Wir brauchen eine kritische Wirtschaftswissenschaft - mehr denn je! Mit Exploring Economics stärken wir alternative ökonomische Ansätze und setzen der Mainstream-VWL ein kritisches und plurales Verständnis von ökonomischer Bildung entgegen. Außerdem liefern wir Hintergrundanalysen zu akuellen ökonomischen Debatten, um einen kritischen Wirtschaftsdiskurs zu stärken.
Doch leider geht uns das Geld aus, um unsere Arbeit fortzusetzen.
Mit einem kleinen Beitrag kannst Du Exploring Economics unterstützen, online zu bleiben. Danke!
Wir sind ein eingetragener, gemeinnütziger Verein | Netzwerk Plurale Ökonomik e.V. | IBAN: DE91 4306 0967 6037 9737 00 | SWIFT-BIC: GENODEM1GLS | Impressum
»Das Geld hat nur ein Gesicht, das des Unternehmers.« (Negri 1979: 45)
Angesichts der Wirtschafts-, Geld- und Finanzpolitik infolge der COVID-19-Pandemie sowie den finanziellen Spielräumen, die anlässlich des russischen Kriegs gegen die Ukraine plötzlich für das Militär möglich waren, wurde das geldtheoretische Konzept Modern Monetary Theory (MMT) prominent.[1] Plötzlich schien es möglich, wirtschaftspolitisch ‚zu gestalten‘ – trotz ideologischen Dogmen wie der ‚Schwarzen Null‘ und jenseits von rechtlichen Beschränkungen wie der Schuldenbremse. »Man muss die fiskalischen Brems- und Gaspedale auf Automatik stellen, über sogenannte automatische Stabilisatoren«, so Monika Stemmer (2023: loc. 134) in ihrem populärwissenschaftlichen Buch, mit dem sie mit der MMT gegen die »Schwarze Null« anschreibt. Die dem Postkeynesianismus zuzuordnende Strömung geht davon aus, dass es den Zentralbanken möglich ist, die Wirtschaft mittels Geldschöpfung mit der notwendigen Liquidität zu versorgen, um nicht nur Vollbeschäftigung zu ermöglichen, sondern auch einen ökologischen Umbau. Angesichts der politischen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse, die radikale Gesellschaftsveränderung eher utopisch wirken lassen, wirkt das MMT-Konzept besonders attraktiv, da es für sich in Anspruch nimmt, das ‚Finanzierungsproblem‘ gelöst zu haben. So schreiben Yeva Nersisyan und L. Randall Wray (2019) in einem Beitrag, der diskutiert, wie ein Green New Deal (GND) zu finanzieren sei, dass die Finanzen des Staates nicht mit denen eines privaten Haushalts oder eines Unternehmens zu vergleichen seien. Aus einer MMT-Perspektive nutze die Regierung vielmehr das Geldsystem selbst, um ‘reale Ressourcen‘ zu mobilisieren. Und weiter:
»Bezahlbarkeit ist für eine souveräne Regierung nie eine wichtige Frage – die relevante Frage betrifft die Ressourcenverfügbarkeit und ihre Aneignung. Es besteht daher eine natürliche Allianz zwischen der MMT und dem GND. Wenn es uns gelingt, technologisch machbare Projekte zu identifizieren, mit denen die Ziele des GND erreicht werden können […], dann können wir die Finanzierung der Programme ermöglichen.« (Ebd.: 2)[2]
Im Folgenden soll die MMT kritisch aus einer an Marx orientierten Ökonomiekritik diskutiert werden.[3] Der vorliegende Beitrag argumentiert, dass die MMT zwar wichtige Fragen aufwirft, aber weder einen adäquaten Begriff von Geld noch von Kapitalismus hat, was mitunter zu Fehlschlüssen führt. Dabei ist der wesentliche Punkt, dass die MMT auf der Basis eines falschen Verständnisses von Geld die notwendige Begrenztheit staatlicher Verfügungs- und Gestaltungsmacht im Kapitalismus nicht versteht. Um dies genauer ausführen zu können, werden im ersten Teil zunächst die Grundzüge der MMT dargestellt und ausführlicher ihre zugrundeliegenden Prämissen diskutiert. Diese impliziten theoretischen Annahmen werden von Vertreter*innen der MMT nur selten expliziert oder diskutiert, nicht zuletzt deshalb, weil die MMT sich selbst gerne als ‚beschreibende‘ Theorie bezeichnet. Dabei gilt auch hier ein Satz von John M. Keynes, dass »Praktiker, die sich ganz frei von allen intellektuellen Einflüssen wähnen, […] zumeist Sklaven irgendeines längst verstorbenen Ökonomen.« sind (Keynes 1936: 316) Nach Darstellung der theoretischen Grundzüge der MMT, die ich nicht theoriegeschichtlich, sondern der Sache nach diskutiere, versuche ich mich an einer immanenten Kritik, d. h. einer Kritik auf Grundlage der eigenen Prämissen der MMT. In einem zweiten Teil stelle ich aus einer an Marx orientierten Perspektive die Bedeutung des Kapitalismus als Geldwirtschaft heraus und formuliere vor diesem Hintergrund weitere Kritik.
Grundsätzlich versteht sich die MMT als eine Perspektive, die einen Widerspruch zur herrschenden Meinung formuliert, wobei das Thema der Staatsfinanzen im Zentrum der Auseinandersetzung steht. Laut dieser herrschenden Meinung finanziert sich der Staat im Wesentlichen durch Steuern, sodass nur ausgegeben werden kann, was auch eingenommen wird. Aus Steuereinnahmen bestreite der Staat seine Ausgaben. Darüber hinaus nimmt er für weitere Ausgaben Schulden auf. Grundsätzliche Aufgabe der Zentralbank ist die Bereitstellung des Geldes für diesen Kreislauf: die nationale Währung.
Die MMT stellt die Zusammenhänge der Staatsfinanzen fundamental anders dar. Wie das obige Zitat von Nersisyan/Wray (2019: 2) andeutet, dient bei ihr das Geld dem Staat wesentlich zur Mobilisierung von Arbeit und Ressourcen. Dafür müsse er weder Steuern ein-, noch Kredite aufnehmen, denn schließlich sei es der Staat selbst – die Zentralbank –, der das Geld herausgibt und damit auf die Welt bringt. Das von der Zentralbank für staatliche Ausgaben zur Verfügung gestellte Geld sei erst die Bedingung dafür, dass es in der Gesellschaft bzw. in der Privatwirtschaft überhaupt Geld gebe, mit dem Waren ver- und gekauft werden können. Der Staat ‚hat’ laut MMT also bereits das Geld, er muss es sich nicht erst noch durch Steuern besorgen, letztere dienen anderen Zwecken.
Die MMT-Vertreterin Stephanie Kelton referiert in diesem Zusammenhang eine Konversation mit dem MMT-Ökonomen Warren Mosler: Steuern seien nicht dazu da, den Staat zu finanzieren, sondern »Menschen dazu zu bringen, für den Staat zu arbeiten und Dinge zu produzieren« (Mosler nach Kelton 2020: loc. 28): Militär, Gerichtswesen, öffentliche Parks etc. pp. Kelton resümiert die Argumentation: »Am Ende des Tages will eine währungsausgebende Regierung etwas Reales, nicht etwas Monetäres. Es sind nicht unsere Steuergelder, die die Regierung will. Es ist unsere Zeit. Um uns dazu zu bringen, Dinge für den Staat zu produzieren, erfindet [sic!] die Regierung Steuern oder andere Arten von Zahlungsverpflichtungen.« (Ebd.: loc. 30) Der Staat gibt demnach Geld aus, das vorher gar nicht existiert hat, indem die Zentralbank einfach das Konto der Regierung anpasst, also Geld zur Verfügung stellt – aus dem Nichts. Für die MMT ist das kein Kredit. Das Geld, welches der Regierung von der Zentralbank zur Verfügung gestellt wird, kommt durch öffentliche Ausgaben überhaupt erst in die Wirtschaft – ohne Staatsverschuldung und ohne Steuern. Mit dieser Geldschöpfung schafft der Staat – als Einheit aus Zentralbank und Regierung – überhaupt erst die Voraussetzung dafür, Geld als Steuern wieder ‚einziehen‘ zu können. Steuern sind für die MMT deshalb gar keine Form der Finanzierung von Staatsausgaben. Stattdessen sind sie wesentlich eine Form der Inflationsregulierung, weil sie Kaufkraft einschränken können (Mosler 2010: loc. 41) – oder ein Mittel zur Korrektur von Ungleichheit. Eine der zentralen Schlussfolgerungen der MMT ist deshalb: Ein Staat, der seine eigene Währung herausgibt, kann nicht insolvent gehen, weswegen Staatsschulden im Prinzip kein Problem sind. Harte Budgetrestriktion existieren laut der MMT aus ökonomischer Perspektive also nicht. Diese sind lediglich politisch gewollt. Positiv formuliert: Der Staat ist es, der als politisch sinnvoll erachtete Projekte realisieren kann, etwa klimabezogene Investitionen, Vollbeschäftigung oder die Bekämpfung einer Krise.
Die MMT schreibt dem Staat also eine potenzielle Handlungsfähigkeit zu, was erklären mag, warum die MMT vielfach als wirtschaftspolitisches Programm rezipiert wird. Dennoch beansprucht die MMT für sich, rein deskriptiv zu sein. Diese Position wird mitunter sogar dahingehend zugespitzt, die MMT enthalte gar keine wirtschaftspolitischen Vorschläge (Ehnts 2017: 100), sondern beschreibe nur Zusammenhänge (Hockett/James 2020: 12; Kelton 2020: loc. 7). Die folgenden Ausführungen sollen zeigen, dass dem nicht so ist und die Aussagen vielmehr auf impliziten theoretischen Prämissen beruhen, die eingehender diskutiert werden müssen. Diese sind es, die wesentlich das Verständnis davon liefern, was die kapitalistische Wirtschaftsweise ausmacht, wie ihre Kategorien und die ökonomischen Verhältnisse, die sie ausdrücken, zusammenhängen - also den Gegenstand der Wirtschaftswissenschaften.
Bleibe auf dem Laufenden!
Abboniere unser automatisches Content Newsletter, um keine neuen Beiträge mehr zu veerpassen! Außerdem kannst du den Newsletter des Netzwerk Plurale Ökonomik abbonieren.
Der Einsicht in die Bedeutung der impliziten Prämissen folgend, soll die MMT im Folgenden nicht entlang ihrer dogmenhistorischen Bezugspunkte (u.a. Mitchell Innes, Keynes, Knapp, Lerner, Minsky) dargestellt werden. Stattdessen werden die der MMT zugrunde liegenden Prämissen referiert. Diese lassen sich auf vier wesentliche Punkte herunter brechen: 1) Geld ist wesentlich Kredit, 2) Geld ist immer staatliches Geld, also Währung 3) das Geldsystem gründet in Steuern 4) Geldbeziehungen lassen sich in Form von Bilanzen darstellen.[4] Diese Momente verschränken sich zu einem Begründungszusammenhang, so eine erste Zusammenfassung, bei dem das Geld als Kreditbeziehung den Staat als Gläubiger letzter Instanz benötigt, um als Geld allgemein gelten zu können. Der Staat setzt diese allgemeine Akzeptanz durch, indem er die Bevölkerung dazu zwingt, Steuern in seiner Währung abzuführen. Diese Zusammenhänge lassen sich in Form von Bilanzen darstellen. Alle vier Punkte sollen im Folgenden erläutert werden.
