De-Risking, De-Coupling, De-Globalisierung?

Samuel Decker
Exploring Economics, 2023
Niveau: débutant
Perspective: Autre
Sujet: Crises, Critique du capitalisme, Mondialisation & relations économiques internationales, Innovation & technologie, Institutions, gouvernements & politiques, Macroéconomie, Relations Nord-Sud & développement
Format: Essay

"De-Risking" ist ein geflügelter Begriff. Populär gemacht hatte den Ausdruck EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen bei ihrer China-Rede am 31. März 2023. Die Beziehung zu China sei eine der „kompliziertesten und wichtigsten der Welt“, aktuell aber sehr unausgewogen, so von der Leyen. Sie würde „zunehmend von Verzerrungen beeinflusst, die durch Chinas staatskapitalistisches System verursacht werden“ (European Comision, 2023). Und dann: "Die Gestaltung dieser Beziehung [...] ist ein wesentlicher Bestandteil dessen, was ich als De-Risking durch Diplomatie … bezeichnen würde" (ebd.). Der „De-Risking“-Begriff wurde sogleich vom Weißen Haus aufgegriffen und fand sich auch im Kommunique der G7-Staaten im Mai (The White House, 2023). In der neuen China-Strategie der Deutschen Bundesregierung heißt es: „Die Bundesregierung arbeitet auf ein De-Risking der Wirtschaftsbeziehungen zu China hin“ (Bundesregierung, 2023).

De-Risking ersetzt den konfliktiveren Begriff „De-Coupling“, also Abkopplung. „De-Risking: ja, De-Coupling: nein. Diese Formel gilt ausdrücklich auch für China“, sagte etwa der Deutsche Regierungschef Olaf Scholz bei Regierungskonsultationen mit Ministern aus China im Sommer 2023 (Fischer 2023). Der Begriff "De-Risking" kann als ein Element einer Strategie betrachtet werden, die darauf abzielt, die handelspolitische Konfrontation mit China diskursiv einzurahmen. Diese Konfrontation wurde in den letzten Jahren hauptsächlich von den USA vorangetrieben und erfuhr zunächst eine vorsichtige, später jedoch immer deutlichere Unterstützung vonseiten der EU.

Der neue Handelskrieg

Die gezielte ökonomische Isolation Chinas insbesondere im Hochtechnologiebereich ist Ausdruck der immer stärker werdenden Bemühungen der USA und des Westens, den ökonomischen Aufstieg Chinas zu bremsen. Während die Strategien der Bush- oder der Obama-Administration, die über die „Kontrolle des Ölhahns“ oder die militärische Einkreisung Chinas im Westpazifik („Pivot to Asia“) vor allem einer außenpolitischen und militärischen Logik folgten, begann spätestens unter Donald Trump ein systematischer Wirtschaftskrieg (Solty 2023). Seit 2018 überzog die Trump-Regierung China mit Sanktionen und Strafzöllen. Diese Sanktionen konzentrieren sich vor allem auf chinesische Technologieunternehmen wie Huawei, ZTE, Tencent und Bytedance (Schmalz et al 2022, 430). Die Biden-Regierung setzt diese Politik fort und entwickelte neue Ansätze der Industriepolitik, wie sie bereits im Innovation and Competition Act von 2021 zum Ausdruck kommen. Parallel dazu hat die Europäische Union seit 2019 ihre Beziehungen zum "Systemrivalen" China neu ausgerichtet. Mit dem Inflation Reduction Act und den CHIPS and Science Act in den USA erreichte die neue Industriepolitik und technologische Abkopplung Chinas im Jahr 2022 eine neue Stufe; die EU zog in der ersten Jahreshälfte 2023 mit dem Green Deal Industrial Plan und einem eigenen Chip Act nach (Janson 2023).

Kipppunkt in der Geopolitik

Die Volksrepublik China reagiert wenig beeindruckt ihrerseits mit Strafzöllen. Die strategische Förderung inländischer Zulieferstrukturen und endogener Technologieentwicklung ist spätestens seit dem Made in China 2025-Plan von 2015 fester Bestandteil der chinesischen Entwicklungsstrategie. Bereits seit der globalen Finanzkrise ab 2007 lassen sich zunehmende Bestrebungen Chinas beobachten, die Wertschöpfungskette emporzusteigen, den Binnenmarkt zu stärken und das einseitige Exportmodell aufzubrechen. Eigentlich haben wir es also nicht mit einer neuen Entwicklung zu tun – der entscheidende Punkt ist jedoch, dass der „Kipppunkt“, an dem Chinas ökonomische Macht diejenige der USA und anderer westlicher Länder überschreitet, nun gekommen ist. Unter den 500 umsatzstärksten Unternehmen der Welt waren im Jahr 2020 124 chinesische Unternehmen, 121 aus den USA und 96 aus der EU – zur Jahrtausendwende waren es lediglich elf chinesische Unternehmen gewesen, 2010 waren es bereits 61. 2019 hat China die USA als größte Exportnation schließlich überholt und ist zum weltweit zweitgrößten Investor aufgestiegen (Schmalz et al 2022, 439). 2018 hat China die USA und die EU auch beim Welt-Bruttoinlandsprodukt überholt. Der Anteil Chinas lag 2021 bei etwa 20 Prozent, derjenige der EU und der USA bei jeweils etwa 14 Prozent (Janson 2023).

