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Torsten Heinrich
Erstveröffentlichung im Markonom
Innovationspolitik ist relevant für eine klimabewusstere Zukunft – und ihre Relevanz geht über die generelle Förderung allgemein umweltbewusster Innovationen hinaus.
Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt. Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.
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Vor wenigen Jahren war die wirtschaftspolitische Diskussion geprägt von breitem Optimismus, dass wir sozioökonomische Probleme wie Armut, Finanzinstabilität und auch den menschengemachten Klimawandel lösen können. Doch Pandemie, Angriffskrieg, soziale Unruhen, ökonomische Unsicherheit, und der Aufstieg autokratischer Politiker:innen mit angespanntem Verhältnis zu Wahrheit und wissenschaftlichen Fakten haben dem Optimismus ein Ende gesetzt. All das verursacht direkt oder indirekt Kosten, reduziert unsere Fähigkeit, in die Lösung der langfristigen Probleme zu investieren, und verschlechtert weltweit Lebensbedingungen.
Warum passiert das? Wieso können wir nicht gemeinsam an der Lösung bekannter Probleme arbeiten? Ein Teil der Antwort ist, dass gewisse technologische Neuerungen Populist:innen Aufschwung gegeben haben. Ein weiterer Teil ist, dass für alle sichtbar sozioökonomische Änderungen anstehen. Menschen werden arbeitslos werden, da ihre Jobs verschwinden. Firmen werden eilig die Branchen wechseln oder das Geschäft einstellen müssen. Trickreiche Konkurse gepaart mit politischer Einflussnahme, wie in jüngster Vergangenheit beim Kohlegiganten Murray Energy, kommen ebenfalls vor.
Dies ist aber nur ein Teil eines größeren Gesamtbildes technologischer Veränderungen, die sich im Augenblick vollziehen. Zahlreiche Einzelaspekte können Einfluss auf Umweltpolitik und Klimawandel haben – vier davon sollen im Folgenden angerissen werden.
Viele Teile insbesondere der digitalen Ökonomie sind von asymmetrischen Marktstrukturen geprägt. Eine oder wenige große Firmen dominieren den Sektor. Sie kontrollieren in der Regel Produkte, Plattformen und technologische Standards und können mittelbar (über Manipulation technologischer Spezifikationen) oder unmittelbar (durch ihre schiere Größe) Marktmacht entfalten. Die Asymmetrie erwächst aus hohen Investitionsschwellen für Entwicklung oder Infrastruktur, bei niedrigen variablen Kosten (ökonomisch: aus subadditiven Kostenstrukturen) sowie aus Anreizen für Kunden, der Mehrheit zu folgen, den größten Netzwerken beizutreten (ökonomisch: aus Netzwerkexternalitäten). Wieso sollten Kunden letzteres tun? Weil größere Netzwerke ihnen eine größere Kommunikationsreichweite in größeren Nutzergruppen geben, weil sie besser getestet, technisch stabiler, und weitläufiger bekannt sind.
Während wettbewerbstheoretische Nachteile offensichtlich sind – Marktmacht kann zur Umverteilung von Kundenzahlungsbereitschaften zu eigenen Gewinnen bei gleichzeitigen Wohlfahrtsverlusten genutzt werden – gibt es darüber hinaus andere wichtige Aspekte: Innovationen müssen sich gegen etablierte Technologien mit gefestigten Nutzergruppen durchsetzen. Sie werden dadurch für Firmen – insbesondere kleine Firmen – unattraktiv und unterbleiben oder geschehen nur zeitverzögert (technologische Lock-Ins, Details hier). Dies betrifft auch die Implementierung ökologischer Alternativen zu etablierten Technologien.
Ferner zielt Konkurrenz bei Netzwerkexternalitäten zuallererst auf die schnellstmögliche Etablierung eines großen Nutzernetzwerkes. Hierfür wird häufig in technisch nicht vorgesehener Weise auf bestehende Infrastruktur zurückgegriffen. Das kann zu Stör- und Unfällen führen und technologische Lock-Ins von der alten Infrastruktur auf die neue Technologie übertragen (Details hier). Beispiel Verkehrssysteme: In zahlreichen Ländern ist das Eisenbahnnetz im Vergleich zum Straßennetz schlecht ausgebaut. Trotz der Effizienz und Sicherheit des emissionsarmen Schienenverkehrs sehen wir daher einer Parallelentwicklung emissionsarmer Straßentransporttechnologien (Elektrofahrzeuge) mit zahlreichen konzeptuellen Problemen im Vergleich zur Schiene auch im Fern- und Güterverkehr entgegen.
