Economics need to change - now more than ever! With Exploring Economics, we strengthen alternative economic approaches and counter mainstream economics with a critical and pluralistic vision of economic education. We also provide background analyses on current economic debates to strengthen a critical economic discourse.
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Andreas Dimmelmeier und Andrea Pürckhauer
Bereits Anfang der 2000er Jahre forderten Studierende und heterodoxe Ökonom_innen eine Veränderung der Volkswirtschaftslehre (VWL). Seit der Wirtschafts- und Finanzkrise 2008 erfährt diese Kritik Aufwind und wird von bekannten Ökonom_innen , Politiker_innen und – prominent – auch von der englischen Queen geäußert. Zum einen richtet sich die Kritik gegen die einseitigen wirtschaftspolitischen Handlungsempfehlungen. Zum anderen – und hierauf liegt der Fokus der Studierenden – wird die universitäre Lehre problematisiert, die vielerorts einseitig neoklassisch ausgerichtet ist und der Vielfalt von ökonomischen Theorien und Methoden keinen Raum gibt. Kennzeichnend für die neoklassische Lehre ist ihr Fokus auf individuelles, nutzenmaximierendes Verhalten (‚Homo oeconomicus‘), Knappheit, Effizienz und Gleichgewichtsmodelle. Demgegenüber werden Wirtschaftsgeschichte, Wissenschaftstheorie oder Ethik nur an vereinzelten ökonomischen Fakultäten unterrichtet, Erkenntnisse aus anderen Disziplinen finden kaum Einzug in die Lehre.
Auch wenn viele Ökonom_innen den Kritikpunkten zustimmen, wie die 2016 von dem Netzwerk Plurale Ökonomik und der Universität Kassel erstellte Studie EconPLUS aufzeigt, ändert sich die Lehre nur sehr langsam. Deswegen entstand im Netzwerk Plurale Ökonomik die Idee, selbst eine Online-Lehr- und Lernplattform zu pluraler Ökonomik zu erstellen. Diese Plattform Exploring Economics ging im Dezember 2016 online. Sie verlinkt zum einen Materialien – wie Videos, Texte und Kurse – in den im Folgenden vorgestellten Bereichen Entdecken und Studieren. Zum anderen präsentiert sie Theorieschulen der pluralen Ökonomik im Bereich Orientieren und vergleicht sie miteinander. Die Lernplattform zielt darauf ab, die ökonomische Lehre zu bereichern und Selbstkritik, Reflexion und Offenheit in der Ökonomik zu fördern. Exploring Economics wurde mit der Unterstützung vieler Ehrenamtlicher erstellt, deren Beteiligung auch für die Weiterentwicklung des Projektes wichtig sein wird.
Aufbau von Exploring Economics
Der Bereich Entdecken ist der Teil der Website, der zum interaktiven Stöbern einlädt. Hier werden im Netz verfügbare Materialien verlinkt, die nach Themen wie ‚Arbeit‘, ‚Geld und Schulden‘ oder ‚Handel‘ und nach Theorieschulen sortiert sind. Verfügbar sind Open-Source-Bücher, Videovorlesungen, Kurzvideos, Multimedia-Dossiers und Radioprogramme. Dieser Bereich ist auch für Nicht-Ökonom_innen sehr interessant, da dem Material Schwierigkeitsgrade zugeordnet sind und Einführungen in viele Themen geboten werden. Zudem ist der Bereich ständig erweiterbar, sodass auch selbst erstellte Materialien von Nutzer_innen eingestellt werden können.
Ein weiterer Teil der Seite ist der Bereich Studieren, der MOOCs (Massive Open Online Courses), das heißt vollständige akademische Online-Kurse zu ökonomischen Themen von großer Bandbreite verlinkt. Hier werden die Nutzer_innen zu anderen Anbieter_innen weitergeleitet.
Wir sammeln Artikel, Videos und Lernmaterialien und machen sie öffentlich zugänglich. Dafür sind wir auf Unterstützung angewiesen.
In der universitären Lehre in Deutschland dominieren neoklassische Ansätze. Auf Exploring Economics wird die Neoklassik als eine Theorieschule neben neun weiteren vorgestellt, die in der Literatur oft als heterodoxe Schulen beschrieben werden: Verhaltensökonomik, Österreichische Schule, Institutionenökonomik, Marxistische Politische Ökonomik, Feministische Ökonomik, Post-Keynesianismus, Ökologische Ökonomik, Komplexitätsökonomik und Evolutionsökonomik.
