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Auf dieser Seite dokumentiert Exploring Economics die Ergebnisse der Studie EconPLUS, die als Kooperationsprojekt des Fachgebiets Umwelt- und Verhaltensökonomik (Prof. Dr. Frank Beckenbach) der Universität Kassel und des Netzwerks Plurale Ökonomik durchgeführt und von Geldern der Hans Böckler Stiftung gefördert wurde.
Der zweite Teil der Studie befasste sich mit der Analyse von Modulhandbucheinträgen zu den Grundlagenfächern „Einführung in die Volkswirtschaftslehre“, „Mikroökonomik“ und „Makroökonomik“ sowie von entsprechenden Lehrmaterialien. Die Auswahl von Modulbeschreibungen als Analyseobjekt ist damit zu begründen, dass durch Modulhandbücher die wesentlichen Eckdaten für die Lehrveranstaltungen festgelegt werden und diese als Orientierung für die Lehrpraxis dienen. Diese sind in ihren relevanten Bereichen, d.h. auch in der Festlegung von Ziel und Inhalt der einzelnen Lehrveranstaltungen, Bestandteil der Prüfungsordnungen.
Mit der Untersuchung sollten die folgenden fünf Themenstellungen geklärt werden:
Die Untersuchung der Modulbeschreibungen und Lehrmaterialien erfolgte mittels der Zählung von Begriffen. Die Vorgehensweise war zweigleisig: Zum einen wurden die Modulbeschreibungen (Abschnitte Lehrinhalte und Ziele) dahingehend untersucht, wie häufig die in der Umfrage genannten Begriffe zum Mainstream und Sidestream vorkommen. Zum anderen wurde ein eigenes Kategoriensystem entwickelt, welches die in den Modulbeschreibungen vorkommenden Begriffe danach differenziert, ob diese orthodoxen oder heterodoxen Inhalten zuzuordnen sind. Die Auswertung erfolgte mittels einer Textmining-Software sowie mittels Netzwerkanalysen.
Zentrale Ergebnisse der Analyse der Lehrinhalte:
Insgesamt lässt sich bei der Auswertung der Modulhandbücher feststellen, dass es eine große Dominanz von an der neoklassischen Gleichgewichtsökonomik orientierten Konzepten gibt. Die Modulbeschreibungen der „Einführung in die Volkswirtschaftslehre“ sind zwar relativ unbestimmt und fragmentiert, dennoch dominieren selbst hier Begriffe, die dem Mainstream zugeordnet werden können. In der „Mikroökonomik“ lässt sich hingegen eine prägnante Orientierung am Mainstream, insbesondere eine Einbettung in Gleichgewichtskonzepte feststellen. Das Begriffsnetzwerk (vgl. Abbildung 13), das die vielen wechselseitigen Verbindungen unter den häufigsten Kategorien bildlich verdeutlicht, weist darauf hin, dass hier ein zusammenhängendes Theoriegebäude abgebildet wird: das der neoklassischen Gleichgewichtsökonomik.
Abbildung 13: Begriffsnetzwerk Mikro (Mainstream)
Gleiches gilt für die Makroökonomik, in der ebenfalls gleichgewichtsorientierte Konzepte dominieren und Wachstum als zentrales Element hervorsticht, wobei die Modulbeschreibungen hier weniger homogen sind als die der Mikroökonomik.
Abbildung 14: Begriffsnetzwerk Mikro (Mainstream)
Auch die zusätzliche Betrachtungsweise mittels der Klassifizierung in orthodox/heterodox bestätigt das Bild einer einseitigen Gestaltung der Grundlagenfächer „Einführung in die Volkswirtschaftslehre“, „Mikroökonomik“ und „Makroökonomik“. Die Differenzierung der Untersuchung mittels der Kategorien orthodox/heterodox verdeutlicht – etwa am Beispiel Mikroökonomik –, dass Begriffe wie Verhaltensökonomik oder Spieltheorie, die in der Befragung sowohl dem Mainstream als auch dem Sidestream zugeordnet wurden, nun als kritischer Rand des Mainstream bezeichnet werden können (vgl. die folgende Abbildung). Begriffe, die explizit heterodox sind, treten in einer vernachlässigbaren Größenordnung auf, Gleiches gilt für die Makroökonomik. Es kann daher davon ausgegangen werden, dass in den Grundlagenveranstaltungen eine überwiegend neoklassisch orientierte, orthodoxe Mikro- und Makroökonomik gelehrt wird.
