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Quelle: van Treeck, Till, and Janina Urban. Wirtschaft neu denken: Blinde Flecken in der Lehrbuchökonomie. iRights Media, 2016. Das Buch kann hier bestellt werden: http://irights-media.de/publikationen/wirtschaft-neu-denken/.
Rezensierte Bücher:
Mankiw, N.G./Taylor, M.P. (2012): Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 5. Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 1133 Seiten. Im Folgenden zitiert als MTa. (Abb: Schäffer-Poeschel)
Mankiw, N.G./Taylor, M.P. (2008): Grundzüge der Volkswirtschaftslehre, 4. Auflage, Stuttgart: Schäffer-Poeschel, 1013 Seiten. Im Folgenden zitiert als MTb. (ohne Abb.)
Die „Grundzüge der Volkswirtschaftslehre“ von Mankiw und Taylor ist eines der weit verbreiteten, elementaren volkswirtschaftlichen Einführungslehrbücher. Hier soll untersucht werden, ob das Lehrbuch ideologisch und einseitig ausgerichtet ist und ob die Finanzkrise zu konzeptionellen Änderungen und eventuell einem kritischen Umdenken bei den Autoren geführt hat, deren letztlich marktliberale Ausrichtung seit längerem kontrovers diskutiert wird (vgl. vor allem die Webseite anti-mankiw.blogspot.de).
Naive Standardökonomik
Die ersten rund 75 Seiten des Lehrbuches (die ersten drei Kapitel der „Einführung“) umreißen die Grundelemente der neoklassischen Denkschule und ihre naive implizite Wissenschaftstheorie in Reinformat. Die Einführung enthält ein verschlungenes Bündel aus Weltanschauung, impliziten Werten, Denkpraktiken, Verhaltensstandards und Methodenanleitungen, kurz: den neoklassischen Habitus. Zwischen den beiden hier in aller Kürze zu vergleichenden Auflagen vor und nach der Finanzkrise hat sich leider absolut nichts geändert.1 Nach Mankiw und Taylor geht die Volkswirtschaftslehre (VWL) nach wie vor „leidenschaftslos wie eine Naturwissenschaft zu Werke. Durch die Anwendung naturwissenschaftlicher Methoden auf politische Fragen sucht die Volkswirtschaftslehre bei den grundlegenden Herausforderungen voranzukommen […]. Volkswirte haben eine einzigartige Art und Weise die Welt zu betrachten, die man weitgehend in ein oder zwei Semestern erlernen kann.“ (MTa, S. VIII) Es gibt demnach eine und nur eine richtige volkswirtschaftliche Herangehensweise, die mit verschiedenen Umschreibungen bereits in den Vorworten und Vorbemerkungen umrissen wird.
Die Autoren präsentieren ihr neoklassisches Weltbild anhand von zehn volkswirtschaftlichen Regeln, deren methodologischer Status völlig unklar bleibt und die hemdsärmlich-naturalistisch eingeführt werden: Der Mensch müsse nun einmal Entscheidungen treffen (Wer kocht das Essen?); nichts sei umsonst; man wolle stets mehr, als vorhanden ist. Schon ist man bei der Bewirtschaftung knapper Ressourcen und bei prinzipiellen Zielkonflikten wie saubere Umwelt versus hohes Einkommen oder Effizienz versus Gerechtigkeit, die in dieser schlichten ideologischen Offenkundigkeit doch erstaunen (siehe den Beitrag von Till van Treeck zu Effizienz und Gerechtigkeit in diesem Band). Weil das Verhalten einer Volkswirtschaft das Verhalten der Individuen spiegelt, beginne man mit „Regeln“ der Einzelentscheidungen von Menschen. Man folgt also dem methodologischen Individualismus, ohne ihn als eine Herangehensweise unter möglichen anderen zu positionieren. Genauso gut hätte man sagen können: Weil das Verhalten der Individuen die Strukturen der Volkswirtschaft widerspiegelt, beginnt man mit ebendiesen Strukturen. Immerhin wird auf der ersten Seite des Kapitels (MTa, S. 3) von den Triebkräften und Trends einer Volkswirtschaft im Ganzen gesprochen (siehe den Beitrag von Fabian Lindner in diesem Band).
