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Die Verhaltensökonomik ist ein noch junger Bereich der Wirtschaftswissenschaft, der sich mit den Abweichungen menschlichen Verhaltens vom Verhaltensmodell des homo oeconomicus befasst. Diese Abweichungen vom rationalen Kalkül werden als „non-standard“ (der Standard ist Neoklassik) oder „biased“ eingeführt. Verhaltensökonomischen Forschung erklärt menschliches Entscheidungsverhalten beispielsweise mit sozialen Präferenzen, Heuristiken und Normen und erweitert somit die Verhaltensmodelle in den Wirtschaftswissenschaften. Erkenntnisse werden hauptsächlich aus Feld- und Laborexperimenten gewonnen. Weiterhin werden Erkenntnisse angrenzender Disziplinen (Psychologie, Sozialwissenschaften, Neurowissenschaft, Kognitionswissenschaft etc.) genutzt und auf die ökonomische Disziplin übertragen, um menschliches Verhalten besser erklären zu können.
Die Verhaltensökonomik stellt grundsätzlich keine starken theoretischen oder normativen Annahmen über die Funktionsweise des Wirtschaftssystems auf. Stattdessen werden prominente (neoklassische) ökonomische Theorien auf Fragen des menschlichen Verhaltens untersucht und auf Abweichungen vom neoklassischen Modell in konkreten wirtschaftlichen Zusammenhängen (z.B. Märkten und öffentliche Gütern) überprüft (Weber und Dawes 2010, S. 91). Der Fokus der Verhaltensökonomik liegt also auf dem beobachtbaren Verhalten von Menschen. Dementsprechend beziehen sich die zentralen Konzepte vor allem auf Menschen und ihre Entscheidungen. Menschen werden dabei als begrenzt rational (bounded rational) beschrieben.
Als Ursache liegen verschiedene Erklärungen vor. Prominent ist die Theorie eines dualen Entscheidungssystems (dual process theory, siehe auch Kahneman 2011): Entscheidungen werden demnach situationsabhängig von zwei System beeinflusst: Das intuitive System wird als schnell, mühelos und schwankend in seinen Leistungen beschrieben, während das denkende System aufwendiger, zuverlässiger und langsamer ist. Wegen der Abweichungen des intuitiven Systems von den Vorhersagen des rationalen Verhaltensmodells gelten Menschen als begrenzt rational.
Ausgehend von der neoklassischen Entscheidungstheorie entwickelt der Verhaltensökonom Rabin (2002) drei Abweichungen von der neoklassischen Erwartungsnutzentheorie, die seitdem maßgeblich für eine Differenzierung verhaltensökonomischer Forschung sind. Rabin unterscheidet „non-standard preferences“, „non-standard beliefs“ und „non-standard decision making“ („preferences“, „beliefs“ und „decision making“ beziehen sich dabei auf jeweils einen Teil der mathematischen Funktion, die die neoklassische Erwartungsnutzentheorie beschreibt), die nachfolgend erläutert werden. Dabei besteht nicht der Anspruch auf Vollständigkeit aller Beispiele, vielmehr werden stets zwei Beispiele erläutert (siehe für weitere Beispiele DellaVigna 2009):
Die Klassifizierung von Rabin zeigt deutlich die Orientierung am Mainstream der Wirtschaftswissenschaften, indem stets von non-standard gesprochen wird. Damit erhebt diese Form von Verhaltensökonomik den Anspruch erstens bessere Theorien generieren zu können, zweitens bessere Vorhersagen machen zu können und drittens bessere Politikempfehlungen machen zu können (Camerer, Loewenstein 2004).