Von der „Werkbank der Welt“ hat sich China zur hyperwettbewerbsfähigen Wirtschaftsmacht entwickelt. Chinesische Unternehmen liegen in diversen Schlüsselbereichen wie der 5G-Mobilfunktechnologie, Künstlicher Intelligenz, Cloud-Computing und Big Data gleichauf; bei der Entwicklung von Hochgeschwindigkeitszügen, Photovoltaikanlagen, Windkraftanlagen, E-Batterien und anderen Umwelttechnologien haben chinesische Firmen die Nase vorn (Solty 2020). Lediglich in der Herstellung von Mikrochips bleibt China auf westliche, insbesondere US-amerikanische Importe angewiesen. Die Politik des „De-Risking“, die letztlich eine Politik der strategischen Abkopplung der chinesischen Ökonomie darstellt, setzt in genau diesem Bereich an – der Wirtschaftskrieg ist vor allem auch ein Chip-Krieg.

Kapitalistische De-Globalisierung?

Bedeutet diese Abkopplung eine kapitalistische De-Globalisierung? Allgemein lässt sich bisher von einer Verschiebung und Diversifizierung der globalen Wertschöpfungsketten sprechen. Die Internationalisierung des chinesischen Kapitals etwa schreitet ungebremst voran, nur sind Zielländer der Investitionen vermehrt Länder des Globalen Südens. Auch wenn in den USA gerade unter dem Schlagwort „Reshoring“ zwar rege über Rückbauprozesse diskutiert wird, ist bisher allenfalls ein "Stocken der Internationalisierung oder eine Verschiebung transnationaler Produktionsnetzwerke" zu beobachten (Schmalz 2022, mit verweis auf Butollo & Staritz 2022).

Allerdings ist zu bedenken, dass diese Prozesse erst an ihrem Anfang stehen. Ist der geopolitische Kipppunkt einmal erreicht, können die Dinge schnell ins Rutschen geraten. Der Ukraine-Krieg wirkt dabei als Katalysator. Die kritischen Chinawissenschaftler*innen Stefan Schmalz, Helena Gräf, Philipp Köncke und Lea Schneidemesser (2022, 450) bezeichnen daher eine „stärkere Fragmentierung der Weltwirtschaft, bei der regionale Blöcke – z.B. ein westlich-japanisches Konglomerat versus einen chinesisch-russischen Block – mit jeweils eng verflochtenen
Wirtschaftskreisläufen und technologischen Innovationszentren entstehen könnten", als ein "reales Entwicklungsszenario" (ebd.). Wir stehen sehr wahrscheinlich tatsächlich am Beginn einer 'kapitalistischen De-Globalisierung' – wobei das Verhältnis zwischen Kontinuität und Bruch in dieser neuen Phase des globalen Kapitalismus schwer vorherzusehen ist. Die Internationalisierung des Kapitals und imperialistische Wirtschaftsstrategien werden sich fortsetzen, jedoch nicht unter der unilateralen Vorherrschaft einer Supermacht. Stefan Schmalz und Co. sprechen daher auch von einer „umkämpften Globalisierung“ (ebd.).

Bleibe auf dem Laufenden!

Abboniere unser automatisches Content Newsletter, um keine neuen Beiträge mehr zu veerpassen! Außerdem kannst du den Newsletter des Netzwerk Plurale Ökonomik abbonieren.

Exploring Economics  Plurale Ökonomik

Verweise

Butollo, F., Staritz, C. (2022). Deglobalisierung, Rekonfiguration oder Business as Usual? COVID-19 und die Grenzen der Rückverlagerung globalisierter Produktion. Berlin J Soziol 32, 393–425 (2022).

Bundesregierung (2023). China-Strategie der Bundesregierung. Online: https://www.auswaertiges-amt.de/blueprint/servlet/blob/2608578/810fdade376b1467f20bdb697b2acd58/china-strategie-data.pdf-

European Comision (2023). Speech by President von der Leyen on EU-China relations to the Mercator Institute for China Studies and the European Policy Centre. Online: https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/en/speech_23_2063 (11.12.2023).

Fischer, K. (2023). De-Coupling, De-Risking – De-Asking? Wirtschaftswoche, 22.06.2023. Online: https://www.wiwo.de/politik/europa/europas-zahme-china-strategie-de-coupling-de-risking-de-asking/29219306.html.

Solty, I. (2023). Die neue Blockkonfrontation. Hochtechnologie. (De-)Globalisierung. Geopolitik. ISW Report 133/134.

Solty, I. (2020). Der Kommende Krieg. Der USA-China-Konflikt und seine industrie- und klimapolitischen Konsequenzen. Rosa-Luxemburg-Stiftung, Analysen.

Schmalz, S. (2022). Soziologie der Deglobalisierung. Berlin J Soziol 32, 349–361.

Schmalz, S., Gräf, H., Köncke, P. et al. (2022). Umkämpfte Globalisierung: Amerikanische und europäische Reaktionen auf Chinas Aufstieg im Hochtechnologiebereich. Berlin J Soziol 32, 427–454.

Janson, M. (2023). Chinas Aufstieg zur Wirtschaftsmacht Nr. 1. Statista Infographik. Online: https://de.statista.com/infografik/27680/anteil-am-kaufkraftbereinigten-globalen-bruttoinlandsprodukt/

The White House (2023). Press Briefing by Press Secretary Karine Jean-Pierre and National Security Advisor Jake Sullivan on the President’s Trip to Japan. Online: https://www.whitehouse.gov/briefing-room/press-briefings/2023/05/20/press-briefing-by-press-secretary-karine-jean-pierre-and-national-security-advisor-jake-sullivan-on-the-presidents-trip-to-japan/.

This material has been suggested and edited by:

Nous soutenir

Ce projet est le fruit du travail des membres du réseau international pour le pluralisme en économie, dans la sphère germanophone (Netzwerk Plurale Ökonomik e.V.) et dans la sphère francophone (Rethinking Economics Switzerland / Rethinking Economics Belgium / PEPS-Économie France). Nous sommes fortement attachés à notre indépendance et à notre diversité et vos dons permettent de le rester ! 

Donner