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Maximilian Heimstädt, Leonhard Dobusch
Die zunehmende Digitalisierung von Lernmaterialien verstärkt bereits bestehende Problemfelder: Zum einen verschlechtert sich das in den letzten Jahren ohnehin angespannte Verhältnis von geltendem Urheberrecht und alltagsdidaktischer Praxis. Die sich wandelnde Technik macht die digitale Verbreitung, Veränderung und die Wiederaufbereitung bestehender Materi- alien immer einfacher. Lehrer_innen und Schüler_innen bewegen sich damit jedoch oft in rechtlichen Graubereichen oder sogar außerhalb der Grenzen des Urheberrechtes.
Des Weiteren stehen Lehrer_innen in den vergangenen Jahren einer stetig anschwellenden Flut kostenloser, aber ungeprüfter Onlinematerialien aus dem Internet gegenüber. Nicht selten sind vor allem Bildungsmedien wirtschaftsnaher Anbieter nicht neutral und von minderwertiger Qualität.1 Besonders für (sozio-)ökonomische Lehrinhalte stellt dies eine Gefahr für das Kontroversitätsgebot in der schulischen Lehre dar, das die Möglichkeit der Abwägung gegensätzlicher Positionen verlangt.
Ein vielversprechender Lösungsansatz für die geschilderten Probleme ist die systematische Förderung von lizenzfreien Materialien, den Open Educational Resources, durch die (Bil- dungs-)Politik in NRW. OER sind „Lehr-, Lern- und Forschungsressourcen in Form jeden Mediums, digital oder anderweitig, die gemeinfrei sind oder unter einer offenen Lizenz veröffentlicht wurden, welche den kostenlosen Zugang, sowie die kos- tenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Andere ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen erlauben“.
Durch den Einsatz von OER löst sich der hochgradig unsichere Status quo, in dem Lehrer_innen und Schüler_innen bei alltäglichen Urheberrechtsverletzungen entweder auf das wohlwollende ,Weggucken‘ der Verlage angewiesen sind oder indem sie auf innovative Praktiken und den digitalen Austausch von Lernunterlagen einfach verzichten. Staatlich geprüfte OER-Schulbücher vereinfachen die digitale Handhabung und bedeuten gleichzeitig, dass der Flut an mangelhaftem kostenlosem Onlinematerial qualitativ hochwertiges kostenloses Onlinematerial entgegengestellt wird.
Die Einführung von OER-Schulbüchern würde entlang der Wertschöpfungskette von Schulbüchern eine Reihe von Veränderungen erfordern. Eine zentrale Stellschraube der (Bildungs-) Politik in NRW wäre hierbei die Entwicklung neuer Finanzierungsmodelle bzw. eine Änderung der Rahmenbedingungen, um zu ermöglichen, dass Schulen ihr Lernmittelbudget nicht mehr nur für die Refinanzierung eigener, schulgebundener (proprietärer) Bücher verwenden können, sondern auch für die Vorfinanzierung offener Bücher.
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Basierend auf dieser Diagnose formulierte die Studie folgende Forschungsfrage: Welche Möglichkeiten gibt es, OER-Schulbücher für den (sozio-)ökonomischen Unterricht in NRW zu fördern? Die Beantwortung der Forschungsfrage geschah in zwei Arbeitsphasen. In der ersten Phase wurden vorhandene Studien ausgewertet, die nicht nur OER, sondern auch die Lehr- und Lernmittelerstellung sowie deren Finanzierung im Allgemeinen betreffen. In dieser Phase konnte zudem auf vorhergehende Arbeiten der Autoren zurückgegriffen werden, vor allem auf eine Machbarkeitsstudie für lizenzfreie Materialien in Berlin4 und auf eine Vergleichsanalyse (Benchmarking) von OER in den 16 deutschen Bundesländern. In der zweiten Phase wurden 18 problemzentrierte Interviews mit Vertreter_innen zentraler Akteursgruppen rund um das Schulbuch in NRW geführt. Aus der Dokumentanalyse und den Interviews wurden – auch aufbauend auf ähnlichen Studien in anderen Kontexten6 – sechs Handlungsszenarien zur Förderung von OER-Schulbüchern durch die (Bildungs-)Politik in NRW entwickelt.
