Wir brauchen eine kritische Wirtschaftswissenschaft - mehr denn je! Mit Exploring Economics stärken wir alternative ökonomische Ansätze und setzen der Mainstream-VWL ein kritisches und plurales Verständnis von ökonomischer Bildung entgegen. Außerdem liefern wir Hintergrundanalysen zu akuellen ökonomischen Debatten, um einen kritischen Wirtschaftsdiskurs zu stärken.
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Max Bank und Nelly Grotefendt
Erstveröffentlichung im Makronom
Immer wieder sind in den letzten Jahren die Folgen einseitiger Lobby- und Marktmacht deutlich geworden – und wie schwierig es ist, sie zu begrenzen.
Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt. Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.
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Monopolmacht verschafft Unternehmen eine einflussreiche gesellschaftliche Stellung. So verhindert und verzögert die Monopolmacht der Konzerne seit Jahrzehnten einen effektiveren Klimaschutz. Dabei ist der Lobbyeinfluss auf die Politik ein guter Indikator für Marktkonzentration, wie neuere Forschung aus den USA belegt: Je stärker die Konzentration in einem Sektor, desto intensiver die Lobbyarbeit zur Sicherung der Monopolstellung.
Diese brisante Mischung konterkariert Gemeinwohl und den demokratischen Prozess, stehen doch denjenigen Unternehmen mit mehr finanziellen Ressourcen aus Monopolgewinnen mehr Mittel für die Beeinflussung der Gesetzgebung zur Verfügung. Zu starke Konzentration und der damit verbundene politische Einfluss ist also nicht nur ein Problem für andere Marktteilnehmer*innen oder Verbraucher*innen. Sie unterminiert nicht nur Wettbewerb und verzerrt die Preise. Sie ist auch Gift für die Demokratie.
In den USA ist als Reaktion darauf eine neue Anti-Monopolbewegung entstanden. Einigen Vertreter*innen der Bewegung ist es gelungen, in der Biden-Regierung an wichtige Schaltstellen der Kartellgesetzgebung zu gelangen. So können sie gegen Monopolmacht vorgehen. Auch in Europa brauchen wir dringend eine solche Bewegung.
In den letzten 15 Jahren hat eine kritische Zivilgesellschaft mit ihrem Einsatz für schärfere Lobbyregulierung dazu beigetragen, dass einseitiger Lobbyeinfluss heute sichtbarer ist und in Teilen zurückgedrängt werden konnte, sowohl in Deutschland als auch in der EU. Auf beiden Ebenen gibt es mittlerweile Transparenzregister, in die sich jeder Akteur eintragen muss, der gegenüber den politischen Institutionen lobbyiert.
Bis heute scheitern jedoch gemeinwohlorientierte Gesetzesvorhaben immer wieder an der Macht und dem einseitigen Einfluss finanzstarker Unternehmen. Von der Automobilindustrie bis zu den großen Energiekonzernen: Die Klimaschutzbremser blockierten zunächst vollständig und verzögerten in den letzten Jahren immer wieder wichtige Schritte der sozial-ökologischen Transformation.
Es wird deshalb Zeit, beide Seiten der Medaille ins Visier zu nehmen: Einflussnahme muss aufgedeckt werden, egal ob sie über direkten Lobbyismus oder über das Ausspielen der Machtposition im Markt zustande kommt. „Too big to fail“ ist zum Sinnbild der Akkumulation von Marktmacht geworden. Die schiere Größe lässt marktmächtige Konzerne scheinbar unersetzbar für die Herstellung von bestimmten Produkten oder das Anbieten von bestimmten Dienstleistungen wirken; zugleich verhindert ihre schiere Größe, dass sich andere Mitspieler*innen auf dem Markt überhaupt behaupten können. Dieser Paarung aus ökonomischer und politischer Macht muss ein Gegengewicht entgegengestellt werden. Dazu braucht es ethische politische Institutionen mit Transparenz und klaren Schranken für Lobbyismus. Ebenso sollte der Anhäufung privater Macht bei Unternehmen mittels scharfem Kartellrecht entgegengewirkt werden – mit dem Ziel das demokratische Prinzip wiederherzustellen, so dass alle Mitglieder einer Gesellschaft eine gleichwertige Stimme haben.
