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Silja Graupe
Die Studie geht der Frage nach, ob und auf welche Weise Stu- dierende in der ökonomischen Bildung möglicherweise indoktri- niert werden. Hierfür untersucht sie anhand von Beispielen den potenziellen Einfluss der ökonomischen Standardbildung an Hochschulen auf grundlegende Denk- und Handlungsweisen. Wie können Studierende zur unkritischen Übernahme nicht nur von Wissen, sondern auch von grundlegenden Weltanschauungen, Wertungen und Selbstbildern verleitet werden?
Die Studie lässt sich von der kognitionswissenschaftli- chen Einsicht leiten, dass ein Großteil menschlicher Wahrnehmungs- und Denkweisen normalerweise unbewusst bleibt. Das überwiegend unbewusste Denken und Handeln prägt den Menschen fundamental, ohne dass er es im Einzelnen wahrnimmt und reflektiert oder gar kontrollieren kann. Es ist stattdessen von gedanklichen Deutungsrahmen, in der Fachsprache der Kognitionswissenschaften frames genannt, geprägt, die ohne unser Bewusstsein Sprache und Erfahrungen miteinander koppeln: „Wann immer unser Gehirn Worte und Ideen verarbeitet, aktiviert es dazu Wissen und Sinnzusammenhänge aus vorangegangen Erfahrungen mit der Welt“ (Wehling 2016, S. 21).
Abbildung 1: Objektive Erkenntnisprozesse (grün) und beeinflusste Erkenntnisprozesse (blau)
Die Studie untersucht an ausgewählten Textbeispielen, wie die ökonomische Standardbildung diese Verarbeitung und Aktivierung beeinflussen kann. Sie bemüht sich hierbei auch um einen interdisziplinären Austausch mit der Ideengeschichte und der Erkenntnistheorie. So soll aus unterschiedlichen Perspektiven sichtbar gemacht werden, welche Stilmittel bzw. rhetorische Figuren, die kaum zu erkennen sind, in den ökonomischen Standardlehrbüchern wirken und Wahrnehmung verändern können.
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In den untersuchten Lehrbüchern lässt sich aufzeigen, dass Formen der Beeinflussung unbewusster Wahrnehmungs- und Denkweisen zum Einsatz kommen. Sie stehen im Gegensatz zu dem Anspruch, Studierende in objektiv-wissenschaftlichen Erkenntnisweisen zu schulen. Vielmehr zielen diese Formen der Beeinflussung auf die Umbildung von surface frames ab, d.h. auf jene oberen Ebenen des Unbewussten, auf denen die Bedeutung einzelner Wörter und Begriffe stillschweigend vom Menschen erfasst wird. Sie richten sich zudem auf deep seated frames, also auf die tiefsitzenden unbewussten Ebenen, „die unser generelles Verständnis von der Welt strukturieren [und] unsere Annahmen von der Welt zum Beispiel auf Grund unse- rer moralischen und politischen Prinzipien, die für uns schlicht ‚wahr‘ sind“ (Wehling 2016, S. 73), festlegen.
Abbildung 1 zeigt die prinzipielle Wirkungsweise der unter- suchten Beeinflussungsformen: Unterhalb der Bewusstseins- schwelle, d. h. im Bereich passiver Intuitionen (den der Wirt- schaftsnobelpreisträger Daniel Kahnemann ‚System 1‘ nennt), zielen einzelne Beeinflussungsinstrumente darauf ab, jenen unreflektierten gesunden Menschenverstand (common sense) umzustrukturieren, mit dem wir Menschen normalerweise den- ken, ohne weiter darüber nachzudenken. Bezüge zum objekti- ven Denken (nach Kahnemann genannt ‚System 2‘) gehen da- bei in starkem Maße verloren. Zudem wird durch diese subtile Umstrukturierung das ökonomische Denken stillschweigend in ein kognitives Netzwerk eingebettet, das bis in die Tiefe grund- sätzlicher Weltanschauungen, Emotionen und Wertungen ragt. Eine Aufklärung über die in dieser Tiefe stattfindenden Veränderungsprozesse in den Denkstrukturen, die nur schwer wieder umzukehren sind, findet dabei nicht statt.
Tabelle 1 gibt einen exemplarischen Überblick über For- men der Beeinflussung, die in den untersuchten Beispieltexten auszumachen sind. Insgesamt fördern diese Formen eine kognitive Einbettung des Marktbegriffs in ideologische und politische Deutungsmuster (frames). Darüber hinaus begründen und verfestigen sie gedankliche Verbindungen zwischen abstrakten und semantisch entleerten ökonomischen Begriffen (wie Markt, Angebot und Nachfrage) einerseits und mechanistischen Konzepten andererseits, die das Automatische, Unabänderliche, ja Sachzwanghafte einer Situation suggerieren. Sowird das abstrakte ökonomische Denken an Erfahrungen angebunden, die der Sphäre des Ökonomischen selbst eigentlich fremd sind.
Formen der Beeinflussung |
Erläuterungen |
Beispiele (aus Samuelson/Nordhaus und Mankiw) |
Selektives Framing |
(Beständige) Hervorhebung bestimmter Ge- gebenheiten Wissens- und Erfahrungsgebie- te ohne Begründung. |
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Ideologisches und politisches Framing |
Unterschwellige Kopplung ökonomischer Begriffe mit Wertungen im politischen, ideo- logischen oder moralischen Sinne. |
freiwilligem Handeln, Demokratie, Wohlstand.