Eine der zentralen geldtheoretischen Prämissen der MMT ist, dass Geld seinem Wesen nach Kredit ist. Im Anschluss an Hyman P. Minsky geht diese davon aus, dass Geld entsteht, sobald jemand einen Schuldschein ausstellt, also eine Zahlung verspricht, und dieser Schuldschein wiederum von Dritten als Geld akzeptiert wird (Wray 2014, 1998). ‚Dritte’ deshalb, weil die ersten beiden involvierten Beteiligten Schuldner und Gläubiger sind. Indem ‚Dritte‘ das Zahlungsversprechen akzeptieren, fungiert es als Geld – ist Geld, so die Argumentation der »Kredittheorie des Geldes«[5]. »Geld ist demnach Kredit und nichts als Kredit. B’s Schulden bei A sind A’s Geld und wenn B seine Schulden bezahlt, verschwindet A’s Geld.« So Mitchell Innes (1913: 402), auf den sich die Vertreter*innen der MMT gerne beziehen und der zugespitzt schlussfolgert: »Das ist die ganze Theorie des Geldes.« (Ebd.) Die Voraussetzung dafür, dass diese Konstellation von Zahlungsversprechen funktioniert, ist die Kreditwürdigkeit der in der Schuld stehenden Person. Stabil ist sie demnach nicht. Wenn ‚Dritte‘ das Zahlungsversprechen nicht als Bezahlung akzeptieren, funktioniert diese Form des Geldes nicht gesamtgesellschaftlich – das aber muss sie, will sie Geld sein, also allgemein akzeptiert werden. Eine Antwort auf dieses »Netzwerkproblem« findet die MMT theorieimmanent mit der Prämisse zum Zusammenhang von Steuern und Geld: Da der Staat Steuern in seinem Geld verlangt, zwingt er die Bevölkerung dazu, sein Geld zu nutzen und zu akzeptieren (siehe 3.2). Gesetzt das Netzwerk funktioniert und die Dritten haben auch Zahlungsverpflichtungen gegenüber dem ursprünglichen Schuldner offen, können diese gegeneinander aufgerechnet werden – die Zahlungsverpflichtung entsteht, fungiert als Geld und verschwindet wieder im Nichts.
Die kredittheoretische Argumentation ist attraktiv, weil sie nicht gezwungen ist, zu erklären, wie sich das Geld von einer Metallbasis abgelöst hat. Eine schuldrechtliche Konzeption des Geldes kann auf einen vermeintlich intrinsischen Wert des Geldes verzichten. Es ist demnach nur konsequent, wenn Macleod (1892 nach Ganßmann 2015b: 42) als wichtigster dogmenhistorischer Vorläufer dieser Kredittheorie des Geldes behauptet: »Gold- und Silbergeld kann daher zu Recht als metallischer Kredit bezeichnet werden.« Aber wenn selbst Gold und Silber nichts anderes als ein Zahlungsversprechen darstellen, führt dies zu der Anschlussfrage, worauf es einen Anspruch verbrieft? Geoffrey Ingham (2004: 12) schlussfolgert: »Im allergrundsätzlichsten Sinn werden dem Geldbesitzer Güter geschuldet.« Auch wenn Ingham nicht der MMT zuzuordnen ist, sondern nur einer Kredittheorie des Geldes, so macht er deutlich, dass eine solche, die auch für die MMT grundlegend ist, nur im Rahmen einer »Anweisungstheorie des Geldes« Sinn macht, die mitunter auch Georg Simmel und Georg Friedrich Knapp vertreten: Wer Geld besitzt, hat ein Recht auf Güter, auf Teile des Sozialprodukts, er verzichtet aber auf dieses Recht und gibt der Gesellschaft derart einen Kredit.[6] Dass der MMT eine »Anweisungstheorie des Geldes« zugrunde liegt, schimmert zwischen den Zeilen durch, wenn Geld mit einem Eintrittsticket (für den Superbowl, ein Fußballspiel oder einen Kinobesuch) verglichen wird, das nach Einlösung weggeschmissen werden kann (vgl. Höfgen 2020: 53, 69; Mosler 2010: loc. 25). Geld habe keinen eigenen Wert, ermittele ihn vielmehr und das Geldsystem sei nicht mehr als eine Anzeigetafel (Mosler 2010: loc. 27 u.ö.) oder ein Punktesystem (Ehnts 2022: 17). Auf die Fragen, was da genau ermittelt wird und warum es dafür Geld braucht, die die MMT gar nicht stellt, wird zurückzukommen sein.
In den Geldtheorien sind die Funktionen, die dem Geld zugeschrieben werden, zentral. In den diversen ökonomietheoretischen Ansätzen (z.B. Neoklassik, Keynes, Marx)[7] unterscheidet sich die Aufzählung nicht grundlegend, sondern die Art und Weise, wie diese eingeführt werden und in welchem Zusammenhang sie gesehen werden. Vor dem Hintergrund der bisherigen Darstellung lässt sich die Argumentation der MMT wie folgt zusammenfassen: Vom Geld als Rechengeld kommt sie in ihren Ausführungen zum Geld als Zahlungsmittel (im Sinne von Zahlungsversprechen), das vor allem als Tauschmittel fungiert.[8]
Wie kann im Rahmen der MMT die Schwierigkeit gelöst werden, dass ein Netzwerk an Zahlungsversprechen nur dann stabil – und damit ein funktionierendes Geldsystem – ist, wenn diese akzeptiert werden, weil von einer ausgeprägten Bonität des Schuldners ausgegangen wird? Hier kommt der Staat ins Spiel, den alle kennen und anerkennen (müssen). Die MMT stellt sich hier in die Tradition von Georg Friedrich Knapp, der mit seinem 1905 erschienenen Buch Staatliche Theorie des Geldes den Chartalismus begründete (vgl. auch Lerner 1947). Geld sei, so Knapp, was der Staat als Geld akzeptiert bzw. rechtlich setzt. Deshalb schlussfolgert L. Randall Wray, einer der prominentesten Vertreter der MMT: »Es ist demnach unmöglich, die Geldtheorie von der Staatstheorie zu trennen.« (Wray 2000: 50)
Die Frage nach dem Ursprung des Geldes wird also mit dem Staat beantwortet. Der Staat gibt Geld aus und legt qua Rechtsordnung fest, was als Geld gilt. Von der Zentralbank ‚ausgegeben‘, fließt das Geld in Form von Steuerzahlungen wieder zurück zum Staat. Die staatliche Setzung und Ausgabe gleicht deshalb formal dem Kreditschöpfungsprozess, bei dem ein Zahlungsversprechen entsteht, als Geld zirkuliert, zu seinem Ausgangspunkt zurückkehrt und wieder verschwindet (Mosler 2010: loc. 11). In welchem Sinne ist jedoch Zentralbankgeld ein Zahlungsversprechen? Die MMT bezeichnet es als eine Steuergutschrift, mit der die Steuerschulden beglichen werden können. Darauf gehe ich gleich ein.
Vorher sei noch eine Pointe in der Argumentation der MMT herausgestellt, die das Geld als Produkt der Rechtsordnung mit sich bringt: Weil es erst der Staat ist, der eine Währung ausgibt, muss er sich gar kein Geld bei Banken leihen, schließlich ist vor dessen Ausgabe gar keines da. Deshalb argumentiert die MMT umgekehrt: Erst wenn der Staat Ausgaben getätigt und Geld in Umlauf gebracht hat, verfügt das Publikum über Geld, das als Zirkulationsmittel fungieren oder eben verliehen werden kann. Die zentrale Schlussfolgerung ist, dass der Staat erst Geld ausgeben muss, bevor Geld überhaupt da ist. Das ausgegebene Geld geht den Steuern und Krediten voraus. Aber in welchem Sinn ist Geld dann noch ein Kredit und wie organisiert der Staat, dass dieser als Geld akzeptiert wird? Damit wären wir bei der dritten Prämisse von MMT.
Wie hängen nun Geld und Steuern konkret in der MMT zusammen? Die kredittheoretische Konzeption des Geldes bringt für die MMT eine konzeptionelle Schwierigkeit mit sich, da Geld ein Zahlungsversprechen ist (s.o.). Einerseits verbrieft es – so die implizite Anweisungstheorie – ein Recht auf Güter, auf Teile des Sozialprodukts (s.o.). In der MMT-Konzeption, in der jedoch der Staat eine zentrale Rolle spielt, verbrieft es jedoch etwas anderes, ein Zahlungsversprechen, mit dem es möglich ist die ‘Steuerschuld‘ zu begleichen. Der Staat zwingt mittels Steuern in dieses Schuldnerverhältnis, um derart die Akzeptanz des Geldes zu organisieren; gleichzeitig gibt er die Mittel aus, mit der dieses aufgelöst werden kann. Bereits bei Lerner heißt es:
»Der moderne Staat kann alles, was er will, als Geld allgemein akzeptierbar machen und damit seinen Wert unabhängig von jeder noch so formalen Verbindung mit Gold […] begründen. Es ist wahr, dass eine einfache Erklärung, dass dies und jenes Geld ist, nicht ausreicht […]. Aber wenn der Staat bereit ist, das vorgeschlagene Geld zur Zahlung von Steuern und anderen Verpflichtungen gegenüber sich selbst zu akzeptieren, ist der Trick geschafft. Jeder, der Verpflichtungen gegenüber dem Staat hat, wird bereit sein, es zu akzeptieren.« (Lerner 1947: 313)
Wie aber kommen die Steuerpflichtigen an das Geld? »Der Staat versetzt«, so Wray/Bell (2004: 12), »als erstes seine Untertanen oder Bürger (je nach dem) in die Lage von Schuldnern, die Steuern schulden, bevor er die Gelddinge ausgibt, die für Steuerzahlungen akzeptiert werden. Das ist die Methode, die von allen modernen Nationen benutzt wird, um Ressourcen zum Staatssektor zu lenken.« Die Steuerpflicht sei nötig, so Wray (1998: 15), »um die Bürger dazu zu zwingen, der Regierung Dinge zu liefern, um die Währung zu erhalten«. Es sind demnach wesentlich die staatlichen Ausgaben, die das Geld in die Zirkulation bringen.
Vor dem Hintergrund der bisherigen Ausführungen macht die MMT hinsichtlich des Zusammenhangs von Staatsschulden, Steuern und Zentralbankgeld demnach zwei wesentliche Aussagen: Steuern als Schulden gegenüber dem Staat organisieren die Akzeptanz des Geldes, das der Staat ausgibt, indem er sich zuerst ‚Reales‘ und Dienstleistungen aneignet. Der Staat gibt demnach zuerst Geld aus, das akzeptiert werden muss, und mit dem die Steuern bezahlt werden müssen (Ehnts 2017: 90). Gegenwärtig würde ein Umweg gewählt: Die Zentralbank leiht den Geschäftsbanken Geld, die es wiederum dem Staat leihen würden (ebd.: 92).
Und so schließt sich der Kreis: Steuern sind eine Verpflichtung und das vom Staat ausgegebene Geld, ein Zahlungsversprechen, ist das entsprechende Pendant, die andere Seite der Medaille, eine Steuergutschrift, so die MMT.