Abbildung 15: Anzahl Wörter Modulbeschreibungen Mikro „orthodox“ und „heterodox“
Insgesamt verdeutlicht die Auswertung der Lehrveranstaltungsunterlagen die grundlegende Übereinstimmung zwischen Modulhandbüchern und Lehrmaterialien. Die Analyse der Lehrmaterialien von 20 makroökonomischen Vorlesungen zeigt beispielsweise eine relativ starke Dominanz von spezifischen Begrifflichkeiten, die die Lehrenden dem Mainstream zugeordnet haben. Hinsichtlich des „sidestream“ fällt wiederum die relativ häufige Nennung von eher allgemeinen Begriffen auf. Begriffe, die auf spezifische Inhalte hinweisen, wie etwa die Nennung der Krise oder die Bezugnahme auf Verhaltens- bzw. Komplexitätsökonomik, sind relativ selten.
Abbildung 16: Anzahl Wörter Lehrmaterialien Makro „mainstream“ und „sidestream“
Diese Dominanz des Mainstreams wird bei der Unterscheidung nach orthodox und heterodox, welche auf Basis der Auswertung der Modulhandbücher identifiziert wurden, noch etwas deutlicher.
Abbildung 17: Anzahl Wörter Lehrmaterialien Makro „orthodox“ und „heterodox“
Auch hier gilt das Gleiche für die Veranstaltungen „Einführung in die Volkswirtschaftslehre“ und „Mikroökonomik“. Die Untersuchung, beispielsweise der Lehrmaterialien zur Mikroökonomik, verdeutlicht, dass die Modulhandbücher grosso modo den Rahmen für eine einseitige Lehrpraxis darstellen oder zumindest die Realität der Lehre widerspiegeln: die eindeutige Dominanz der Neoklassik. Da die Befunde in den makroökonomischen Grundlagenveranstaltungen auf eine ähnliche Dominanz hinweisen, kann davon ausgegangen werden, dass Modulhandbuchbeschreibungen und Lehrpraxis nicht unabhängig voneinander sind.
Die Untersuchung der volkswirtschaftlichen Grundlagenveranstaltungen an deutschen Hochschulen verdeutlicht das bereits thematisierte Ungleichgewicht in der Lehre. Sidestream-Orientierungen sind im Verhältnis zum Mainstream deutlich geringer ausgeprägt (Gleiches gilt für die Kategorie orthodox/heterodox). Insofern unterstreicht die universitätsbezogene Auswertung (siehe hierzu die folgenden Abbildungen) den Befund, dass die Modulhandbücher und die Lehre einseitig neoklassisch geprägt sind, und verdeutlicht die Dimension des Problems. In den nachfolgenden Abbildungen werden die Häufigkeiten des Vorkommens von Mainstream- und Sidestreambegriffen bzw. von Begriffen, die den Katerogien "orthodox" und heterodox" zuzuordnen sind pro Studiengang (nach Studiengangsstandort) aufgeführt.