Partielle Ansätze, solcherlei Probleme zu vermeiden sind zum einen offene Standards (Details hier), zum anderen die enge Einbindung der Marktführer in die Entwicklung von Technologien der nächsten Generation. Ersteres entfernt private Interessen trotz Marktmacht zumindest teilweise aus der Entwicklung, erfordert aber gegebenenfalls frühe und schwere regulatorische Eingriffe und kann Probleme nach sich ziehen (Wegfallen von Anreizen zur Investition). Letzteres steht und fällt mit der Kooperation der Unternehmen. Keines von beiden löst die Netzwerkexternalitäten und ihre Folgen ganz auf.
Automatisierung ist ein typischer Bestandteil technologischer Entwicklung. Technologisch neue Ausstattungen (Kapitalgüter) erhöhen die Produktivität und verändern Jobs. Spätestens wenn der Markt der produzierten Güter gesättigt ist, wird der Arbeitseinsatz reduziert und die Arbeitslosigkeit in der betroffenen Branche steigt. Zusammen mit der kompletten Ablösung überholter Technologien können ganze Berufsgruppen in die Arbeitslosigkeit getrieben werden (Details hier und hier). Historisch betraf das beispielsweise die Ludditen in der Textilindustrie des frühen 19. Jahrhunderts. Heute betrifft es Kohle-Bergarbeiter:innen, Kraftwerksangestellte, Taxi-, Bus- und Fernfahrer:innen und diverse andere Jobs. Es ist verständlich, dass dies zu Ärger gegenüber neuen, klimafreundlicheren Technologien führt, insbesondere wenn dieser Ärger von einigen politischen Strömungen gezielt geschürt wird. Dass dieser Prozess auch mit weniger klimafreundlicher Innovation stattfinden würde, ist offensichtlich, trägt aber zur Lösung des Problems nicht bei.
Der technologischen Fortentwicklung, dem Übergang zu klimafreundlicheren Technologien und dem sozialen Frieden wäre durch einen arbeitsmarktpolitischen Plan angemessener Reichweite gedient. Der graduelle Ausstieg aus dem Kohlebergbau in Ruhrgebiet und Saarland über die vergangenen Jahrzehnte mag dabei als beispielhafte, wenn auch teure Erfolgsstory gelten (Details hier). Maßnahmen waren weitgehend lokal: Umschulungen, Vorruhestand und die Abfederung der technologischen Änderung.
Aber es ist fraglich, ob ähnliche Maßnahmen bei den notwendigen und absehbaren Umschwüngen der kommenden Jahrzehnte ausreichend sein werden. Radikalere Ideen wären eine allgemeine Verkürzung der Arbeitszeit (Renteneintrittsalter, Wochenarbeitszeit), eine Flexibilisierung der Ausbildung, die wandelnder Technologie Rechnung trägt (lebenslanges Lernen), und ein Umdenken hin zu selbstbestimmterer Arbeitsuche und Ausbildungsorganisation (ein bedingungsloses Grundeinkommen könnte helfen).
Alle diese Ideen sind kostspielig und führen ihrerseits zu anderen Problemen: Der gleichzeitige Arbeitskräftemangel im Gesundheitsbereich würde durch die Verkürzung der Arbeitszeit erschwert; gegenwärtige Konzepte lebenslangen Lernens sind nicht auf die Breite ausgelegt, etc. Lösungen sollten allerdings gefunden und im besten Fall global, nicht nur lokal angesetzt werden.
Innovation folgt, wie andere ökonomische Zusammenhänge, statistischen Gesetzmäßigkeiten. Natürlich können wir Innovation genauso wenig exakt vorhersagen wie die Entwicklung der Finanzmärkte oder die Schäden der nächsten tropischen Wirbelstürme. Aber wir können Prognosen darüber abgeben, wie schnell sich Technologien verbessern (Moore’s Law zur Miniaturisierung von Computertechnologie), wie schnell Produktionskosten sinken.
Letzteres ist bekannt als Wright’s Law, benannt nach dem Flugzeugingenieur Theodore Wright: Kosten fallen proportional zur Erfahrung in der Arbeit mit einer bestimmten Technologie. Die Erfahrung kann als bisherige Gesamtproduktion operationalisiert werden. Steigt die Erfahrung um einen Faktor x (bspw. um einen Faktor 2 für eine Verdoppelung), so sinken die Produktionskosten in etwa um einen Faktor y (bspw. 20%). Das Verhältnis der Faktoren x und y ist für eine bereite Spanne an Technologien bemerkenswert konstant. Zusammen mit exponentiell steigender Produktion – insbesondere für neue Technologien – und daher exponentiell steigender Erfahrung führt uns das zu exponentiell fallenden Kosten (mit Exponenten logx(1-y)). Aber sie sind von Technologie zu Technologie verschieden (Details hier und hier).
