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Lukas Bäuerle und Silja Graupe
Erstveröffentlichung im Makronom
Eine erfolgreiche Wirtschaftstransformation hängt von einer Veränderung der ökonomischen Praktiken der Akteure ab. Die „Spirale transformativen Lernens“ identifiziert, welche Fähigkeiten dafür entscheidend sind.
Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt. Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.
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Im Folgenden gehen wir von einer einfachen, aber alles entscheidenden Feststellung aus: Da die Wirtschaft von Menschen gemacht wird, besteht die Transformation ihrer Institutionen im Wesentlichen darin, dass Wirtschaftsakteure etwas Neues tun. Das heißt: Eine erfolgreiche Wirtschaftstransformation hängt ̶ unabhängig vom spezifischen Ziel ̶ von einer Veränderung der ökonomischen Praktiken der Akteure ab. Erforderlich ist eine völlige Erneuerung des derzeitigen Modells wirtschaftlichen Handelns, das auf der Trennung von Denken, Handeln und Sein und der daraus resultierenden Unfähigkeit zu kreativem Handeln in einer zunehmend komplexen Welt beruht.
Dazu haben wir kürzlich eine eigene Theorie transformativen Lernens in Form der Spirale transformativen Lernens vorgestellt, in der neun entscheidende Fähigkeiten für transformatives Handeln identifiziert werden. Das Framework wurde so gestaltet, dass es in verschiedenen Bereichen der Transformation eingesetzt werden kann. In diesem Beitrag gewähren wir einen Einblick, wie wir das Framework auf den wirtschaftlichen Bereich und seine spezifischen Herausforderungen übertragen, indem wir neun sogenannte Transformative Economic Capabilities (TECs) skizzieren. Dies wurde durch eine Untersuchung standardökonomischer Bildung entlang der zentralen Felder unserer Theorie transformativen Lernens entwickelt: neu sein, neu denken und neu handeln. Zusammengenommen bietet der TEC-Ansatz einen umfassenden Rahmen, der für ein entsprechendes Handeln in bestimmten Bereichen der Großen Transformation geeignet ist.
In einem akteurszentrierten Ansatz der Wirtschaftstransformation kann institutionelle Transformation als Selbst-Transformation reformuliert werden. Durch ihre (innovierenden und exnovierenden) Praktiken verändern sie sich sowohl selbst als auch soziale Strukturen. Die dafür nötigen Fähigkeiten werden unter dem Begriff des neu Seins subsumiert (capabilities 1-3). Wie auch bei den anderen Aspekten des neu Denkens und neu Handelns geschieht dieses neu Sein den Akteuren nicht nur, sondern kann von ihnen proaktiv in eine gewünschte Richtung gestaltet werden.
Darstellung des Paradigmenwechsels, der mit der Fähigkeit 1 einhergeht. Die übrigen Grafiken finden sich in einem in Kürze erscheinenden Grundlagenartikel zu unserem TEC approach.
Der erste und einfachste Schritt auf dem Weg zur ökonomischen Transformation besteht darin, unsere Lebenswelt ernst zu nehmen, indem man sie nicht mehr als Ausdruck „brutaler Wahrheiten“ (Samuelson & Nordhaus) begreift, die stillschweigend hinter den Kulissen herrschen. Die einfache Veränderung der Wahrnehmung, die wir vorschlagen, besteht darin, dass es „hinter“ dem Planeten A keinen Planeten B gibt, sondern unbegrenzte Möglichkeiten, unsere Lebenswelt zu interpretieren und sich zu ihr in Beziehung zu setzen.
Wir plädieren nicht dafür, den alten (z.B. neoliberalen) Planeten B durch einen neuen (z.B. sozial-ökologischen) Planeten B oder C oder X zu ersetzen. Die übrigen capabilities beschreiben vielmehr eine Reihe von Beziehungen zum Planeten A, die wir für unverzichtbar halten, um unsere wirtschaftlichen Beziehungen auf und zu ihm zu verändern. In einem grundlegenden Sinne gibt es nur eine Arena der Wirtschaftstransformation, auch wenn sich diese Arena auf unterschiedlichste Weise in verschiedenen Situationen, Beziehungen und Möglichkeiten manifestiert. Transformation ist kein Brettspiel, sondern findet in und mit dem phänomenalen Umfeld statt, in das wir als Menschen untrennbar eingebunden sind. Für change agents bedeutet das, dass sie, anstatt „von Nirgendwo“ (Thomas Nagel) zu schauen, damit beginnen, im Hier und Jetzt zu sein und zu handeln.
