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Barbora Sedova
Erstveröffentlichung im Makronom
Der Klimawandel dürfte die globalen Migrationsbewegungen in den kommenden Jahren deutlich verstärken – was die Politik gleich an mehreren Fronten unter Handlungsdruck setzt.
Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt. Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.
Der Klimawandel erhöht das Risiko von Konflikten, indem er Konflikttreiber wie Ungleichheit und Ressourcenknappheit verschärft. Dies wird auch durch den neuesten Bericht des Weltklimarats bestätigt. Es gibt jedoch keinen direkten und monokausalen Zusammenhang zwischen Klimawandel und Konflikten. Vielmehr ist dieser höchst kontextbezogen, da die jeweiligen Auswirkungen stark von der sozio-ökonomischen und politischen Situation abhängen.
Ähnliches gilt auch für die Rolle der Flucht und Migration (hier synonym als menschliche Mobilität verwendet) in Klimawandel-Konflikt-Dynamiken. So trägt beispielsweise der globale Trend der Urbanisierung, der durch den Klimawandel zusätzlich vorangetrieben wird (z.B. durch steigende Temperaturen und Extremwetterereignisse wie Dürren und Überschwemmungen), zu einer höheren Verletzlichkeit der Menschen in den schnell wachsenden informellen Siedlungen (i.e. Slums) im Globalen Süden bei. Der dadurch verschärfte Wettbewerb – u.a. um Wohnraum, Zugang zu Sanitäreinrichtungen und Jobs – kann schnell zu konfliktreichen Spannungen führen. Zum Beispiel war die Lage in den informellen Siedlungen im Globalen Süden während der COVID-19-Pandemie besonders fragil, da diese oft eine hohe Bevölkerungsdichte aufweisen und der Druck auf ohnehin schon prekäre Infrastrukturen wie hygienische Zustände weiter steigt (z.B. durch eine mangelnde Ausstattung an Sanitäreinrichtungen).
Wenn Städte hingegen auf den Zustrom von Menschen gut vorbereitet sind (es z.B. genügend Wohnraum und funktionierende Infrastrukturen gibt), kann Migration wohlfahrtssteigernd sein. So verweist eine aktuelle OECD-Studie darauf, dass eine wirksame Migrationspolitik das Pro-Kopf-Einkommen in den OECD-Ländern erhöht und regionale Ungleichheiten verringert. Migration kann also auch Konflikttreiber entschärfen. Kurz gesagt: Ob sich klimabedingte Migration positiv auf die sozio-ökonomische und politische Situation am Zielort auswirkt oder eher ein Sicherheitsrisiko darstellt, hängt stark vom jeweiligen Kontext ab.
In der öffentlichen Debatte wurde zuletzt häufig der Syrienkrieg als ein Beispiel angeführt, bei dem der Klimawandel und die damit zusammenhängenden Migrationsbewegungen als Risikomultiplikatoren wirken würden. So erklärte der ehemalige US-Präsident Barack Obama, dass die klimawandelbezogenen Dürren und Missernten zu den Unruhen in Syrien beigetragen hätten. Auch der damalige US-Außenminister John Kerry äußerte sich ähnlich, wobei er zusätzlich die Rolle der klimabedingten Migration hervorhob.
Der Stand der Wissenschaft ist, dass in Syrien in den Jahren 2006-2010 eine schwere Dürre herrschte, die nachweislich auf den Klimawandel zurückzuführen ist. Die damit einhergehenden Verluste in der Landwirtschaft und die beobachtbare Stadt-Land-Migration kann hierbei ebenfalls mit der Dürre und somit auch mit dem Klimawandel in Verbindung gesetzt werden. Bislang gibt es aber keinen wissenschaftlich nachweisbaren Zusammenhang, ob der Bürgerkrieg auf den Klimawandel und auf die Klima-Migration zurückzuführen ist. Höchstwahrscheinlich wäre der Krieg auch ohne die Dürre zustande gekommen, lautet eine Einschätzung des Weltklimarats.