Manche Konzerne stehen mit ihrem Geschäftsmodel in massivem Widerspruch zu aktuellen politischen Notwendigkeiten wie mehr und wirksamerem Klimaschutz. Teils ist es ihnen gelungen, durch Lobbyarbeit und immer weiter zunehmende Konzentration die Weichenstellung ihres eigenen Geschäftsmodels in ihrem Sinne zu beeinflussen.
So könnte die Energiewende deutlich weiter sein, wenn Monopolinteressen und Lobbyismus das nicht verhindern würden. Beispiel Gasindustrie: Der deutsche Gasmarkt ist durch wenige mächtige Konzerne entlang der Gaslieferkette geprägt. Sie haben große Marktmacht und Drohpotential gegenüber Politik und Gesellschaft. Hinzu kommt die ausgeprägte Abhängigkeit von Russland.
Zusätzliche Macht hat die Gasindustrie, weil sie sich in den Bereichen Netzausbau und Methanmessungen quasi selbst reguliert. Entscheidungen trifft die Branche hier weitestgehend selbst. Die Vorschläge der Gasnetzbetreiber werden regelmäßig von der EU-Kommission übernommen und gefördert. In Deutschland bestimmen die 16 Fernleitungsnetzbetreiber über den offiziellen Netzentwicklungsplan. Hier wird die Gaslobby geradezu dazu eingeladen, den politischen Prozess für ihre Interessen zu kapern – Absprachen innerhalb dieser In-Group sind also offiziell erwünscht.
Entsprechend werden Klimaziele bislang nicht berücksichtigt. Auch die Transformation eines vollständigen Ausstiegs aus fossilen Brennstoffen ist dort nicht vorgesehen, obwohl dies aus Gründen des Klimaschutzes notwendig ist. So mag es allgemein im Eigeninteresse der Gasindustrie liegen, dass ihre Netze weiter ausgebaut werden und die Branche so ihre hohe ökonomische Relevanz aufrecht zu erhalten versucht. Die Möglichkeit, dass Gasnetzbetreiber sich selbst regulieren, illustriert exemplarisch eine unverhältnismäßige Vermachtung zwischen Industrie und Politik. Kombiniert mit der hohen Marktkonzentration im Gassektor entlang der Lieferkette und den damit verbundenen Abhängigkeiten wird die Politik erpressbar. Das schadet dem demokratischen Prozess.
In der Vergangenheit verhalfen nicht zuletzt illegale Kartellabsprachen den Konzernen zu Milliardengewinnen, obwohl die verkauften Produkte vorsätzlich umwelt- und gesundheitsschädlich waren. Deutsche Autokonzerne brachten beispielsweise Pkws auf den Markt, die gesetzeswidrig waren, ohne dass dies zunächst Konsequenzen hatte. Dabei spielten Absprachen zwischen VW, BMW und Daimler zur Größe der Adblue-Tanks eine bedeutende Rolle, um die Tanks so klein wie möglich zu halten. Dieses Verhalten führte dazu, dass die offiziellen CO2-Grenzwerte der Europäischen Union um mehr als 40 Prozent überschritten wurden, die für gesundheitsschädliche Stickoxide sogar um teils mehrere hundert Prozent. Erfolgreiches Lobbying, Wegschauen der staatlichen Kontrollbehörden gepaart mit dem ökonomischen Gewicht einer konzentrierten, gut vernetzten Branche führte Verbraucher*innen hinters Licht und verschleierte die tatsächliche klima-, umwelt- und gesundheitsschädliche Wirkung.
