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Erstveröffentlichung im Makronom
Wir brauchen Alternativen zu einem System, das auf die stetige Ausbeutung natürlicher Ressourcen angewiesen ist. Die Kreislaufwirtschaft stellt ein derartiges Wirtschaftskonzept dar – dem es jedoch bisher an politischer Tatkraft fehlt. Ein Beitrag von Burcu Gözet.
Was folgt aus der Klimakrise für unsere Wirtschaft(sweisen) und das Denken darüber? Im Angesicht der Fridays-for-Future-Proteste hat sich aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik eine neue Initiative herausgebildet: Economists for Future. Mit der gleichnamigen Debattenreihe werden zentrale Fragen einer zukunftsfähigen Wirtschaft in den Fokus gerückt. Im Zentrum stehen nicht nur kritische Auseinandersetzungen mit dem Status Quo der Wirtschaftswissenschaften, sondern auch mögliche Wege und angemessene Antworten auf die dringlichen Herausforderungen und Notwendigkeiten. Dabei werden verschiedene Orientierungspunkte für einen tiefgreifenden Strukturwandel diskutiert.
Wir leben und wirtschaften innerhalb eines Systems, dass auf ein stets anhaltendes Wachstum ausgelegt ist. Dieses Streben nach Wachstum hat unmittelbar die Ausbeutung natürlicher Ressourcen zur Folge. Genauer ausgedrückt, ist ein Wirtschaftswachstum ohne die Ausbeutung von natürlichen Ressourcen nicht realisierbar. Einem konsequenterweise stets steigenden Trend folgend, wurde bereits 2017 ein Extraktionsvolumen von 92 Milliarden Tonnen erreicht. Zum Vergleich: 1917 waren es 27 Milliarden Tonnen. Im selben Zeitraum wuchs das Bruttoinlandsprodukt (BIP) pro Kopf von 5.198 auf 10.606 US-Dollar: Während sich also das BIP pro Kopf mehr als verdoppelte, wuchs der globale Materialverbrauch um zwei Drittel. Diesem Trend folgend, soll für 2019 erstmals eine globale Ressourceninanspruchnahme von 100 Milliarden Tonnen verzeichnet worden sein. Über 50% der gesamten Treibhausgasemissionen und über 90% des Biodiversitätsverlusts kann auf diese Ressourcennutzung zurückgeführt werden.
Die abgebauten Ressourcen, einst in das Wirtschaftssystem eingeführt, verwandeln sich zugleich in eine große Menge an Müll, für die nur in wenigen Fällen eine Wiederverwendung vorgesehen ist. Dieser zunehmende Verbrauch von natürlichen Ressourcen und das damit einhergehende Abfallaufkommen wurde lange Zeit – aufgrund des „take-make-dispose“-Prinzips – als „notwendiges Übel” angesehen. Die immer stärker werdenden Reaktionen der Natur als Antwort auf diese Belastung (etwa in Form von Dürren und anderen Naturkatastrophen) zwingen jedoch zu einem Umdenken.
Ansätze hinsichtlich einer nachhaltigen bzw. ressourcensparenden Produktionsweise wie die der Ressourceneffizienzsteigerung haben sich schnell als unzureichend erwiesen. Die durch Effizienzmaßnahmen erzielten Einsparungen können nämlich im Umkehreffekt eine Steigerung der Produktionsmenge zur Folge haben, wodurch die erhoffte Einsparung nicht erzielt wird (Stichwort Rebound-Effekt). Dies verweist auf die Notwendigkeit einer umfassenden Transformation des bestehenden linearen Systems.
Die Kreislaufwirtschaft stellt ein derartiges Wirtschaftskonzept hin zu geschlossenen Kreisläufen dar. Dies ist ein Wirtschaftssystem, in dem durch den möglichst langen Werterhalt der Ressourcen eine Reduktion der Zufuhr primärer Rohstoffe angestrebt wird. Dem liegt die Vision zugrunde, mithilfe eines verantwortungsvollen Umgangs mit natürlichen Ressourcen, Wertstoffen, Produkten und der Umwelt eine Welt möglichst ohne Müll zu schaffen.
Insgesamt sind 10% des globalen CO2-Ausstoßes auf die Produktion von Kleidung zurückzuführen
Die darin enthaltenen Elemente werden in der folgenden Abbildung veranschaulicht. Sie umfassen sowohl die kritische Betrachtung eingesetzter Materialien, nachhaltiges Design von Produkten, kreislauffähige Lösungsansätze für Produktion und Vertrieb, als auch alternative Businessmodelle und innovative End-of-Life-Lösungen, um letztendlich eine Minimierung des Ressourceneinsatzes, des Emissionsausstoßes und des Abfallaufkommens zu erlangen. Diese Bausteine sollen begleitet werden von Maßnahmen, die auf eine Wiederverwertung, Reparierung, Sanierung bzw. Wiederaufbereitung abzielen. So kann beispielsweise mithilfe eines entsprechenden Ökodesigns eine verlängerte Produktlebensdauer erlangt werden.
