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Die Quadratur des Kreislaufs

Economists for Future
Level: beginner
Perspective: Ecological Economics
Topic: Resources, Environment & Climate
Format: Essay

Die Quadratur des Kreislaufs

Maike Gossen

Erstveröffentlichung im Makronom

Die Notwendigkeit von Suffizienz als komplementärer Rahmen für Effizienz- und Konsistenzstrategien wird zunehmend anerkannt – die Rolle von Unternehmen in diesem Prozess jedoch meistens ausgeblendet.

                   



Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt. Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.

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Die Notwendigkeit von Suffizienz als komplementärer Rahmen für Effizienz- und Konsistenzstrategien wird in Wissenschaft, Politik und Gesellschaft zunehmend anerkannt. Dies erfordert weitreichende Veränderungen sozialer Praktiken und kollektive Verhaltensänderungen.

Die Rolle von Unternehmen für die Förderung von Suffizienz wird im Nachhaltigkeitsdiskurs jedoch meistens ausgeblendet – auch weil sich unter Nachhaltigkeitsakteuren eine tendenziell kritische Perspektive auf kommerzielle Unternehmen als Pioniere des Wandels durchgesetzt hat. Somit werden suffizienzorientierte Geschäftsmodelle (hier und hier) erst seit wenigen Jahren erforscht – etwa im Rahmen der Circular Economy oder aus einer praxistheoretischen Sicht.

Suffizienzorientierten Geschäftsmodellen liegt ein verändertes Verständnis von unternehmerischer Wertschöpfung und damit ein Paradigmenwechsel der Geschäftslogik zugrunde, bei dem es nämlich nicht – wie üblicherweise – ausschließlich um Gewinnmaximierung geht, sondern sichergestellt wird, dass alle unternehmerischen Aktivitäten zu Suffizienz beitragen, indem sie entweder Angebote und Rahmenbedingungen für suffizienzorientierte Lebensstile schaffen oder den Ressourcenverbrauch und die Produktionsmenge im eigenen Unternehmen begrenzen. Dies setzt einen tiefgreifenden Wertewandel in den Unternehmen voraus und macht in Folge der engeren Beziehung zu Kund*innen auch eine Neuausrichtung des Marketings erforderlich. Zur Inspiration dienen so genannte Degrowth-Unternehmen (hierhier und hier), die bereits Wege der Wertschöpfung gehen, die unabhängig von Wachstum sind oder sich gänzlich von dem Prinzip der Gewinnmaximierung abwenden. Dies kann für das Marketing bedeuten, auf klassische Werbung zu verzichten und anstelle dessen die Interaktion mit Stakeholdern für ein besseres Verständnis über die tatsächlichen Bedürfnisse von Kund*innen zu intensivieren.

 

Suffizienzförderndes Marketing wird im Produktdesign und durch Kommunikation umgesetzt

Geeignete suffizienzfördernde Marketinginstrumente können dem konventionellen Marketing-Mix zugeteilt werden, der sich aus Produkt-, Preis-, Vertriebs- und Kommunikationsstrategien zusammensetzt. Die in bisherigen Studien (hier und hier) untersuchten Unternehmen haben hohe Anforderungen an das Produktdesign und sind bestrebt, möglichst recyclebare, langlebige, multifunktionale, reparierbare und zeitlose Produkte anzubieten. Das Angebot wird um Dienstleistungen ergänzt, die die Nutzungsdauer der Produkte verlängern – wie etwa Reparaturwerkstätten, Secondhand-Verkäufe, Leihangebote oder Pflege- und Reparaturanleitungen.

Hinsichtlich der suffizienzfördernden Preispolitik konnten vor allem hohe Preise, lange Gewährleistungsgarantien und der Verzicht auf Rabattaktionen festgestellt werden. Unter den vertriebspolitischen Maßnahmen finden sich direkte Kundenkontakte und innovative Erlebnisangebote wie Kleidertauschpartys. Als Maßnahmen der Kommunikationspolitik werden Inhalte, die den Überkonsum in Frage stellen und zu kritischem Konsum anregen, sowie Bildungs- und Informationskampagnen zur Bewusstseinsbildung umgesetzt. Der Blick in die Praxis zeigt, dass die meisten Aktivitäten Konsumpraktiken unterstützen, die auf eine Verlängerung der Produktlebensdauer abzielen.