In den letzten knapp 40 Jahren steigt die Tendenz zur Konzentration weltweit. In den USA und Europa wurden viele Fusionen und Unternehmenskäufe genehmigt. Beispiele sind im Energiebereich der Zusammenschluss von Eon mit Ruhrgas, im Lebensmittel-Einzelhandel der Edeka-Tengelmann-Zusammenschluss, im Tech-Bereich Google-Fitbit oder aber auch die in der Öffentlichkeit stark umstrittene Fusion der beiden Megakonzerne Bayer und Monsanto. Allein auf EU-Ebene wurden seit 1990 von 8.083 Unternehmenszusammenschlüssen gerade einmal 30 kartellrechtlich unterbunden.
Der Grund für die geringe Ablehnungsrate von Unternehmenszusammenschlüssen auf EU-Ebene liegt nicht zuletzt an einer unkritischen Bewertungsgrundlage der Wettbewerbspolitik. Die kritische Schwelle, ab der Konzerne als marktbeherrschend gelten, wird beispielsweise viel zu hoch angesetzt. Im deutschen Kartellrecht etwa wird vermutet, dass ein Unternehmen marktbeherrschend ist, wenn es einen Marktanteil von mindestens 40 Prozent aufweist. Vorher besteht also zumindest laut Bewertungsgrundlage kein Handlungsbedarf bezüglich einer möglicherweise marktbeherrschenden Stellung.
Zudem funktionieren die zuständigen Aufsichtsbehörden noch zu sehr in Sektoren, was nicht zuletzt in Zeiten der Plattformökonomie nicht mehr zeitgemäß ist, da Plattformen auf verschiedensten Märkten tätig sind und von Netzwerkeffekten profitieren. Dabei reicht also nicht mehr eine reine Marktbetrachtung, da diese das Geschäftsmodel mancher Tech-Konzerne nicht abbildet. Gleichzeitig fehlen in vielen Fällen rechtliche Instrumente, um gegen Marktkonzentration wirksam vorgehen zu können. Insgesamt müssten bestehende Instrumente wie Entflechtung oder die Fusionskontrolle gestärkt werden. Aktuell diskutiert die Bundesregierung in der Debatte um die Übergewinne von Mineralölkonzernen erfreulicherweise eine Verschärfung dieser strukturellen Maßnahmen im Kartellrecht.
Ein Teil des Problems liegt jedoch auch im vorherrschenden Verständnis der Aufgaben von Wettbewerbspolitik. Diese wurden in den letzten 40 Jahren sehr eng ausgelegt. Die Engführung auf möglichst geringe Verbraucher*innenpreise führte dazu, dass die ursprünglich zentrale Macht- und Demokratiefrage aus dem Blick geriet. So wurde hohe Marktkonzentration durch die Wettbewerbsbehörden genehmigt, da diese qua Mandat nur auf den endgültigen Verbraucher*innenpreis schauten.
Die Fixierung auf niedrige Preise und den vermeintlichen Vorteil daraus für Verbraucher*innen lenkt uns zudem von den weiteren Kosten von Monopolmacht ab. Niedrige Preise von Produkten und Dienstleistungen kommen oft nur zustande, weil Unternehmen die Kosten externalisieren können. Eine moderne Wettbewerbspolitik muss deshalb die Verschmutzung von Umwelt, die Belastung des Klimas und auch Arbeitsbedingungen einpreisen. Wettbewerbspolitik kann nicht neutral sein, sie muss ein breiteres Verständnis von Gemeinwohl als Zielvorgabe haben und Marktmacht verhindern, die es verunmöglicht, gegen diese Machtanballung Politik zu machen. Das Primat der Politik muss in der Ordnung der Wirtschaft verankert sein. Anstatt einer „marktkonformen Demokratie“ (Angela Merkel) muss das Ziel der Wirtschaftsordnung eine demokratiekonforme Marktgestaltung sein.