Es ist umstritten, welchen Einfluss die genannten Erkenntnisse auf eine Entscheidungstheorie haben sollen. Einige Forscher*innen erweitern die neoklassische Erwartungsnutzentheorie (Expected Utility Theory) einfach um verhaltensökonomische Erkenntnisse: So bleibt das Nutzenmaximierungskonzept in der Prospekt-Theorie von Kahneman und Tversky (1979) grundsätzlich bestehen, allerdings werden beispielsweise Verluste doppelt so stark gewichtet wie Gewinne. Gleichwohl gibt es auch Konzepte, die weite Teile des homo-oeconomicus-Konzepts verwerfen oder andere Verhaltensmodelle als Basis verwenden. Dazu gehören einige Forschungsansätze zu sozialen Normen: Erwartungen anderer Menschen an das eigene individuelle Verhalten wirken sich direkt auf das eigene Verhalten aus. Auf theoretischer Ebene setzt sich die Verhaltensökonomik neben dem neoklassischen Rational Choice Ansatz beispielsweise mit Konzepten der Soziologie und Sozialpsychologie auseinander, die andere wissenschaftstheoretischen Grundannahmen zugrunde legen (Bicchieri, Muldoon 2011). Die Wirkung sozialer Normen wird in einigen Studien dazu verwendet, um einen behavioral change herbeizuführen, zum Beispiel um Energie zu sparen (Allcott 2011).
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Der Fokus auf menschliches Verhalten macht das Individuum zum zentralen Objekt der Analyse der Verhaltensökonomik. Jedoch wird das menschliche Verhalten auf ontologischer Ebene komplexer gefasst als im klassischen Mainstream. Während die Neoklassik den reduktionistischen Idealtyp des homo oeconomicus mit stabilen geordneten Präferenzen über ein Güterbündel in ihren Modellen voraussetzt, bestimmen in der Verhaltensökonomik Regeln, Heuristiken, Überzeugungen, Wünsche, Launen, Emotionen etc. das Verhalten der Individuen (Angner, 2014). Somit entspricht die neoklassische Theorie nicht dem tatsächliche Verhalten, daher werden neue Verhaltensmodelle entwickelt.
Es bleibt unklar, worauf die Abweichungen zum Modell des homo oeconomics auf ontologischer Ebene zurückzuführen sind. Im wissenschaftlichen Diskurs existieren konkurrierende und ergänzende theoretische Erklärungen, die die Ursache entweder im Individuum selbst, oder im Umfeld und Entscheidungskontext suchen. Beispielhaft für einen reduktionistischen Ansatz ist die Untersuchung von kognitiven Kapazitäten. Die Autoren Mullainathan und Sharif (2013) beschreiben, dass jedes Individuum über eine kognitive Knappheit verfügt, sodass Entscheidungen durch Limitierungen menschlichen Denkens begrenzt rational sein können. Exemplarisch für kontextuale Ansätze sind Publikationen zu sozialen Normen, die den Kontext in Bezug auf individuelle Entscheidungen betonen (eine theoretische Übersicht ist bei Bicchieri, Muldoon 2011 zu finden).
Die verhaltensökonomische Forschung gibt keine universelle Antwort auf die Frage, ob reduktionistische oder kontextuale Ansätze zielführend sind. Auch die Frage, ob Präferenzen im Menschen selbst verankert sind (methodologischer Individualismus mit stabilen Präferenzen und Reaktionen auf Anreize) oder ob sie nicht vielmehr durch äußere Faktoren beeinflusst und somit als endogen zu betrachten sind, ist Teil einer aktuellen Debatte (siehe Abschnitt 7).
Als zentrales ökonomisches Problem wird häufig die Knappheit von Ressourcen verstanden. Daraus folgt oft die Fragestellung, unter welchen Bedingungen sich Menschen wie der homo oeconomicus verhalten, um ein effizientes Ergebnis herbeizuführen (Frank, Bernanke 2004, S. 4). Das zentrale ökonomische Problem Knappheit lässt sich auch aus der angewandten verhaltensökonomischen Forschungsdisziplin „Marktdesign“ ableiten. Marktdesign beschäftigt sich mit der Architektur von Märkten unter Berücksichtigung von bestimmten Zielen. Im Gabler Wirtschaftslexikon werden als beispielhafte Ziele für Marktarchitekturen „die Maximierung der Erlöse, Effizienz oder der Liquidität, die Minimierung der Kosten, die Offenbarung privater Informationen etc.“ genannt (Springer Gabler Verlag 2017).
