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Nach der Krise im Westen ist vor der Krise in der „Peripherie“. Die Finanzkrise 2008 begann im Epizentrum der westlichen Welt, Wall Street, New York. Mit der Insolvenz der Investmentbank Lehman Brothers schwappte die Krise bis nach Europa und Asien, was auf die Realwirtschaft große Folgen hatte; so ging in der Eurozone die Industrieproduktion um rund 20 % zurück. Um die daraus resultierende Arbeitslosigkeit v.a. im Automobilsektor abzufedern, wurden umfangreiche Konjunkturpakete auf den Weg gebracht. In Deutschland waren dies Konjunkturpaket I (2008) und II (2009), letzteres mit einem Umfang von rund 50 Mrd. Euro Direktinvestitionen, einschließlich der „Abwrackprämie“ für Autos. Von diesen Maßnahmen profitieren überproportional mehr Männer als Frauen. Diese Konjunkturpolitik war vor allem auf die Bewältigung einer kurzfristigen Rezession ausgerichtet. Die frauendominierten Bereiche (v.a. Erziehung, Pflege, öffentliche Verwaltung) hingegen erhielten keine Finanzspritzen, obwohl diese zeitversetzt von der Krise betroffen waren und sind. Die Krisenbewältigungsstrategie der Bundesregierung fokussierte sich stattdessen auf „produktive“ verarbeitende Industrien.
Auf diese Krise folgte eine Übertragung der Schulden auf die Haushalte der Staaten. Aus der Finanzkrise des Westens wurde eine Schuldenkrise der Peripherie. Der Fokus der Öffentlichkeit wurde von vermeintlich komplizierten und undurchsichtigen Akteur*innen der Finanzkrise in New York, London und Frankfurt auf die „Peripherie“ Europas gelenkt. Die Krisenrhetorik verschob sich von gierigen Bankern hin zu „Pleitegriechen“, südeuropäischen Staaten wie Italien, Spanien, Portugal, die keine Haushaltsdisziplin besäßen und sich selbstverschuldet in diese Situation gebracht hätten. Griechenland wurde stellvertretend als „das Andere“ konstruiert, bei dem dringende Notwendigkeit zur Intervention bestand, um das Land unter Aufsicht der Troika wieder auf den Pfad der Normalität zurückzuführen. Nach der Euphorie zu Zeiten des EU Beitritts und gerade Griechenlands Geschichte als Wiege, ja geradezu Inbegriff Europas, war dieser Ausschluss in die Peripherie umso paradoxer. Innerhalb der Europäischen Union gilt die „Wirtschaftskultur“ Deutschlands als Benchmark für die anderen Volkswirtschaften. Wenn nur alle Länder Nettoexporteure wären, dann gäbe es wohl keine Schuldenkrise mehr!
Neokolonialismus bezeichnet eine Politik von globalisierten Unternehmen und ökonomischen Regulationsinstitutionen, um Länder wirtschaftlich und politisch abhängig zu machen und die dortigen Verhältnisse zu beeinflussen, ohne sie wie im Kolonialismus unter militärische Kontrolle zu stellen.
Schulden, die im Zuge einer Krise von Staaten zwangsläufig aufgebaut wurden, fungieren somit als Herrschaftsinstrument für die Gläubigerländer. Besonders Deutschland, engagiertester Prediger einer „Haushaltsdisziplin“, schöpfte ganz direkt Ressourcen ab: So hat Fraport, deutsches Staatsunternehmen, 2015 Verträge zum Betrieb von 15 gerade privatisierten Regionalflughäfen in Griechenland unterzeichnet. Der Hafen von Thessaloniki wurde 2017 von einer Investorengruppe mit deutscher Beteiligung übernommen. Mit Einnahmen aus Privatisierungen soll Griechenland sich also selbst retten, während Deutschland im Gegenzug günstig Investitionsobjekte übernehmen kann - eine Win-Win Situation. Die Maßnahmen zur Lösung der Schuldenkrise unterschieden sich fundamental von den oben beschriebenen Konjunkturpaketen. Während man nach 2008 eine durchaus stimulierende Wirtschaftspolitik beobachten konnte, waren vor allem Sparmaßnahmen im öffentlichen Sektor und Privatisierungen nun das Mittel der Wahl.
