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Konversion der Autoindustrie

Konversion der Autoindustrie

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Hannah Kiefer
Exploring Economics, 2025
Level: beginner
Perspectives: Ecological Economics, Marxian Political Economy, Post-Keynesian Economics
Topic: (De-)growth, Crises, Labour & Care, Resources, Environment & Climate, Social movements & Transformation
Format: Dossier

Die deutsche Autoindustrie steckt in einer Krise. Die bisherigen Antworten auf die Krise – die vor allem auf eine Antriebswende und Wachstumsanreize für E-Mobilität setzen – greifen jedoch zu kurz. Dieses Dossier sammelt daher Materialien, die sich mit der Ursache der aktuellen Krise der Autoindustrie und den Schwächen der bisherigen Lösungsansätze beschäftigen und adressieren, wie eine soziale und klimagerechte Konversion der Autoindustrie aussehen kann.

Die Krise der deutschen Autoindustrie

Die deutsche Autoindustrie steckt in einer Krise – VW reagiert darauf vor allem mit Sparplänen, die Arbeitsplätze von 35.000 Beschäftigten bedrohen. Nun steckt mit Audi ein weiterer Autokonzern in der Krise und damit steht ein weiterer Stellenabbau von etwa 9.000 Arbeitsplätzen im Raum. Das ARTE-Video „Europas Automobilindustrie in der Sackgasse“ erklärt die Ursachen der Krise, die vor allem auf einen Rückgang an Nachfrage nach Autos und Konkurrenz mit chinesischen E-Autos zurückzuführen sind. Auch Stephan Krull und Mario Candeias haben sich in dem Text „Volkswagen: Das System Auto in der Krise“ die Krise der Autoindustrie genauer angeschaut: Dabei betonen sie, dass es sich vor allem um eine Krise der Arbeitsplätze, nicht der Profite handelt. In den letzten 5 Jahren ist die Beschäftigtenzahl in der Auto- und Zulieferindustrie um 60.000 gesunken, regelmäßig werden Betriebe geschlossen oder Autoproduktion ins Ausland verlagert. Währenddessen sind die Profite von VW, Mercedes und BMW jedoch auf 50 Milliarden und die Gewinnrücklagen auf 250 Milliarden gestiegen.

Volkswagen: Das System Auto in der Krise

 

Unzureichende Antworten auf die Krise

VW setzt nun auf einen Sparkurs: Bisher hat das Unternehmen hauptsächlich auf Verbrennungsmotoren gesetzt, nun sollen 4,5 Milliarden Euro vor allem bei Beschäftigten gespart werden, um den Umstieg auf Elektromobilität zu finanzieren. Auch die letzte Bundesregierung plante vor allem Wachstumsinitiativen zur Förderung der Elektromobilität, doch der Streit um die Schuldenbremse verhinderte diese Maßnahmen.

Eine reine Antriebswende biete jedoch weder eine Antwort auf die ökologische Krise noch kann sie Beschäftigung sichern. Denn auch ein Ersetzen jeglicher Verbrennungsmotoren durch Elektroautos und ein Festhalten am weiteren Wachstum würde laut einer Studie des VDA zu einem Verlust von 140.000 Arbeitsplätzen führen [1]. Und auch aus ökologischer Sicht gibt es Kritik an dieser sogenannten Antriebswende. Für eine echte Mobilitätswende reiche der Umstieg auf Elektromobilität nicht aus, der mit einem hohen Ressourcenverbrauch und einem Weiterführen kolonialer Strukturen einhergeht. Die Studie „Weniger Autos, mehr Globale Gerechtigkeit“ untersucht menschenrechtliche, soziale und ökologische Probleme der Rohstoffgewinnung sowohl von Verbrenner- als auch E-Autos und zeigt auf, dass eine nachhaltige Mobilitätswende nur durch eine Reduzierung des Individualverkehrs und einen Ausbau des öffentlichen Nah- und Fernverkehrs gelingen kann.

Auch wenn eine reine Antriebswende nicht ausreicht, wird nun selbst diese wieder in Frage gestellt.  Im Wahlkampf verkündeten etwa CDU/CSU, FDP, BSW und AfD den Abschied vom Verbrennungsmotor rückgängig machen zu wollen. Auch das EU-weite Verbrenner-Verbot steht erneut zur Debatte.