Abbildung 18: Anzahl Wörter Modulbeschreibungen nach Standorten (Mainstream/Sidestream)
Abbildung 19: Anzahl Wörter Modulbeschreibungen nach Standorten (Orthodox/Heterodox)
Die Ergebnisse sollen hier am Beispiel Mikroökonomik vertiefend dargestellt werden. In den 78 Modulbeschreibungen der Mikroökonomik werden je nach Studiengang jeweils zwischen 0 und 42 orthodoxe Begriffe und zwischen 0 und 5 heterodoxe Begriffe genannt (Mittelwert 12,9 und 0,3). Die meisten orthodoxen Begriffe weisen dabei die Modulhandbuchbeschreibungen der Studiengänge in Augsburg (42), München (41) und Lüneburg (38) auf. Die häufigsten heterodoxen Begriffe finden sich bei den Studiengängen in Bremen (5) sowie in Augsburg, Bamberg und Bonn (je 2). Lediglich die Universität Rostock weist mehr heterodoxe als orthodoxe Nennungen auf. Allerdings ist die Anzahl der heterodoxen Nennungen auch hier niedrig. Auffällig ist hier die hohe Anzahl der Standorte ohne heterodoxe Begriffe (46 von 54 Standorten). Dieser Umstand deutet stark auf die orthodoxe Ausrichtung in der Ausbildung hin und wirft die Frage auf, ob sich eine solche Festlegung von Lehrinhalten mit der Freiheit von Forschung und Lehre vereinbaren lässt.
Abbildung 20: Nennungen orthodoxer und heterodoxer Begriffe nach Studiengangsstandort Mikro
Diese grafische Aufschlüsselung verdeutlicht, dass – mit einer Ausnahme – an allen Standorten mehr orthodoxe als heterodoxe Begrifflichkeiten verwendet werden (sie liegen im Bereich unterhalb der gestrichelten 45°-Linie). Dazu kommt, dass an den meisten Standorten heterodoxe Begriffe unterdurchschnittlich oft auftauchen (bei vielen sogar kein heterodoxer Begriff genannt wird): sie liegen unterhalb der durchgezogenen horizontalen Linie, welche den Mittelwert der Anzahl der heterodoxen Begriffe angibt.
Im Rahmen der Untersuchung wurde auch geprüft, inwieweit an den betrachteten Studiengängen Lehrveranstaltungen mit erweiterter Perspektive angeboten werden. Gesucht wurde hierbei nach Lehrveranstaltungen zu Wissenschaftstheorie, Ideengeschichte, Wirtschaftsgeschichte und Ethik. In keinem Modulhandbuch der Studiengänge fand sich ein Angebot aller vier Fächer. Nur das Modulhandbuch des Studiengangs am Standort Köln beinhaltet zumindest drei der Fächer. Jeweils zwei der Fächer mit erweiterter Perspektive werden in den Modulhandbüchern der Standorte Bremen, Hohenheim, Magdeburg, Mannheim, Paderborn und Siegen aufgeführt. Das Modul zur Wissenschaftstheorie wurde nur in Leipzig und Köln angeboten. In insgesamt 23 der Studiengänge sahen die untersuchten Modulhandbücher kein einziges Modul vor, welches sich ausschließlich einem der Fächer mit erweiterter Perspektive widmet (vgl. folgende Abbildung).
Abbildung 21: Universitätsortbezogene Auswertung der Modulhandbücher nach Lehrveranstaltungen mit erweiterter Perspektive
Im Rahmen der Studie wurde untersucht, welche Lehrbücher im Rahmen der Lehre verwendet wurden. Hierfür wurden einerseits die Lehrenden direkt befragt, zudem wurden die Modulhandbücher sowie die Vorlesungsunterlagen ausgewertet.
Die Auswertungen verweisen auf eine deutliche Konformität der Lehrbücher. Sowohl in der Befragung als auch in den Modulhandbuchbeschreibungen der untersuchten Fächer sowie den entsprechenden Lehrveranstaltungen ist ein weitgehend identischer Standard in Bezug auf die Inhalte dominierend. Diese Konformität spiegelt sich auch in den Inhalten der Lehrbücher wider und ist in den am häufigsten verwendeten mikroökonomischen Lehrbüchern – Pindyck/Rubinfeld, Varian und Mas-Colell – am weitesten fortgeschritten: Angebots- und Nachfragefunktionen, Budget und Präferenzen beim Haushaltshandeln, Produktionstechnologie, Kostenfunktionen und Profitmaximierung beim Unternehmenshandeln und schließlich die Analyse der Marktformen aus der Sicht dieses neoklassischen Ansatzes gehören hier zum Standardrepertoire. Kritische Randgebiete wie etwa die Verhaltensökonomik werden nur als Sonderthema behandelt. Grundlegende Alternativen wie zum Beispiel der Carnegie-Ansatz zur Mikroökonomik sind kein Thema in diesen Lehrbüchern.