Geld als Rechengeld (money of account) und eine Kredittheorie des Geldes verdichten sich zu einem weiteren Kennzeichen der MMT: der Analyse saldenmechanischer Zusammenhänge aufgrund von Bilanzen (Ehnts 2017: 89). Wray führt aus: Das »›Geld‹, das von einer Bank geschaffen wird, ist nichts anderes als ein Kredit in der Bilanz einer anderen Bank.« (Wray 2000: 57) All das geschieht in den Bilanzen der Banken (ebd.). Die Bilanzen präsentieren ex-post-Zustände, sie dokumentieren und ermöglichen es nachzuvollziehen, welche Wirtschaftsaktivitäten getätigt wurden. Sie haben den Vorteil, dass sie immer die beiden Seiten einer Transaktion sichtbar machen, das heißt, einem Soll steht stets ein Haben gegenüber, einer Schuld- eine Forderungsposition. Diese Bilanzpositionen verteilen und verschränken sich über Privathaushalte, Unternehmen bis hin zum Staat und liefern so ein Bild der ökonomischen Zusammenhänge – deshalb versteht sich die MMT als ‚beschreibend‘. Die Grenze, was beschreibend, was begründend, erklärend ist, ist jedoch fließend. Denn welche ökonomischen Kräfte wirken, bringt die Saldenmechanik nicht zum Ausdruck. Zur Illustration: Keynes geht in seiner Allgemeinen Theorie wie die Neoklassik davon aus, dass die Summe der Investitionen dem Sparvolumen entsprechen muss (I = S). Diese Gleichung beschreibt funktionale Zusammenhänge, und genau das wird in der MMT unterstrichen. Doch sind diese nicht identisch mit kausalen Wirkungen. Führt eine große Ersparnis (S) zu großen Investitionen (I), wie das neoklassische Paradigma behauptet? Oder führen große Investitionen (I) zu einer Steigerung des Volkseinkommens, aus dem dann mehr gespart wird (S), wie Keynes’ argumentiert? Ein weiteres prominentes Beispiel das in der MMT vor kommt: Indem Banken einen Kredit vergeben, entsteht gleichzeitig eine Einlage. Eine Spareinlage ist nicht die Voraussetzung dafür, dass eine Bank einen Kredit vergeben kann. So weit, so richtig, nur: Warum entsteht ein solches Kreditverhältnis, was ist Ursache und was Wirkung, was seine Wirkungsweise? Eine Analyse von Bilanzen kommt somit nicht umhin anzugeben, aus welchen Gründen sich die Positionen verändern. Sie muss sich auf das Terrain der Ökonomietheorie begeben, was bei der MMT mal mehr, mal weniger gern auf sich genommen wird. Diese letzten Ausführungen sind bereits eine immanente Kritik an der MMT. Bevor diese allgemeiner ausgeführt wird nochmals zur Analyse von Bilanzen als Methode: An der Spitze des Gleichungssystems von Bilanzen steht bei der MMT quasi der Staat mit seiner Zentralbank, der mittels Geldschöpfung und Verlängerung seiner Bilanzen und den oben beschriebenen Mechanismen, wie er sich Ressourcen aneignet, die gesellschaftliche Gesamtnachfrage steuern kann. Dies begründet auch die Staatszentrierung der MMT.[9] Weil die Bilanzen von Zentralbank und Regierung im Rahmen der MMT konsolidiert betrachtet werden, ist nicht der lender of last resort (die Zentralbank) Zentrum ihrer wirtschaftspolitischen Konzeption, sondern der Staat mit einer job guarantee: Als employer of last resort soll er für Vollbeschäftigung sorgen, wenn Menschen auf dem privaten Arbeitsmarkt keinen Job mehr finden und somit kein Einkommen haben (Wray 1998: 192ff.).
Die referierten Thesen der MMT basieren also, wie gezeigt, auf theoretisch weitreichenden Prämissen. Über diese wird allerdings nur unzureichend Rechenschaft abgelegt. Mitunter wird zwar der Erklärungsanspruch der MMT eingeschränkt, zum Beispiel wenn Ehnts (2017: 101) behauptet, es gehe nicht um das Treffen von »Aussagen«, die »immer und überall richtig sind«, sondern nur darum, »eine konkrete Beschreibung der Funktionsweise einzelner Systeme« zu bieten. So beziehe sich die MMT ausschließlich auf das sogenannte Fiatgeld, d. h. auf Geld, das keinen eigenen Wert hat oder etwa durch Gold gedeckt bzw. bei dem die Geldversorgung durch Edelmetall limitiert ist. Wie William Mitchell (2015: 387f., 393f.) herausstellt, heißt das, dass die MMT erst ab dem Jahr 1971 für sich Geltung beansprucht, dem Jahr der Aufhebung der Goldbindung des US-Dollars.
Doch dieser beschränkte Erklärungsanspruch wird erstens nur sehr selten explizit kommuniziert. Zweitens werden trotz dieser Einschränkung allgemeine und überhistorische geld- und kapitalismustheoretische sowie wirtschaftsgeschichtliche Aussagen getroffen. Diese widersprechen nicht nur dem eingeschränkten Erklärungsanspruch, sondern legen auch den widersprüchlichen Charakter der Theorie offen, denn um die Evidenz der eigenen Theorie zu untermauern, werden oft historische Argumente angeführt. Das heißt, einerseits soll die MMT nur für das Post-Bretton-Woods-Geldsystem gelten, gleichzeitig werden Aussagen über das Geld und Steuern der letzten 4.000 Jahre getroffen – und damit die eigene Theorie begründet. Dabei zeigt die Geschichte oft ein widersprüchliches und der MMT widersprechendes Bild.[10]
Bei aller proklamierten Selbstbeschränkung der MMT basieren ihre Erklärungen zur Funktionsweise von Geld, Steuern und Schulden auf bestimmten Konzepten von Geld bzw. dem Kapitalismus überhaupt. Sie muss sich deshalb daran messen lassen, ob diese tragen. Im Folgenden soll eine an der marxschen Ökonomietheorie orientierte Kritik der MMT skizziert werden, die auch die Punkte benennt, die bei der MMT zutreffend sind. Die Kritik liegt quer zu den dargestellten Prämissen (3.1 bis 3.4), ich werde jedoch versuchen, sie an entsprechender Stelle aufzurufen.
Wie der ökonomische Mainstream, so sieht auch die MMT im Geld schlicht eine ‚nützliche Sache‘, ein Mittel zur Aneignung und Abwicklung von Tausch – eine geniale Erfindung. Diese Kennzeichnung beruht auf einem Gedankenexperiment: Vorgestellt wird eine auf Privateigentum und Tausch basierende Wirtschaft ohne Geld, und anschließend wird konstatiert, dass diese Gesellschaft mit Geld viel besser funktioniert. Die grundlegende Funktion des Geldes als „Maß der Werte“ (Marx 1890: 109ff.) und die system-immanente Notwendigkeit von Geld in der kapitalistischen Form der Produktion – die wie unten gezeigt werden wird, Ausgangspunkt von an Marx orientierten Geldtheorien ist – ist in der MMT genauso wenig Thema wie in der gängigen Wirtschaftstheorie. Obwohl Geld in der MMT als »soziale Recheneinheit« (Höfgen 2020: 31) bezeichnet wird, wird nicht geklärt, welche soziale Qualität hier gemeint ist.[11] Die MMT erklärt nicht, warum sich alle Waren als Werte aufeinander beziehen, warum es dafür Geld braucht und warum man für Geld alles kaufen kann – dies wird schlicht vorausgesetzt (Mitchell u. a. 2019: 484). Es wird lediglich ein Motiv genannt, warum alle Geld haben wollen: weil man damit Steuern bezahlen könne und der Staat es zum allgemeinen Zahlungsmittel erkläre. Warum Geld bei kapitalistischer Warenproduktion nicht nur nützlich, sondern überhaupt notwendig ist, bleibt im Rahmen der MMT ausgeblendet. Die MMT stellt nicht die Frage, warum die Privatarbeiten und die gesellschaftliche Organisierung und Verteilung der Arbeitszeit die Form des Geldes annehmen. Da sich die MMT nicht weiter mit den spezifischen Voraussetzungen der kapitalistischen Wirtschaft beschäftigt, unterschätzt sie das Geld und seine Bedeutung sowie seine Eigenlogik – nicht zuletzt des Gelds als Kapital. Denn im Kapitalismus ist Geld nicht einfach ein hilfreiches Mittel, sondern konstitutiv, es ist im Wortsinn ‘systemisch‘. Was heißt das?
Im Kapitalismus wird die Produktion nicht gesellschaftlich geplant. Die Produktion übernehmen voneinander getrennte und mit einander in Konkurrenz stehende private Unternehmen; die Verteilung organisiert wesentlich der Markt. Das Ziel der Unternehmen ist die Erzielung eines Profits, also die Vergrößerung einer investierten Summe, kurz: die Verwertung ihres Kapitals. Ob ein Unternehmen dieses Ziel erreicht, entscheidet sich beim erfolgreichen Verkauf auf dem Markt, also erst nach der Produktion. Im Erfolgsfalle verwandelt sich die angebotene Ware in Geld, womit sich der investierte Kapitalvorschuss erfolgreich verwertet und das Unternehmen sein Ziel erreicht. Wenn nicht, dann nicht.
Damit ist Geld im Kapitalismus Ausdruck einer spezifischen gesellschaftlichen Arbeitsteilung und Maßstab der Verwertung. Vermittelt über das Geld beziehen sich Privatarbeiten im Nachhinein als Teile der gesellschaftlichen Gesamtarbeit aufeinander. Deshalb ist kapitalistische Warenproduktion immer auch Geldwirtschaft – und vorkapitalistische Gesellschaften waren es nicht. Das Geld ist die Instanz, die den gesellschaftlichen Zusammenhang der voneinander getrennten Privatarbeiten ex post herstellt. Es sanktioniert die Bedingungen, unter denen gearbeitet wurde. Es zeigt also nicht nur an, ob die geleistete Arbeit überhaupt notwendig war und als gesellschaftliche Arbeit gilt, sondern auch, ob sie der Konkurrenz zum Beispiel hinsichtlich ihrer Produktivität gerecht wurde. Geld ist demnach gegenständlicher Ausdruck einer spezifischen gesellschaftlichen Beziehung, nämlich der voneinander ebenso getrennten wie abhängigen Privatarbeiten, die im Tausch ihre Arbeitsprodukte als Waren aufeinander beziehen. Es herrschen unpersönliche Abhängigkeitsverhältnisse, die sachlich vermittelt sind – über Geld. Geld ist Geld, weil sich alle Waren auf das Geld beziehen bzw. beziehen müssen, – und nicht, weil es dank seiner stofflichen Eigenschaft Wert hätte.