Nach dem ersten Schritt, sich wieder auf die Lebenswelt zu beziehen, stellt sich die Frage nach den spezifischen Qualitäten dieser Beziehung. Die Auseinandersetzung mit Planet A kann sich auf unterschiedliche Weise entfalten und impliziert immer auch unterschiedliche Vorstellungen von Identität. Als eine tragfähige Konzeption des Selbst, das nachhaltige Gesellschaften im 21. Jahrhundert inspirieren kann, hat Charles Eisenstein das Konzept des interbeing eingeführt. Ein „interbeing self“ nimmt sich selbst als untrennbar mit dem Rest der Welt verbunden wahr – das Andere ist nicht außerhalb, sondern innerhalb. Prominentes Beispiel dafür sind andere Menschen, denen ein Individuum im Laufe seines Lebens begegnet.
Nach unserem Verständnis erstreckt sich diese Koexistenz des Selbst auch auf die ökologischen Aspekte der Lebenswelt. Anstelle eines distanzierten Egos, das die Welt aus der Ferne kontrolliert, schlagen wir eine interrelationale Konzeption des Selbstseins für Akteure der Transformation vor. Während man davon ausgehen könnte, dass Menschen ohnehin miteinander verbunden sind, ob sie es wollen oder nicht, sollten Transformationsakteure darüber ein Bewusstsein ausbilden. Nur so wird es ihnen möglich, die innere Verbindung von Selbsttransformation und institutioneller Transformation bewusst zu nutzen. Dies führt uns zu Fähigkeit 3.
Nachdem sie gelernt haben, sich auf die Lebenswelt zu beziehen und sich als (transformativen) Teil dieser Welt zu begreifen, stellt sich die entscheidende Frage, in welche Richtung diese Beziehung entwickelt werden soll. Transformative Wirtschaftsakteure können ihrer Verflechtung in der Wirtschaft einen Sinn oder Zweck zuschreiben. Aus einer transformativen Perspektive kann der Zweck des wirtschaftlichen Handelns auch als Vektor des innovativen Unterfangens betrachtet werden. Anstatt nach einem festen Bild zu handeln, können diese Akteure einen zielgerichteten Kompass entwickeln, der sie durch eine zunehmend komplexe, manchmal chaotische Welt führt. Die Schaffung und Aufrechterhaltung eines Zwecks für das eigene wirtschaftliche Handeln ist daher von zentraler Bedeutung für die Wirksamkeit transformativen wirtschaftlichen Handelns. Change agents können die Frage beantworten, warum sie wirtschaftlich handeln, wie sie diesen Zweck verfolgen und was sie deswegen alltäglich tun. Sie haben also eine klare Vorstellung davon, welche Spuren sie in der ökonomischen Realität auf mehreren Ebenen hinterlassen wollen.
Wenn es um die Qualität der Transformation ökonomischer Praktiken geht, wird immer wieder das Programm des libertären Paternalismus herangezogen. Dieser Ansatz wirft nicht nur ethische Fragen auf, sondern untergräbt unseres Erachtens auch das transformative Potenzial, das sich aus einer emanzipatorischen Auffassung der Wirtschaftstransformation ergibt. Was wir vorschlagen, ist eine Verschiebung von der Rolle der Akteure als „informierte Elemente“ oder „choice architects“ zu reflektierenden Akteuren als treibende Kraft in einem demokratischen Prozess. Dies setzt voraus, dass sie in der Lage sind, über ihr eigenes wirtschaftliches Handeln sowie über den gesamten Wirtschaftsprozess nachzudenken, und zwar im Hinblick auf den Status quo, ihre potenzielle Zukunft und die transformativen Brückenköpfe, die Aktualität und Potenzialität verbinden. Neu denken (capabilities 4-6) ist daher zentrale Voraussetzung für eine auf die Freiheit der Akteure setzende Vorstellung der Wirtschaftstransformation.