Eine Regel lautet: Durch Handel kann es jedem besser gehen und Märkte sind gewöhnlich gut für die Organisation des Wirtschaftslebens, Regierungen können manchmal Marktergebnisse verbessern (MTa, S. 10–13, kursiv hinzugefügt). Schäden staatlicher Preispolitik werden gescholten, Adam Smiths unsichtbare Hand länglich zitiert (aber aus dem dortigen Kontext gerissen, vgl. Peukert 2003) und bemerkt, ein vorrangiges Ziel des Buches sei es, „verständlich zu machen, wie die unsichtbare Hand ihren Zauber entfaltet“ (MTa, S. 12). Die Preisbildung erfolgt in einem juridisch-institutionell luftleeren Raum. Sie ist frei von Macht, Interessen und so weiter (siehe den Beitrag von Wolfram Elsner in diesem Band). Einzig subjektive Präferenzen und technologische Produktionsbedingungen bestimmen durch ihr Zusammenspiel den in diesem Sinne gerechten (Markt-)Preis.
Etwas überraschend wird im dritten Kapitel das Theorem der komparativen Kostenvorteile beispielhaft für den Segen des grenzübergreifenden Freihandels ausgebreitet, da dieser Teil neoklassischer Orthodoxie nicht unbedingt in einer Einführung zu erwarten ist. Keck wird geschlussfolgert, „[o]bwohl Ökonomen über politische Fragen oft uneins sind, besteht beim Freihandel Einigkeit […]. Sie sollen nunmehr vom Nutzen des Lebens in einer offenen und interdependenten Volkswirtschaft überzeugt sein.“ (MTa, S. 70) Man könnte meinen, dass es sich hier um didaktisch notwendig holzschnittartige Einführungsstatements handelt und Mankiw bei wirtschaftspolitischen Fragen der realen Welt differenzierter argumentiert. Dem ist aber nicht so. Am 24. Mai 2015 erschien ein Beitrag Mankiws in der New York Times mit dem Titel „Economists actually agree on this: The wisdom of free trade“,2 in dem es um die Vor- und Nachteile des Freihandelsabkommens der Transpazifischen Partnerschaft ging. Er vertritt hier ohne Relativierungen gemäß Regel fünf seiner volkswirtschaftlichen Regeln die These, dass internationaler Freihandel prinzipiell eine Win-win-Lösung und fundamental gut für die US-Ökonomie und „die amerikanischen Familien“ sei. Diesbezüglich skeptische Politiker_innen folgten den Vorurteilen irrationaler Wähler. Die Schlechterstellung einzelner, aber nicht der Mehrzahl wird im Lehrbuch immerhin anerkannt (MTa, S. 69).
Mehrere Wissenschaftler_innen haben Mankiw darauf hingewiesen, dass seine Vorteilsaussage nicht einmal aus dem komparativen Außenhandelstheorem hervorgeht (das bei Ricardo zudem die Immobilität des Faktors Kapital voraussetzte). Das Theorem beinhaltet eigentlich nur, dass (unter den getroffenen Modellannahmen) die Gewinne die Verluste in Geld gerechnet überwiegen, nicht aber, dass es sich zwangsläufig für die Mehrzahl der Menschen auszahlt. Freihandel kann somit für die Mehrzahl der Bevölkerung eines Landes durchaus von Nachteil sein (siehe den Beitrag von Achim Truger zum Freihandel in diesem Band).3 Die Intervention Mankiws bestätigt die weiter oben aufgestellte These, dass es sich bei der (den Studierenden vermittelten) VWL um eine Melange aus Weltanschauung und Methoden handelt, die häufig auf wirtschaftspolitische Fragestellungen kurzgeschlossen werden.
