Ein derzeit erneut diskutiertes alternatives Wirtschaftskonzept zur ökologischen Umgestaltung der Industriegesellschaft, ist der Green New Deal. Das in der Vergangenheit vor allem von den europäischen Grünen vertretene Konzept hat zurzeit in etwas anderer Form in den USA und Europa ein Revival gefunden. Das Ziel des Green New Deal ist es, eine „soziale und ökologische Transformation unserer Wirtschaft“ anzustoßen
Als sich das Konzept des Green New Deals 2007, 2008 entwickelte, war das Ziel, eine attraktive Antwort sowohl auf die Frage zu geben, wie sich die Finanz- und Wirtschaftskrise überwinden ließe, als auch darauf, wie sich die Klimakrise überwinden ließe. Zunächst wurde sie in den USA durch Präsidentschaftskandidat Barack Obama populär, der sie in sein Wahlkampfprogramm integrierte, dann auch in der Europäischen Union, in der die europäischen Grünen die Idee in ihren Wahlkampf aufnahmen. Doch obwohl Obama ein grünes Konjunkturprogramm einführte und die erneuerbaren Energien stark förderte, blieb eine umfassende Transformation des Wirtschaftssystems aus. Auch auf europäischer Ebene konnte die Idee des Green New Deals wegen fehlender Mehrheiten nicht umgesetzt werden, trotz einer umfassenden Ausarbeitung wie ein solches nachhaltiges Konjunktur- und Infrastrukturprogramm auszusehen hätte
Die verschiedenen Konzepte (z.B. von Alexandria Ocasio-Cortez: https://bit.ly/2MV5JVQ; DIEM25: https://www.gndforeurope.com/10-pillars-of-the-green- new-deal-for-europe) des Green New Deal unterscheiden sich in einigen Aspekten. Doch die Grundidee einer ökologischen als auch gleichzeitig sozialen Transformation der derzeitigen Wirtschaft ist allen inhärent. Bei der folgenden Untersuchung feministischer Aspekte werde ich mich, aufgrund der Kürze des Essays, auf die Konzeptionen des Green New Deals beschränken, die von den deutschen Grünen hervorgebracht wurden (http://www.sven-giegold.de/wp-content/uploads/2012/05/120418-eurokrise-ENG-final03_webversion.pdf; https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/ publikationen/broschueren_und_flyer/Flyer__Green_New_Deal.pdf) .
Der Ausgangspunkt des Green New Deals ist der Standpunkt, dass zum einen die Finanzkrise, als auch die Klimakrise als Folge des übermäßigen Ressourcenverbrauchs, aufzeigen, dass das aktuelle Wirtschafts- und Sozialsystem eine Transformation benötigt - eine sowohl soziale, als auch ökologische Transformation, die die Endlichkeit der Ressourcen beachtet und ein effizientes, zukunftsfähiges und nachhaltiges System aufbaut
Der Schwerpunkt feministischer Kritik an der industriekapitalistischen Produktionsweise ist die „Aneignung und Vernutzung der Arbeitskraft von Frauen, als handele es sich dabei um eine unendlich und unentgeltlich zur Verfügung stehende Naturressource“
Um den Green New Deal der Grünen nach feministischen Aspekten zu untersuchen, ist es vor allem interessant, sich die beschäftigungspolitische und industriepolitische Dimension und die Mobilitätsdimension genauer anzuschauen.