Die Wirtschaft ist grundsätzlich in Gesellschaft und Natur eingebettet und mit ihnen verflochten. Was auf den ersten Blick als offensichtliche Tatsache erscheint, ist in Wirklichkeit eine Neuigkeit für jeden, der eine standardökonomische Ausbildung durchlaufen hat, in der die Wirtschaft immer noch als ein autarker, harmonisch funktionierender Marktmechanismus vorgestellt wird. Hier wird der Bereich des wirtschaftlichen Handelns als eine selbstreferentielle Sphäre gefasst, die von rein ökonomischen Variablen und Einheiten getrieben wird. Die Fähigkeit, Wirtschaft im 21. Jahrhundert zu transformieren, hängt entscheidend von der Fähigkeit ab, die sozio-ökologischen Zusammenhänge des wirtschaftlichen Handelns insgesamt sowie die Pluralität des wirtschaftlichen Handelns und ihrer Institutionen als solche zu begreifen. Die in capability 2 entwickelte interrelationale Darstellung des Selbst spiegelt sich daher in einer eingebetteten Auffassung der Wirtschaft wider. Gegenwärtig kann Kate Raworths Doughnut Economy als der umfassendste und mithin erfolgreichste Ansatz zur Neudefinition des Gesamtbildes der Wirtschaft angesehen werden.
Neben einem grundsätzlichen Verständnis der Wirtschaft als eingebettetem und vielfältigem Prozess stellt sich die Frage nach dem jeweiligen Wissen, das es den Transformationsakteuren ermöglicht, die Spezifität ihrer ökonomischen Handlungskontexte zu erfassen. Standardökonomische Bildung stellt diese Frage nicht einmal, geschweige denn, dass sie sie beantwortet. Vielmehr führt sie vereinfachende Vorstellungen davon ein, was „die Wirtschaft“ ist, und wendet diese Begriffe auf alle möglichen Phänomene an, von der Arbeit über die Bildung bis hin zum Tod.
Der Einfluss dieser „geistigen Monokultur” ist nicht nur intellektuell, sondern entfaltet sich auch in der Praxis und führt zu einer Ökonomisierung aller möglichen sozio-ökologischen Bereiche. Wir schlagen hingegen vor, Wirtschaftsakteure mit einer großen Pluralität von Konzepten auszustatten, die es ihnen ermöglichen, den ökonomischen Phänomenen reflexiv gerecht werden zu können. Entscheidend ist, dass sich ein solches Wirtschaftswissen nicht auf eine Reihe geschlossener Glaubenssysteme (etwa in der Form wissenschaftlicher Paradigmen) konzentriert, sondern auf konkrete Phänomene, die intellektuell (und praktisch) zu bewältigen sind. Nicht die Interpretation, sondern das Interpretierte (das zu Transformierende) genießt in unserem Ansatz den Vorrang. Und sie erfordert zweifellos die Integration von interpretativen Ressourcen, die weit über die Tradition der (monistischen oder auch pluralen) Wirtschaftswissenschaften hinausgehen. Interdisziplinäres (z.B. Sozialphilosophie, Ethik, Wirtschaftssoziologie oder Anthropologie) und transdisziplinäres Wissen (z.B. Erfahrungswissen von Akteuren, citizen science) sind interpretative Ressourcen, über die change agents verfügen müssen.
Auf gesellschaftlicher oder makroökonomischer Ebene ist das einzige Ziel wirtschaftlichen Handelns und von Wirtschaftspolitik heute nach wie vor Wachstum, gemessen in Geld. Dieses Ziel ist so tief in unseren Institutionen und Diskursen verankert, dass es regelrecht notwendiger Natur zu sein scheint. Wie unzählige Beispiele zeigen, wurde die Fixierung auf dieses einzige Ziel zu unwiederbringlichen sozialen und ökologischen Kosten erkauft, d.h. um den Preis anderer möglicher, aber vernachlässigter Ziele. Deshalb ist es von entscheidender Bedeutung, die Frage ökonomischer Ziele neu zu stellen: Was ist wünschenswert, nicht nur auf individueller Ebene (wie in capability 3), sondern auch auf gesellschaftlicher Ebene, oder aber wenn man ökonomisches Handeln von der Warte ungeborener Generationen oder nichtmenschlicher Lebewesen betrachtet?
In demokratischen Gesellschaften muss die Definition ökonomischer Ziele ein ständiges Thema sein und aus deliberativen Prozessen resultieren. Daher muss auf gesellschaftlicher Ebene die Fähigkeit, wirtschaftliche Ziele zu entwickeln, mit demokratischen Fähigkeiten einhergehen, die es den Wirtschaftsakteuren ermöglichen, sich an demokratischen, friedlichen Prozessen zu beteiligen, in denen über die Ausgestaltung ökonomischer Institutionen und Praktiken diskutiert und entschieden wird.