Weiterhin wird Unsicherheit als Faktor anerkannt. Man geht davon aus, dass Menschen in unsicheren Entscheidungssituationen nicht die optimale Wahl nach rationalem Kalkül berechnen, sondern sich gewisser Entscheidungsheuristiken bedienen. Im Gegensatz zu neoklassischen Ansätzen untersucht die Verhaltensökonomik dabei auch Entscheidungen unter fundamentaler Unsicherheit, bei der die Höhe des Risikos unbekannt bleibt (Tyszka 2015, S. 12). Heuristiken sind jedoch nicht auf Entscheidungen unter Unsicherheit begrenzt und grundsätzlich in jeder Entscheidungssituation anwendbar. Im Vergleich zu anderen Theorieschulen wie der Österreichischen Schule oder des Post-Keynesianismus spielt Unsicherheit nur eine untergeordnete Rolle und ist lediglich für ein Teilgebiet der Verhaltensökonomik relevant.
Wie betrachtet die Verhaltensökonomik auf ontologischer Ebene zeitliche Abläufe? In den meisten Theorien und Modellen sind sie eher statisch bestimmt. Statisch bedeutet, dass Modelle den Anspruch haben, zukünftige Ereignisse in eingeteilten Zeitperioden vorhersagen zu können. Zwar weisen auch Modelle mit zeit-inkonsistente Präferenzen eine Dynamik auf, jedoch ist das Ergebnis dieser Dynamiken nicht grundsätzlich offen oder unbestimmt (siehe z.B. Frederick, Loewenstein, O‘Donoghue, 2002). Auch andere Ansätze wie die Neue Erwartungstheorie (Prospect theory) von Kahneman, Tversky (1979) verwenden Referenzpunkte, die sich ebenso aus der Vergangenheit ergeben können. Diese Referenzpunkte beeinflussen das zukünftige Verhalten dynamisch, jedoch nicht offen oder unbestimmt.
Verhaltensökonomie geht davon aus, dass Verhalten, das dem homo oeconomicus zugeschrieben wird, keine geeignete Grundlage darstellt, um das menschliche (Entscheidungs-)Verhalten – als zentrales Thema der Verhaltensökonomie – deskriptiv zu beschreiben. Ansatzpunkt ist stattdessen die reale Welt, in der mit Hilfe von Experimenten Theorien und Hypothesen getestet werden (siehe Methodologie). Die deskriptive Orientierung entspricht demzufolge einem epistemologischen Realismus in dem davon ausgegangen wird, dass menschliches Verhalten relativ problemlos von Wissenschaftler*innen beobachtet und beschrieben werden kann. Fragestellungen mit Bezug auf die Wissensproduktion und selbstreferentielle Dynamiken von Wissenschaft und wissenschaftlichen Konzepten, die in konstruktivistischen Ansätzen oft thematisiert werden, spielen in der Verhaltensökonomik keine große Rolle, wenngleich die Anwendung verhaltensökonomischen Wissens auch von Forscher*innen aus dem Feld selbst vorangetrieben wird (siehe 6. Ideology and Political Goals).
Hinsichtlich der Einordung von empirischen Ergebnissen fungiert das angenommene Verhalten des homo oeconomicus dann als Benchmark, an dem beobachtbares Verhalten gemessen wird. Deutlich wird dies beispielsweise, wenn Kahneman (2003, S. 1449) in seiner Nobelpreisrede davon spricht, dass sein Vorhaben in „exploring the systematic biases that separate the beliefs that people have and the choices they make from the optimal beliefs and choices assumed in rational-agent models“ liege. Dieses Vorgehen erlaubt festzustellen, wann sich der Mensch wie ein homo oeconomicus verhält und wie groß die Abweichungen ausfallen (Angner 2014). Für manche Forscher stellt der neoklassische Benchmark auch gleichzeitig ein normatives Ideal dar. So schreibt Thaler (2016a, S. 1591): „Expected utility theory remains the gold standard for how decisions should be made in the face of risk.“ Noch drastischer formulieren es Camerer et al. (2003): „The challenge is figuring out what sorts of "idiotic" behaviors are likely to arise routinely and how to prevent them, while imposing minimal restrictions on those who behave rationally.“ In dem Anspruch, die Differenz zwischen beobachtbaren Verhalten und dem Benchmark mit Hilfe präskriptiver Theorien zu reduzieren, zeigen sich auch konstruktivistische Elemente (siehe z.B. Nudging von Thaler und Sunstein 2008).