Was bedeutet das etwa für den Übergang zu grünen Technologien? Will man beispielsweise entscheiden, welche Technologien sauberer Energieproduktion vordringlich gefördert werden sollten (oder in welche man investieren sollte), so lohnt sich ein Blick auf die vergangene Entwicklung der Kostenkurve zu dieser Technologie. Der exponentielle Fall wird voraussichtlich in etwa gleichbleiben. Auch für den Vergleich zu fossiler Energiegewinnung kann die Kostenkurve informativ sein – die Kosten fossiler Energiegewinnung fallen nur langsam (oder bei der derzeitigen Preisentwicklung gar nicht), hauptsächlich weil es sich um alte, etablierte Technologien handelt, für die der Großteil des Innovationspotenzials bereits realisiert ist. Viel besser werden sie kurzfristig nicht. Bei Solar- oder Windkraft oder Erdwärme ist das anders.
Die sozialen, ökonomischen und politischen Sphären haben sich immer gegenseitig beeinflusst. Digitale Technologien haben diese Interaktion allerdings in feste Bahnen gelenkt. Die Erkenntnis, dass diese Bahnen ihrerseits steuerbar sind und etwa Wahlergebnisse manipulierbar machen können (Cambridge Analyticas Claim to Fame), führte vor einigen Jahren zu einem Aufschrei. Und auch wenn manche Befürchtungen in diese Richtung überzogen sind, wird detaillierte und effektive soziale Kontrolle – von großem Interesse bspw. für diktatorische Regime, aber auch für politische Partikularinteressen – in den kommenden Jahren technisch realisierbar werden. Jenseits dessen haben die Algorithmen sozialer Netzwerke ohne Zweifel Echokammern erschaffen, die idiosynkratischen Ideen und Forderungen zu Massenbasis und zu politischer Relevanz verholfen haben (Details hier).
Diese Entwicklungen gefährden unter anderem auch den Konsens zu klimapolitischen Maßnahmen. Das ist gefährlich, weil ein breiter Konsens von Nöten sein wird. Klimapolitische Maßnahmen sind teuer – sonst bräuchten wir keine internationalen Abkommen dafür und alle würden aus reinem Eigeninteresse klimabewusst handeln. Länder laufen Gefahr, ihre Standortfaktoren zu beeinträchtigen, ohne klimapolitisch viel zu erreichen. Was bleibt, wenn sich eine globale Koordinierung als nicht machbar herausstellt? Die Alternative sind Maßnahmen, die tatsächlich aus Eigeninteresse ergriffen werden (bspw. grüne Energiegewinnung, wenn sie dann unausweichlich günstiger sein wird als fossile Energien) – aber das wird nicht genug sein.
Innovationspolitik ist relevant für eine klimabewusstere Zukunft. Diese Relevanz geht über die generelle Förderung allgemein umweltbewusster Innovationen hinaus. Mit Blick auf Netzwerkexternalitäten sollte die Implementierbarkeit mitgedacht werden, wobei offene Standards helfen können. Mit Blick auf Wrights Law sollte die Rentabilität mitgedacht werden – Technologien mit schnell fallenden Kostenkurven wie Solarenergie können Fallback-Optionen sein, die auch im Worst Case, beim Scheitern aller Klimaabkommen, einen positiven Beitrag leisten können.
Mit Blick auf die Durchsetzbarkeit sollte die soziale und politische Ebene mitgedacht werden; die Verschiebung ganzer Branchen in die Arbeitslosigkeit schafft zurecht Unmut und in der Folge leider eine fruchtbare Basis für Bullshit-Populismus, gestärkt durch Echokammern und im schlimmsten Fall Partikularinteressen, die sich Einfluss in sozialen Netzwerken kaufen. Sozialverträgliche Rahmenkonzepte für kommenden technologischen Wandel sind daher notwendig. Wenn möglich, wäre die Arbeit mit breitem Konsens wünschenswert. Wenn nicht, können bestimmte klimapolitische Innovationen dennoch erfolgreich sein.
Zum Autor:
Torsten Heinrich ist Professor für Mikroökonomie an der TU Chemnitz, Oxford Martin Associate der Oxford Martin School (Universität Oxford) und Associate Fellow am Institute for New Economic Thinking (INET) der Universität Oxford. Seine Forschung behandelt Innovationsökonomie, technologischen und strukturellen Wandel, komplexe Systeme in der Ökonomik und Computational Economics.