Eine nachhaltige und gerechte Wirtschaft wird nur durch entsprechende, sozial resonante Praktiken zum Leben erweckt. Wenn die Nutzung von gentechnisch veränderter und monokulturbasierter Landwirtschaft als zerstörerisch angesehen wird, dann helfen weder die Fähigkeiten, über nachhaltige Alternativen nachzudenken oder sich neu auf sich selbst und die Welt beziehen zu können, allein weiter. Letztlich müssen die gelebten Praktiken der Landbewirtschaftung geändert werden. Die Verwirklichung von transformativem Handeln ist der einzige Weg, um leere Versprechen zu vermeiden. Neu Denken und neu Sein sind jedoch sowohl Voraussetzung als auch Nebenprodukt eines jeden Transformationsprozesses. Eine erfolgreiche Transformation hängt daher von der Verknüpfung aller drei Bereiche in Bezug auf ein bestimmtes Problem ab.
Das Praxisverständnis, das vorwiegend mit einem distanzierten und entbetteten Selbst- und Weltbild verbunden ist, ist das der Kontrolle und/oder Manipulation. Das distanzierte Ich erhebt sich über den zu untersuchenden oder zu verändernden Prozess und greift von dieser distanzierten Position aus in ihn ein. Ein auf diese Weise konzipierter change agent ist nicht selbst Teil des Prozesses, sondern eher ein Außenstehender, der das soziale Leben aus der Ferne betrachtet.
In dem hier vorgestellten Rahmen besteht eine erste praktische Fähigkeit darin, mit anderen Akteuren direkt und gleichberechtigt interagieren zu können. Nachdem man den Elfenbeinturm verlassen hat, erscheint die Welt nicht mehr als Objekt der Kontrolle, sondern als Arena der wechselseitigen Interaktion. Das bedeutet nicht, dass alle die gleichen Erfahrungen machen. Innovation, wie sie in modernen Gesellschaften durch Arbeitsteilung ermöglicht wird, spielt bei der Umgestaltung der Wirtschaft eine entscheidende Rolle. Die zentrale Aufgabe wird jedoch darin bestehen, das Wissen und die Fähigkeiten von Wissenschaftler:innen, Führungskräften, Arbeitnehmer:innen, Bürger:innen, Aktivist:innen usw. im Hinblick auf die anstehende Transformationsaufgabe zu integrieren, also den Spielraum für die Kombination unterschiedlichster Ressourcen für den wirtschaftlichen Wandel radikal zu erweitern. Die Fähigkeit, auf friedliche Weise ko-kreativ zu gestalten, zu diskutieren und zu entscheiden, ist kein Nebenschauplatz des Wirtschaftsprozesses, sondern die Voraussetzung dafür, dass er sich im Einklang mit grundlegenden Menschenrechten aller Beteiligten entfalten kann.
Gelebte Zusammenarbeit ist letztlich auf ein Drittes bezogen und ausgerichtet: die jeweilige Arena ökonomischer Transformation. Hier entfaltet sich transformatives Handeln und hier kann und soll sein (Miss-)Erfolg in Bezug auf die gegebenen Transformationsherausforderungen, wie sie z.B. im Rahmen der Agenda 2030 entwickelt wurden, bewertet werden.
Unabhängig von den zu lösenden Problemen besteht der Paradigmenwechsel, den wir mit capability 8 einleiten wollen, darin, wirtschaftliche Entwicklung stets konsequent an realen Problemen und entsprechenden Zielen auszurichten. Wenn heute Menschen in wirtschaftlichen Belangen geschult werden, lernen sie i.d.R. abstrakte Probleme in abstrakten Umgebungen zu lösen. Capability 8 zielt stattdessen darauf ab, change agents in die Lage zu versetzen, ein Problem wahrzunehmen, es aus verschiedenen Blickwinkeln zu bewerten, zu seinem Kern vorzudringen und gemeinsam mit anderen mögliche Lösungen dafür zu entwickeln. Der ultimative Schauplatz einer gelingenden Wirtschaftstransformation ist eine veränderte Realität – etwa ein Ende des Hungers bis 2030 oder der wirksame Schutz biologischer Vielfalt im Rahmen von Wirtschaftstätigkeit – und nicht die Reproduktion eines bestimmten Wissenskanons.