Epistemologisch konzentriert sich die Verhaltensökonomik auf das Untersuchungsobjekt menschlichen Verhaltens in ökonomischen (Entscheidungs-)Situationen und ordnet es gleichzeitig in das Theoriengebäude (meist neoklassischer) ökonomischer Theorie ein. Dies unterscheidet die Verhaltensökonomik von anderen Theorieschulen, die meist klar objekt-, oder perspektivgetrieben sind. Somit zeigt sich ein Fokus auf die Analyse menschlichen Verhaltens in ökonomischen (Entscheidungs-)Situationen einerseits und der theoretischen Einordnung in das Theoriegebäude (neoklassischer) ökonomischer Theorie andererseits. Daher steht die Verhaltensökonomik zwischen einer vom Interesse für ein bestimmtes Forschungsobjekt und einer von theoretischen Überlegungen bestimmten Perspektive (siehe auch Punkt 8).
Der methodische Schwerpunkt der Verhaltensökonomik liegt auf Experimenten. Dabei kann zwischen Labor- und Feldexperimenten unterschieden werden. Hierbei wird stets lediglich das gemessene Verhalten als Grundlage der Analyse genutzt.
Den Grundstein für standardisierte verhaltensökonomische Experimente legte Vernon Smith. Sein Ziel war die Entwicklung von Experimenten, in denen Teilnehmer*innen eine feste Auswahl an Entscheidungsmöglichkeiten und Präferenzen wie Agenten in einem Modell verinnerlichen. Sämtliche anderen Faktoren sollen ausgeschaltet werden um das vom Modell vorhergesagte Verhalten mit dem tatsächlich beobachtbaren Verhalten abzugleichen. Er entwickelt daraus die Theorie induzierter Präferenzen (Smith 1976) und wird für seinen Beitrag zur experimentellen Ökonomik mit dem Preis der Schwedischen Reichsbank in Wirtschaftswissenschaft zur Erinnerung an Alfred Nobel bedacht. Smith beschreibt bestimmte Grundsätze, die bei einem Experiment eingehalten werden müssen. So sollen beispielsweise die Entscheidungsmöglichkeiten mit unterschiedlichen Belohnung verbunden sein. Dafür ist ein adäquates Belohnungsmedium (meist Geld) notwendig. Für dieses Medium soll Monotonie (mehr ist immer besser) und Dominanz (andere Faktoren spielen eine untergeordnete Rolle im Vergleich zum Entlohnungsmedium) gelten.
Während zu Beginn Laborexperimente noch dominierten, gewinnen Feldexperimente immer mehr an Bedeutung (eine Übersicht dazu findet sich bei DellaVigna 2009). Hinzu kommen zunehmend auch neurowissenschaftliche Messungen. Oft ist das Ziel der Methodologie kausale Effekte zu bestimmen. Durch das häufig angewandte Experimentdesign mit randomisierten Treatment- und Kontrollgruppe soll eine kontrafaktische Situation möglichst nah nachgestellt werden, um so den Effekt einer Maßnahme oder einer Situationsänderung isolieren zu können. Deutlich wird die methodologische Orientierung an einem naturwissenschaftlichen Ideal.
