Stickeraktion: Hat Griechenland Schuld(en)?

Netzwerk Plurale Ökonomik e.V. , 2018
Grado: debutante
Perspective: Otros
Topic: Crisis, Dinero y deuda
Format: Infografía

Kaum ein Bericht der letzten Jahre über Griechenland kam ohne den Verweis auf die massiven Staatsschulden aus. Jedes Jahr gibt es neue Krisengipfel, die über „Hilfspakete“ und dergleichen mehr verhandeln. Dabei ist die Debatte oft stark emotional aufgeladen. Argumentationsstrukturen wie, “die Griechen haben eben über ihre Verhältnisse gelebt und dafür sollen sie jetzt auch bezahlen” bestimmen die öffentliche Debatte.

Zwei deutschen Besonderheiten tragen hierzu bei: zum einen die starke ordoliberale Prägung deutscher Wirtschaftspolitik und -redaktionen, zum anderen die enge sprachliche und kulturelle Verwobenheit von ökonomischer, strafrechtlicher und moralisch-religiöser Schuld.

Der populistische Ruf nach der Bestrafung der “griechischen Schuldensünder" fügt sich in eine kulturelle Tradition ein, die culpa und debitum gleichsetzt - die Konsequenz dieser Denkweise brachte Nietzsche in der Genealogie der Moral treffend  auf den Punkt: “Vermittelst der »Strafe« am Schuldner nimmt der Gläubiger an einem Herren-Rechte teil: endlich kommt auch er einmal zu dem erhebenden Gefühle, ein Wesen als ein »Unter-sich« verachten und mißhandeln zu dürfen” (Nietzsche 1954, 805).

Doch woher kommen die Staatsschulden Griechenlands überhaupt? Um das zu beleuchten, lohnt sich ein Blick in die Zeit vor 2008. Vor der Finanzkrise hat die deutsche Wirtschaft direkt von der Schuldenaufnahme Griechenlands profitiert. Der Kauf deutscher Produkte auf Kredit hat die großen deutschen Handelsbilanzüberschüsse ermöglicht und deutsche Banken profitieren im gleichen Atemzug von der entstehenden Gläubigerposition Deutschlands, indem sie Kredite an den griechischen Staat vergaben. Im Zuge der Finanzkrise wurden diese Kredite zunehmend unsicher und es wurde befürchtet, dass die Kredite ausfallen könnten, was die Stabilität deutscher und auch der französischer Banken (die ebenfalls viele griechische Kredite in ihren Bilanzen hatten) gefährdet hätte. Das Risiko einer wiederholten Rettung deutscher und französischer Banken wegen des Ausfalls griechischer Darlehen Stand also im Raum. Um dem zu entgehen, wurde der Spieß kurzerhand umgedreht und Griechenland bekam 2010 das erste „Rettungspaket“, um das Geld dann zu 90% an deutsche und französische Banken weiterzugeben. Es ist also ziemlich fragwürdig, dem griechischen Staat die alleinige moralische Schuld an seiner Verschuldung zu geben.

Zudem werden in der öffentlichen Debatte Staatsschulden häufig analog zu privater Verschuldung verhandelt. Diese diskursive Strategie kulminiert in der Figur der “schwäbischen Hausfrau”, die genau weiß, dass sie nicht mehr Geld ausgeben kann als sie einnimmt und bankrott gehen würde, wenn sie über ihre Verhältnisse lebt. Diese Vermischung unterschlägt jedoch, dass sich Staatsverschuldung strukturell von privater Verschuldung unterscheidet und verschleiert, dass die Entscheidung, ob und wie ein Staat sich verschuldet, immer auch eine Frage der Ressourcenverteilung ist. Dies kann anhand der sektoraler Finanzierungssalden schnell deutlich gemacht werden: damit die Privathaushalte (etwa zur Altersvorsorge) überhaupt sparen können, muss sich in einer geschlossenen Volkswirtschaft der Staat verschulden, wenn der Unternehmenssektor dies nicht tut. Ein anderer wichtiger Unterschied ist, dass ein der Staat souverän über seine Währung verfügen kann, nicht pleite geht, wenn er auf Dauer mehr Ausgaben als Einnahmen hat. So hat etwa die tschechische Nationalbank jahrelang mit negativem Eigenkapital operiert und Staaten wie Japan, die zum Großteil bei der eigenen Bevölkerung verschuldet sind, sind seit Jahrzehnten in der Lage mit weitaus höheren Schuldenquoten zurechtzukommen. Für Griechenland sind Schulden vor allem so ein großes Problem, weil die Eurozone im weltweiten Vergleich institutionell ungewöhnlich gestaltet ist. Im Gegensatz zu den Zentralbanken Japans, der USA oder Kanadas darf die EZB nicht die Schulden ihrer Staaten übernehmen und viele übliche Instrumente der Geldpolitik sind in der Eurozone der Kontrolle der Staaten entzogen.  Es ist also die institutionelle Ausgestaltung der Eurozone - die im Übrigen maßgeblich von Ökonomen wie Robert Mundell mitbestimmt wurde - welche die Schulden für Griechenland erst zu einem so großen Problem werden lässt und Austeritätspolitik als einzigen vernünftigen Ausweg erscheinen lässt.

 

Die Stickeraktion wurde von der Gruppe Was ist Ökonomie? initiiert und für das Netzwerk Plurale Ökonomik erstellt. Vielen Dank für die finanzielle Unterstützung des Projekts an das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung. 

 

Noch Fragen?

1. Wann kommt die nächste Krise, Herr Professor*?

2. Grenzenloses Kapital? Grenzenlose Arbeit? Grenzenlose Freiheit?

3. Markt United vs. FC Staat: Wer gewinnt?

4. Krise?

5. Ein Ökonom kommt in eine Krise: Was tut er?

6. Mit neuem Nationalismus aus der Wirtschaftskrise?

7. Mit Green Growth die Welt retten?

8. Wen trifft die Krise?

9. Hat Griechenland Schuld(en)?

10. Wie viele Theorieschulen gibt es eigentlich in der VWL?

11. Werde ich durch das VWL Studium egoistischer?

12. Ist der repräsentative Agent männlich oder weiblich?

13. Was ist mit ökonomischen Inhalten, die nicht in Matheformeln passen?

14. Wieso sehen meine VWL-Professor*innen auch dort Gleichgewichte, wo keine sind?

15. Hat Geld wirklich keinen Einfluss auf die reale Wirtschaft?

16. Wieso nimmt mein VWL-Professor andere Sozialwissenschaften nicht ernst?

17. Wie funktionieren eigentlich andere Wirtschaftssysteme?

18. Warum sind meine VWL-Professoren fast nur männlich?

19. Wieso kennen meine VWL-Modelle keine Geschichte?

20. Studiere ich VWL oder Neoklassik?

 

Literatur

Nietzsche, Friedrich (1954) Werke in drei Bänden. Holzinger München.

Stützel, Wolfgang (1958) Volkswirtschaftliche Saldenmechanik. Ein Beitrag zur Geldtheorie. Mohr Siebeck Tübingen.

Varoufakis, Yannis (2017) Adults in the Room. Bodley Head London.

Wray, Randall L. (2015) Modern Money Theory: A Primer on Macroeconomics for Sovereign Monetary Systems. Palgrave MacMillan London.

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