Eine der wirkungsvollsten Thesen im Bereich der Wirtschaftsethik ist immer noch die von Milton Friedman: „Die soziale Verantwortung der Wirtschaft ist es, ihre Gewinne zu erhöhen!“ Wirtschaftsakteure sollten sich demnach allein auf ihre pekuniären Interessen konzentrieren. Die ethische Reflexion über wirtschaftliches Handeln wird beendet, bevor sie überhaupt begonnen hat, und die Akteure werden zu einer endlosen und zunehmend unbewussten Reproduktion des von der Doktrin vorgegebenen Zwecks delegiert.
Heute wissen wir, dass eine solche Vorstellung von wirtschaftlicher Verantwortung nicht nur illusorisch, sondern äußerst gefährlich ist. Künftige Wirtschaftsakteure müssen in der Lage sein, Verantwortung für alle Aspekte ihres miteinander verknüpften Handelns zu übernehmen. In einer zukunftsfähigen Wirtschaft sind Akteure dazu fähig, ihr Handeln und die Folgen dieses Handelns in den Bereichen, die sie verändern wollen, selbstkritisch zu bewerten. Wie bei allen oben genannten Fähigkeiten ist auch diese Verantwortung nicht an abstrakte Vorstellungen vom „Guten“ gebunden, sondern letztlich an die Beziehung zwischen Akteur:innen und dem sozio-ökologischen Umfeld, in dem sie sich entfaltet. Es gibt keinen absolut „guten“ oder „wahren“ Zustand, den es zu erreichen gilt, sondern einen normativ aufgeladenen, sich entfaltenden Prozess der Realisierung von „Wirtschaft“. Daher wird die ethische Bewertung dieses Prozesses mit Capability 9 zu einem integralen Bestandteil des Prozesses selbst, der ständig zwischen Aktion und (ethischer) Reflexion über die Aktion oszilliert.
In diesem Beitrag wurden neun Transformative Economic Capabilites vorgestellt, die wir für die laufenden Transformationsbemühungen des 21. Jahrhunderts für entscheidend halten. Sie umfassend ernst zu nehmen heißt auch, ihre institutionelle Umsetzung vorzudenken. Wenn man die gelebten Freiheiten menschlichen Handelns in den Mittelpunkt der ökonomischen Entwicklung stellt, sollte es nicht überraschen, dass eine entsprechende Bildung zu den entscheidenden institutionellen Voraussetzungen für einen nachhaltigen Wandel zählt. In diesem Zusammenhang sollte man sich an die Ausführungen von Sen erinnern:
„the ability to exercise freedom may, to a considerable extent, be directly dependent on the education we have receive, and thus the development of the educational sector may have a foundational connection with the capability-based approach“.
Wie wir in Bezug auf jede einzelne Transformationsfähigkeit gezeigt haben, erfordert dies für den Bereich der Wirtschaft einen tiefgreifenden Paradigmenwechsel in der ökonomischen Bildung. In einer Wirtschaft, in der Handlungsfreiheit im Sinne von Sen noch nicht für alle etabliert und gesichert ist, bergen entsprechende Studiengänge oder ganze Bildungsinstitutionen, die es den Menschen ermöglichen, ihre ökonomischen Lebenswelten immer weiter zu transformieren, ein entscheidendes Potenzial zur Erweiterung der Chancen für alle. Wenn dieses Potenzial tatsächlich gelebt wird, statt ein fatales business as usual zu vertiefen, kann ökonomische Bildung zu einer der wichtigsten Institutionen der sozialen Erneuerung und ökologischen Nachhaltigkeit werden.
Zu den AutorInnen:
Lukas Bäuerle forscht zu einer praxeologischen Grundlegung der Ökonomik, zu ökonomischer Bildung und zur Rolle der Wirtschaftswissenschaften in gesellschaftlichen Transformationsprozessen. Gemeinsam mit anderen gründete er u.a. das Netzwerk Plurale Ökonomik und die Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung. Er promovierte an der Europa-Universität Flensburg.
Silja Graupe ist Professorin für Ökonomie und Philosophie und Präsidentin der Cusanus Hochschule für Gesellschaftsgestaltung in Koblenz, zu deren Gründer:innen sie gehört. Mit ihrer Forschung und Lehre fördert sie den Mut der Menschen, den Voraussetzungsboden ihrer wirtschaftlichen Gewohnheiten verstehen zu lernen, um in dieser Tiefe Formen und Möglichkeiten der Neugestaltung entwickeln zu lernen. In öffentlichen Interventionen, Vorträgen und Stellungnahmen unternimmt sie den so wichtigen Brückenschlag zwischen Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die von ihr geleitete Initiative „Die Wirtschaft von Morgen“ steht beispielhaft dafür