Qualitative Untersuchungen stellen eine seltene Ausnahme dar, sie unterscheiden sich deutlich von der standardisierten Methodik der Verhaltensökonomik. Beispielsweise untersucht Truman F. Bewley (2002) anhand von 300 Interviews mit Geschäftsleuten die Frage, warum Löhne während einer Rezension nicht gesenkt werden. Statt nur das beobachtbare Verhalten zu messen geht Bewley den Motiven der Akteur*innen auf den Grund.
Die Hypothesengewinnung folgt in der Verhaltensökonomik keinem einheitlichen Muster. Die empirische Ausrichtung am beobachtbarem Verhalten lässt durchaus eine induktive Vorgehensweise vermuten (und wird zum Teil auch gefordert: „Let the data tell you what is going on, both in empirical work and in theory development“ (Thaler 2016b). Üblicherweise werden Hypothesen jedoch am deduktiven Konstrukt des homo oeconomicus, seinen abgeschwächten Formen und alternativen Ansätzen abgeleitet. Darüber hinaus werden Experimente durchgeführt, wenn die Theorie keine oder nicht eindeutige Prognosen liefert.
Ziel verhaltensökonomischer Forschung ist es, mehr Wissen über menschliches Entscheidungsverhalten zu gewinnen, auch um gesellschaftliche Phänomene (Investitionen in die private Altersvorsorge, Gesundheit, Finanz- und Bildungsentscheidungen) besser, meist im Sinne des normativen Ideals von rational choice, politisch gestalten zu können: nicht als ökonomisch-rational erachtetes Verhalten soll durch Eingriffe inkrementell reduziert werden. Als probates Mittel gelten dabei Nudges (Thaler, Sunstein 2008), die in Form von kleinen Schubsern (seien es Default-Einstellungen für Rentenversicherungen oder die Anordnung von Gemüse in Cafeterien oder besserer Darstellung von Informationen) Menschen dazu bringen sollen, sich so zu entscheiden, als würde beispielsweise begrenzte Rationalität in Form mangelnder Selbstkontrolle nicht vorliegen. Dabei wird angenommen, dass diese Entscheidungshilfen von den Menschen positiv bewertet werden und sie die gelenkte Entscheidung bevorzugen. Thaler und Sunstein (2008) bezeichnen dieses Vorgehen als liberalen Paternalismus. Der liberale Paternalismus unterscheidet sich vom reinen Paternalismus, weil die Handlungsoptionen selbst nicht eingeschränkt werden, sondern nur die Entscheidungsarchitektur zugunsten eines bestimmten Ergebnisses verändert wird (zu der Debatte dazu in Philosophy of Economics siehe Lepenies und Małecka 2015).
Weiterhin werden Erkenntnisse der Verhaltensökonomik genutzt, um die Effektivität einer geplanten Politikmaßnahme für ein bestimmtes Ziel zu überprüfen. So gelten unter Verhaltensökonom*innen Experimente auch in der Politik als geeignete Methode, um zwischen verschiedenen Optionen abzuwiegen. Das Behavioral Insights Team in Großbritannien, das der Regierung zuarbeitet, hat für Behörden eine Anleitung entwickelt, um Experimente auch lokal durchzuführen. Damit einher geht auch eine Verschiebung hinzu der konkreten Situation als Ansatzpunkt für Politikmaßnahmen. Anwendung findet dieses Vorgehen auch in der Entwicklungsökonomie bei Abhijit Banerjee und Esther Duflo (2012). Dabei greifen Duflo und Banerjee ebenso die Idee des liberalen Paternalismus auf.
In der verhaltensökonomischen Literatur wird vielfach über die Frage diskutiert, ob Präferenzen endogen oder exogen sind. In einer bekannten Studie kommen Henrich et al. (2001, S.77) zu folgendem Resultat: „preferences over economic choices are not exogenous as the canonical model would have it, but rather are shaped by the economic and social interactions of everyday life”. Ähnliche Resultate finden sich in einem großen Survey von Falk et al. (2015). Damit einher geht eine Debatte zur Wohlfahrtsökonomik, dem Bereich im Mainstream der VWL, der Aussagen über normative Bewertungen erlauben soll. Wenn Präferenzen als endogen gesehen werden, dann sind normative Aussagen mit der Wohlfahrtsökonomik nicht mehr möglich, da die Wohlfahrtsökonomik auf der Annahme stabiler und exogener Präferenzen beruht. Im Bereich Philosophy of Economics gibt es daher eine Debatte um “preference purification”, ob mit der Annahme von wahren Präferenzen weiterhin Wohlfahrtsökonomik möglich sei (siehe Infante et al. 2016).