Szenario A: Keine zusätzliche Förderung von OER. In diesem Szenario regt die (Bildungs-)Politik in NRW keine weiteren Maßnahmen zur Förderung von OER-Schulbüchern an. Auch ohne Förderung der OER-Idee auf Landesebene wird der Be- stand an OER langsam, aber stetig wachsen. Grund dafür sind Förderlinien für OER, digitale Bildung und Medienkompetenz in anderen Bundesländern und auf Bundesebene sowie das ehrenamtliche Engagement der bestehenden OER-Community. Die Autoren halten dieses Szenario für nicht empfehlenswert, da sich bei einer ausbleibenden systematischen Förderung von OER die bestehenden Probleme verstärken können.
Szenario B: Öffentliche Ausschreibung von Pilot-OER-Büchern. In diesem Szenario weitet die (Bildungs-)Politik in NRW die bestehende vereinzelte Förderung von Pilotprojekten zu OER-Schulbüchern stark aus. Durch öffentliche Ausschrei- bungen werden deutlich mehr OER-Schulbücher zu verschiedenen Fächern vorfinanziert und dadurch weiteres Wissen rund um die Produktion und Nutzung von frei lizenzierten Schulbüchern aufgebaut. Vorbild für dieses Szenario ist unter anderem Norwegen, wo seit 2006 ca. 20 Prozent des Schulbuch-Budgets, das sind 8.2 Millionen Euro, in die Entwicklung von OER-Materialien investiert werden und damit sukzessive der OER-Bestand erhöht wird. Die Autoren halten dieses Szenario für sehr emp- fehlenswert, da es niedrige Umsetzungshürden aufweist und unmittelbar an erfolgreiche OER-Projekte anschließt.
Szenario C: Nutzungsbasierte Refinanzierung von OER-Schulbüchern. In diesem Szenario erfolgt die öffentliche Förderung von OER-Schulbüchern nicht durch eine komplette Vorabfinanzierung, sondern teilweise nutzungsabhängig. Die (Bildungs-)Politik in NRW setzt hierbei einen finanziellen Anreiz für die Erstellung von OER-Schulbüchern, die erfolgreich die Schulbuchzulassung durchlaufen haben und in der schulischen Praxis auch tatsächlich zum Einsatz kommen. Die Höhe des Anreizes wird anhand der in Umfragen ermittelten Nutzungshäufigkeit von OER-Büchern im Unterricht bemessen. Die Autoren halten dieses Szenario für grundsätzlich sehr wirksam, allerdings zum jetzigen Zeitpunkt noch für nur eingeschränkt empfehlenswert. Der Mechanismus der Refinanzierung stellt ein zentrales Problem von OER-Schulbüchern dar, wirkt aber für eine bereits bestehende Kultur der OER-Lehrmaterialien vor allem stabilisierend. Nach einer Phase der Vorfinanzierung scheint es jedoch sinnvoll, auch ein Modell der Refinanzierung von OER fest zu einzurichten.
Szenario D: Entwicklung von OER-Schulbuch-,Rohlingen‘. In diesem Szenario sollen keine fertigen OER-Schulbücher geför- dert werden, sondern ,Rohlinge‘, deren Inhalte allerdings den Minimalanforderungen der Qualitätsprüfung durch das Schul- ministerium von NRW genügen müssen. Anbieter von Bildungs- medien könnten dann ein deutlich hochwertigeres OER-Schulbuch erstellen, indem sie die Rohlinge ohne größeren Aufwand mit (multimedialen) Inhalten auffüllen. Sie müssten sich um die offene Lizenzierung der grundlegenden Inhalte nicht mehr kümmern. Außerdem können solche Rohlinge leicht auf die Erfordernisse in anderen Bundesländern angepasst werden. Vor- teil dieser Idee ist es, dass sie die staatliche Förderung mit den qualitätsfördernden Mechanismen des Wettbewerbs kombiniert. Die Rohlinge würden es erlauben, OER-Schulbücher trotz Bildungsföderalismus und unterschiedlicher Kernlehrpläne je Bundesland auf Bundesebene zu fördern. Die Autoren halten dieses Szenario für sehr empfehlenswert, da die Umsetzungshürden gering sind, der positive Einfluss auf die OER-Entwicklung in NRW und Deutschland aber sehr hoch ist.