Damit wird die Existenz des Geldes auf einer grundlegenden Ebene hinterfragt und gezeigt, dass es für die spezifische Form der Produktion im Kapitalismus konstitutiv ist. Dies bedeutet aber nicht, dass aus einer marxistischen Perspektive ausschließlich diese Funktion von Bedeutung ist. Im Gegenteil: In der Aufzählung der Geldfunktionen, die Marx als »formelle Gebrauchswerte« des Geldes bezeichnet, unterscheidet sich bei Marx kaum von anderen Theorien, wohl aber in der Art und Weise, wie sie eingeführt werden. Die erste Funktion, Geld als »Maß der Werte« (Marx 1890: 109ff.), ist die Bedingung dafür, dass die anderen Funktionen überhaupt übernommen werden können. Deshalb führt Marx diese Geldfunktion als erste an und betont: »Die Waren werden nicht durch das Geld kommensurabel.« (Ebd.) Vielmehr, so Marx, könne Geld nur als Wertmaß fungieren, weil die Waren sich bereits als Werte aufeinander beziehen und vergleichen. Es bedarf jedoch des Geldes als selbstständiges und gemeinschaftliches Maß. Geld hat, mit Marx gesprochen, die »Form unmittelbarer Austauschbarkeit mit allen andren Waren« (Marx 1890: 82) – für Geld kann man alles kaufen.[12] Diese Bestimmung findet sich darin wieder, dass die Einheit der Geldfunktionen von »Wertmaß/Maßstab der Preise« und »Zirkulationsmittel« Geld zu Geld macht. Erst damit steht Geld selbstständig der gesamten Warenwelt gegenüber, existiert die kategoriale Unterscheidung von Waren auf der einen und Geld auf der anderen Seite. Erst mit dieser Bestimmung kann Geld Schatz-, Zahlungsmittel- und Weltgeldfunktion übernehmen. Mit dem Geld als Zahlungsmittel[13] realisiert eine Ware ihren Wert als Zahlungsversprechen. Dieses Zahlungsversprechen (Kreditverhältnis) wiederum kann selbst die Funktion des Zirkulationsmittels ausüben – damit ist es aber kein Geld, sondern bloß ein Versprechen auf wirkliche Zahlung. Diese Skizze zeigt: Kredit ist kein Geld.[14]
Wenn die MMT den Kredit trotzdem als den allgemeinen Begriff konzipiert, während das Geld zu einer besonderen Form des Kredits (als Steuergutschrift) erklärt wird, geht sie damit fehl. Hier drängt sich Marx‘ Kritik am oben zitierten Kredittheoretiker des Geldes Macleod auf, der »trotz seines doktrinären Definitionsdünkels so sehr die elementarischsten ökonomischen Verhältnisse [verkenne], dass er das Geld überhaupt entspringen lässt aus seiner entwickeltsten Form, der des Zahlungsmittels.« (Marx 1859: 120 Fn.) Mit der Betonung des Kredits steht die MMT in einer langen Tradition (von Law über Keynes zu Minsky), die zurecht die »immanent doppelseitigen Charaktere« (Marx) des Kreditsystems herausstellt, nämlich Triebfeder wirtschaftlicher Dynamik und gleichzeitig potenzielles Schwindelsystem zu sein. Diesen Charakter zu verstehen, muss aber über das Geld als grundlegendes Verhältnis führen, welches ein Kreditverhältnis erst ermöglicht. Ein »absolut stabiles Finanzsystem«, so behauptet etwa Ehnts (2015: 39), sei nur »ohne Kredit« möglich (was wiederum kein Finanzsystem mehr sei). Doch dies trifft nicht zu. Die Krisenhaftigkeit beginnt nicht erst mit dem Kredit, sondern bereits bei der Warenproduktion als Geldwirtschaft. Denn die Instabilität des gesellschaftlichen Zusammenhangs liegt schon darin, dass die Privatarbeiten erst im Nachhinein, nach der Produktion, mittels des Geldes als gesellschaftlich notwendige anerkannt werden – oder nicht. Da ein Unternehmen im Moment der Produktion nicht weiß, ob es seine Waren auch verkaufen wird, gleichzeitig aber davon ausgeht, handelt es sich bereits bei der Warenproduktion um Spekulation, die durch den Kredit lediglich erweitert wird. Hier ist die MMT also den geldreformistischen Vorstellungen des 19. Jahrhunderts nicht unähnlich, die die kapitalistische Warenproduktion beibehalten, aber die Krisenanfälligkeit durch eine Reform des Geld- und Kreditsystems begegnen wollten.[15]
Ein mangelndes Verständnis für die Form der kapitalistischen Produktion und ihre Wirkungsweise zeigt sich auch an anderer Stelle, nämlich dort, wo die MMT die Möglichkeiten bewusster Planung der Produktion durch den Einsatz von Geld stark überschätzt. Wie ein Zitat von Kelton (2019: 22) zeigt, ist Geld für die MMT ein schlichtes Instrument zur Aneignung von Ressourcen und zur Verteilung von Arbeit zwecks Herstellung von Gütern:
»Ich zeige bei meinen Vorträgen gern das Bild eines Bibers mit seinem Damm und frage: ›Wo hatte der Biber das Geld her, um den Damm zu bauen?‹ Dann lachen alle. Daraufhin sage ich: ›Er hat sich wahrscheinlich einfach gedacht: Da drüben gibt es Äste und Stöcke, die hole ich mir jetzt und baue meinen Damm. Und da sind wir Menschen, die Krone der Schöpfung. Wir haben Beton, wir haben Arbeitskräfte, und wir sitzen herum und fragen uns, wo wir das Geld herbekommen. Ich frage Sie: Wer ist hier verrückt?‹«
Verrückt sind, so die rhetorische Frage, die Menschen, die nicht einfach Geld nutzen; nicht erklärungsbedürftig ist, warum es im Kapitalismus das Geld ist, das die Produktion reguliert – als sachliche Vermittlung der Privatarbeiten. Das Zitat verweist also erneut auf das bereits skizzierte fehlende Verständnis für die systemische Bedeutung des Geldes im Kapitalismus, aber auch auf nachgelagerte Probleme. Dabei ist insbesondere die implizierte unmittelbare Wirksamkeit des Einsatzes von Geld für die Produktion von Gütern relevant. Die im Kapitalismus nachträgliche vergesellschaftete Privatarbeit erschöpft sich nicht in der Produktion von Gütern, diese sind lediglich Mittel zur Verwertung des Werts, der im Geld seine selbstständige Gestalt hat – es ist Maßstab der Verwertung. Die voneinander getrennten Privatarbeiten sind als Kapitalverhältnis organisiert, Kapital beutet Arbeitskraft aus, um Profit zu machen. Investiertes Geld muss sich rentieren und Produktion, die keinen Profit macht, wird nicht als Teil der gesellschaftlichen Gesamtarbeit anerkannt.[16] Diese Prozesse muss das Geld organisieren, sonst wird es nicht als Geld akzeptiert. Bei der Biberkolonie ist das alles nicht vorzufinden und: das »Gemeinwohl« steht de facto schon fest, Wohnbauten oder Damm, etwas was in der bürgerlichen Gesellschaft erst eruiert werden muss – in einem politischen Prozess. Was als öffentliches Gut bereitgestellt werden soll, was nach kapitalistischer Logik, wo allein der zu erwartende Profit darüber entscheidet, was wieviel produziert wird, ist Resultat einer gesellschaftlichen Auseinandersetzung. Die Form, in der der Staat die Bereitstellung von Gütern selbst in die Hand nimmt, ist politisch, ist keine nachträgliche Vergesellschaftung. Der Streit darüber, was öffentliches Gut sein soll, findet auf dem Terrain des Steuerstaates statt, der, so vermeintlich zentral bei der MMT, doch eine große konzeptionelle Leerstelle ist.
Obwohl die MMT also aus an Marx orientierter Perspektive die Bedeutung des Staates überschätzt, heißt das nicht, dass der Staat für eine an Marx orientierte Auseinandersetzung mit dem Geld unwesentlich ist. Bereits bei der Funktion »Maßstab der Preise« ist der Staat involviert, da es einen »legalen Taufnamen« (Marx 1859: 63) braucht (Euro, Pfund US-Dollar etc.), den er im Zuge der »Münzung« festsetzt. Dass der Staat konstitutiv für das moderne Geld ist, das keiner Deckung etwa durch Gold bedarf, ist ein wichtiger Punkt, den die MMT macht. Mit Marx lässt sich das hingegen viel besser begründen, weil auch Gold nicht allein aufgrund seiner stofflichen Eigenschaft als Geld galt, sondern weil es gesellschaftlich als solches etabliert wurde.[17] Und zur »gesellschaftlichen Tat« (Marx 1890: 101), in der in einem »gesellschaftlichen Prozess« etwas zu Geld wird, gehören eben nicht allein die Warenbesitzenden, sondern auch der Staat (als Steuerstaat). Gegenüber der MMT ist seine Rolle gegenüber den Privaten jedoch zu relativieren. Es ist zwar richtig, dass es ohne Staat kein ‚gesetzliches Zahlungsmittel‘ gibt. Ob dieses aber gesellschaftlich als Geld gilt und akzeptiert wird, hat er nicht in der Hand – auch nicht mit dem Steuermonopol.[18]
Das weist auf ein weiteres Problem der MMT hin. In der MMT bleibt unklar, warum der Staat sich nicht einfach das, was er braucht, in Naturalform aneignet – ganz ohne Geld, wenn er eigentlich nur etwas »Reales« will (so Kelton 2020: loc. 30). Wenn Geld bloß eine verbriefte Form des Zugriffsrechts auf Ressourcen und Arbeit darstellt, dann stellt sich die Frage, warum sich dieser Zugriff in Form des Geldes vollzieht. Die Ausführungen der MMT lesen sich häufig wie die Beschreibung einer Tributgesellschaft, die nichts mit kapitalistischen Verhältnissen gemein hat – um fremde Arbeit aneignen zu können, erfindet der Staat Steuern.
Vor dem Hintergrund der oben skizzierten Funktionsweise der kapitalistischen Gesellschaft muss die Existenz von Steuern anders verstanden werden: Die kapitalistische Ökonomie, Markt und Konkurrenz beruhen auf Voraussetzungen, die sie nicht selbst schaffen können. Dazu zählen unter anderem Teile der Infrastruktur und des Bildungssystems, soziale Absicherung, Polizei, Militär, das Verhältnis zu anderen Staaten sowie das Rechts- und auch das Geldsystem. Um diese Voraussetzungen zu schaffen, benötigt der Staat Geld. Laut der MMT organisiert er dies durch Ausgabe von Geld, zu dessen allgemeinen Akzeptanz er mit Hilfe der Steuerforderung zwingt und welches er über Steuerzahlungen wieder ‚einzieht‘. Doch wie ausgeführt kann der Staat zwar Zahlungsmittel schaffen, aber was diese vermögen, entscheidet sich im Privatsektor entlang der Frage, ob sie sich als Mittel der Verwertung bewähren. Daher schafft der Staat nicht das Geld, gibt es aus und zieht es über Steuern wieder ein, sondern er stellt das Geld der Gesellschaft bereit und bedient sich zu seiner Finanzierung am Geschäftsgang des Privatsektors. Da er zumeist nicht selbst als Unternehmen unmittelbar an der Wertschöpfung beteiligt ist – das zeichnet den Steuerstaat etwa im Gegensatz zum Domänenstaat aus – erhebt er Steuern. Sie stellen das »zentrale Bindeglied zwischen ›öffentlicher‹ und ›privater‹ Wirtschaft, zwischen ›Ökonomie‹ und ›Politik‹« dar (Krätke 2009: 122).
