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Rainer Land
Alle historischen und gegenwärtigen Produktionssysteme sind Teil des Erdsystems. Menschliche Produktionssysteme nutzen den Entropieexport des Erdsystems, der fast ausschließlich vom Energiestrom der Sonne abhängt.[1] Alle Produktionssysteme sind mit Stoffkreisläufen des Erdsystems verbunden. Alle historischen Produktionsweisen erzeugten ökologische Probleme und mussten dafür Lösungen finden. Manche Gesellschaften sind daran gescheitert und zu Grunde gegangen. Jared Diamond beschreibt etwa ein Dutzend Fälle, darunter den verschwundenen Wald der Osterinsel, den untergegangenen Bewässerungsbodenbau der Anasazi-Indianer in Nordamerika und, aus heutiger Zeit, die ökologischen und wirtschaftlichen Hintergründe des Völkermords in Ruanda sowie die zerstörerische Bodenerosion in der australische Landwirtschaft.[2]
Treibhausgase und der dadurch ausgelöste schnelle Klimawandel sind das dringendste, aber nicht das einzige globale Umweltproblem. Hinzu kommen die überlasteten und geschädigten Wasserkreisläufe, zerstörte Bodenfruchtbarkeit, verlorene Biodiversität und der massenhafte Eintrag von umweltschädlichen Chemikalien in Luft, Gewässer und Boden. Zudem werden wichtige Rohstoffe in den kommenden Jahrzehnten aufgebraucht sein (Einleitung und Kapitel 1).
Das besondere Ausmaß der globalen Umweltprobleme hat drei Gründe: Erstens unterscheidet sich die Eingriffstiefe der industriellen Produktionssysteme grundsätzlich von jener traditioneller Produktionssysteme. Zweitens ist die Weltbevölkerung seit der Industrialisierung von ca. 500 Millionen auf inzwischen knapp acht Milliarden, das Sechzehnfache, gewachsen. Drittens ist der Ressourcenverbrauch pro Kopf in den industrialisierten Ländern deutlich gestiegen, seit der Industriellen Revolution etwa auf das Zwanzigfache. Eine vergleichbare Einkommensentwicklung vollzieht sich derzeit in Schwellenländern. Die Eingriffstiefe industrieller Naturprozesse plus eine auf das Hundertfache und darüber hinaus gestiegene Beanspruchung der Ökosysteme sind die Ursachen der ökologischen Krise (Kapitel 2).
In den vergangenen 50 Jahren entstanden soziale Bewegungen und Organisationen, die den Schutz der Umwelt und den Umbau der Produktions- und Konsumtionsweise auf die Agenda setzen, erste ökologische Veränderungen in Gang brachten und die einen ökologischen Umbau der Industriegesellschaft durchsetzen wollen.
Die erste Kernthese der vorliegenden Arbeit ist, dass die globalen Umweltprobleme durch wirtschaftliche Entwicklung gelöst werden müssen und können, nicht durch mehr, nicht durch weniger oder gar kein Wachstum und auch nicht durch Schrumpfung. Wirtschaftliche Entwicklung ist der typische Reproduktionsmodus einer Kapitalverwertungswirtschaft (Kapitel 3). Dabei werden über Innovationen neue Produktionsfunktionen, neue Produkte, neue Verfahren, neue Produktionsmittel und Konsumgüter entwickelt und im Produktionssystem neu kombiniert und selektiert. Dadurch verändert und transformiert sich das gesamte Produktionssystem, ebenso die Konsum- und Sozialstruktur, die Bedürfnisse und die soziale Lage der verschiedenen Bevölkerungsteile. Der ökologische Umbau ist eine solche Transformation, die begonnen hat, aber noch nicht abgeschlossen ist: die sechste Transformation seit Entstehung der Industriegesellschaft. Nach der Fabrik der ersten industriellen Revolution (1) waren es der Eisenbahnzyklus mit Kapitalgesellschaften und neuen Finanzsystemen (2), das großindustrielle Verwertungsregime der chemischen und elektrotechnischen Revolution (3), der fordistische Teilhabekapitalismus, in den USA seit 1938, global etwa seit 1950 (4), der Finanzmarktkapitalismus seit etwa 1980 (5).