Der neoklassische Rohbau tritt auch im zweiten Teil über die Marktkräfte von Angebot und Nachfrage, Elastizitäten und wirtschaftspolitische Maßnahmen hervor. Die sich mathematisch wohlverhaltenden Angebots- und Nachfragekurven werden einmal mehr als selbstverständlich und realexistent vorausgesetzt (vgl. zum Beispiel Hill/Myatt 2010; Keen 2011). Die Botschaft lautet: „Das Verhalten von Käufern und Verkäufern treibt [alle] Märkte auf natürliche Weise zu ihrem Gleichgewicht […]. Allerdings ist die Landwirtschaft wegen der starken Regulierung in Europa noch kein sehr gutes Beispiel für das Funktionieren des Marktmechanismus.“ (MTa, S. 105–106) An gleicher Stelle wird die Preisbildung von Grundstücken an beliebten bayerischen Seen erwähnt. „Wer bekommt die Ressource? Wer den Preis bezahlen kann und will, lautet die einfache Antwort.“ (MTa, S. 105)
So schön einfach ist das, wenn die Verteilung der Eigentumsrechte klar bestimmt sind. Anstelle einer behaupteten naturalistisch-objektiven Bereichserkundung der ökonomischen Welt werden die Studierenden konditioniert: „Die Analysewerkzeuge von Angebot und Nachfrage schaffen Zugang zu den meisten höchst bedeutsamen Ereignissen und Politikmaßnahmen einer Volkswirtschaft.“ (MTa, S. 135) Bei Besteuerung kommt es grundsätzlich jenseits von Umverteilungen zu einem Nettowohlfahrtsverlust (deadweight loss). Bei den Ausführungen zur Körperschaftssteuer wird ohne Spezifizierung der hierzu nötigen (Modell-)Annahmen ganz allgemein zu Bedenken gegeben, dass diese Steuer letztendlich primär von den Kund_innen und den Arbeiter_innen gezahlt würde (MTa, S. 314–315), man sie also am besten gar nicht erst erheben sollte. Solche Andeutungen, die sich zuhauf im Text finden, sind schlichte Indoktrination.
Kapitel 22 dringt in Grenzbereiche der Mikroökonomie vor. Im Zusammenhang mit asymmetrischer Information, dem Principal-Agent-Modell und Moral Hazard wird auf Seite 575 die Finanzkrise erstmalig erwähnt. Jetzt wird das Lehrbuch wohl wie versprochen „aktuell und politiknah“ (MTa, S. XIII). Die Autoren belassen es anstelle einer Wiedergabe solcher Ansätze leider beim Hinweis auf Bonuszahlungen für „Bankmanager“ angesichts impliziter Staatsgarantien und fokussieren dann lieber auf den an sich trivialen Akerlof’schen Zitronenmarkt und auf Arrows’ Unmöglichkeitsparadoxon, das in bekannt abstrakter und einseitiger Weise demokratische Entscheidungsprozesse in Frage stellt. Die verhaltenswissenschaftliche Ökonomik wird in Kapitel 22 immerhin auf sechs Seiten abgehandelt (MTa, S. 585–592), ihre Ergebnisse bleiben aber für Kapitel 37 folgenlos und unberücksichtigt.
Das Finanzsystem wird 85 Seiten später in Kapitel 26 über Sparen und Investieren wieder thematisiert. Es besteht „aus denjenigen Institutionen in einer Volkswirtschaft, die dazu beitragen, die Ersparnisse einer Person mit den Investitionswünschen einer anderen Person in Übereinstimmung zu bringen […]. Spart ein Land einen großen Teil seines BIP, so sind mehr Ressourcen für Investitionen in Kapitalgüter vorhanden, und ein höherer Kapitalstock erhöht die Produktivität eines Landes.“ (MTa, S. 675) (zum Zusammenhang von Sparen und Investieren siehe den Beitrag von Fabian Lindner in diesem Band). Das Finanzsystem agiert in dieser Darstellung ausschließlich im Dienst der Realwirtschaft. Elementar werden Renten- und Aktienmärkte sowie Banken und Investmentgesellschaften deskriptiv beschrieben, ohne ein Wort über Spekulation, die Hypertrophie des Finanzsektors und so weiter zu verlieren. Investmentgesellschaften sind prima Einrichtungen, da sie auch der/m Normalbürger_in erlauben, vermittels der beratenden und kompetenten Hand der Anlagemanager_innen, höhere Erträge durch geschickte Auswahl zu erwirtschaften. Im Folgesatz wird erwähnt, dass „Finanzökonomen“ dies bezweifeln. In der Tat können schon rein mathematisch nicht alle Professionellen zusammen den Markt schlagen, der ihre Entscheidungen abbildet. Aus rein mikroökonomischer Sicht wird im Lehrbuch die Absicherungsfunktion von Credit Default Swaps (CDS) in ihrer risikomindernden positiven Funktion beschrieben (MTa, S. 684–686), ohne der Frage nachzugehen, ob auf gesamtsystemischer Ebene durch sie etwas gewonnen wird oder ob durch sie nicht eventuell Akteur_innen, die an einem Bankrott von Unternehmen oder Staaten interessiert sind, regelrecht herangezüchtet werden. Nur kurz wird erwähnt, dass durch die Ausweitung auf Hypothekenanleihen die Finanzmärkte 2007 „vor einem großen Problem“ standen (MTa, S. 686). Der Haupteffekt von Budgetdefiziten wird – Kapitel 26 ideologisch abrundend – in der Verminderung des Angebots an Kreditmitteln an die Privatwirtschaft und die privaten Haushalte gesehen (MTa, S. 698–699).