Politik und Ökonomie sind unterschiedliche gesellschaftliche Logiken, nach denen die gesellschaftliche Gesamtarbeit verteilt wird. Die Frage, ob Steuern erhoben werden müssen, ist nicht allein eine Frage der Staatsfinanzierung. Steuern bringen – verkürzt formuliert – ein gesellschaftliches Machtverhältnis zum Ausdruck in dem sich entscheidet, was eine Gesellschaft in Form von Warenproduktion und was als öffentliches Gut bereitstellt. Beide Logiken gesellschaftlicher Produktion sind Teil des gesellschaftlichen Reproduktionsprozesses, welcher zudem noch die Produktion im Privathaushalt und in der Zivilgesellschaft umfasst. Soll der Reproduktionsprozess funktionieren, müssen die Akteure sich der jeweiligen gesellschaftlichen Logik dieser Formen unterwerfen – oder gesellschaftlich dafür eintreten, dass für bestimmte Bereiche eine andere Logik herrscht. Was als Warenproduktion oder als öffentliches Gut bereitgestellt wird oder dem Privathaushalt anheimfallen soll, ist eine gesellschaftliche Frage, eine Machtfrage. Der Vorschlag, Geld einfach ‚zu drucken‘, glaubt, sich darüber hinwegsetzen zu können. Aber Geld ist eben nicht einfach eine Anweisung auf einen Teil des Sozialprodukts, sondern es ist die Form, in der im Nachhinein der gesellschaftliche Charakter von Privatarbeiten anerkannt wird. Diese Formbestimmung des Geldes kann der Staat nicht einfach aufheben, indem er Geld ausgibt und sich Ressourcen aneignet. Vielmehr muss der Privatwirtschaft Organisationsleistung für die Gesellschaft abgerungen werden. Deshalb sind hier die gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zentral, die darüber bestimmen, was konkurrenz- und profitförmig in Form privater Warenproduktion organisiert wird und was von Staats wegen als Bereitstellung öffentlicher Güter. Bei der Warenproduktion erkennt das Geld ex post den gesellschaftlichen Charakter der Arbeit an. Bei öffentlichen Gütern wird sie politisch-gesellschaftlich ex ante festgelegt. Welche Arbeiten als unmittelbar gesellschaftliche gelten sollen, muss gesellschaftlich durchgesetzt werden. Dafür muss Gegenmacht gegen die herrschenden Macht- und Kräfteverhältnisse organisiert werden.
Steuern sind die spezifische Form, wie Mittel zur Finanzierung öffentlicher Güter in einer Gesellschaft beschafft werden, in der Geld Mittel der Verwertung ist. So wenig Geld einfach eine nützliche Sache ist, so wenig sind es die Steuern. Sie sind eine Form, wie die gesellschaftliche Arbeit im Kapitalismus organisiert ist. In der Form der Steuer wird dem Kapital die Verfügungsmacht über fremde Arbeit entrissen, ihr Zweck nicht mehr Profit bzw. Verwertung von Wert, sondern die Bereitstellung öffentlicher Güter.
Steuern in diesem Sinne sind auch ein relativ modernes Phänomen. Steuern in vorkapitalistischen Gesellschaften waren ein Ausdruck anders gearteter gesellschaftlicher Verhältnisse und es ließe sich sogar diskutieren, ab wann man überhaupt von Steuern sprechen kann. Vorkapitalistische Gesellschaften waren wesentlich durch persönliche Herrschaftsbeziehungen geprägt und zeichneten sich in der Regel dadurch aus, dass ökonomische Ausbeutung und politische Herrschaftsausübung zusammenfielen. »Gerade weil die politischen und ökonomischen Ordnungen in einer Kette persönlicher Verpflichtungen und Abgabeauflagen vereinigt waren, gab es für den Monarchen außerhalb der Hierarchie mittelbarer Souveränitäten niemals eine rechtliche Grundlage dafür, allgemeine Steuern zur Sanierung des Staatshaushalts erheben zu können.« (Anderson 1979: 55 Herv. ISt) Steuern wie wir sie heute kennen, sind demnach kein überhistorisches Phänomen, sondern historisch eine Ausnahme und eine spezifisch kapitalistische Form. Erst der regelmäßige und unpersönliche Charakter macht Steuern zu Steuern. Ein weiteres Charakteristikum ist das der fehlenden konkreten Gegenleistung. Auch das war in vorkapitalistischen Gesellschaften anders, weil Steuern ein Teil der persönlichen Verpflichtungsbeziehungen waren.
Steuern sind weiter weder im schuldrechtlichen noch im ökonomischen Sinn Kredit und Geld ist keine Steuergutschrift. Steuern stellen eine Zahlungsverpflichtung dar, und zwar gegenüber dem Fiskus und nicht gegenüber der Zentralbank: »Eine Steuer ist ein einklagbarer Anspruch des Staates auf einen Teil der privaten Einnahmen, und ihre Zahlung durch den privaten Sektor ist eine Begleichung dieser erzwungenen Verpflichtung. Steuern sind Zahlungsverpflichtungen, aber sie sind keine ›Schulden‹, genauso wenig wie das Schutzgeld, das Gastronomen an die Mafia zahlen, eine Schuld ist: Ihnen wird nichts im Gegenzug versprochen, außer einer vorübergehenden Aussetzung der Bedrohung« (Shaikh 2016: 678).
Mit der Steuererhebung befindet sich der Staat in einem Widerspruch: die Verwertung des Werts ist die Grundlage der staatlichen Finanzen; diesem Prozess entzieht der Staat gleichzeitig die Mittel, indem er Steuern erhebt. Er muss daher seine Ausgaben so organisieren, dass sie der Verwertung dienlich sind und so seine Steuerbasis vergrößern. Zu ihrer Finanzierung greifen Regierungen daher neben Steuern auch auf Kredite zurück. Sie verzichten auf die Entnahme von Mitteln aus dem Produktionsprozess und leihen sich stattdessen das Geld. Der vom Staat aufgenommene Kredit fungiert weder als Kapital, noch wird er durch Anteile an einem Profit finanziert. Bedient wird der öffentliche Kredit aus Steuereinnahmen. Die Staatsschuld setzt also den Steuerstaat und die »moderne Fiskalität« (Marx) voraus.[19] Erst die Steuer als gesetzlich gesicherter, dauerhafter Zugriff auf den Reichtum der Gesellschaft ermöglicht, dass die Verschuldung zu einer normalen, dauerhaften Finanzierungsquelle des Staates wird. Als Steuerstaat ist er kreditwürdig und der öffentliche Kredit die Vorwegnahme künftiger Steuereinnahmen. Damit werden die Zinsen aber auch der ganzen Gesellschaft aufgebürdet, da sie die Quelle der zukünftigen Steuern ist, wobei die Verteilung der Steuerlast wiederum Gegenstand von Kämpfen ist.
Wenn die MMT die Staatsfinanzierung mit der Geldausgabe und den Steuern als nachträglichem Wiedereinziehen des Geldes beschreibt, stellt sie den Zusammenhang verdreht dar. Historisch war es durchaus so, dass Staatsschulden bzw. vom Staat ausgegebenes Papiergeld mit Zwangskurs der Etablierung eines funktionsfähigen Steuerwesens vorausgingen. Logisch, das heißt im Rahmen der Funktionsweise der kapitalistischen Produktionsweise, verhält es sich gerade umgekehrt: das Steuerwesen ermöglicht, dass die Staatsschuld eine normale Form der Staatsfinanzen ist. Hier führt selbst eine MMT-Kronzeugin, die Historikerin Christine Desan, ein schönes Beispiel an: Mit dem Case of the Bankers aus dem Jahr 1696 wurden die Rechte der öffentlichen Gläubiger gestärkt, nachdem die Bank of England bereits eine Antwort auf die enormen Staatsschulden war. Mit diesem Gesetz wurden die Ansprüche gegenüber dem Staat mit dem Anspruch auf die Steuereinnahmen abgesichert (Desan 2014: 281ff.). Dies nahm die Form vorweg, in der Steuerstaat und Staatsverschuldung als Dauerarrangement funktionieren – auch wenn es natürlich diverse institutionelle Konfiguration im Rahmen dieser grundlegenden Logik gab und gibt.
Die Staatsverschuldung bringt nicht nur den Vorteil mit sich, dass der Steuerstaat der Gesellschaft keine liquiden Mittel entzieht, die Nachfrage oder Investitionen bedeuten und damit zur Verwertung des Kapitals beitragen könnten. Die Staatsschulden bieten als Wertpapiere zudem eine sichere Geldanlage für das Finanzkapital und andere Gläubiger. Sie können von den Geschäftsbanken bei den Zentralbanken als Sicherheiten gegen frisches Geld hinterlegt werden. Staatsschulden sind also auch elementares Moment des zweistufigen Bankensystems aus Geschäfts- und Zentralbank. Zudem sind Staatsanleihen eine tragende Säule der Weltfinanzmärkte. Würden die Staaten tatsächlich sparen und irgendwann keine Schulden mehr machen, so bekämen die Finanzmärkte ein großes Problem. Denn bei all ihrer riskanten Spekulation kennen die Finanzanleger einen »sicheren Hafen«: Staatsanleihen, auf deren Wertbeständigkeit sie sich verlassen: »Moderne Finanzsysteme sind auf Staatsanleihen angewiesen« – so der DIW-Wochenbericht 44 (Fichtner u. a. 2011: 9).[20] Staatsschulden sind also wie Geld und Steuern systemrelevant. Sie ermöglichen nicht nur eine Bearbeitung des Widerspruchs zwischen Verwertung und Steuererhebung. Sie sind auch für die Funktionsfähigkeit der Finanzmärkte grundlegend und dafür, wie Zentralbanken im Rahmen eines zweistufigen Bankensystems Geld schöpfen.
Mit dem Streifen der Geldschöpfung im Rahmen des zweistufigen Bankensystems kommen wir zu einer weiteren Schwachstelle der MMT – ihrem Verständnis von Zentralbanken. Für die MMT ist die Zentralbank Teil des Staates, quasi ein zu Unrecht verselbstständigtes Moment der Regierung. Dies ist nur zum Teil zutreffend. Warum? Ziel der Geldpolitik einer Zentralbank ist, die Wirtschaft insgesamt mit Geld zu versorgen. Dabei bewegt sie sich zwischen zwei Polen. Auf der einen Seite wird Geldpolitik als Teil der Wirtschaftspolitik und Geld als politisches Steuerungsmedium konzipiert. Hier ist die MMT zu verorten. Dabei wird – wie oben ausgeführt – die Eigenlogik des Geldes als Kapital unterschätzt. Auf der anderen Seite soll, gerade weil das Geld mit der Zentralbank politisch-institutionell verfasst ist, die Geldpolitik möglichst neutral, d. h. unpolitisch sein. Das Mittel ist hierbei die Konzeption einer unabhängigen Zentralbank, deren vorrangiges Ziel es ist, die Geldwertstabilität zu sichern. Diese Position (prominent vom Monetarismus vertreten) klammert aus, dass die formal unabhängigen Zentralbanken real von verschiedenen politischen wie ökonomischen Faktoren abhängig sind und ihre Geldpolitik alles andere als unpolitisch ist. Die eminente Bedeutung der Zentralbanken zeigte sich gerade in der Krise.
Geld ist zwar kein Kredit, doch kommt es in Form einer quasi-Kreditoperation in die Welt. Die Zentralbank macht sich das Kreditgeschäft der Banken zunutze, um die Wirtschaft mit Liquidität zu versorgen. Nicht die Bevölkerung wird mittels Steuern dazu gezwungen, das Zentralbankgeld zu akzeptieren, sondern die Banken sind gezwungen, sich ständig mit neuer Liquidität zu versorgen, um als Banken agieren zu können – und als solche stehen sie an der Spitze der »Hierarchie der Märkte«. Das war vor dem Ende von Bretton Woods so, als die Zahlungsversprechen noch vorherrschend Wechsel waren (im Rahmen der Diskontpolitik), und ist gegenwärtig so, wenn die Geschäftsbanken für Anleihen Zentralbankgeld bekommen (Offenmarktpolitik).
Bedeutsam für die Betrachtung ist die Hierarchie der Märkte, denn es ist kein Zufall, dass die Geldpolitik bei den Geschäftsbanken ansetzt, und es ist auch keine perfide Privilegierung des Finanzkapitals, wie es gern dargestellt wird. Es liegt vielmehr in der ’Natur der Sache‘: Die zentrale Stellung des Geldes im Kapitalismus bringt für den Geld- und Kapitalmarkt eine dominierende Rolle gegenüber anderen Märkten mit sich, die eine Hierarchie der Märkte begründet.[21] Die Kosten für Kredite (Zins) und die zu erwartende Renditen bestimmen das Volumen, das auf dem Geld- und Kapitalmarkt für Investitionen mobilisiert wird. Diese Investitionen stellen schließlich den Umfang der für die Produktion mobilisierten Produktionsmittel und Arbeitskräfte dar.
