hat, an dessen Stelle kann auch etwas anderes als Äquivalent gesetzt werden; was dagegen über allen Preis erhaben ist, mithin kein Äquivalent verstattet, das hat eine Würde.“

In dieser grundlegend neuen Situation könnte ein plural-ökonomisches Denken helfen, das beispielsweise als relationale Ökonomik in sozialökologischen Transaktionsbeziehungen denkt, in Netzwerken und geosystemischen Zusammenhängen forscht sowie Reproduktionslogiken untersucht, wie dies bereits in der klassischen Ökonomie im Ansatz der Fall war, und vieles mehr. Vor allem könnte es den Symbiosen des Tauschs folgen als einem allgegenwärtigen Phänomen, das die Sprache der Erde spricht. Diese plurale Ökonomik bliebe in ihrem Element, der Tauschanalyse, in der Natur- und Gesellschaftswissenschaften auf einem zwanglosen Forum in Austausch treten können. Eine solche Ökonomik würde zur Utopie von einem Menschen, der sich mehr als Teil von Ökosystemen und weniger als Krone der Schöpfung versteht.

Und was wird mit den Aliens? Sie sind herzlich willkommen und natürlich ganz besondere Personen.


Dr. Diedrich Lange ist politischer Ökonom und lebt als freier Autor in Alfter. Er forscht zur ökonomischen Psychogenese und engagiert sich für Lyrik, Gemeinsinn und Religion.


Vom Autor empfohlen:

SACH-/FACHBUCH   LYRIK

Frank Adloff: Politik der Gabe. Für ein anderes Zusammenleben (Edition Nautilus, 2018)

James Bridle: Die unfassbare Vielfalt des Seins. Jenseits menschlicher Intelligenz (C.H. Beck, 2023)

Volker Gerhardt: Individuum und Menschheit. Eine Philosophie der Demokratie (C.H. Beck 2023)

Hans Jonas: Das Prinzip Verantwortung: Versuch einer Ethik für die technologische Zivilisation Suhrkamp, 2020; (zuerst 1979)

Jens Kersten: Das ökologische Grundgesetz (C.H. Beck, 2022)

Bernd Ladwig: Politische Philosophie der Tierrechte (Suhrkamp, 2020)

Frank Nullmeier: Ontologiepolitik: Eine Skizze (Soziopolis: Gesellschaft beobachten, 2022).

Martha Nussbaum: Gerechtigkeit für Tiere. Unsere kollektive Verantwortung (‎wbg Theiss, 2023)

 

Matthias Kniep & Sonja vom Brocke (Hg.): Jahrbuch der Lyrik 2023 (Schöffling & Co., 2023)


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