Bei der Analyse der Vermögensbewertung folgt auf die sogenannte Fundamentalanalyse, die ein Rosinenpicken durch Fehlbewertungen des Marktes durch aktives Umschichten beinhaltet, unvermittelt die Effizienzmarkthypothese (MTa, S. 722–726). Ihre in der Literatur breit diskutierten Varianten werden nicht differenziert, dafür wird aber die schnelle und rationale Einpreisung aller öffentlich zugänglichen Informationen als Charakteristikum der Hypothese erläutert. Unlogischerweise wird angeführt, die Hypothese beruhe auf einem Angebots- und Nachfragegleichgewicht, wobei „die Anzahl der Personen, die von einer Überbewertung der Aktie ausgehen, genauso groß [ist] wie die Anzahl an Personen, die die Aktien für unterbewertet halten.“ (MTa, S. 722) Diese Aussage ist Unfug und man wundert sich, wie es kommen soll, dass immer genau die Hälfte der Trader Assets über- und die andere Hälfte sie in gleichem Maße unterbewerten.
Ein Einschub befasst sich mit der Effizienzmarkthypothese in der Finanzkrise. Eine ehrenwert naive Aussage verdient es, zitiert zu werden: „Die Annahme von effizienten Märkten und der Glaube, dass sich Märkte selbst korrigieren und letztlich den tatsächlichen Marktwert reflektieren, bildete die Basis für den [zu schwachen] staatlichen Regulierungsrahmen für die Finanzwelt.“ (MTa, S. 723) Es dürfte nicht ungerecht sein, auch die Fundamentalaussagen des Lehrbuches von Mankiw und Taylor zu dieser Basis hinzuzurechnen. Tatsächlich werden Shiller und Thaler, Minsky und Fisher sowie Herdenverhalten und Massenpsychologie im Zusammenhang mit spekulativen Preisblasen erwähnt, aber dann nur zur Veranschaulichung von Zeitverzögerungen bei der Informationsübertragung herangezogen.
Letztlich wird eingeräumt, dass die Effizienzmarkthypothese Mängel aufweise, aber scheinbar dennoch nicht falsch sei. Minsky und Fisher wird in den Mund gelegt, sie hätten geschlussfolgert, „dass die Finanzmärkte weder stabil noch selbststeuernd sind und noch weit davon entfernt sind, Ressourcen effizient zuzuteilen“ (MTa, S. 725, kursiv hinzugefügt). Mit noch besseren Informationssystemen ließe sich dies scheinbar beheben? Minsky und Fisher, deren Instabilitätsanalysen nicht einmal im Ansatz erläutert werden, geraten hier in ein falsches Licht, da sie fundamentale Strukturreformen des Finanzsystems – wie zum Beispiel die Einführung eines Vollgeldes – für erforderlich halten. Über ihre Erklärungen wird neben dem Hinweis auf Immobilienpreisentwicklung in den USA im Lehrbuch nur ausgesagt, „dass sich auf den Finanzmärkten spezielle Kräfte entfalten, die zu bestimmten Zeiten zu Vermögensinflation und Kreditexpansion führen“ (MTa, S. 725, kursiv hinzugefügt). Mirakulöser und unpräziser geht es kaum.