Die Unterscheidung von Wachstum und Entwicklung ist die zweite Kernthese (Kapitel 4). Wirtschaftliche Entwicklung ist die primäre Bewegungsform einer Kapitalverwertungswirtschaft. Die unvermeidlichen Widersprüche, Dysfunktionalitäten und Divergenzen (technologische, soziale, politische) werden in der Regel durch Innovationen und einen daran anschließenden Strukturwandel gelöst, aber immer nur befristet. Ohne die laufende Implementation (Einführung und Durchsetzung) von Innovationen kann eine Kapitalverwertungswirtschaft nicht funktionieren. Wirtschaftswachstum, verstanden als Zunahme der physischen Menge der produzierten Produkte und Leistungen, kann eine sekundäre Folge von Entwicklung sein, insbesondere solange die Bevölkerungszahl wächst. Physisches Wachstum ist aber bei konstanter Bevölkerung nicht nötig. Neuerung, Veränderung von Qualität und Wertschöpfung sind dagegen unverzichtbar. Entwicklung ist endlos, physisches Wachstum natürlich nicht.
Jeder Umbruch ist mit einer Veränderung der Entwicklungsrichtungen der Produktions- und der Konsumtionsweise verbunden. Die Entwicklungsrichtungen aber werden durch Selektionsprozesse des Wirtschaftssystems (eingebettet in Gesellschaft, Recht, Kultur, Politik) bestimmt. Das ist die dritte Kernthese der Studie.
Der ökologische Umbau setzt eine institutionelle Veränderung der Selektion voraus, vierte These. Die neue Entwicklungsrichtung heißt Umweltkompatibilität oder, mit Huber (1999), „eine metabolisch naturintegrierte Industrielle Ökologie“.[3] Die Komponenten sind: a) umweltkompatible Produkte und Verfahren, b) Entropieexport durch Nutzung der Energieströme des Erdsystems, das heißt, durch erneuerbare Energien, und c) Stoffkreisläufe (offene und geschlossene) statt linearer Stoffströme, die endliche Lagerstätten verbrauchen und begrenzte Deponien (Luft, Wasser, Boden) mit Abprodukten (über)füllen. Wirtschaftliche Entwicklung und steigende Wertschöpfung sind auch bei absolut sinkendem Ressourcenverbrauch möglich, wenn Umweltkompatibilität und Ressourcenverbrauch harte Selektionskriterien für Innovationen werden. Der ökologische Umbau ist ein Suchprozess, wie es jeder durch Innovationen getriebene Umbruch war. Umweltkompatibilität ist daher kein Zustand, sondern ein Selektionskriterium, das vermittels passender Institutionen wirkt und eine veränderte Entwicklungsrichtung bewirkt.
Die fünfte These betrifft den systemtheoretischen Bauplan für eine ökologische Kapitalverwertungswirtschaft, die ökonomischen, juristischen, politischen und kulturellen Institutionen des Selektionsverfahrens, von denen Umweltkompatibilität abhängt. Dafür werden zwei aus meiner Sicht entscheidende Komponenten vorgeschlagen: Erstens die Bewirtschaftung ökologischer Ressourcen; zweitens die Kreditlenkung zur Finanzierung ökologischer Innovationen und Investitionen (Kapitel 5, 6 und 7).
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Von diesen Prämissen ausgehend wird in der FGW-Studie ein Modell der Reproduktion von Naturressourcen in einer Kapitalverwertungswirtschaft entwickelt: Ökokapital. Das wissenschaftliche Instrumentarium dazu wird im Rahmen einer ambitionierten Systemtheorie entwickelt, die auf Luhmann zurückgeht, dessen Ansatz aber in wesentlichen Punkten modifiziert. Des Weiteren sind die Arbeiten von Schumpeter, Sraffa, Marx und Binswanger wichtige Voraussetzungen.