„Verge of Starvation“ und „Mortal Terror“. |
Appell an Autoritäten |
Förderung unreflektierter Zustimmung durch (ungerechtfertigte) Hinweise auf Vor- und Leitbilder, Autoritäten etc. |
„Erster“, „berühmteste“ und „scharfsinnig“. |
Verschweigen |
Schaffung einer Hypokognition (gleichsam eines gedanklichen Vakuums), d. h. „einer Nicht-Existenz oder den Wegfall von Ideen durch den Mangel an sprachlicher Umset- zung“. |
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Metaphorisches Mapping |
Weitgehend unbemerkbare Strukturierung des Denkens durch den Gebrauch unreflek- tierter Metaphern; Gebrauch von Metaphern als „kognitive Kuppler“ zwischen konkreter Welterfahrung und abstrakten Ideen. |
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Tabelle 1: Formen der Beeinflussung
Manipulation liegt vor, wenn Beeinflussung verdeckt, zielgerichtet und absichtsvoll erfolgt. Wendet man Kenntnisse der Kognitionswissenschaften und der Beeinflussungsforschung auf ökonomische Standardlehrbücher an, wird deutlich, wie sehr diese Bücher die Schwächen der Studierenden im Hinblick auf ihre Fähigkeit zur kritischen Reflexion ausnutzen. Die in der Studie skizzierten Beeinflussungsformen operieren auf der Ebene des Unbewussten: Sie können zu Veränderungen von tiefsitzenden Annahmen von Selbst, Welt und politischen wie moralischen Prinzipien führen, ohne dass die Studierenden sich dieser wesentlichen Transformation ihrer eigenen Subjektivität bewusst werden. Damit erfüllen die Beeinflussungsformen das Kriterium der (versuchten) verdeckten Einflussnahme. Die Frage, ob der Beeinflussung eine beabsichtigte Zielrichtung zugrunde liegt, gestaltet sich hingegen komplexer. Die Studie zeigt auf, dass diesbezüglich innerhalb des Neoliberalismus ein Diskurs existiert, der auf eine solche Orientie- rung im Allgemeinen schließen lässt. Es steht aber noch aus, im Detail zu zeigen, wie diese Orientierung konkret Einfluss auf die Entstehung und den permanenten Wandel ökonomischer Standardlehrbücher nehmen konnte.
Im Zusammenhang mit dem Verdacht, die ökonomische Standardlehre indoktriniere, wird häufig deren Nähe zur neoklassischen Theorie diskutiert. Betrachtet man diese Theorie ideengeschichtlich als eine am Wissenschaftsideal der Objektivität ausgerichtete Theorieströmung (die sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts nach dem Vorbild der reinen physikalisch-mathematischen Wissenschaften formierte), lässt sich zeigen, dass sie erkenntnistheoretisch gesehen kaum etwas mit den vorgenannten Beeinflussungsformen zu tun hat (vgl. erneut Abbildung 1): Die neoklassische Theorie verlangt von Ökonom_ innen, ein erfahrungsunabhängiges, also objektives Wissen an- zustreben, das keinerlei Spuren des Wissenden (persönlicher oder kultureller Art) mehr trägt und nur noch ein Wissen innerhalb rein formaler, weltferner Strukturen fokussiert. Dieses Wissen stellt ein Ergebnis bewusster, meist mathematischer Denkprozesse dar, die ein hohes Maß an Kontrolle und Können des Verstandes verlangen; einer unbewusst bleibenden Trans- formation persönlicher Identität bedürfen diese Denkprozesse aber nicht.
Daraus folgt, dass die analysierten Beeinflussungsinstrumente ökonomischer Standardlehrbücher sich nicht durch (stillschweigende) Behauptungen rechtfertigen lassen, dass sie für die Vermittlung einer objektiven Wissenschaft notwendig seien. Im Gegenteil weichen sie eklatant von wissenschaftlichen Bildungserfordernissen ab. Es wird aber auch deutlich, dass die neoklassische Theorie aufgrund ihrer Distanzierung zur menschlichen Erfahrung wenig helfen kann, sich über Beeinflussungsformen in der ökonomischen Bildung aufzuklären. Hierfür bräuchte es die Befähigung zu bewussten erfahrungsabhängigen Erkenntnisweisen, welche diese Distanzierung systematisch abbauen und zugleich das vormals Unbewusste auf die Ebene reflektierter Erkenntnis heben können.
Zukünftig gilt es, solche Formen der (Selbst-)Aufklärung durch die Erstellung weiterer beispielhafter Analysen und überblicksartiger Zusammenstellungen etc. zu stärken. Dabei sollten nicht nur Standardwerke der Hochschullehre im Fokus stehen, sondern auch und gerade Unterrichtsmaterialien an Schulen. Denn erste Sichtungen und Einschätzungen dieses Materials zeigen, dass auch hier ähnliche Problematiken vorliegen können. Eine weitere Aufgabe wird sein, Formen der ökonomischen Bildung jenseits erfahrungsabhängiger, unbewusster Beeinflussung einerseits und dem erfahrungsunabhängigen, bewussten Wissenschaftsideal der Objektivität andererseits zu entwickeln und zu etablieren. Diese Form der Erkenntnispluralität wird für Hochschulen wie für Schulen gleichermaßen von Bedeutung sein.
Über die Autorin: Prof. Dr. Silja Graupe - Vizepräsidentin der Cusanus Hochschule und Professorin für Ökonomie und Philosophie.