Die Schaffung zahlreicher „grüner Jobs“ ist ein zentrales Ziel bei den Plänen der Grünen. Damit ist vor allem die Entstehung neuer Arbeitsplätze in Wirtschaftszweigen gemeint, die grüne Technologien entwickeln und produzieren. Ebenfalls beinhaltet es jedoch auch die ökologische Weiterentwicklung bestehender Berufe. Demzufolge sind Weiterbildung und Qualifizierung wichtige Aspekte der Beschäftigungsdimension des Green New Deals
Aus feministischem Blickwinkel deutlich zu kritisieren ist, dass bei der Beschäftigungsdimension der Fokus auf der Förderung von Industriepolitik im Bereich grüner Technologien im Energie- und Bausektor liegt. Da damit vor allem von Männern dominierte oder mit Männlichkeit assoziierte Berufe und Sektoren in den Blick genommen werden, liegt hierbei ein Gender-Bias vor, der in den Strategiepapieren nicht reflektiert wird. Nicht nur, dass Geschlechterverhältnisse kein Thema sind und Geschlechtergerechtigkeit nicht explizit als Ziel einer ökonomischen Restrukturierung gesehen wird, wird durch den androzentrischen Schwerpunkt auch die Bedeutung von eher weiblich dominierten und weniger technischen, jedoch ebenfalls CO2-intensiven, Sektoren - wie Tourismus oder Einzelhandel - dagegen vernachlässigt. Dabei könnten auch diese Branchen einen wichtigen Beitrag zu einer ökologischen Transformation beitragen
Insgesamt bleibt das Wirtschaftsmodell des Green New Deal in traditionellen wirtschaftlichen Konzepten mit getrennten Sektoren verhaftet. Die Care- Ökonomie als relevanter ökonomischer Sektor kommt überhaupt nicht vor und unbezahlte Frauenarbeit wird damit stillschweigend als unendlich verfügbar vorausgesetzt. Die private Haushaltsökonomie spielt keine Rolle – weder die geleisteten Beiträge, noch die gezahlten Kosten. Es wird deutlich, dass Ökonomie vor allem als Industrieentwicklung gesehen wird und sich die „soziale und ökologische Transformation“ der Wirtschaft auf die Transformation von Erwerbsarbeitsplätzen und Technologieoptionen reduziert
Neben der Schaffung „grüner Jobs“ und dem Ausbau bestimmter Sektoren ist ein weiteres erklärtes Ziel der Grünen, die Verkehrspolitik grundlegend zu verändern. Auch dabei gibt es in Bezug auf Geschlechtergerechtigkeit einiges zu beachten, da sich das Mobilitätsverhalten je nach eingenommenen Geschlechterrollen unterscheidet
Zum einen gibt es sowohl bei der Nutzung von Verkehrsmitteln, als auch bei den Fahrzwecken genderspezifische Unterschiede. So nutzen Männer Autos eher, um zur Arbeit zu fahren oder ihren Freizeitaktivitäten nachzugehen, während Frauen für ihre Fahrten zum Arbeitsplatz wesentlich öfter öffentliche Verkehrsmittel nutzen und mit dem Auto eher Familienmitglieder transportieren oder ihre Aufgaben im Rahmen der Care-Ökonomie wahrnehmen. Insgesamt hat laut empirischer Untersuchungen der Verkehr, der mit der unbezahlten privaten Care-Ökonomie verbunden ist für das Leben eine wesentlich höhere Relevanz als die Fahrten zum Arbeitsplatz und zurück. Auch diese geschlechtsspezifischen Unterschiede werden in den Strategiepapieren des Green New Deals nicht reflektiert. Um bei der Gestaltung von Mobilität nicht auf eine androzentrische Sichtweise zurückzufallen, sollte sich nicht nur mit den Mobilitätsanforderungen eines auf freien Märkten basierenden Wirtschaftsmodells mit einem (männlichen) Pendler zwischen Wohnung und Arbeitsplatz befasst werden, sondern es sollten andere realitätsnähere Konzepte im Vordergrund stehen
Zudem ist im Verkehrssektor die Beschäftigung ebenfalls sehr nach Geschlechtern segregiert und Entscheidungsstrukturen in der Mobilität sowie Stadtplanung wird deutlich von Männern dominiert (Kuhl 2012, S.12). Um den geschlechterspezifischen Interessen mehr gerecht zu werden, könnte zum Beispiel das Instrument des Gender Budgeting eingesetzt werden, dies würde die systematische Analyse, Steuerung und Evaluation des Haushalts ermöglichen um Geschlechtergerechtigkeit tatsächlich umzusetzen. Es könnte also bereits bei der Stadtplanung und der Aufstellung eines Haushaltsplans einer Kommune/einer Stadt auf die Einbindung genderspezifischer Mobilitätsanforderungen geachtet werden.