Steuerstaat, Staatsverschuldung und die moderne Zentralbankpraxis konstituieren derart einen Kreislauf, bei dem die Geldschöpfung der Zentralbank keines anstoßenden ‚Ursprungs‘ bedarf, wie die MMT nahelegt, sondern auf Grundlage des kapitalistischen Verwertungszusammenhangs möglich ist: Die Zentralbank nutzt die Hierarchie der Märkte, um sicher zu stellen, dass die Wirtschaft mit ausreichend Liquidität versorgt ist, um ihrem Geschäft nachzugehen. Gleichzeitig hat sie das Geld- und Kreditsystem als Ganzes im Blick und muss garantieren, dass es funktioniert. Banken und Unternehmen hätten natürlich gern – wie eigentlich alle – immer unendlichen Zugang zu Liquidität, was jedoch dem Prinzip der nachträglichen Vergesellschaftung im Kapitalismus widerspricht.[22] Steht Geld unbegrenzt zur Verfügung, dann wird diese kapitalistische Funktionsweise gestört – das gleiche gilt, wenn zu wenig zur Verfügung steht, weshalb das Geldsystem eines Goldstandards im Prinzip dysfunktional ist.[23]
Die Geschichte des Geldes ist wesentlich eine des Streits darüber, was es ist, und wie Vertrauen in die Geldordnung organisiert werden kann (Ganßmann 2015a). Vertrauen bedeutet, dass ausreichend Liquidität zur Verfügung steht, aber auch, dass Geld knapp sein muss, um als Geld akzeptiert zu sein. Dieser Widerspruch wird seit Jahrhunderten in unterschiedlichsten (institutionellen) Arrangements bearbeitet – und geldtheoretisch begleitet. Während der Monetarismus in seinen diversen Spielarten dem einen Extrem zuzuordnen ist, findet sich die MMT auf der anderen Seite. Der Monetarismus sieht in der Möglichkeit der Zentralbanken, Geld zu drucken, eine Gefahr, die MMT eine Chance.
Es ist zwar richtig, dass eine Zentralbank demnach de facto unbegrenzt zahlungsfähig ist, denn wer Geld ‚drucken‘ kann, kann nicht pleitegehen – solange die Währung akzeptiert wird. Hierbei geht es nicht einfach um den gern eingebrachten Vorwurf, es drohe Inflation. Denn der Punkt ist viel fundamentaler: Geld sucht vermittelt über das Kreditsystem nach Verwertungsmöglichkeiten. Herrscht kein Vertrauen in eine Währung, fließt es in einen anderen Währungsraum. Geld ist eben keine Steuergutschrift, sondern im Kapitalismus wesentlich potenzielles Kapital – es muss sich verwerten. Der Staat kann zwar Geld ‚drucken‘. Aber das, was eine kapitalistische Wirtschaft ausmacht, ist erstens eine warenproduzierende Privatwirtschaft, die sich der staatlichen Kontrolle entzieht und zweitens – wie im Folgenden deutlich wird – ein global integriertes Kreditsystem, das das Geld auf die Währungsräume verteilt, wo Verwertung möglich ist. Auch hier liegt bei der MMT konzeptionell einiges im Argen.
Das Geldsystem funktioniert, solange der skizzierte Kreislauf funktioniert. Dieser begründet wesentlich auch die Hierarchie der Währungen: Solange dank Steuern die Staatsanleihen eine sichere Anlage sind und solange das Wirtschaftswachstum bzw. die Steuern Zinszahlungen garantieren (nicht Tilgung!), können Schulden steigen. Voraussetzungen sind hier also Zinsniveau und Wirtschaftswachstum (als ‚Index‘ für Steuereinnahmen). Unter der Voraussetzung, dass dieser Prozess funktioniert, kann eine Zentralbank auch die Staatsanleihen eines Staates ewig in ihren Büchern behalten, bzw. sogar abschreiben oder gegen (zukünftige) Zentralbankgewinne verrechnen (vgl. u.a. Troost/Hersel 2013; Wendl 2020). Dieser Prozess ist auch der Grund, warum Staatsanleihen einer Währung – des Weltgeldes – an der Spitze stehen. Der Kreislauf dieser Währung funktioniert, der Kreislauf anderer Währungen hingegen funktioniert weniger oder sogar gar nicht. Manche peripheren Währungen müssen sich sogar im Rahmen von currency boards an eine andere Währung koppeln, um akzeptiert zu werden.
Der Weltmarkt ist durch eine Währungshierarchie gekennzeichnet, mit dem Weltgeld an der Spitze (derzeit der US-Dollar, bis 1914 das britische Pfund). Im Rahmen der MMT gibt es diese Hierarchie nicht, sondern nur Währungssouveränität, die jedoch einen anderen Inhalt hat (Lapavitsas/Aguila 2020: 13). Statt ökonomischer Zwänge und Zusammenhänge stehen formale Anforderung bei der Bestimmung im Vordergrund (vgl. Wray 2019). Im Rahmen der MMT existiert deshalb nur ein »Spektrum monetärer Souveränität« (Höfgen 2020: 85ff.), wobei auch hier der US-Dollar im Zentrum steht. Andere Staaten hätten auch einen höheren Grad an Währungssouveränität, etwa Japan, das Vereinigte Königreich, Australien oder Kanada. Nur für diese Staaten gelte, dass sie ‚souverän‘ über Geld verfügen können.[24] Die Behauptung der MMT, Zentralbanken könnten nicht zahlungsunfähig werden, schränkt sie also zugleich radikal ein, ohne über die ökonomischen Gründe Rechenschaft abzulegen – so auch nicht bei der Funktion des Geldes, Weltgeld zu sein.
In der MMT-Literatur ist nur selten von den Geldfunktionen die Rede, zu denen auch die Funktion gehört, als Weltgeld zu fungieren. Im Vordergrund steht das Geld als Rechnungseinheit (Höfgen 2020: 32). Schon gar nicht werden die Funktionen – wie etwa bei Marx – aus der Begründung des Geldes entwickelt. Mitchell u.a. (2019: 484) gehen eher summarisch darauf ein. Neben der Geldfunktion als Rechnungseinheit ist Geld in der MMT wesentlich die souveräne Macht des Staates. Diese ist eigentlich die einzige im MMT-Rahmen begründete Funktion. Geld sei für den Staat nicht neutral, »da die Währungssouveränität von entscheidender Bedeutung ist, um sicherzustellen, dass der Staat nicht in finanzielle Zwänge gerät.« (Ebd.) Demnach bestimmt allein das Geldmonopol diese Geldfunktion – losgelöst von den ökonomischen Weltmarktverhältnissen. die eine Währung zum Weltgeld machen.
Vor dem Hintergrund der Währungssouveränität wird nochmals deutlich, welche zentrale Rolle dem Staat in der MMT zukommt. Dabei wirft gerade die Hierarchie der Währungen die Frage auf, ob die institutionelle Trennung von Zentralbank und Regierung einfach vom Tisch gewischt werden kann oder nicht vielmehr einen politökonomischen Grund hat. Denn die institutionelle Trennung von Zentralbank und Regierung ist eine Verarbeitungsform des Widerspruchs, dass Geld liquide, aber nicht zu liquide sein darf. Die Sicherung des Geld- und Kreditsystem als Ganzes steht im Zentrum der Zentralbankpolitik, die diese gegen Partikularinteressen durchsetzen muss. Solche Partikularinteressen bestehen sowohl auf Seiten der Geschäftsbanken, welche der Profitlogik folgen, als auch auf Seiten der Regierung, die an der Verwertungslogik des Kapitals und den gesellschaftlichen Kräfteverhältnissen vorbei ihre Politik finanziert wissen will.
Es ist nicht einfach dem Monetarismus geschuldet oder ein Zufall, dass sich die Verselbstständigung der Zentralbanken, ihre zunehmende Autonomie sowie die Etablierung der Offenmarktpolitik als vorherrschendes geldpolitisches Instrument ausgerechnet, wenn auch mit etwas Zeitverzögerung, mit dem Ende von Bretton Woods Bahn brachen. Nach dem Ende der Goldbindung, welche eine Art strukturelle Begrenzung der Liquidität darstellte, bedurfte es einer neuen institutionellen Absicherung des Geldsystems, der analytisch nachgegangen werden muss.
Mit der von der MMT nahegelegten Einheit von Finanzministerium und Zentralbank – wenn in der Selbstbeschreibung gerne auch nur zu didaktischen Zwecken – bleibt der Staat hingegen eine black box, die nicht weiter analysiert wird.[25] Obwohl eine Staatstheorie – etwa von Wray (2000: 50) – implizit eingefordert wird, ist keine zu finden oder erschöpft sich auf einen Hinweis auf Knapps staatliche Theorie des Geldes. Gerade bei der Analyse der Staatsfinanzen ist eine Staatstheorie und -kritik jedoch notwendig, da sich hier staatliche und ökonomische Logik in spezifischer Weise verschränken.
Die Ministerien einer Regierung, bürokratische und politische Institutionen sowie die Zentralbank sind Apparate, die unterschiedlichste Aufgaben erfüllen müssen. Sie stehen mitunter im Widerspruch zueinander und immer wieder finden sich neue Arrangements, die auf neue und alte Anforderungen reagieren, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse zum Ausdruck bringen und diese zugleich verarbeiten. Das Finanzministerium und die Zentralbank als formale Einheit zu thematisieren, bei der das separate Konto ‘lediglich‘ buchhalterische Gründe habe, bedeutet, sich der Aufgabe zu entledigen, gesellschaftliche Kräfteverhältnisse und Widersprüche im Verwertungsprozess des Kapitals zu reflektieren. Das Kapitalismus-Verständnis und die politischen Veränderungsvorschläge lesen sich folglich wie die Gebrauchsanleitung einer Ikea-Küche (vgl. Nuss 2010).
Teile der MMT-Literatur verfolgen durchaus ein kapitalismustheoretisches und -kritisches Anliegen. So ist die Rede von Lohnsklaverei (Mitchell u.a. 2019: 44) und davon, dass der Kapitalismus gegenüber dem Feudalismus eine soziale Revolution markierte (ebd.: 45). Oder man begreift den Kapitalismus als monetäres System, bei dem der Zweck der Produktion, der Profit, die Differenz zu anderen Gesellschaftsformationen macht, in denen es ebenfalls bereits Geld und Märkte gegeben habe (ebd.: 45) – und erwähnt hierbei mitunter auch Marx (ebd.: 39). Die skizzierten Facetten zeigen jedoch, dass die MMT den Kapitalismus und seinen monetären Charakter alles andere als auf den Begriff bringt. Die theoretischen Prämissen werden kaum diskutiert, obwohl sie theorie- und sozialgeschichtlich viel diskutiert wurden – und mehr als umstritten sind. Was den Kapitalismus charakterisiert, geht in der MMT verloren, die Theorie ist nicht modern, sondern greift in die theoretische Mottenkiste »längst verstorbener Ökonomen« (Keynes 1936: 316) und begründet das moderne Geld mit Anekdoten vormodernen Zeiten und selektiven kolonialen Praktiken. Auch den monetären Charakter des Kapitalismus bringt sie nicht auf den Begriff. Die fehlende theoretische Diskussion der Prämissen führt viele MMT-Publikationen dahin, die Prämissen in Form von Anekdoten oder historischen Beispielen zu plausibilisieren.[26] Aber hier findet eher eine Selbstvergewisserung statt, als dass die Sozialgeschichte dafür genutzt wird, die eigenen Thesen zu überprüfen oder deutlich zu machen, dass der Kapitalismus sehr spezifische Formen aufweist.