Die Motive sind vielfältig

Suffizienzförderndes Marketing ist widersprüchlich oder zumindest erklärungsbedürftig. Dieser Umstand wirft die Frage nach den Motiven auf, die Unternehmen dazu veranlassen, suffizienzorientierten Konsum zu unterstützen. Erste Studien (hier und hier) zu dieser Frage zeigen, dass die Motive vielfältig sind. Zu den altruistischen Motiven zählt die normative Überzeugung, dass ein Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung und zur gesellschaftlichen Abkehr von der materialistischen Konsumgesellschaft geleistet werden kann. Aus strategischer Sicht können Unternehmen suffizienzförderndes Marketing nutzen, um ihre Reputation zu verbessern, Kundenbeziehungen zu stärken, neue Geschäftsfelder zu erschließen und den Umsatz zu steigern.

Natürlich treten auch Barrieren auf – sozusagen als logisches Gegenstück zu den genannten Motiven. Diese Barrieren können ebenfalls in zwei Kategorien gruppiert werden: systemisch und organisatorisch. Suffizienzförderndes Marketing von Unternehmen kann im Falle einer engen Auslegung der Konsumentensouveränität kritisch bewertet werden, wenn damit Einschränkungen der Wahlfreiheit und Beeinflussung des wettbewerblichen Marktgeschehens in Verbindung gebracht werden. Als systemische Barrieren wurden die Wachstumsorientierung der Wirtschaft und die vorherrschende Konsumkultur identifiziert, die im Widerspruch zu Suffizienz stehen.

Förderung von Suffizienz durch Marketing erscheint zunächst paradox

Dass die Wachstumsorientierung der Wirtschaft als Barriere gilt, hängt damit zusammen, dass suffizienzförderndes Marketing im Widerspruch zum Ziel der Kaufstimulation des konventionellen Marketings und des kapitalistischen Wachstumsparadigma steht. In den wenigen bisherigen Studien (hier und hier) wurde festgestellt, dass Unternehmen dieser Widerspruch sehr bewusst ist. Die Parallelität beziehungsweise Kollision von gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Interessen können zu einem Wertekonflikt führen, mit dem die Unternehmen unterschiedlich umgehen: Entweder diversifizieren und dematerialisieren sie ihr Geschäftsmodell und bieten zusätzliche Dienstleistungen wie Verleih, Miete oder Gebrauchtkauf an. Dies ermöglicht Umsätze zu generieren, die nicht aus dem reinen Produktverkauf stammen.

Alternativ setzen insbesondere kleinere Unternehmen auf zeitlich begrenztes Unternehmenswachstum, in der Annahme, dass die temporär steigenden Verkaufszahlen zu einer Schrumpfung der Marktanteile von nichtnachhaltigen Unternehmen führen soll. Die Erkenntnis, dass Umsatzeinbußen in der Folge von suffizienzförderndem Marketing durch zusätzliche Dienstleistungen oder moderate Wachstumsstrategien zunächst ausgeglichen werden können, kann hierbei andere Unternehmen zur Umsetzung von suffizienzförderndem Marketing motivieren.

Dies führt zu einer gewissen Paradoxie, die sich exemplarisch anhand der „Don’t buy this jacket“-Anzeige von Patagonia aufzeigen lässt. Das Ziel der Kampagne war, Kund*innen über Reparaturmöglichkeiten und Second Hand-Angebote zu informieren und zum Kaufverzicht zu bewegen. Gleichwohl erzielte Patagonia ein Umsatzwachstum von über 30 Prozent. Erst kürzlich verkündete das Unternehmen dann öffentlich, „nicht weiter wachsen zu wollen“ und den Unternehmenszweck vom Unternehmenswachstum zu entkoppeln.

Glaubwürdige Absichten oder Greenwashing?

Aus der Forschung zu unternehmerischer Verantwortungsübernahme ist bekannt, dass inkonsistente und damit unglaubwürdige Kommunikation die Einstellungen gegenüber einem Unternehmen negativ beeinflusst, was wiederum die Reputation des Unternehmens gefährden kann. Zweifel an der Ernsthaftigkeit gesellschaftlichen Engagements von Unternehmen sind eng mit dem Vorwurf des Greenwashings verbunden. Dahinter verbirgt sich die Vermutung, dass Unternehmen Nachhaltigkeit nur betreiben würden, um den Anschein gesellschaftlicher Verantwortlichkeit zu wahren.