Während die wissenschaftliche Evidenz klar darauf hinweist, dass der Klimawandel menschliche Migration vorantreibt, existiert über die Zusammenhänge zwischen Klima-Migration und Konflikten bislang also nur eine anekdotische und gemischte Evidenz. Gleichwohl ist festzustellen, dass die menschliche Mobilität an sich eine wichtige Anpassungs- und Risikomanagement-Strategie darstellt – insbesondere in ländlichen Gebieten des Globalen Südens. Migration ist dabei an sich grundsätzlich kein Risiko für Frieden und Sicherheit. Sie kann jedoch ein solches Risiko verstärken, wenn wichtige Bedingungen fehlen und eine politische Gestaltung ausbleibt, die entsprechende Voraussetzungen für ein Gelingen proaktiv schafft (z.B. Maßnahmen an Zielorten, die Reibungen auf den Arbeits- und Wohnmärkten entgegenwirken). Vor diesem Hintergrund formuliert auch die Agenda 2030 für nachhaltige Entwicklung das Ziel, eine geordnete, sichere, regelmäßige und verantwortungsvolle Migration und Mobilität von Menschen zu ermöglichen.
Um dieses Ziel zu erreichen, ist es essenziell, die Spezifika der Klima-Migration zu verstehen. Hierzu sind die Antworten auf die folgenden Fragen entscheidend:
Die Fähigkeit, Klima-Migration besser zu verstehen und vorhersagen zu können, kann uns jedenfalls helfen, sich auf die damit einhergehenden Herausforderungen bestmöglich vorzubereiten und die potenziellen Friedens- und Sicherheitsrisiken durch wissenschaftlich fundierte politische Entscheidungen zu minimieren.
Das Verständnis darüber hat sich im Laufe der letzten Jahre deutlich verbessert. Evident ist beispielsweise, dass im ländlichen Kontext des Globalen Südens Klima-Migranten eher männlich sind, ein niedrigeres Bildungsniveau haben und aus landwirtschaftlichen Haushalten kommen. Zudem handelt es sich um Bevölkerungsgruppen, die sich eine Migration „leisten“ können, da diese teuer ist.
Was die geografischen Muster der Klima-Migration angeht, so lässt sich im Globalen Süden primär eine Landflucht beobachten. Der von der Weltbank in 2021 publizierte Groundwell Bericht verweist darauf, dass klimabedingte Zuwanderungs-Hotspots bereits im nächsten Jahrzehnt entstehen und sich bis 2050 noch verstärken werden. Orte mit besserer Wasserverfügbarkeit werden voraussichtlich zu solchen Hotspots, darunter wichtige städtische Zentren wie Kairo, Algier, Tunis, Tripolis, der Korridor Casablanca-Rabat und Tanger.
2021 erreichte die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen, aufgrund von Konflikten und Gewalt, die Marke von 53 Millionen Menschen
Ein wichtiger Treiber von Klima-Migration sind aber auch Kriege, die oft durch den Klimawandel verschärft werden. Allein 2021 erreichte die Gesamtzahl der Binnenvertriebenen, aufgrund von Konflikten und Gewalt, die Marke von 53 Millionen Menschen. Fluchtbewegungen über Landesgrenzen hinweg können eine weitere Konsequenz sein – wenngleich die Evidenz darauf hinweist, dass der größte Teil der Klimamobilität innerhalb der eigenen Landesgrenzen stattfindet.
Negative Klimaeinflüsse können aber ebenso zu einer Reduzierung von Migration führen. Nämlich, wenn die Möglichkeiten der Menschen zur Abwanderung (z.B. durch Beeinträchtigung der eigenen finanziellen Ressourcen, der Gesundheit usw.) durch Klimaereignisse unfreiwillig eingeschränkt werden. In diesem Fall spricht man von Klima-Immobilität. Hiervon sind oftmals die verwundbarsten Bevölkerungsgruppen wie z.B. Frauen, Kinder sowie die älteren und ärmeren Bevölkerungsgruppen betroffen. Sie sind gezwungen, vor Ort in den betroffenen Gebieten zu bleiben, wodurch sich deren Vulnerabilität häufig multipliziert.
Statistisch gesehen nimmt die Anzahl der Menschen, die vor Kriegen oder Extremwetterereignissen fliehen, stetig zu. In Zukunft werden die Einflüsse des Klimawandels auf die menschliche Migration weiter zunehmen, wobei das Ausmaß dessen vom Grad der Erwärmung abhängig sein wird. So prognostiziert der Groundswell Bericht für 2050, dass durch den Klimawandel bis zu 216 Millionen Menschen in sechs Regionen zur Migration innerhalb ihrer eigenen Länder gezwungen sein könnten – zumindest wenn es an konkreten Klima- und Entwicklungsmaßnahmen fehlt.
Eine zentrale Frage ist daher: Wie kann die Politik sicherstellen, dass die Migration in einem sich verändernden Klima eine vielversprechende Anpassungsstrategie für die betroffene Bevölkerung bereithält, ohne neue Verwundbarkeiten zu schaffen oder bestehende zu verstärken? Zu diesem Zweck müssen politische Entscheidungsträger an mehreren Fronten gleichzeitig handeln.