Für ein Primat der Politik über die Ordnung der Wirtschaft, braucht es ausreichende finanzielle und personelle Kapazitäten sowohl für politische Institutionen und Wettbewerbsbehörden wie auch für Gerichte. EU-Richtlinien wie die Datenschutzgrundverordnung scheitern, weil schlichtweg die Women- und Manpower fehlt, um dem Rechtsapparat von Google & Co entschieden entgegentreten zu können. Hoffnungsvoll stimmt, dass beispielsweise aktuell in der Debatte um den Digital Markets Act (DMA) die für eine Durchsetzung notwendigen Ressourcen in den Vordergrund der Entscheidungen gerückt wurden. Der DMA soll den Missbrauch von Marktmacht der derzeit mächtigsten Konzerne der Welt unterbinden.
Neben fiskalpolitischen Instrumenten und der Stärkung von unternehmensinterner Demokratie über den Ausbau der Mitbestimmung braucht es für die Reduzierung privater Machtkonzentration vor allem eine andere Wettbewerbspolitik. Diese sollte nicht vor strukturellen Maßnahmen wie der Entflechtung von Unternehmen zurückschrecken. Die Hürden für solche Maßnahmen sind derzeit derart hoch, dass sie kaum bis gar nicht zur Anwendung kommen. Das muss sich dringend ändern.
Dafür muss das Rad nicht neu erfunden werden, sondern die vorhandenen Instrumente ausgebaut und durchsetzungsstark gemacht werden. Die Maßnahmen der Bundesregierung vor dem Hintergrund der Energiekrise zeigen, dass hier entsprechende Handlungsspielräume existieren. So werden erstmals seit langer Zeit Übergewinne von Konzernen in der Krise kritisch diskutiert. Mit dem Wettbewerbsdurchsetzungsgesetz, das Wirtschaftsminister Robert Habeck vorgelegt hat, ist zudem die Möglichkeit struktureller Maßnahmen gegen Marktmacht infolge einer Sektoruntersuchung vorgesehen. Dazu soll u.a. dem Bundeskartellamt erleichtert werden, Übergewinne abzuschöpfen. Wenn das Gesetz in Kraft treten sollte, könnte dies zumindest in Deutschland einen Paradigmenwechsel einleiten. Es wäre ein wichtiger Impuls für eine EU-weite Regelung. Diese Debatte enthält die Chance, das Wettbewerbsrecht zu verschärfen und dabei auch Aspekte für mehr Klimaschutz und Gemeinwohl einfließen zu lassen.
Weder eine Kartellrechtsverschärfung in Deutschland, noch ein grundlegendes Umdenken in der Wettbewerbspolitik sind Selbstläufer. Hier stehen harte politische Auseinandersetzungen bevor, bei denen sich Unternehmen mit Marktmacht und Ressourcen gegen entsprechende Initiativen zur Wehr setzen werden. Das zeigen aktuell die empörten Reaktionen der Industrielobby auf den Entwurf des Wettbewerbsdurchsetzungsgesetzes.
Doch der Moment ist günstig für eine breite gesellschaftliche Debatte über Monopolmacht in Europa. Immer wieder sind in den letzten Jahren die Folgen einseitiger Lobby- und Marktmacht deutlich geworden. Von der Monopolstellung und Selbstregulierung der Gasindustrie über den Dieselskandal bis hin zu den Übergewinnen der Mineralölindustrie im Ukraine-Krieg ist klar, dass die private Machtanhäufung in unserer Gesellschaft den demokratischen Prozess unterminiert. Klar ist auch, dass man der Monopolmacht internationaler Unternehmen nur mit internationaler zivilgesellschaftlicher Zusammenarbeit entgegenwirken kann. Nur mit dem Rückhalt einer breiten internationalen Anti-Monopolbewegung wird die Politik Lobby- und Marktmacht standhalten können und eine Ordnung der Wirtschaft wiederherstellen, die Demokratie und Gemeinwohl ins Zentrum stellt.
Zu den Autor*innen:
Max Bank ist Researcher und Campaigner bei LobbyControl mit Schwerpunkt auf Lobbymacht und Marktmacht von Big Tech.
Nelly Grotefendt arbeitet zu internationaler Handelspolitik und Weltwirtschaft beim Forum Umwelt und Entwicklung. Gemeinsam mit Max Bank streitet sie für den Aufbau einer europäischen Anti-Monopol-Bewegung.