Bislang gibt es keinen Konsens darüber, mit welchen Maßnahmen vorrangig eine Kreislaufwirtschaft erreicht werden kann und soll – diese können sehr unterschiedlich ausfallen und auch nach Industriezweig stark variieren. Daher wird im Folgenden die Umsetzung der Kreislaufwirtschaft beispielhaft an der Textilindustrie, die eine der weltweit umweltschädlichsten Industrien ist, veranschaulicht und die Relevanz für Deutschland verdeutlicht.
Die Textilindustrie hat sich über Jahrzehnte hinweg zu einem globalen und komplex verflochtenen Wirtschaftssystem entwickelt, dessen soziale und ökologische Auswirkungen gravierende Ausmaße erlangt haben. Diese Auswirkungen gelangten spätestens 2013, mit dem Einsturz der Textilfabrik Rana Plaza in Bangladesch, in das Bewusstsein der westlichen Länder, wodurch auch ihre Verantwortung als „Konsum-Nationen” am Ende der Wertschöpfungskette eine neue Diskussionsgrundlage fand.
Denn neben den gravierenden sozialen Umständen in den Textilfabriken zählt die Textilindustrie auch zu den weltweit umweltschädlichsten Industrien. Bereits 2015 hat sie mehr CO2 ausgestoßen als alle Flug- und Schifffahrten zusammen. Insgesamt sind 10% des globalen CO2-Ausstoßes auf die Produktion von Kleidung zurückzuführen.
Gleichzeitig handelt es sich um eine stark ressourcenintensive Industrie: Allein für die Produktion eines T-Shirts werden rund 2.700 Liter Wasser benötigt – das ist in etwa so viel, wie ein Mensch in zwei Jahren trinkt. Zudem werden aufgrund des weltweit hohen Konsums von Kunstfasern jährlich rund 98 Millionen Tonnen Erdöl benötigt. Damit ist die Textilindustrie mitverantwortlich für jenes Mikroplastik, das als Folge von Kleidungsabrieb in die Meere gelangt. Schätzungen zu Folge sind rund ein Drittel des Mikroplastiks auf Kleidungsabrieb zurückzuführen.
Neben Kunstfasern stellt Baumwolle, mit einer jährlichen Produktion von ca. 25 Millionen Tonnen, die zweitwichtigste Textilfaser dar. Die Baumwollproduktion benötigt dabei große Mengen an Wasser, Land, Pestizide und Dünger. Rund 10% der Pestizide, 25% der Insektizide und 2,5% des globalen Wasserkonsums werden für die Produktion von Baumwolle genutzt.
Als einem zentralem Handelspartner entlang der globalen Wertschöpfungskette kommt Deutschland eine entscheidende Rolle und Verantwortung zu
Die Dringlichkeit einer Transformation der gesamten Textilindustrie wird nicht zuletzt aufgrund der Prognosen deutlich, die einen Anstieg der Nachfrage an Textilfasern um +84% in den kommenden 20 Jahren vorhersagen. Die zirkuläre Gestaltung der Textilindustrie als Hebel zur Transformation birgt dabei die Möglichkeit, den Ressourceneinsatz und damit auch die negativen Folgen der Textilindustrie zu reduzieren.
Dabei kommt Deutschland als einem zentralem Handelspartner entlang der globalen Wertschöpfungskette eine entscheidende Rolle und Verantwortung zu: 2018 zählte Deutschland gemessen am Umsatz nach Indien und China zum weltweit drittgrößten Exporteur und zweitgrößten Importeur von Kleidung. Damit einher geht auch eine hohe Konsumnachfrage. KonsumentInnen geben in Deutschland jährlich rund 76 Milliarden Euro für Kleidung aus, was sich auch im Textil-Abfallaufkommen widerspiegelt: In fast keinem anderen EU-Land wird so viel Textilabfall erzeugt, wie in Deutschland. Allein zwischen 2004 und 2014 stieg dieser um rund 55% auf 343.757 Tonnen. Im Vergleich dazu sank der Textilabfall EU-weit um 48%. Das unterstreicht die Notwendigkeit, gerade auch in Deutschland zielführende Maßnahmen in Richtung Zirkularität und Abfallreduktion umzusetzen und als Vorreiter für die gesamte Textilindustrie zu agieren.