Das Phänomen Geld wird wie gewöhnlich unhistorisch über seine den Tauschhandel vereinfachende Funktion eingeführt und dann aufgefächert in seine drei Funktionen und die Liquiditätsprämie. Das an sich keineswegs selbstverständliche bestehende Geldsystem wird im Neutralitätsduktus als für jedermann gleichermaßen praktisches Schmiermittel des Tausches, als quasi-physikalisches Phänomen mit natürlichen Eigenschaften – ganz in der Tradition Lockes – eingeführt. Dass Geld eine soziale Erfindung ist, bei deren Ausgestaltung (Wer erhält im Papiergeldstandard den Emissionsgewinn?) sich Fragen der Herrschaft und Kontrolle (Wer setzt den Knappheitsanker und wer zahlt die Zeche in Krisensituationen?) und seiner Grenzen (In welchem Ausmaß soll Geld das soziale Leben bestimmen?) stellen, bleibt unberücksichtigt. Es handelt sich hierbei um Fragen, die seit der Finanzkrise aus dem Fluss des vorher Selbstverständlichen heraustraten. Platt deskriptiv werden die Geldmengenkonzepte und die Rolle und Instrumente der Zentralbank vorgestellt und davon ausgegangen, die Zentralbank „besitzt die Macht, die in dieser Volkswirtschaft vorhandene Geldmenge zu erhöhen oder auch zu senken“ (MTa, S. 765).
In diesem Sinne wird auch der Geldschöpfungsmultiplikator vorgestellt (MTa, S. 772 ff.), demzufolge zunächst die Zentralbank Zentralbankgeld (high powered money, M0) ins Bankensystem injiziert, das dann mit einem Hebelfaktor die Geldmenge in Abhängigkeit von der Mindestreserve und der Bargeldhaltung erweitern kann. Diese Darstellung ist falsch und muss als naiv und missverständlich bezeichnet werden. In einer Analyse von Mitarbeiter_innen der englischen Notenbank wird klargestellt: „Rather than banks receiving deposits when households save and then lending them out, bank lending creates deposits. In normal times, the central bank does not fix the amount of money in circulation, nor is central bank money ‘multiplied up’ into more loans and deposits.“ (McLeay et al. 2014, S. 1) Tatsächlich wird Geld von Banken aus dem Nichts durch Kredite geschaffen, dessen Gegenposition in der Bilanz sich aus der Forderung gegenüber dem Kreditnehmer oder der Kreditnehmerin ergibt (siehe den Beitrag von Fabian Lindner in diesem Band).
Auch Kapitel 31 über offene Volkswirtschaften ist sehr einfach gestrickt. Kaum ein Wort findet sich über das Problem der Volatilität der Wechselkurse, deren Bestimmung im Lehrbuch ausschließlich über die Kaufkraftparitätentheorie erfolgt (siehe den Beitrag von Jan Priewe in diesem Band). Nachahmungs- und Herdenverhalten, die Bedeutung schnell veränderlicher spekulativer Erwartungen über die Inflations-, Wachstums-, Produktivitätsentwicklung in den Ländern als Einflussfaktoren auf die Wechselkurse werden kaum gestreift und so den Studierenden analytische Hilfswerkzeuge zum Verständnis heutiger Problemlagen (sudden stops usw.) auch infolge der Finanzkrise vorenthalten.
Fast exakt auf Seite 1000 geht es auf 25 Seiten in einem neuen Kapitel um die Finanzkrise. In älteren Auflagen kamen Banken- und Finanzkrisen überhaupt nicht vor (siehe beispielsweise MTb). Auf der ersten Seite des Kapitels wird zunächst ein recht vager Rundumschlag hinsichtlich der Ursachen der Finanzkrise geboten, die Rede ist von „weitgehender Deregulierung“, die mit „gesellschaftlichen Veränderungen“ zusammenhing. Es gab „mathematische Zauberei“, „viele“ hielten den Konjunkturzyklus für überwunden und so weiter. „Beteiligt waren Millionen von Menschen rund um den Erdball, die zum Teil recht wenig von den Abläufen verstanden“ (MTa, S. 999). Gehörten zu ihnen etwa auch Ökonom_innen?