In der Pluralismus-Debatte werden diese Ansätze häufig als Theorieschulen präsentiert, die sich als Alternative zum Mainstream entweder herausbilden oder die historisch bereits neben der Neoklassik existiert haben. Bisher gibt es jedoch kaum vergleichende Übersichten, die ökonomische Denkschulen gleichberechtigt zueinander in Beziehung setzen. Zudem sind diese wenigen Darstellungen meist ad hoc entstanden und wenig systematisch. Andere vergleichen nur ein oder zwei Theorieschulen miteinander, wobei die historische Orientierung solcher Vergleiche eine Auseinandersetzung oft recht zeitintensiv macht.
Vergleiche eröffnen aber einen wichtigen Zugang zu den Ansätzen pluraler Ökonomik und ermöglichen eine kritische Auseinandersetzung mit verschiedenen Denkschulen. Einige Fallstudien weisen auch darauf hin, dass kritisches Denken bei Studierenden durch die Präsentation von unterschiedlichen Perspektiven gefördert wird. Da eine komplette Klassifizierung wissenschaftlicher Arbeit natürlich unmöglich ist, wird auf der Plattform die jeweilige Schule zuerst als Idealtyp vorgestellt. Die Debatten, die innerhalb der Schulen geführt werden, können von interessierten Studierenden später nachvollzogen werden.
Dementsprechend sind solche Vergleiche für die Lehre und das Studium der pluralen Ökonomik besonders geeignet. Für Exploring Economics hat das Projektteam eigens ein Konzept entwickelt, wie die verschiedenen ökonomischen Schulen zueinander in Beziehung gesetzt werden können. Es wurden Kategorien auf verschiedenen Ebenen der Wissenschaftstheorie (Ontologie, Epistemologie, Methodologie, Axiomatik) entwickelt, die für jede Schule beantwortet werden (siehe auch Dobusch/Kapeller 2012) . Beispiele hierfür sind Fragen wie „Welches Problem treibt die ökonomische Welt an?”, „Was ist das Menschenbild der Theorieschule?” oder „Können Wissenschaftler_innen die reale Welt sehen, oder konstruiert Wissenschaft erst die Welt?”. Zudem werden verwendete Methoden sowie politische Zielsetzungen vorgestellt. All diese Fragen wurden von Mitgliedern des Netzwerkes in Zusammenarbeit mit wissenschaftlichen Gutachter_innen beantwortet und in schriftliche Form gebracht.
Ein Eindruck der Ergebnisse soll hier an einem Beispiel gegeben werden.
Diese Infografik präsentiert einen Vergleich der zehn wirtschaftswissenschaftlichen Denkschulen hinsichtlich der Frage, von welcher Ebene (Mikro-, Meso- oder Makroebene) die Analyse der Wirtschaft aus erfolgen sollte. Während sich die Komplexitätsökonomik, die Institutionenökonomik und die Ökologische Ökonomik vor allem mit der Analyse von Märkten, Rechts- bzw. Ökosystemen befassen, sind für den Postkeynesianismus oder die Marxistische Politische Ökonomik hauptsächlich Gruppen, Institutionen und Systeme – wie der Kapitalismus, verschiedene Wachstumsregime und Klassen – zentral für das Verständnis wirtschaftlicher Prozesse. Die Analysen dieser Schulen finden somit auf der Meso- und der Makroebene statt. Die Evolutorische Ökonomik und die Feministische Ökonomik orientieren sich an der Mesoebene: Erstere besagt, dass makroökonomische Prozesse nur über die Mesoebene erklärt werden können. Letztere, die Feministische Ökonomik, untersucht insbesondere die Wechselwirkungen zwischen Geschlechterverhältnissen und Arbeitsmärkten oder staatlicher Politik. Im Gegensatz dazu befindet sich die Neoklassik auf der Mikroebene – denn ihre Analysen gehen von (repräsentativen) Haushalten und Firmen aus –, ebenso wie die Verhaltensökonomik, die bei der Untersuchung menschlicher Entscheidungen ansetzt.