Weitere aktuelle Forschung beschäftigt sich mit einer Rekonzeption der Vorstellung des Individuums. Diese erscheint deswegen als nötig, weil verhaltensökonomische Forschung deutlich gegen den homo oeconomicus als Agent ökonomischer Modelle spricht. So haben Akerlof und Kranton (2000) Identität – v.a. verstanden als Präferenz Normen zu entsprechen – als Teil ökonomischer Forschung etabliert. Andere, wie z.B. Bénabou und Tirole (2011) versuchen ebenfalls verhaltensökonomische Erkenntnisse in eine neue Vorstellung des Individuums zu übersetzen, indem Individuen für sich selbst Angebot an Überzeugungen und Nachfrage nach affektiven Vorteilen auszugleichen versuchen. Den aktuellen Stand der Debatte fasst Kranton (2016) zusammen, für eine kritische Analyse siehe Davis (2011).
Ferner sind auch die Probanden in den Laborexperimenten Gegenstand von Diskussionen (siehe für einen Überblick Levitt und List 2007 und eine Entgegnung von Camerer 2015). In einem viel beachteten Beitrag charakterisieren Henrich et al. (2010) Probanden als “weirdest people in the world”. “Weird” steht dabei für “Western, Educated, Industrialized, Rich, and Democratic”. Die Resultate in ökonomischen Laborexperimenten, so die Autoren der Studie, zeigen dabei in Vergleich zu anderen Bevölkerungsgruppen keineswegs durchschnittliches oder übliches Verhalten, gleichwohl werden oftmals allgemeine Schlüsse aus Experimenten gezogen. Damit wird die externe Validität von Experimenten angezweifelt. Falk und Heckman (2009) hingegen sehen die Probleme als weniger gravierend an und verweisen auf die die hohe interne Validität, die Möglichkeit kausale Effekte zu identifizieren und die Möglichkeit experimentelles Vorgehen mit Survey-Datensätzen zu verbinden, um so die externe Validität zu verbessern.
In Bezug auf die politischen Implikationen sind die Arbeiten von Thaler und Sunstein zum Nudging und liberalen Paternalismus Gegenstand zahlreicher, auch sozialwissenschaftlicher Debatten. Die Grundthese der Autoren ist, dass eingeschränkt rationales Verhalten zu „behavioral market failures“ führen und sich der Mensch in vielen Situationen unbewusst zu seinem Nachteil verhält. In diesen Fällen müssen demnach Institutionen bzw. der Staat den Menschen in die richtige Richtung „schubsen“, da er sonst durch andere Menschen, Unternehmen oder Institutionen unbewusst in eine Richtung gedrängt wird, für die er sich selbst nicht entschieden hat. In Deutschland lehnt insbesondere der Psychologe Gerd Gigerenzer (2015) Nudging ab, weil dieses zu sehr rational choice als normatives Ideal verfolge und nicht mit besseren Bildungsangeboten für Finanzentscheidungen und dergleichen operiere.
Die verschiedenen Strömungen der Verhaltensökonomik lassen sich nicht nach einem einheitlichen Muster abgrenzen. In Lehrbüchern (z.B. bei Beck 2014) werden die verschiedenen Forschungsfelder häufig thematisch unterschieden – ähnlich wie die in Kapitel 2 von Rabin vorgestellte Unterscheidung:
Daneben wird bei der praktischen Anwendung der theoretischen Erkenntnisse zwischen verschiedenen Feldern unterschieden, z.B. Behavioral Finance, Behavioral Macro, Sozialpolitik und dem Feld des liberalen Paternalismus (siehe dazu auch Beck 2014, einen historischen Abriss bietet Heukelom 2014).