Auch die am häufigsten verwendeten Makroökonomik-Lehrbücher – in der Makroökonomik werden meist Standardlehrbücher wie Blanchard/Iling, Mankiw, Romer und Blanchard verwendet – sind ebenfalls durch einen gemeinsamen konzeptionellen Kern geprägt: Für die Kurzfristanalyse wird das IS-LM Modell herangezogen, die Mittelfristanalyse verwendet das AD-AS Modell und den Ansatz der Phillipskurve und in der Langfristanalyse werden wachstumstheoretische Überlegungen aus der neoklassischen und der sog. endogenen Wachstumstheorie kombiniert. Die Verschiebung der makroökonomischen Diskussion in Richtung auf eine eher mit der Standard-Mikroökonomik kompatible – und damit paradigmatisch konsistentere – Betrachtungsweise (vergl. De Vroey 2016) ist in den hauptsächlich verwendeten Lehrbüchern noch nicht angekommen, wird aber in Zukunft im Zuge der Paradigmenpflege zu erwarten sein. Kritische Themen wie etwa die Instabilität auf den Finanzmärkten werden nur am Rande behandelt. Wiederum erfolgt eine nahezu vollständige Ausblendung grundlegender Alternativen, etwa in Gestalt des Post-Keynesianismus.
Für einen großen Teil der Befragten sind die vorherrschenden Lehrbücher weitgehend hinreichend in Bezug auf die Wiedergabe des Stands der Forschung, der Vermittlung von in der Wirtschaft zu beobachtenden Problemen und in Bezug auf die Vermittlung von pluralen Ansätzen. Dies deutet darauf hin, dass sich die grundsätzliche Kritik an den Lehrinhalten bis dato kaum zu einer Kritik an den einschlägigen Lehrbüchern weiterentwickelt hat (vgl. Urban/Van Treek 2016).
Abbildung 22: Bewertung der verwendeten Lehrbücher
Angesichts dieser Befunde zu den Modulhandbüchern, den Lehrmaterialien und den wichtigsten Lehrbüchern kann festgestellt werden, dass in den Grundlagenmodulen der überwiegenden Anzahl der volkswirtschaftlich orientierten Studiengänge der Universitäten generell eine Vorselektion von Themen, Konzepten und Methoden stattfindet. Diese Vorselektion entbehrt nicht nur einer kritischen Grundlagenreflexion, im Regelfall wird sie sogar schlicht verschwiegen, indem der standardökonomische Zugang zur Volkswirtschaftslehre als der einzig mögliche oder zwingend nötige Weg ausgegeben wird. Da diese Einseitigkeit bereits in vielen Modulhandbüchern für die entsprechenden Lehrveranstaltungen angelegt ist, kommt dies einer erstaunlichen Selbstbeschränkung in der Lehrpraxis gleich. Die in den Modulhandbüchern enthaltenen Module sollen eigentlich einen Orientierungsrahmen für jeweils unterschiedliche Lehrveranstaltungen vorgeben. Insofern ist zu erwarten, dass bei der Spezifikation der Lernziele, der Inhalte und der Methoden für die einzelnen Module ein Freiheitsgrad gewahrt bleibt, der das Erreichen dieser Anforderungen auf unterschiedliche Weise erlaubt (ansonsten wäre die Modulbeschreibung mit einer Lehrveranstaltungsbeschreibung identisch). Werden aber Lernziele, Inhalte und Methoden so festgelegt, dass damit nur ein bestimmter Ansatz in einer Lehrveranstaltung behandelt werden kann, wie das bei der Mehrzahl der Modulbeschreibungen der Fall ist, wird dieses Gebot ignoriert.