Wenn Naturressourcen aktiv reproduziert werden müssen, dann existiert objektiv ein entsprechender Kapitalkreislauf, ein Kreislauf des Ökokapitals. Das vorgelegte Modell ist ein Schritt zum Verständnis dieses Verwertungskreislaufs. Mit Hilfe der Modelle von Sraffa lassen sich objektive Preise für die Nutzung von Naturressourcen reproduktionstheoretisch begründen. Davon ausgehend müssen nun Institutionen und Strukturen geschaffen werden, die die praktische Preisfindung den objektiven Reproduktionsinvarianzen annähern. Eine solche Struktur wäre das vorgeschlagene Ressourcenbewirtschaftungssystem, das die laufenden Kosten der Reproduktion von Naturressourcen durch Nutzungsentgelte finanziert, deren aktuelle Höhe durch das Angebot und die Nachfrage nach Nutzungsrechten bestimmt wird. Dabei werden Nutzungsrechte als knappe Ressourcen auf der Grundlage gesellschaftlich definierter und wissenschaftlich begründeter Absenkungspfade oder Tragfähigkeitsgrenzen ausgegeben (emittiert).
Eine ökologische Kapitalverwertungswirtschaft wird nicht durch Verwirklichung eines Masterplans entstehen. Zu erwarten ist ein konfliktreicher Prozess des Kulturwandels und der Transformation von Institutionen, der durch soziale Kämpfe und politische Auseinandersetzungen angetrieben wird. Entscheidend wird die Macht, die Kooperationsfähigkeit und die Einsicht der verschiedenen sozialen Bewegungen sein, sich dem ökologischen Umbau als dem Kern sozialen Fortschritts zuzuwenden, und ihre Fähigkeit, sich politisch durchzusetzen und Mehrheiten zu überzeugen. Offen ist, in welchem Maße die herrschenden Klassen und die den Diskurs bestimmenden Eliten zu Lernprozessen und Kompromissen bereit sein werden. Niemand weiß, ob beides zeitig genug gelingen wird.
Wichtig wäre, dass politische Parteien die Risiken der ökologischen Krise deutlicher und ehrlicher kommunizierten und zugleich die Möglichkeiten herausstellten, den ökologischen Umbau als sozialen Fortschritt für alle zu gestalten – vor allem auch für die einkommensschwachen sozialen Schichten. Der ökologische Umbau muss mit Vollbeschäftigung, steigenden Einkommen im unteren und mittleren Einkommenssegment und einer umfassenden Erneuerung und Verbesserung der Sozialsysteme verbunden werden.
Wichtig wäre der schrittweise Aufbau von öffentlich-rechtlichen Ökokapitalgesellschaften, die je nach zu bewirtschaftender Ressource europäisch, national oder regional aufgestellt sein sollten und die auf gesetzlicher Basis arbeiten. Sie wären öffentliche, Gemeineigentum bewirtschaftende, Ökokapital verwertende Unternehmen, keine Behörden. Einnahmen und Ausgaben wären nicht Teil des Regierungsbudgets, vielmehr entstünde ein eigener Finanzkreislauf des Gemeineigentums. Die öffentlich-rechtlichen Ökokapitalgesellschaften müssten öffentlich gesetzte Ziele verfolgen, transparent arbeiten und von einem Aufsichtsrat mit einer sogenannten Öffentlichkeitsbank kontrolliert werden, in dem Umweltverbände, Politik und Wirtschaft (Arbeitnehmer, Arbeitgeber) vertreten wären. Zu den Aufgaben würden gehören:
Ein naheliegender Schritt wäre der Umbau des europäischen CO2-Emissionshandels in ein echtes Ressourcenbewirtschaftungssystem und der experimentelle, exemplarische Aufbau regionaler Ressourcenbewirtschaftung für Stoffstrommanagement (Steuerung von Materialströmen, z. B. Plastik), Bodenbewirtschaftung, Wasserkreisläufe und die Vermeidung und der Abbau umweltschädlicher Chemikalien. Dabei sollte ein ökonomisch tragfähiger Zusammenhang zwischen den Kosten und den Preisen der Nutzungsentgelte hergestellt, also ein Finanzkreislauf des Ökokapitals aufgebaut werden.