Als Folge von Einsparungen bei Transferleistungen sowie Rentenkürzungen hat sich die Beschäftigung von Frauen erhöht. Durch die hohen Arbeitslosenzahlen in ’Krisenländern’ sind Familien auf jeden Zuverdienst angewiesen. Die Lücke zwischen Männern und Frauen wird kleiner, allerdings ist dies eine Entwicklung nach unten; prekäre Arbeitsverhältnisse und schlechte Bezahlung im Zuge der Krise erfasst nun auch Männer. Gerade Sparpolitik im Care-Bereich hat fatale Auswirkungen bei gleichzeitig einer zunehmender Nachfrage durch eine erhöhte Berufstätigkeit von Frauen. Während die EU sich seit Gründung Gleichstellungszielen verschrieben hat, sind diese Ideale und Maßnahmen völlig in den Hintergrund gerückt. Bei Kürzungen vor allem im öffentlichen Sektor spielten Gender-Aspekte keine Rolle, obwohl in diesem Bereich überproportional viel Frauen arbeiten (Rubery 2015). Im Gegensatz zu den Reaktionen auf die Finanzkrise in Staaten wie Deutschland und den USA wurden in der Schuldenkrise in Südeuropa kein Geld in die Hand genommen, um die Auswirkungen auf Betroffene abzufedern, sondern im Gegenteil gerade dort die Situation verschlimmert.
Wo hört die Krise auf? Mit der Beendigung dieser Abhängigkeitsverhältnisse, einem Schuldenerlass, müsste nicht nur die Bundesregierung Milliarden in ihren Bilanzen abschreiben, sondern auch die Kontrolle abgeben. Dass gerade die Sparpolitik der letzten Jahre sehr negative Auswirkungen auf die wirtschaftliche und gesellschaftliche Situation in Griechenland hatte und hat, lässt diese harte Haltung umso irrationaler erscheinen. Es besteht eher ein Interesse daran, den Krisenzustand hinauszuzögern und als ständigen Schreckenszustand beizubehalten.
Die Stickeraktion wurde von der Gruppe Was ist Ökonomie? initiiert und für das Netzwerk Plurale Ökonomik erstellt. Vielen Dank für die finanzielle Unterstützung des Projekts an das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.
1. Wann kommt die nächste Krise, Herr Professor*?
2. Grenzenloses Kapital? Grenzenlose Arbeit? Grenzenlose Freiheit?
3. Markt United vs. FC Staat: Wer gewinnt?
5. Ein Ökonom kommt in eine Krise: Was tut er?
6. Mit neuem Nationalismus aus der Wirtschaftskrise?
7. Mit Green Growth die Welt retten?
9. Hat Griechenland Schuld(en)?
10. Wie viele Theorieschulen gibt es eigentlich in der VWL?
11. Werde ich durch das VWL Studium egoistischer?
12. Ist der repräsentative Agent männlich oder weiblich?
13. Was ist mit ökonomischen Inhalten, die nicht in Matheformeln passen?
14. Wieso sehen meine VWL-Professor*innen auch dort Gleichgewichte, wo keine sind?
15. Hat Geld wirklich keinen Einfluss auf die reale Wirtschaft?
16. Wieso nimmt mein VWL-Professor andere Sozialwissenschaften nicht ernst?
17. Wie funktionieren eigentlich andere Wirtschaftssysteme?
18. Warum sind meine VWL-Professoren fast nur männlich?
19. Wieso kennen meine VWL-Modelle keine Geschichte?
20. Studiere ich VWL oder Neoklassik?
Rubery, Jill (2015 ) Austerity and the future for gender equality in Europe. ILR Review, 68(4), 715–741.