1.
Die Erreichung der Ziele des Pariser Abkommens ist von größter Priorität, um die Auswirkungen des Klimawandels – einschließlich Zwangsmigration und Konflikte – auf ein möglichst niedriges Niveau zu begrenzen. Um diese Ziele zu erreichen, müssen die national festgelegten Beiträge (nationally determined contributions, NDCs), die die Verpflichtungen der Länder zu Klimaschutzmaßnahmen aufzeigen, ehrgeiziger werden. Wichtige Minderungsmaßnahmen sind hierbei technologische Innovationen und politische Anreize, wie ausreichend hohe und sozial gerechte CO2-Preise.
2.
Die Politik muss die Anpassung an den Klimawandel und Maßnahmen zur Stärkung der Resilienz mehr unterstützen. Zu diesem Zweck muss die zusätzliche Klimafinanzierung für die ärmeren Länder zur Anpassung an den Klimawandel stärker priorisiert werden. Derzeit bleibt die Finanzierung für von Klimaanpassung noch weit hinter der Finanzierung für die Eindämmung von Klimaveränderungen zurück. Neben Anpassungsmaßnahmen in den betroffenen Gebieten vor Ort (z.B. Zugang zu Bewässerung), ist es ebenfalls essenziell, Migrationsprozesse zu gestalten und urbane Resilienz zu fördern.
3.
Wir müssen besser verstehen, wie Klimawandel und menschliche Mobilität zu Konflikten beitragen, um künftige Risiken besser vorhersehen und minimieren zu können. In diesem Kontext ist es von entscheidender Bedeutung, die Entwicklung von und den Zugang zu Frühwarnsystemen und Frühmaßnahmen für die Flucht und Migration zu verbessern.
4.
Gleichzeitig muss die Politik in eine Stabilisierung von konfliktbetroffenen und konfliktgefährdeten Regionen investieren. So könnte beispielsweise die Förderung guter Regierungsführung und eine ökologische Friedensförderung, die auf den Aufbau friedensorientierter Beziehungen durch Umweltkooperation, auf Anpassungsmaßnahmen an den Klimawandel und auf eine Verringerung des Katastrophenrisikos abzielen, Konfliktparteien zusammenbringen und die Entstehung neuer Verwundbarkeiten vermeiden.
Dies ist auch deshalb erforderlich, da im Laufe des 21. Jahrhunderts voraussichtlich viele Gebiete aufgrund des Klimawandels unbewohnbar sein werden. So prognostiziert eine Studie, dass ohne Migration in den kommenden 50 Jahren voraussichtlich ein bis drei Milliarden Menschen unter Klimabedingungen leben werden, die nicht mehr für die menschliche Existenz geeignet sind. Die am stärksten betroffenen Gebiete sind die ärmsten Länder dieser Welt, die zugleich am wenigstens zum Klimawandel beigetragen haben. Vor diesem Hintergrund sind Migrationsbewegungen auch in den Globalen Norden gewissermaßen unvermeidlich. Politisch sollte sich darauf eingestellt werden, indem sich nicht abgeschottet, sondern eine gelingende Migrationspolitik angestrebt wird. Denn wenn Migration gut gemanagt wird, kann sie für alle von Vorteil sein – sowohl für die Migranten als auch für die Herkunfts- und Aufnahmegemeinschaften.
Eine Gesellschaft zu schaffen, in der sowohl die Neuankömmlinge als auch die Menschen, die schon länger Teil einer Gemeinschaft sind, friedlich zusammenleben und aufwachsen, sollte das Ziel sein – egal ob im Globalen Norden oder Süden. Dies könnte auch dazu beitragen, u.a. die demografischen Herausforderungen eines ergrauenden Kontinents wie Europa zu bewältigen oder das ökonomische Wachstum anzukurbeln. Damit dies gelingt, ist es von allergrößter Wichtigkeit, sowohl legale Wege für Migration zu schaffen als auch (z.B. in Bezug auf Bildung, Arbeit, Wohnraum und Gesundheitsversorgung) Maßnahmen für eine erfolgreiche Integration zu entwickeln.
Zur Autorin:
Barbora Sedova leitet das FutureLab – Sicherheit, ethnische Konflikte und Migration am Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK). Hier leitet sie auch das Weathering Risk Projekt in enger Zusammenarbeit mit adelphi und dem Auswärtigen Amt.