VW begrünt: Der Kampf ums Auto

Weniger Autos, mehr Globale Gerechtigkeit


Klima vs. Arbeitsplätze?

Die Mobilitätswende wird oft als Gefahr für Arbeitsplätze dargestellt. Doch gibt es diesen Widerspruch wirklich?Das Forschungsprojekt con-labour hat diese Frage untersucht und die Einstellung von Beschäftigten in der österreichischen Autoindustrie zur Mobilitätswende erforscht. Wie Ulrich Brand in einem Interview erklärt, halten Gewerkschaften stark an dem Dogma von Wirtschaftswachstum fest. Gewerkschaften unterstützen zwar mittlerweile eine ökologische Modernisierung der Autoindustrie, also ein Umstieg zu E-Mobilität mit dem Ziel, ein weiteres Wachstum der Autoindustrie zu erreichen. Eine Unterstützung für eine wirkliche sozial-ökologische Konversion kann man jedoch von Gewerkschaften nicht erwarten. Das Gleiche gilt jedoch nicht automatisch für Beschäftigte. Wie eine Studie der Rosa-Luxemburg Stiftung zeigt, haben Beschäftigte und Gewerkschaftsmitglieder deutlich differenziertere Einstellungen zur Mobilitätswende als es die offiziellen Positionen von Gewerkschaften nahelegen. Die Studie zeigt, dass viele Beschäftigte in Bezug auf die Klimakrise sensibilisiert sind. Gleichzeitig hat die Identifikation mit ihrem Arbeitgeber unter anderem durch den Abgasskandal abgenommen und Beschäftigte hinterfragen die aktuelle Transformationsstrategie der Autoindustrie. Trotzdem sind viele Arbeiter:innen kritisch gegenüber eine Konversion und befürchten eine Verschlechterung von Arbeitsbedingungen oder hinterfragen die Machbarkeit/Umsetzbarkeit.

Arbeitsplätze und Klimaschutz - ein Widerspruch?

In der Wachstumsfalle? - Die Gewerkschaften und der Klimawandel

E-Mobilität - ist das die Lösung? - Eine Befragung von Beschäftigten zum sozial-ökologischen Umbau der Autoindustrie

Andererseits zeigt Mario Candeias, dass Mobilität selbst eine Klassenfrage ist und eine Mobilitätswende sowohl im Interesse von Beschäftigten der Autoindustrie als auch Menschen mit geringem Einkommen insgesamt ist. Denn ein schlecht ausgebauter ÖPNV schadet vor allem Menschen mit niedrigem Einkommen, die sich kein Auto leisten können. Eine Mobilitätswende mit günstigem oder kostenlosem ÖPNV und eine Überwindung der Autoabhängigkeit ist also ein wichtiger Beitrag zu sozialer Gerechtigkeit. Außerdem ist eine Konversion der Autoindustrie auch im Interesse von Beschäftigten, da wie bereits erwähnt auch bei einem Umstieg auf E-Mobilität Arbeitsplätze in der Auto- und Zulieferindustrie verloren gehen. Eine klimagerechte Konversion kann also Klima- und Arbeitskämpfe vereinen, indem die Produktion auf zukunftsfähige Produkte umgestellt wird. Die Kampagne „Wir fahren zusammen“ zeigt außerdem, dass Klima- und Arbeitskämpfe gemeinsame Interessen haben und gute Arbeitsbedingungen eine Grundvoraussetzung für den Ausbau des ÖPNV sind.

Mobilität ist eine Klassenfrage


Klimagerechte Konversion der Autoindustrie

Statt einer Antriebswende, mit der weder die ökologische Krise noch die Zukunft der Beschäftigten adressiert wird, braucht es eine klimagerechte Konversion der Autoindustrie. Statt nur Elektroautos zu produzieren, sollte die Produktion umgestellt werden auf Produkte, die in der sozial-ökologischen Transformation gebraucht werden. Die Publikation „Spurwechsel: Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion“ beschäftigt sich intensiv mit der Frage, warum es einen sozial-ökologischen Umbau der Automobilindustrie braucht, wie ein Umbau aussehen kann und welche Positionen Beschäftigte zu dem Thema vertreten.