Darüber hinaus wird eine Leerstelle sichtbar: Warum stellen sich Zusammenhänge, die laut MMT offensichtlich sind, im Alltagsbewusstsein anders dar? Die MMT-Literatur bringt immer wieder Beispiele, in denen selbst Hochrangige aus Politik und Verwaltung etwas anderes machen als sie glauben zu tun – ohne das zu bemerken. Niemand würde, in einer Einkaufspassage gefragt, was Geld ist, antworten: ein »Steuergutschein«. Während Marx sich die Mühe machte, zu begründen, warum sich die Verhältnisse für den Alltagsverstand anders darstellen, als sie sind (Fetisch, Verkehrung, trinitarische Formel etc.), sucht man bei der MMT derartige Erklärungen vergeblich. Die Menschen verfallen schlicht Irrtümern. Was sich durch viele ihrer Publikationen durchzieht, ist daher eine Art ‘Erweckungspathos‘: einmal die Zusammenhänge erkannt, ergebe alles plötzlich einen Sinn.
Viele Mythen, die von der MMT zu Recht kritisiert werden, etwa bei Kelton (2020) oder Mosler (2010), bedürfen nicht der geldtheoretischen Prämissen der MMT: dass ein Staat nicht mehr ausgeben könne, als er einnimmt; dass das Staatsbudget einem Privathaushalt gleiche; dass zu viel Geld unweigerlich zu Inflation führe; dass Staatsschulden zukünftige Generationen belasteten etc. Dasselbe gilt für anderweitig notwendige Kritik, wie etwa die an der Schuldenbremse. Dass die MMT die Kritik daran stark darauf verengt, dass die Finanzierung kein Problem sei, vereinfacht die gesellschaftlichen und politischen Auseinandersetzungen nicht, sondern verkompliziert sie. Das liegt daran, dass sie nicht darüber aufklärt, wie zentral gesellschaftliche Machtverhältnisse sind, die sich etwa in der Steuerpolitik ausdrücken: »Sparen ist Herrschen.« (Esser/Fach 1983: 434) Darüber aufzuklären ist zentral, auch und gerade angesichts der Austeritätspolitik, die nach der Pandemie droht und der Tatsache, dass ein sozial-ökologisches Transformationsprojekt finanziert und gegen die herrschenden Macht- und Interessensverhältnisse durchgesetzt werden muss.
Keynes’ Schlusssatz in seiner Allgemeinen Theorie lautet: »Aber früher oder später sind es Ideen, nicht Interessengruppen, die für Gut oder Böse gefährlich sind«. (Keynes 1936: 324, korr. Übers.) Dirk Ehnts (2020) zitiert diesen Satz zustimmend. Dieses Selbstverständnis macht die MMT angesichts der herrschenden Kräfteverhältnisse attraktiv, aber Ideen konnten sich leider noch nie an den Machtverhältnissen vorbeimogeln.
Es gibt noch so viel zu entdecken! 🚀
Im Entdecken-Bereich haben wir hunderte Videos, Texte und Podcasts zu ökonomischen Themen gesammelt. Außerdem kannst du selber Material vorschlagen!
Der Text ist eine überarbeitete Version des Textes 'Money makes the world go green? - Eine Kritik der Modern Monetary Theory als geldtheoretisches Konzept', welcher in der PROKLA. Zeitschrift für kritische Sozialwissenschaft erschienen ist.
Anderson, Perry (1979): Die Entstehung des absolutistischen Staates, Frankfurt/M.
Boyer-Xambeau, Marie-Thérèse / Deleplace, Ghislain / Gillard, Lucien (1994): Private Money and Public Currencies. The 16th Century Challenge, Armonk/NY-London.
Brooks, Robin et.al. (2022): Global Macro Views – The End of the MMT Illusion. Published online https://www.iif.com/portals/0/Files/content/IIF110322_GMV.pdf
Desan, Christine (2014): Making Money: Coin, Currency, and the Coming of Capitalism, Oxford.
Ehnts, Dirk (2015): Geld und Kredit: Eine €-päische Perspektive, Marburg.
Ehnts, Dirk (2017): „Modern Monetary Theory“ und Europäische Makroökonomie, in: Berliner Debatte INITIAL 28/3, 89–102.
Ehnts, Dirk (2020): Welche Rolle die MMT bei der Finanzierung des ökologischen Umbaus der Wirtschaft leisten kann. URL: https://theorieblog.attac.de/welche-rolle-die-mmt-bei-der-finanzierung-des-oekologischen-umbaus-der-wirtschaft-leisten-kann/ (Zugriff: 9.10.2021).
Epstein, Gerald A. (2019): What’s Wrong with Modern Money Theory? A Policy Critique, Cham.
Esser, Josef / Fach, Wolfgang (1983): Sparen und Herrschen. Über den Zusammenhang von fiskalischer Knappheit und autoritärer Politik, in: Hartwich, Hans-Hermann (Hg.), Gesellschaftliche Probleme als Anstoß und Folge von Politik. Opladen, 433–446
Fichtner, Ferdinand / Junker / Schäfer, Dorothea (2011): EU-Gipfelbeschlüsse: Erste wichtige Schritte, aber keineswegs eine endgültige Lösung (DIW Wochenbericht Nr. 44), Berlin.
Ganßmann, Heiner (2015a): Geld als Fiktion? Warum Geld kein Kredit ist und das Publikum so schwer von seiner Stabilität zu überzeugen ist, in: PROKLA 45/2, 199–216.
Ganßmann, Heiner (2015b): Modern Money Theory – eine Kritik, in: Z. Zeitschrift für marxistische Erneuerung 26/102, 41–51.
Gardner, Leigh (2012): Taxing colonial Africa: the political economy of British Imperialism, Oxford.
Gerstenberger, Heide (2017): Markt und Gewalt. Die Funktionsweise des historischen Kapitalismus, Münster.
Graßmann, Timm (2018): Karl Marx’ Kritik des besteuernden Staats, in: Huhnholz, Sebastian (Hg.): Fiskus - Verfassung - Freiheit: Politisches Denken der öffentlichen Finanzen von Hobbes bis heute, Baden-Baden, 179–208.
Heise, Arne (2022): ›A politically evasive monetary theory should not be the basis for a progressive movement‹ – Eine kritische Betrachtung der Modern Monetary Theory, in: ZÖSS Discussion Paper 93.
Hockett, Robert / James, Aaron (2020): Money from Nothing. Or, Why We Should Stop Worrying About Debt and Learn to Love the Federal Reserve, New York-London.
Höfgen, Maurice (2020): Mythos Geldknappheit. Modern Monetary Theory oder warum es am Geld nicht scheitern muss, Stuttgart.
Ingham, Geoffrey (2004): The Nature of Money, Cambridge/UK.
Kaufmann, Stephan / Muzzupappa, Antonella (2020): Crash Kurs Krise. Wie die Finanzmärkte funktionieren. Eine kritische Einführung, Berlin.
Kelton, Stephanie (2023): »Der Markt hat uns zu dienen« (Interview), in: JACOBIN Magazin, Nr. 15 (Winter), 26–31.
Kelton, Stephanie (2020): The Deficit Myth. Modern Monetary Theory and How to Build a Better Economy, New York.
Kelton, Stephanie (2019): »Geld lässt sich beliebig vermehren« – Interview mit Stephanie Kelton, in: DIE ZEIT, 4.4.2019.
Keynes, John Maynard (1936): Allgemeine Theorie der Beschäftigung, des Zinses und des Geldes. aus dem Englischen neu übersetzt von Nicola Liebert, Berlin.
Keynes, John Maynard (1931): Vom Gelde, Berlin.
Krätke, Michael R. (2009): Kritik der öffentlichen Finanzen. Die Finanzkrise des Staates erneut betrachtet, in: PROKLA 39/1, 119–139.
Lapavitsas, Costas / Aguila, Nicolás (2020): Modern monetary theory on money, sovereignty, and policy: A marxist critique with reference to the Eurozone and Greece, in: The Japanese Political Economy 46/4, 1–27. http://doi.org/10.1080/2329194X.2020.1855593
Lerner, Abba P. (1947): Money as a Creature of the State, in: American Economic Review 37/2, 312–317.
Marx, Karl (1857): Grundrisse der Kritik der Politischen Ökonomie (Rohentwurf), in: Marx-Engels-Werke, Band 42, Berlin.
Marx, Karl (1859): Zur Kritik der Politischen Ökonomie, in: Marx-Engels-Werke, Band 13, Berlin.
Marx, Karl (1890): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Erster Band. Buch I: Der Produktionsprozess des Kapital, in: Marx-Engels-Werke, Band 23, Berlin.
Marx, Karl (1894): Das Kapital. Kritik der politischen Ökonomie. Dritter Band, in: Marx-Engels-Werke, Band 25, Berlin.
McNally, David (2023): Blut und Geld. Krieg, Sklaverei, Finanzwesen und Imperium, Berlin.
Mitchell Innes, Alfred (1913): What is Money, in: The Banking Law Journal 30/5, 377–408.
Mitchell, William (2015): Dystopie Eurozone. Gruppendenken und Leugnung im großen Stil, Berlin.
Mitchell, William / Fazi, Thomas (2017): Reclaiming the State. A Progressive Vision of Sovereignty for a Post-Neoliberal World, London.
Mitchell, William / Wray, L. Randall / Watts, Martin J. (2019): Macroeconomics, London.
Mosler, Warren (2010): Die sieben unschuldigen, aber tödlichen Betrügereien der Wirtschaftspolitik, Berlin.
Negri, Antonio (1979): Über das Kapital hinaus, Berlin.
Nersisyan, Yeva / Wray, L. Randall (2019): How to Pay for the Green New Deal. Working Paper des Levy Economics Institute of Bard College, No. 931.
Nuss, Sabine (2010): Der Gebrauchsanleitungs-Kapitalismus, in: Luxemburg 2, 28–33.
Reden, Sitta von (2007): Wie Geld die Welt verändert hat, in: Bergsdorf, Wolfgang / Ettrich, Frank / Kill, Heinrich H. / Lochthofen, Sergej (Hg.): Am Gelde hängt, zum Gelde drängt… Ringvorlesung der Universität Erfurt in Zusammenarbeit mit der Fachhochschule Erfurt, 117–131.
Sahr, Aaron (2022): Die monetäre Maschine. Eine Kritik der finanziellen Vernunft, München.
Schinasi, Garry J. / Kramer, Charles F. / Smith, R. Todd (2001): Financial Implications of the Shrinking Supply of U.S. Treasury Securities. IMF Working Paper 01/61, Washington/DC.
Schumpeter, Joseph Alois (1954): Geschichte der ökonomischen Analyse, 2 Bde. nach dem Manuskript herausgegeben von Elizabeth B. Schumpeter, Göttingen.
Shaikh, Anwar (2016): Capitalism. Competition, Conflict, Crises, Oxford.
Spahn, Heinz-Peter (2007): Money as a Social Bookkeeping Device. From Mercantilism to General Equilibrium Theory, in: Marcuzzo, Maria Cristina / Giacomin, Alberto (Hg.): Money and Markets, London, 150–165.
Stemmer, Monika (2023): Staat, Macht, Geld. Modern Monetary Theory oder das Ende der schwarzen Null, Frankfurt/M.