Um solchen Vorwürfen vorzubeugen, sollten sich Unternehmen um eine authentische, transparente und konsistente Kommunikation bemühen. Zudem empfiehlt es sich, ein suffizienzförderndes Produkt- und Dienstleitungsangebot als Basis für alle sonstigen operativen Marketingaktivitäten zu begreifen. Der Fokus vieler Unternehmen auf die Langlebigkeit, Qualität und Zeitlosigkeit ihrer Produkte sowie die aktive Kommunikation der Vorteile suffizienzorientierten Konsums (z. B. finanzielle Einsparungen, Zeitgewinne oder die Reduktion von Eigentumspflichten) sind daher geeignete Ansatzpunkte für ein glaubwürdiges Marketing. Dass suffizienzorientierter Konsum auch Praktiken des Selbermachens und Reparierens einschließt, bietet zudem die Chance, die Aneignung handwerklicher Fähigkeiten zu unterstützen und dadurch die Selbstwirksamkeit und Selbstermächtigung von Konsument*innen zu stärken.

Potenzial für Verhaltensänderungen ist gegeben, aber tatsächliche Wirkung nur kurzfristig messbar

Diverse Forschungsarbeiten (hierhier und hier) haben gezeigt, dass Verbraucher*innen suffizienzfördernde Kommunikation sowie den Absender der Kommunikation positiv wahrnehmen. Aber folgt auf diese positive Reaktion auch tatsächlich eine individuelle Verhaltensänderung in Richtung Suffizienz – also eine Reduktion des absoluten Verbrauchs, eine Umstellung auf weniger ressourcen-intensive Verhaltensweisen, die Erhöhung der Langlebigkeit von Produkten oder gemeinsame Nutzungspraktiken?

Eine experimentelle Studie mit Kund*innen des nachhaltigen Online-Marktplatz Avocadostore hat diesbezüglich ergeben, dass Teilnehmende zwar im Untersuchungszeitraum ihren Kleidungsverbrauch reduzierten, es aber keinen Unterschied gemacht hat, ob sie zuvor die suffizienzfördernde Intervention gesehen haben oder nicht. Daraus kann gefolgert werden, dass die suffizienzfördernden Inhalte das Verhalten nicht im intendierten Sinne beeinflussen. Im Vergleich dazu konnte in einer weiteren Studie – diesmal als Online-Laborexperiment realisiert – ein kurzfristiger Effekt der suffizienzfördernden Instagram-Kommunikation auf suffizienzorientierten Konsum gemessen werden. Dauerhafte Auswirkungen konnten hingegen bislang nicht empirisch belegt werden. Es scheint, dass Kommunikationsaktivitäten von Unternehmen allein nicht effektiv genug sind, um langfristige Verhaltensänderungen in Richtung suffizienzorientierter Lebens- und Konsumstile zu unterstützen.

Politische Unterstützung ist notwendig

Die begrenzte Wirkung von Suffizienzkommunikation verdeutlicht, dass der Erfolg von suffizienzförderndem Marketing von weiteren Faktoren abhängt. Dies betrifft vor allem die politischen Rahmenbedingen, etwa in Form von wirtschaftspolitischen Maßnahmen, die die Suffizienzförderung durch Unternehmen flankieren. Gute Beispiele in diesem Zusammenhang sind der ermäßigte Mehrwertsteuersatz für Reparaturdienstleistungen in Schweden und der Reparatur-Index in Frankreich.

Auf lokalpolitischer Ebene besteht darüber hinaus die Möglichkeit, Werbung im öffentlichen Raum für umweltschädliche Produkte wie von fossilen Energien angetriebene Fahrzeuge oder Auslandsflüge zu verbieten oder einzuschränken. Städte wie Amsterdam oder Grenoble machen davon bereits Gebrauch. Um suffizienzorientierten Konsum zur sozialen Norm in der Gesellschaft zu machen, sollten Unternehmen zudem Partnerschaften untereinander, aber auch mit Akteuren aus Politik und Zivilgesellschaft eingehen. Konzertierte Aktionen und Kampagnen, die von einer breiten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Basis getragen werden, können dem Prinzip der Suffizienz in der gegenwärtigen Konsumkultur eine größere Bedeutung verschaffen.

Unternehmen stehen vor der Aufgabe zu hinterfragen, ob die bestehenden Marketingansätze geeignet sind, um zukunftsfähige Lösungen für den Überkonsum in Wohlstandsgesellschaften zu fördern. Hier kann die nachhaltigkeitsorientierte Marketing- und Konsumforschung beitragen, indem sie die Entstehung von nicht-nachhaltigen Lebensstilen sowie die Verantwortung und institutionelle Macht des Marketings stärker in den Blick nimmt.

 

Zur Autorin:

Maike Gossen ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Fachgebiet Sozial-ökologische Transformation der TU Berlin. Sie forscht und lehrt zu den Themen nachhaltiger Konsum, suffizienzförderndes Marketing und sozial-ökologische Transformation.

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