Spurwechsel - Studien zu Mobilitätsindustrien, Beschäftigungspotenzialen und alternativer Produktion

Dass Klimaaktivist:innen und Beschäftigte sich gemeinsam für eine Konversion der Autoindustrie einsetzen, zeigen Klimaaktivist Tobi Rosswog und VW-Mitarbeiter und Gewerkschafter Thorsten Donnermeier im Dissens Podcast. In dem Podcast erzählen sie, warum die Sparpläne des VW Management keine Lösung aus der Krise darstellen und die aktuelle Krise der Autoindustrie auch ein Möglichkeitsfenster für einen Umbau der Produktion bietet.

 

Um gut qualifizierte Arbeitsplätze während einer Konversion zu behalten, braucht aber auch arbeitspolitische Maßnahmen. Zum Beispiel ist eine kollektive Arbeitszeitverkürzung ein wichtiger Bestandteil eines sozial-ökologischen Umbaus, erklärt das Konzeptwerk Neue Ökonomie. Die Rosa-Luxemburg Stiftung hat außerdem analysiert, welche arbeitspolitischen Maßnahmen für einen sozial-ökologischen Umbau nötig sind, wie etwa Weiterbildungsmaßnahmen oder eine Erhöhung an Tarifbindungen.

Arbeitspolitik in der Transformation: Soziale Härten vermeiden

Eine Konversion kann außerdem nur gelingen, wenn Beschäftigte in den Prozess eingebunden werden und ihr Wissen und ihre Fähigkeiten einbringen können. Es braucht also eine Demokratisierung des Automobilsektors, auch um die Akzeptanz einer Konversion der Automobilindustrie zu erhöhen. Wie diese genau aussehen kann, erklärt Max Wilken von communia:

Demokratisierung im Verkehrssektor: Konversion des Autosektors


Konversion in der Praxis – GKN

Wie eine Konversion der Autofabrik aussehen kann, zeigt das Beispiel einer ehemaligen GKN Fabrik in Florenz. Nachdem GKN die Arbeiter:innen fristlos entlassen wollte, wurde die Fabrik von Beschäftigten besetzt. Das Fabrikkollektiv „Insorgiamo“ produziert nun in dieser Fabrik Lastenrädern anstelle von Autoteilen und ist seitdem ein Vorzeigebeispiel dafür, dass sich Klimagerechtigkeit und Interessen von Arbeiter:innen nicht ausschließen müssen. Der Dokumentarfilm "Lass uns aufstehen!" erzählt die Geschichte des Fabrikkollektivs und die Besetzung, die mittlerweile drei Jahre anhält:


Konversion ist keine neue Idee - der Lucas Plan

Dass Beschäftigen Pläne zur Konversion der Produktion entwerfen ist nicht neu: Als Reaktion auf geplante Massenentlassungen der Firma Lucas Aerospace, entwarfen Arbeiter:innen 1976 einen Plan zur klimagerechten Konversion ihrer Industrie. Die neu gegründete Gewerkschaft schlug 150 gesellschaftlich nützlichere und umweltfreundliche Produkte vor, die sie anstelle von Waffen produzieren könnten. Dazu gehörten etwa Windturbinen, energie-effiziente Wärmepumpen oder Hybrid Autos. Der Plan zur Konversion wurde jedoch nie umgesetzt.


Fazit

Die Krise der Autoindustrie bietet eine Chance für einen umfassenden sozialökologischen Umbau der Autoindustrie anstelle einer ökologischer Modernisierung. Beispiele wie die Besetzung der ehemalige GKN Fabrik zeigen, dass eine solche Konversion zumindest im Kleinen möglich ist und Klima und Arbeiter:innenrechte sich nicht widersprechen müssen.


[1]Andere Studien sprechen von einem Verlust von 75.000 Arbeitsplätzen (Frauenhofer Studie) durch den Umstieg auf E-Mobilität oder auch 220.000 Arbeitsplätze (Agora Verkehrswende).

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