Im überarbeiteten deutschen Abfallvermeidungsprogramm „Wertschätzen statt wegwerfen”) findet Textilabfall erstmals einen gesonderten Fokus. Darin werden Ideen zur Vermeidung von Textilabfällen an Bund, Land und Kommunen, VerbraucherInnen und WirtschaftsakteurInnen adressiert. Ein Maßnahmenkatalog, eine Roadmap oder konkrete Zielsetzungen hinsichtlich der Reduktion von Textilabfällen sind jedoch nicht vorhanden. Dem zugrunde liegt ein bislang mangelndes Verständnis über die Entstehung von Textilabfällen, dem tatsächlichen Abfallaufkommen und dessen Materialzusammensetzung. Gerade Letzteres ist zentral, um die bereits im Umlauf befindlichen Textilien zu recyceln.
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Auf EU-Ebene ist das Ziel einer Verwirklichung der Kreislaufwirtschaft bis 2050 fest verankert. Gleichzeitig wird mit der im Herbst 2021 zu erwartenden EU-Textil-Strategie ein verstärkter Fokus auf Textilien gelegt. Für Deutschland wird es damit an der Zeit sein, sich von seiner bisher zu beobachteten „Transformationsträgheit” zu befreien. Einige EU-Länder sind diesbezüglich bereits mit guten Beispielen vorangegangen: So hat Frankreich 2007 eine erweiterte Produzentenverantwortung (EPR) für Kleidung, Schuhe und Haushaltstextilien etabliert, bei der Firmen für die Sammlung, Wiederverwendung und das Recycling der (in Frankreich auf den Markt gebrachten) Textilprodukte in die Verantwortung gezogen werden. Eine derartige EPR-Regelung könnte mit der EU-Textilstrategie für die Mitgliedstaaten verpflichtend werden, weshalb auch in Deutschland diese Diskussion stärker in den Vordergrund treten muss. Hingegen wird hier seit 2020 eine Obhutspflicht diskutiert, die u.a. eine Abfallminderung von retournierten Textilwaren vorsieht, wodurch eine umfassende Produzentenverantwortung aus dem Fokus rückt.
Es fehlt von politischer Seite sowohl an Maßnahmen, Visionen und Zielsetzungen, als auch an einer Konzeption, wie eine im Kreislauf geführte Textilindustrie operationalisiert werden könnte
Mit Blick auf die Bereiche Produktdesign, alternative Geschäftsmodelle, VerbraucherInnenkommunikation, Innovation und Digitalisierung können aber auch kleinere Schritte in Richtung Kreislaufwirtschaft unternommen werden, wie beispielsweise durch Multi-Akteurs-Ansätze, bei denen relevante AkteurInnen wie DesignerInnen und ModeanbieterInnen, SammeldienstlerInnen und VerwerterInnen gemeinsame Lösungsansätze entwickeln. Der Politik kommt dabei die Rolle zu, den Raum für einen solchen Austausch zu bieten, Forschung und Entwicklung, insbesondere mit Blick auf (Textil-)Recycling, zu fördern und Anreize für eine Zusammenarbeit entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu schaffen. Ein erster Schritt in diese Richtung wurde 2014 mit der Gründung des Deutschen Textilbündnisses unternommen. Auch mit Blick auf die EndkonsumentInnen gilt es, die Wiederverwendung von Kleidung bzw. die Reduktion von Textilabfällen zu unterstützen. Dies kann mit klaren ökonomischen Anreizen erfolgen, wie beispielsweise einer Reduktion der Reparatursteuer um 50%, wie sie in Schweden umgesetzt wurde.
Abschließend ist zur kreislaufwirtschaftlichen Transformation der Textilindustrie Deutschlands zu sagen, dass zwar die Reduktion von Textilabfällen in die politische Agenda mitaufgenommen wurde, eine ganzheitliche Transformation bislang jedoch keine Berücksichtigung fand. Hier fehlt es von politischer Seite sowohl an Maßnahmen, Visionen und Zielsetzungen, als auch an einer Konzeption, wie eine im Kreislauf geführte Textilindustrie operationalisiert werden könnte.
Grundsätzlich betrifft dies nicht nur die Textilindustrie, sondern die gesamte deutsche Wirtschaft – denn bislang gibt es keine deutsche Kreislaufwirtschaftsstrategie, die als Leitstrategie für derartige Maßnahmen dienen könnte. Dabei ist Deutschland ein zentraler Akteur der globalen (Textil-)Industrie: Maßnahmen, die hierzulande umgesetzt werden, können eine große Hebelwirkung entlang der gesamten Wertschöpfungskette haben. Hierfür muss sich Deutschland seiner transformativen Verantwortung bewusst werden und mutige, zukunftsorientierte Schritte wagen.
Zur Autorin:
Burcu Gözet ist wissenschaftliche Mitarbeiterin am Wuppertal Institut für Klima, Umwelt und Energie mit den Schwerpunktthemen Ressourceneffizienz, internationale Abfallvermeidung und zirkuläre Transformationsprozesse, mit Fokus auf die Textilwirtschaft. Sie hat Soziologie an der Universität Mannheim (BA) und Sozioökonomie an der Wirtschaftsuniversität Wien (MSc) studiert.