Weiterhin ist am Green New Deal zu bemängeln, dass das verwendete Nachhaltigkeitskonzept auf Umweltnachhaltigkeit reduziert wird. Dabei wird die Frage, wie soziale Bedingungen, vor allem faire Beziehungen zwischen den Geschlechtern, in das Nachhaltigkeitskonzept integriert werden können, außer Acht gelassen
Insgesamt ist festzuhalten, dass die Konzeption des Green New Deal der Grünen nicht grundsätzlich die Funktionsweise kapitalistischer Produktion und Reproduktion in Frage stellt. Dadurch wird eine Hierarchisierung zwischen bezahlter Erwerbsarbeit und unbezahlter Haus-/ Subsistenzarbeit vorgenommen und läuft damit dem Anliegen feministischer Ökonomiekritik, den unbezahlten Teil der Ökonomie sichtbar zu machen, entgegen. Auch die Geschlechterordnung wird nicht explizit thematisiert. Da der Ansatz aber dennoch implizit die Geschlechterordnung aufgreift, besteht die Gefahr einer weiteren Verfestigung der Ungleichheiten, wenn die Konsequenzen der impliziten Gender-Gehalte nicht beachtet werden. Nicht thematisierte genderbezogene Aspekte und implizite Gender-Bias müssen kritisch reflektiert werden, um einer feministischen Perspektive gerecht zu werden. Vor allem die vollständige Ausblendung der Care-Ökonomie ist aus feministischer Sicht zu bemängeln und stellt eine große Herausforderung dar.
Bauhardt, Christine (2013): Wege aus der Krise? Green New Deal – Postwachstumsgesellschaft – Solidarische Ökonomie: Alternativen zur Wachstumsökonomie aus feministischer Sicht. In: GENDER (2), S. 9–26.
Bündnis 90/Die Grünen Bundestagsfraktion (2011): Green New Deal. Für eine gerechtere Gesellschaft. Online verfügbar unter https://www.gruene-bundestag.de/fileadmin/media/gruenebundestag_de/publikationen/broschueren_und_flyer/Flyer__Green_New_Deal.pdf, zuletzt geprüft am 30.07.19.
European Greens (2009): A Green New Deal for Europe. Manifesto for the European election campaign 2009. Online verfügbar unter https://europeangreens.eu/manifesto, zuletzt geprüft am 30.07.19.
Giegold, Sven; Mack, Sebastian M. (2012): Eurorettung nur mit Green New Deal. Abhängigkeit von fossilen Energieträgern und nicht-erneuerbaren Rohstoffen mitverantwortlich für die ökonomische Instabilität vieler Euroländer. Strategiepapier der Grünen/Europäische Freie Allianz im Europäischen Parlament. Online verfügbar unter http://www.sven-giegold.de/wp-content/uploads/2012/05/120418-eurokrise-ENG-final03_webversion.pdf, zuletzt aktualisiert am 30.07.19.
Haidinger, Bettina; Knittler, Käthe (2016): Feministische Ökonomie. Eine Einführung: Mandelbaum.
Kuhl, Mara (2012): Geschlechteraspekte des Green New Deal – eine Analyse der Strategiepapiere der Grünen/EFA Green-New-Deal-Arbeitsgruppe. Online verfügbar unter http://www.dr-mara-kuhl.de/fileadmin/user_upload/GND_Kuhl_DEU.pdf, zuletzt geprüft am 30.07.19.
Löhle, Nora (2019): Sind die USA reif für einen Green New Deal? In: Heinrich Böll Stiftung, 18.02.2019. Online verfügbar unter https://www.boell.de/de/2019/02/18/sind-die-usa-reif-fuer-einen-green-new-deal, zuletzt geprüft am 30.07.19.
Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin (2011): Gender Mainstreaming in der Stadtentwicklung. Online verfügbar unter http://www.stadtentwicklung.berlin.de/soziale_stadt