Kreditlenkung zur Finanzierung ökologischer Innovationen und Investitionen der Privatwirtschaft, der Staaten und Kommunen könnte durch gemeinsame Kreditprogramme der Europäischen Investitionsbank (EIB) und der Förderbanken der EU-Mitgliedsstaaten eingeleitet werden. Die institutionellen Voraussetzungen dafür sind im Prinzip vorhanden, die Kreditprogramme müssten nur stärker ökologisch ausgerichtet und das Volumen Jahr für Jahr deutlich ausgeweitet werden: beginnend mit 150 Milliarden EUR jährlich (gesamte EU) und steigend auf vermutlich etwa 1.000 Milliarden EUR jährlich über wenigstens 30 Jahre. Die Programme könnten anfangs durch staatlich garantierte, fest verzinste Anleihen der Förderbanken refinanziert werden und sich nach ca. 15 bis 20 Jahren durch Rückflüsse selbst finanzieren.
Die Bewirtschaftung von Naturressourcen führte Jahr für Jahr zu Kostensteigerungen für nicht umweltkompatible Nutzungen und zu Kostensenkungen für umweltkompatible Nutzungen. Kreditlenkung ermöglicht langfristig gesicherte und kostengünstige Investitionen in die Umstellung der Produkte und Verfahren. Beides zusammen – eingebettet in gesellschaftliche, rechtliche und politische Kontexte – würde einen Boom ökologischen Umbaus und eine deutlich höhere wirtschaftliche Innovations- und Investitionsdynamik bei wachsender Beschäftigung und steigenden Einkommen erzeugen, verbunden mit einem Strukturwandel von Produktion und Konsumtion. Diese Schritte sind allerdings nicht realisierbar ohne die Regulierung der Finanzmärkte.
[1] Entropie ist ein Maß für unumkehrbare thermodynamische Prozesse. Alle physikalischen Prozesse zerstreuen Energie (Dissipation), daher steigt in geschlossenen Systemen die Entropie notwendig an, bis alle Energie gleich verteilt, alle verfügbare Energie in nicht verfügbare umgewandelt ist und keine makroskopischen Prozesse mehr möglich sind. Daher sind sich erhaltende (sich reproduzierende) physikalische Systeme (wie das Erdsystem, alle Ökosysteme, alle biologischen Populationen und Organismen und auch alle menschliche Produktions- und Konsumtionsweisen) nur als energetisch offene Systeme möglich, die permanent verfügbare Energie aus der Umgebung aufnehmen (z.B. Sonnenenergie oder in Kohle, Erdöl, Erdgas u.ä. chemisch gespeicherte Sonnenenergie) und die gleiche Energiemenge als nicht verfügbare (zerstreute) Energie, d.h. als Wärmestrahlung, an die Umgebung abgeben. Dies nennt man Entropieexport. Vgl.: Rifkin, Jeremy; Georgescu-Roegen, Nicholas (1982): Entropie: ein neues Weltbild. Hamburg: Hoffmann und Campe.
[2] Diamond, Jared M. (2010): Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, 4. Aufl., Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag.
[3] Huber, Joseph (1999): Industrielle Ökologie. Konsistenz, Effizienz und Suffizienz in zyklusanalytischer Betrachtung, VDW-Jahrestagung, Berlin, 28.-29.Oktober 1999, in: Simonis, U. E./Kreibig, R. (2000): Global Change, Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag.