Sebastian Fobbe ist Journalist in Münster. Seit Februar 2022 arbeitet er für das Netzwerk Plurale Ökonomik in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Er interessiert sich für konstruktiven Journalismus, übersetzte Literatur und die Niederlande.
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Eigentlich klingt die Idee ganz simpel: Jeden Monat soll der Staat seinen Bürger*innen einen fixen Betrag aufs Konto überweisen. Einfach so. Ohne Gegenleistung, ohne Wenn und Aber. Doch so einfach ist es nicht. Wenn es um das Grundeinkommen geht, reden viele aneinander vorbei. Was geht schief in der Debatte ums Grundeinkommen?
Dieser Artikel wurde auf Agora42 erstveröffentlicht.
In der Kolumne Jenseits von Angebot und Nachfrage nehmen Autor*innen aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik die fachlichen Scheuklappen der Lehrbuchökonomie ab und werfen einen pluralökonomischen Blick auf gesellschaftspolitische Fragestellungen.
Fangen wir an mit einer Definition. Und siehe da: Schon taucht das erste Problem auf. Denn was Grundeinkommen bedeutet, ist nicht eindeutig geklärt.
Das Basic Income Earth Network, eine weltweite Grundeinkommenslobby, definiert das Gratisgeld als „wiederkehrende Geldzahlung, die bedingungslos an jede*n Einzelne*n ohne Bedürftigkeitsprüfung oder Arbeitsanforderung überwiesen wird“ (eigene Übersetzung). Der deutsche Ableger, das Netzwerk Grundeinkommen, geht noch einen Schritt weiter: In seiner Definition muss ein Grundeinkommen auch existenzsichernd sein.
Analog zu diesen beiden Definitionen tauchen in der Forschungsliteratur zwei Grundeinkommenstypen auf: das partielle und das bedingungslose Grundeinkommen. Die Höhe des partiellen Grundeinkommens kann dabei auch unterhalb der Armutsgrenze liegen. Das Problem daran: Dann müssten diejenigen, die das Grundeinkommen beziehen, ihre Existenz zusätzlich mit Lohnarbeit sichern. Somit entsteht faktisch ein indirekter Arbeitszwang.
Das bedingungslose Grundeinkommen soll allerdings existenzsichernd sein, damit niemand mehr gezwungen ist, für Lohn zu arbeiten. Was nach einer schönen Absicht klingt, hat aber eine Kehrseite: Denn je höher der Anspruch an ein Grundeinkommen, desto schwieriger wird es, das Grundeinkommen auch tatsächlich durchzusetzen – allein schon, weil ein bedingungsloses Grundeinkommen um einiges teurer ist als ein partielles.
Das alles zeigt: Wenn das Wort Grundeinkommen fällt, lohnt es sich nachzuhaken.
Das beweist auch ein zweites Beispiel: Fast alle Parteien, die im Bundestag vertreten sind, haben Grundeinkommenskonzepte ausgearbeitet. Teilweise haben sie diese Konzepte in abgewandelter Form in ihre Wahlprogramme aufgenommen. Neben der Politik beschäftigten sich auch Ökonom*innen und Geschäftsleute mit der Idee eines Grundeinkommens.
In diesem Potpourri lassen sich grob zwei Strömungen erkennen: linke und neoliberale Grundeinkommensmodelle. Schauen wir uns für einen Überblick einmal ein paar Beispiele an:
Halten wir also wieder einmal fest: Auch hier kommt es aufs Detail an.
Diese Feststellung zieht sich auch beim Praxistest durch. Einige Staaten haben bereits mit dem Grundeinkommen experimentiert. Je nach Forschungsdesign verfolgten diese Testläufe verschiedene Ziele, die sich dann auch in der Ausgestaltung des Grundeinkommens widerspiegelten.
Das jüngste Beispiel ist ein Experiment in Finnland. 2017 bekamen rund 2.000 Arbeitslose jeden Monat 560 Euro Grundeinkommen – ein Betrag exakt so hoch wie die finnische Grundsicherung. Der Unterschied war allerdings: Sollten die Arbeitslosen einen Job finden, wird das Grundeinkommen weiter überwiesen. Und: Während der Erwerbslosigkeit drohten keine Sanktionen bei Regelverstößen und es galten keine Mitwirkungspflichten. Der finnische Testlauf sollte also im Kern einfach nur die Sozialbürokratie vereinfachen.
Anders in Kanada. In den 1970er-Jahren erhielten dort alle Einwohner*innen der Kleinstadt Dauphin ein Grundeinkommen, dessen Höhe sich an der damaligen Armutsgrenze orientierte. Die Ergebnisse des Experiments: Die Menschen arbeiteten unverändert weiter oder reduzierten ihre Arbeitszeit nur, um Angehörige zu pflegen oder Kinder zu erziehen. Junge Menschen gründeten später Familien, studierten dafür aber länger. Außerdem sanken die Ausgaben im Gesundheitssektor, weil die Menschen seltener wegen Arbeitsunfällen oder psychischer Probleme im Krankenhaus behandelt werden mussten.
Allein diese beiden Beispiele zeigen, dass das Grundeinkommen kein Selbstzweck ist. Jedes Konzept verfolgt ein eigenes sozialpolitischen Ziel, das in den öffentlichen Grundeinkommensdebatten viel zu selten wahrgenommen wird.
Aber warum eigentlich? Wer sich mit dem Grundeinkommen beschäftigt, merkt schnell: Das eine Modell, das eine Konzept gibt es schlicht und ergreifend nicht. Ein Grundeinkommen ist immer interessengeleitet: Soll das Gratisgeld Armut oder Arbeitslosigkeit abschaffen? Soll es die Regeln im Sozialhilfesystem erleichtern? Soll das Grundeinkommen einen Konsumanreiz bieten oder als indirekte Subvention für Unternehmensgründungen herhalten? Und je nachdem wie ein konkretes Modell diese Fragen bewertet, muss man das Grundeinkommen auch bewerten.
Vor diesem Hintergrund irritiert es, dass die meisten Debatten über das Grundeinkommen in der Öffentlichkeit sehr pauschal ablaufen. Wenn Linke jedes Grundeinkommensmodell als neoliberal verteufeln, weil damit möglicherweise sozialstaatliche Leistungen abgeschafft würden, ist diese Kritik genauso einseitig, wie wenn Neoliberale das Grundeinkommen als sozialistische Spinnerei abtun, nur weil sich mit der Einführung die Steuern erhöhen könnten. So unterschiedlich die Grundeinkommensmodelle auch sind, es fehlt in der ganzen Debatte also offensichtlich eines: mehr Sachlichkeit.
Sebastian Fobbe ist Journalist in Münster. Seit Februar 2022 arbeitet er für das Netzwerk Plurale Ökonomik in der Presse- und Öffentlichkeitsarbeit. Er interessiert sich für konstruktiven Journalismus, übersetzte Literatur und die Niederlande.
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