Unter der Überschrift „Blasenbildung und Spekulation“ wird in Kapitel 37 Verschiedenes zur Erklärung der Finanzkrise aneinandergereiht: „[…] die Auswirkungen der Deregulierung, niedrige Zinsen, scheinbar stabile realwirtschaftliche Bedingungen und zunehmend riskantere Geschäfte der Finanzinstitute. Diese Mischung erzeugte die Blase auf dem Wohnungsmarkt in den USA und Großbritannien.“ (MTa, S. 1000) Die Anlage des Kapitels ist nicht nur weit entfernt von einem halbwegs nachvollziehbaren („naturwissenschaftlichen“) Modell. Nebulös heißt es: „Den unstillbaren Durst nach Krediten auf beiden Seiten des Atlantiks sehen viele als Grund der Finanzkrise an.“
Zwar werden im Folgenden der Subprime-Markt, Verbriefungen, die Bonuskultur, Informationsasymmetrien und so weiter mit deskriptiven Einsprengseln aus dem turbulenten Krisengeschehen erwähnt, aber über das Aneinanderreihen von Ereignisschnipseln zum Thema geht es nicht hinaus. Oft wird unterstellt, es handele sich um situativ bedingte, verständliche (allzu menschliche) Ausrutscher. Die Überlegungen finden einen überraschenden Abschluss. Bei Reformvorschlägen „sollte man jedoch sehr vorsichtig und wohlüberlegt vorgehen. Es könnten ja auch positive Motivationen und erwünschte Resultate zerstört werden. Vielleicht genügen die vorhandenen Regeln [2012] ja tatsächlich, sofern alle Beteiligten sich danach richten […].“ (MTa, S. 1023)
Die sehr knappe Schlussfolgerung des Kapitels kann als endgültiges Herunterschrauben von Erwartungen (downtuning) hinsichtlich Reformerfordernissen bezeichnet werden. Viele Zusammenhänge der Krise seien im Nachhinein „trivial und offensichtlich“ (MTa, S. 1015). Zwar bediene sich die VWL der Methode naturwissenschaftlicher Modelle, aber eine Art Sozialphysik mit Hebelgesetzen sei prinzipiell unrealistisch. Außerdem ändere sich die reale Wirtschaftswelt andauernd, weshalb man anscheinend sowieso nie zu sicheren Empfehlungen gelangen kann. Dem Studierenden wird suggeriert: Locker bleiben und nicht allzu viel erwarten von der hehren Theorie. Das Lehrbuch ist von der ersten bis zur letzten Seite eine Katastrophe. Die Gesellschaft und die Studierenden hätten Besseres verdient, zum Beispiel Irene van Staverens „Economics after the crisis: An introduction to economics from a pluralist global perspective“ (Van Staveren 2015).
Literatur
Hill, R./Myatt, T. (2010): The Economics Anti-textbook: A critical thinker’s guide to microeconomics, London: Zed Books.
Keen, S. (2011): Debunking Economics. The naked Emperor dethroned?, London: Zed Books.
McLeay, M. et al. (2014): Money creation in the modern economy, http://www.bankofengland.co.uk/publications/Documents/quarterlybulletin/2014/qb14q1prereleasemoneycreation.pdf (Zugriff: 29. Apr. 2016).
Peukert, H. (2003): Adam Smith´s Invisible Hands. In: Backhaus et al. (Hrsg.): Economic policy in an orderly framework: Liber Amicorum for Gerrit Meijer, Münster: Wirtschaft: Forschung und Wissenschaft Bd. 5, S. 344-360.
Van Staveren, I. (2015): Economics after the crisis: An introduction to economics from a pluralist global perspective, London: Routledge.
1Eine längere Fassung dieses Beitrags mit wissenschafts- und finanzmarkttheoretischen Ausführungen sowie eingehenden Vergleichen zwischen den beiden Auflagen findet sich in Allespach, M./Sahin, B. (Hrsg.) (2016): Zur Berechtigung einer pluralen Ökonomik. Schriftenreihe der Europäischen Akademie der Arbeit, Frankfurt am Main: Bund-Verlag.
2Vgl. http://www.nytimes.com/2015/04/26/upshot/economists-actually-agree-on-this-point-the-wisdom-of-free-trade.html (Zugriff: 10. Aug. 2016).
3Vgl. auch Noah Smith: Americans get free trade’s dark side, http://www.bloombergview.com/articles/2015-04-28/free-trade-aids-growth-even-though-some-people-lose (Zugriff: 10. Aug. 2016); Mark Buchanan: Greg Mankiw and the economic ideology of free trade, https://medium.com/bull-market/greg-mankiw-and-the-economic-ideology-of-free-trade-923ca6430993 (Zugriff: 10. Aug. 2016); James Kwak: Greg Mankiw forgot what he teaches, https://medium.com/bull-market/greg-mankiw-forgot-what-he-teaches-2cf269b3aa74 (Zugriff: 10. Aug. 2016).
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