Stützle, Ingo (2020): »Blut- und schmutztriefend«. Der diskrete Charme der Staatsgewalt: Genese und Geltung von Eigentum und Geld, in: PROKLA 50/2, 219–237.
Stützle, Ingo (2015): Der Gott der Waren. Die ökonomische Theorie und ihr Geld, in: PROKLA 45/2, 177–198.
Troost, Axel / Hersel, Philipp (2013): Was passiert, wenn die EZB Verluste macht? Die Gefahren für die SteuerzahlerInnen und Inflation sind erfreulich begrenzt!
Wendl, Michael (2020): Müssen Staatsanleihen zurückgezahlt werden? Über Vorurteile und Mythen, in: Sozialismus 11/2020, 53–56.
Wray, L. Randall (2019): Alternative paths to modern money theory, in: Real-World Economics Review 89, 5–22.
Wray, L. Randall (2014): From the State Theory of Money to Modern Money Theory: An Alternative to Economic Orthodoxy, in: Levy Economics Institute Working Paper No. 792.
Wray, L. Randall (2000): Modern money, in: Smithin, John (Hg.): What is Money? London-New York, 42–66.
Wray, L. Randall (1998): Modernes Geld verstehen. Der Schlüssel zu Vollbeschäftigung und Preisstabilität, Berlin.
Wray, L. Randall / Bell, Stephanie (2004): Introduction, in: Wray, L. Randall (Hg.): Credit and State Theories of Money. The Contributions of A. Mitchell Innes. Cheltenham: Edward Elgar, 1–13.
Wullweber, Joscha (2021): Zentralbankkapitalismus. Transformationen des globalen Finanzsystems in Krisenzeiten, Berlin.
[1] Das Institute of International Finance (IIF) veröffentlichte Ende 2022 ein Papier, das weniger die MMT als Theorie widerlegt, als demonstriert, welche realen Entwicklungen dazu geführt haben, dass es eine ‚Theorie‘ wie die MMT überhaupt zu solcher Prominenz gebracht hat. (Brooks et.al. 2022)
[2] Dieses und alle weiteren im Original englischen Zitate sind vom Autor übersetzt.
[3] Da diese an Marx orientierte Kritik grundlegend andere Fragen aufwirft als die (post-)keynesianische Kritik an der MMT, etwa die Beiträge von Epstein (2019) oder Heise (2022), wird letztere nicht berücksichtigt. Da es sich bei keynesianischer Kritik um eine Auseinandersetzung im eigenen theoretischen Feld handelt, ist die Literatur inzwischen nahezu unüberschaubar. Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen der an Marx orientierten Kritik und der (post-)keynesianischen Kritik zu diskutieren, würde den Rahmen des Beitrags sprengen.
[4] Ich greife hier die Systematisierung von Ganßmann (2015b) auf, die ich um den Punkt der Bilanzen erweitert habe.
[5] Joseph A. Schumpeter (1954) grenzt diese Konzeption von der »Geldtheorie des Kredits« ab, bei der der Geldbegriff dem Verständnis von Kredit vorausgesetzt ist – nicht umgekehrt. In der gegenwärtigen Debatte geht es der Kredittheorie des Geldes wesentlich darum, zu unterstreichen, dass Geld nicht aus Tauschverhältnissen entsteht, weder historisch, noch der Sache nach, eine Vorstellung, wie sie bei Adam Smith, Karl Marx, aber auch Carl Menger zu finden sei (vgl. hierzu die Ausführungen bei Ingham 2004; Sahr 2022; Wullweber 2021).
[6] Vgl. ausführlicher zur »Anweisungstheorie des Geldes« Spahn (2007).
[7] Zu den ökonomischen Theorien und ihren Geldtheorien vgl. Stützle (2015).
[8] An die kredittheoretische Argumentation der MMT schließt ein Theorem an, das besonders prominent in die Diskussion eingebracht wird: Geschäftsbanken schaffen Giralgeld aus dem Nichts und sind nicht von Einlagen (der Bankkunden) abhängig (wie die loanable-funds-Theorie argumentiert) oder durch diese begrenzt. Da dies im Grundsatz nicht bestritten wird, soll hier nicht weiter darauf eingegangen werden. Vgl. hierzu Kaufmann/Muzzupappa (2020: 49ff.).
[9] Nicht ohne Grund heißt das Buch von Mitchell/Fazi (2017): Reclaiming the State.
[10] Zum Verhältnis von Währung und Steuern in der griechischen Antike und Teilen des römischen Imperiums führt Sitta von Reden (2007: 124) aus: »Das Zahlungsmittel für Steuern und Pachten musste jeweils lokal gesetzlich festgelegt werden und ergab sich nicht von selbst aus der Zirkulation einer bestimmten Währung.« Das bedeutet, dass obwohl es einen Währungsraum gab, wurde dieses Geld nicht benutzt, um Steuern zu denominieren. Das ist genau das Gegenteil dessen, was MMT behauptet.
[11] Bei Mosler (2010: 138) klingt die Idee von Arbeitsstundenzettel an, die aus Geschichte der Frühsozialisten bekannt ist und Marx als geldtheoretische wie politische Sackgasse kritisiert: »Man mag sich daher einbilden, man könne allen Waren zugleich den Stempel unmittelbarer Austauschbarkeit aufdrücken, wie man sich einbilden mag, man könne alle Katholiken zu Päpsten mache.« (Marx 1890: 82 Fn 24)
[12] Erst an dieser Stelle setzt die dem Alltagsverstand entlehnte Anweisungstheorie des Geldes an, der auch die MMT anhängt: Weil man mit Geld alles kaufen kann, erscheint es so, als verbriefe Geld den Anspruch auf einen Anteil am Sozialprodukt.
[13] Was im heutigen Sprachgebrauch als Zahlungsmittel gilt, ist für Marx Zirkulationsmittel. Von Zahlungsmittel spricht Marx immer dann, wenn nachträglich gezahlt wird, bei Zahlungsversprechen.
[14] Mit dieser Skizze aus dem ersten Band des Kapital ist das Geld noch nicht umfassend bestimmt, sondern nur soweit die Geldfunktionen aus den »prozessierenden Beziehungen der Waren aufeinander« im Austausch der einfachen Warenzirkulation entspringen. Die Zirkulation von Ware und Geld als Kapital sind im dritten Kapitel des ersten Bandes des Kapital ebenso wenig behandelt wie die Beziehungen zwischen Geld und Zins, Geld und Wechselkurs.
[15] Jüngstes Beispiel Kelton (2023) mit der Forderung, dass die Märkte uns dienen müssten – das ist kategorial ausgeschlossen.
[16] Das ist es auch, was etwa Arbeiten in einem Privathaushalt, für einen zivilgesellschaftlichen Verein oder im öffentlichen Dienst von warenproduzierender Arbeit unterscheidet. Hier wir vorher abgestimmt, welche Arbeit gesellschaftlich notwendig ist, und beschlossen, wie was organisiert werden soll, bzw. bei der Reproduktionsarbeit aufgrund patriarchaler Strukturen entlang der Geschlechterverhältnisse nahegelegt.
[17] Der gesellschaftliche Prozess muss dabei als Zusammenspiel zwischen privaten Akteuren und politischer Herrschaft betrachtet werden, wie Marie-Thérèse Boyer-Xambeau, Ghislain Deleplace und Lucien Gillard (1994) in ihrem Buch »Private Money and Public Currencies. The 16th Century Challenge« nachgezeichnet haben, eine Geschichte, die es weiterzuschreiben gilt.
[18] Gerade im Rahmen einer an Marx orientierten Kritik sollte dabei auch die konkrete Gewalt als Aspekt von Staatlichkeit beleuchtet werden, die auch in Bezug auf das Geld wesentlich ist. Dass die Staatsgewalt gegen die Papiergeld- Skepsis und private Geldproduktion zu Beginn des Kapitalismus blut- und schmutztriefend vorging, ist aber ein eher unterbelichtetes Thema der Geschichte des Geldes. Vgl. hierzu Stützle (2020) sowie McNally (2023).
[19] Zu Marx’ Kritik des besteuernden Staats vgl. Graßmann (2018).
[20] So sah sich der IWF vor dem Hintergrund der massiv rückgängigen US-Verschuldung ab Ende der 1990er Jahre und dem sinkenden Angebot von US-Staatsanleihen gezwungen, die destabilisierenden Auswirkungen auf die internationalen Finanzmärkte zu untersuchen (Schinasi u. a. 2001). Und 2013 wurde der damalige deutsche Finanzminister, Wolfgang Schäuble, am Rande der Währungskonferenz in Washington gefragt, wann Deutschland seine Schulden zurückzahle. Er antwortete: »Wann sind wir jemals ohne Schulden? Hoffentlich nie.« (https://www.merkur.de/politik/finanzminister-wolfgang-schaeuble-ganz-ohne-schulden-hoffentlich-zr-3161703.html)
[21] Eine vor allem von Keynes herausgestellte Idee, die bereits bei Marx zu finden ist; vgl. (Karl Marx 1894: 620, 451; Marx 1857: 201).
[22] In der Krise wird Liquidität deshalb auch zur Verfügung gestellt oder finden auch Industrieobligationen, Bankschuldverschreibungen oder Kredite an Unternehmen, die nicht verbrieft sind, bei der Offenmarktpolitik Anwendung.
[23] Auch das deutet Marx bereits an, wenn er ausführt, dass Gold eine Bremse sei und sich das Geld davon emanzipieren müsse. Ausgeführt hat er das ebenso wenig wie er seine Prämisse einer Geldware fallen gelassen hat.
[24] Die Eurostaaten können dies aufgrund der spezifischen Konstruktion der Eurozone nicht (Höfgen 2020: 85f.; Mitchell 2015).
[25] Selbst im Buch von Mitchell/Fazi (2017) mit dem programmatischen Titel Reclaiming the State sind staatstheoretische Aussagen mehr als spärlich. Der Staat ist kaum mehr als ein Instrument, das man den Unternehmen, die ihn für ihre Zwecke eingespannt haben, entreißen müsse. Das Buch endet mit dem Plädoyer, dass die politische Linke den Begriff und das Konzept »nationaler Souveränität« nicht den Rechten überlassen sollte. Die Hoffnung auf politische Gestaltungsspielräume aufgrund von »nationaler Souveränität« markiert eine politisch-konzeptionelle Schnittmenge zwischen der MMT und z. B. Wolfgang Streeck oder Sahra Wagenknecht, die für einen starken nationalen Staat plädieren, und blendet die Eigenlogik kapitalistischer Staatlichkeit aus, die vor allem materialistische Staatstheorien herausstellen.
[26] So glauben Mosler (2010: loc. 36) und Höfgen (2020: 122) ihr Konzept des steuergetriebenen Geldsystems begründen zu können, indem sie auf eine Hüttensteuer verweisen, die die britische Kolonialmacht einem von beiden Autoren nicht näher spezifizierten afrikanischen Land oktroyiert hat. Allein diese Ignoranz gegenüber Afrika ist schon kritisch genug, denn die britische Kolonialmacht agierte von Land zu Land sehr unterschiedlich und oft wurde die Hüttensteuer schon bald von einer poll tax abgelöst, wie Gardner (2012) zeigt. Zudem verhielt es sich etwa im Kongo gerade umgekehrt, die Benutzung von Geld war verboten und die Steuer musste in unbezahlter Arbeit entrichten werden, was in der MMT-Literatur nicht zur Kenntnis genommen wird (hierzu Gerstenberger 2017: 142).