Wir brauchen eine kritische Wirtschaftswissenschaft - mehr denn je! Mit Exploring Economics stärken wir alternative ökonomische Ansätze und setzen der Mainstream-VWL ein kritisches und plurales Verständnis von ökonomischer Bildung entgegen. Außerdem liefern wir Hintergrundanalysen zu akuellen ökonomischen Debatten, um einen kritischen Wirtschaftsdiskurs zu stärken.
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Erstveröffentlichung in der Frankfurter Rundschau am 07.11.2023
Was der ökologische Umbau erfordert. Die Kolumne „Gastwirtschaft“ von Steffen Lange vom Netzwerk Plurale Ökonomik.
Als Netzwerk Plurale Ökonomik ist es unser Ziel, die Vielfalt ökonomischer Themen in die Öffentlichkeit zu tragen. Deshalb veröffentlichen wir seit 2014 eine Kolumne in der Frankfurter Rundschau, in der wir aktuelle gesellschaftliche Themen aus der Perspektive der Pluralen Ökonomik beleuchten.
Wieder ist die Rede vom kranken Mann Europas: Die deutsche Wirtschaft befindet sich in einer Rezession. Dementsprechend werden Forderungen laut, das Wachstum anzukurbeln. Eine solche Wachstumspolitik ist in der heutigen Zeit aber aus drei Gründen nicht mehr sinnvoll.
Erstens ist sie wenig aussichtsreich. Die Wachstumsraten in Deutschland – sowie in vielen anderen reichen Ländern – sind seit Jahrzehnten rückläufig. Der Internationale Währungsfonds rechnet für Deutschland mit einem Wachstum von unter ein Prozent. Dafür verantwortlich sind strukturelle Gründe wie der demographische Wandel, hohe Ungleichheit und gesättigte Märkte.
Zweitens ist Wirtschaftswachstum nicht unser zentrales Problem. Das Gesamteinkommen in Deutschland ist vollkommen ausreichend, um allen hier lebenden Menschen ein gutes Leben zu ermöglichen. Wir haben ganz andere Herausforderungen: Der schleppende ökologische Umbau der Wirtschaft, ein schwächelndes Bildungssystem und hohe Ungleichheit. Hierfür brauchen wir politische und ökonomische Lösungen, statt Maßnahmen für Wirtschaftswachstum zu suchen.
Drittens ist weiteres Wirtschaftswachstum ökologisch problematisch. Angesichts der Dringlichkeit des Klimawandels und des Artenverlusts müssen wir alle verfügbaren Instrumente einsetzen. Das beinhaltet zwar auch Maßnahmen, die das Wachstum fördern – wie Investitionen in erneuerbare Energien, in Häuserdämmung und in die Bahn. Aber eben auch Maßnahmen, die das Wirtschaftswachstum verringern – den Autoverkehr reduzieren, weniger neu bauen und Gebrauchsgüter länger nutzen. Ein allgemeines Wachstumsprogramm ist vor diesem Hintergrund nicht mehr zeitgemäß.
Statt darüber zu diskutieren, wie das Wachstum wieder gesteigert werden kann, sollten Politik und Gesellschaft darüber sprechen, wie wir in Deutschland in Zeiten des demographischen Wandels und des ökologischen Umbaus auch ohne Wachstum gut auskommen. In dieser neuen Normalität müssen wir bestimmte gesellschaftliche Bereiche wie Arbeitsplätze und Sozialversicherungssysteme wachstumsunabhängig gestalten. Das wäre eine Diskussion auf der Höhe der Zeit.
Steffen Lange lehrt an der Forschungsstelle Plurale Ökonomik der Universität Siegen und ist im Netzwerk Plurale Ökonomik aktiv.