Szenario E: Einführung einer OER-Klausel in den Zulassungsprozess. Kern dieses Szenarios ist die Einführung einer OER-Klausel in die Schulbuchzulassung durch das Land NRW. Wollen Anbieter von Schulbüchern diese für NRW zulassen, müssen sie sich vertraglich verpflichten, die Schulbücher nach einer Phase des kommerziellen Vertriebs als OER zur Verfügung zu stellen. Die Phase könnte entweder zeitlich (z. B. nach fünf Jahren) oder sachlich (z. B. wenn beim Verkauf ein gewisser Schwellenwert an Exemplaren erreicht wurde) festgelegt werden. Die Autoren bewerten dieses Szenario als nur eingeschränkt empfehlenswert. Auch wenn das Instrument für die Verbreitung von OER effektiv erscheint, muss für eine gelungene Ausgestaltung erst mehr Wissen über den Produkti- onsprozess von OER-Schulbüchern aufgebaut werden.
Szenario F: Umstieg auf OER-Schulbücher durch Ausschrei- bungen. In diesem Szenario leitet die (Bildungs-)Politik in NRW einen strategischen Wandel ein: weg von einem Modell der Refinanzierung über den Verkauf von Schulbüchern und hin zu einem Modell, in dem OER-Schulbücher ausschließlich mit staatlichen Mitteln finanziert werden. Finanziert werden die Bücher über das Budget der Lernmittelfreiheit, das folglich nicht mehr für den Kauf von proprietären Büchern verwendet werden muss. Dieses Szenario ist in gewisser Weise die deutlich umfassendere Variante von Szenario B und beschreibt den oberen Rand der Fördermöglichkeiten für OER-Schulbücher in NRW. Die Autoren halten dieses Szenario für nicht empfehlenswert, da zum einen ein Verlust an Vielfalt zu erwarten ist und zum anderen ein solches System Gefahr laufen würde, den staatlichen Einfluss auf Bildungsinhalte übermäßig auszuweiten.
Szenario |
Beschreibung |
Bewertung |
Keine zusätzliche Förderung von OER |
(Bildungs-)Politik unterlässt weitere Förderung von OER-Projekten. OER wächst langsam, aber stetig durch Projekte aus anderen Bundesländern und den Einsatz der ehrenamtlichen Community. |
Nicht empfehlenswert. Keinerlei Förderung von OER verstärkt bestehende Probleme. |
Öffentliche Ausschreibung von Pilot-OER-Büchern |
(Bildungs-)Politik fördert, parallel zum herkömmlichen Schulbuchmarkt, OER-Pilotprojekte, um Produktions- und Nutzungswissen aufzubauen. |
Sehr empfehlenswert. Erste Pilotprojekte werden in NRW bereits umgesetzt (z. B. das sozioökonomische Schulbuch). |
Nutzungsbasierte Refinanzie- rung von OER-Schulbüchern |
(Bildungs-)Politik entwickelt ein System zur Rückvergü- tung von OER-Schulbüchern aus öffentlichen Mitteln, basierend auf deren Nutzung in Schulen. |
Eingeschränkt empfehlenswert. Vielversprechendes Modell zur Refinanzierung von OER, setzt aber ausreichende Verbreitung von OER voraus. |
Entwicklung von OER- Schulbuch-,Rohlingen‘ |
(Bildungs-)Politik fördert per Ausschreibungen für jedes Schulfach ein OER-Schulbuch, das die Minimalanforderun- gen der Schulbuchzulassung erfüllt. |
Sehr empfehlenswert. Wenig Umsetzungshürden und sehr positive Auswirkung auf landesübergreifende Stärkung von OER. |
Einführung einer OER-Klausel in den Zulassungsprozess |
(Bildungs-)Politik fügt eine OER-Klausel in den Zulas- sungsprozess für Schulbücher ein. Zugelassene Schul- bücher können bis zu einem Schwellenwert proprietär verkauft werden, müssen aber anschließend frei lizenziert werden. |
Eingeschränkt empfehlenswert. Hoch effektiv, um OER in der Fläche zu fördern. Setzt aber mehr Erfahrung in der OER-Erstellung voraus. |
Umstieg auf OER-Schulbücher durch Ausschreibungen |
(Bildungs-)Politik nutzt alle bestehenden Lernmittelbud- gets der Schulträger zur Finanzierung von OER-Schulbü- chern. |
Nicht empfehlenswert. Komplette staatliche Vorfinanzierung der Schulbuchpro- duktion als Gefahr für Vielfalt. |
Tabelle 1: Szenarios zur Förderung von OER-Schulbüchern in NRW
Über die Autoren: Dr. Maximilian Heimstädt ist Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Reinhard Mohn Institut der Universität Witten/Herdecke. Prof. Dr. Leonhard Dobusch ist Professor für Organisation an der Universität Innsbruck.