Für die Umsetzung wurde das Format einer Online-Lernplattform gewählt, die bisher auf Englisch und Deutsch abrufbar ist. Die Verfügbarkeit im Netz schafft eine große Reichweite, wodurch ein breites, auch internationales Publikum die Website verwenden kann. Zudem setzt die Plattform auf den kostenfreien Zugang zu den Inhalten. Es werden ausschließlich Texte und Videos verlinkt, die frei zugänglich sind. Die Infografiken wurden unter die Creative Commons Licence erstellt und können für den nichtkommerziellen Gebrauch weiterverwendet werden. Der in den Infografiken vorgestellte Vergleich und die Erörterung der Theorieschulen sowie die Infografiken selbst eignen sich gut zur Verwendung im Unterricht. Der Bereich Entdecken, der viele Videos und externe Materialien verlinkt, und der Bereich Studieren, der MOOCs vorschlägt, bietet sich für das einführende und vertiefende Selbststudium an. Darüber hinaus ermöglicht Exploring Economics als Open Educational Resource eine permanente Weiterentwicklung, auch durch die Einbindung der Nutzer_innen. So können Studierende das Gelernte durch Veröffentlichung auf der Plattform reflektieren. Zudem können neue Debatten und Themen auf der Seite eingebunden werden.
Exploring Economics erfuhr bisher eine sehr positive internationale Resonanz. In den ersten beiden Monaten besuchten 14.764 Nutzer_innen aus 156 Ländern die Website. Es gab zahlreiche Anfragen zum Ausbau und zur Verwendung der Seite, unter anderem vom Lehrerseminar Stuttgart, das an der Verwendung der Infografiken in der Lehrer_innenausbildung interessiert war. In den Syllabus des Seminars International Economic Thought an der Hertie School of Governance wurden die Beschreibungen der Theorieschulen als Lektüreemfehlung aufgenommen. Des Weiteren soll die Seite als interaktive Plattform ausgebaut werden, auf der sich Interessierte über aktuelle ökonomische Debatten informieren und sich vertieft mit Themen auseinandersetzen können. Deshalb wird die Seite permanent, auch über neue Projekte, aktualisiert werden. Anfang März fand eine Schreibwerkstatt in Berlin statt, an der sich auch internationale Teilnehmer_innen online beteiligten. Dort wurden Essays zum Thema Gender und Ökonomie verfasst, die auf der Seite veröffentlicht werden. Weitere solche Schreibwerkstätten sind für die Gestaltung von Exploring Economics geplant. Darüber hinaus kann die Plattform andere Veranstaltungsformate begleiten, durch die sich Studierende vertieft mit pluraler Ökonomik auseinandersetzen und sich selbst einbringen können. Für die kommenden Monate wurden mit der Universität Siegen und der Universität Bochum Kooperationen aufgebaut, über die Studierende die Seite verwenden und Material für die Seite erstellen. Nicht zuletzt ist geplant, die Seite zu internationalisieren: Sie soll in weitere Sprachen übersetzt werden und auch Theorien aus dem globalen Süden einbinden.
[1] Entropie ist ein Maß für unumkehrbare thermodynamische Prozesse. Alle physikalischen Prozesse zerstreuen Energie (Dissipation), daher steigt in geschlossenen Systemen die Entropie notwendig an, bis alle Energie gleich verteilt, alle verfügbare Energie in nicht verfügbare umgewandelt ist und keine makroskopischen Prozesse mehr möglich sind. Daher sind sich erhaltende (sich reproduzierende) physikalische Systeme (wie das Erdsystem, alle Ökosysteme, alle biologischen Populationen und Organismen und auch alle menschliche Produktions- und Konsumtionsweisen) nur als energetisch offene Systeme möglich, die permanent verfügbare Energie aus der Umgebung aufnehmen (z.B. Sonnenenergie oder in Kohle, Erdöl, Erdgas u.ä. chemisch gespeicherte Sonnenenergie) und die gleiche Energiemenge als nicht verfügbare (zerstreute) Energie, d.h. als Wärmestrahlung, an die Umgebung abgeben. Dies nennt man Entropieexport. Vgl.: Rifkin, Jeremy; Georgescu-Roegen, Nicholas (1982): Entropie: ein neues Weltbild. Hamburg: Hoffmann und Campe.
[2] Diamond, Jared M. (2010): Kollaps: Warum Gesellschaften überleben oder untergehen, 4. Aufl., Frankfurt am Main: Fischer-Taschenbuch-Verlag.
[3] Huber, Joseph (1999): Industrielle Ökologie. Konsistenz, Effizienz und Suffizienz in zyklusanalytischer Betrachtung, VDW-Jahrestagung, Berlin, 28.-29.Oktober 1999, in: Simonis, U. E./Kreibig, R. (2000): Global Change, Berlin: Berliner Wissenschaftsverlag.