Des Weiteren gibt es Versuche, Strömungen nach Personen zu klassifizieren, welche die Forschung nachhaltig geprägt haben (Tomer 2007): Beispielsweise Herbert Simons Satisficer-Theorie (1955), nach der Individuen nicht ihren Nutzen maximieren, sondern bereits zufrieden sind, wenn ihre Erwartungen erfüllt werden. Oder George Akerlofs (2002) vielfältigen Ansätze, in denen er die Erkenntnisse der Verhaltensökonomik in die klassische Makroökonomik einbringt. Maßgeblich beeinflusst hat auch Vernon Smith das Feld der Experimentalökonomie. Er analysiert experimentell Funktionsweise und Design von Märkten (zur Geschichte siehe Svorenčík 2015).
Daneben grenzen sich manche Autoren durch die Nähe zu neoklassischen Konzepten ab. Der Mainstream der Verhaltensökonomik versucht in vielen Fällen neoklassische Ansätze zu verbessern statt zu revolutionieren. Brandstätter und Güth bezeichnen diese Forschungsrichtung auch als „Neo-classical repair shop“ (1994), da Standardmodelle durch verhaltensökonomische Erkenntnisse erweitert werden, aber das rationale Maximierungskalkül erhalten bleibt. Darüber hinaus finden sich aber auch Theorien, die das Konzept der Nutzenmaximierung verwerfen. Beispielhaft hierfür sind die Satisfycing theory (Simon 1955), Aspiration Adaption Theory (Selten 1998), Case-based Decision Making (Giboa, Schmeidler 2001), Fast and Frugal Heuristics (Gigerenzer, Goldstein 1996).
Schließlich existiert auch das Feld der Neuroökonomik mit starker medizinwissenschaftlicher Ausprägung. Ausgangspunkt der Untersuchungen sind neurowissenschaftliche Erkenntnisse. Häufig wird Verhalten anhand von funktionaler Magnetresonanztomographie-Messungen (fMRT) studiert.
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Ein Hauptunterschied zeigt sich an der Einordnung menschlichen Verhaltens. Während im neoklassischen Mainstream Verhalten im Sinne des homo oeconomicus sowohl deskriptiv als auch normativ für adäquat angesehen wird, gilt in der Verhaltensökonomie das Verhalten im Sinne des homo oeconomicus nach einigen Autor*innen als normative Vorgabe (siehe Kahneman 2003 und Thaler 2016a). Deskriptive Grundlage stellt hingegen beobachtbares menschliches Verhalten dar.
Abseits von dieser Verschiebung gilt die Verhaltensökonomie inzwischen als anerkanntes Feld im Mainstream der Volkswirtschaftslehre. Anerkennung und Kompatibilität erfährt Verhaltensökonomie aufgrund des experimentellen Vorgehens, was inzwischen auch in weiteren empirischen Bereichen als Standard gilt.
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Titel | Dozent*in | Anbieter | Start | Level |
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Behavioural Finance Lectures | Steve Keen | University of Western Sydney | flexibel | mittel |
Behavioral Economics in Action | Dilip Soman | University of Toronto | flexibel | leicht |
Behavioral Investing | Vaidya Nathan | Indian School of Business | immer | leicht |
Introduction to Complexity | Melanie Mitchell | Santa Fe Institute | immer | leicht |
An Introduction to Political Economy and Economics | Dr Tim Thornton | n.a. | 2022-01-30 | leicht |
Psychology and Economics | Prof. Frank Schilbach | Massachusetts Institute of Technology | flexibel | mittel |
Behavioural insights for public policy | Behavioural Economics Team of the Australian Government | None | flexibel | leicht |
Mini-Enzyklopädie
https://www.behavioraleconomics.com/mini-encyclopedia-of-be/