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Mit dem Paris-Abkommen von 2015 hat sich die internationale Staatengemeinschaft auf bestimmte Temperaturziele verständigt. Wie diese zu erreichen sind, wird auch eine gesellschaftliche Entscheidung sein. Reflexionen von Sabine Fuss und Michael Jakob.
Was folgt aus der Klimakrise für unsere Wirtschaft(sweisen) und das Denken darüber? Im Angesicht der Fridays-for-Future-Proteste hat sich aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik eine neue Initiative herausgebildet: Economists for Future. Mit der gleichnamigen Debattenreihe werden zentrale Fragen einer zukunftsfähigen Wirtschaft in den Fokus gerückt. Im Zentrum stehen nicht nur kritische Auseinandersetzungen mit dem Status Quo der Wirtschaftswissenschaften, sondern auch mögliche Wege und angemessene Antworten auf die dringlichen Herausforderungen und Notwendigkeiten. Dabei werden verschiedene Orientierungspunkte für einen tiefgreifenden Strukturwandel diskutiert.
Um einen ungebremsten Klimawandels zu vermeiden, hat sich die internationale Staatengemeinschaft im Jahr 2015 mit dem Paris-Abkommen verpflichtet, den Anstieg der globalen Mitteltemperatur auf deutlich unter 2 °C gegenüber dem vorindustriellen Niveau zu begrenzen und auf eine Begrenzung von 1,5 °C hinzuarbeiten.
Unter ÖkonomInnen wurde lange und erbittert darum gestritten, ob sich diese Temperaturziele wissenschaftlich begründen lassen. Im Zentrum dieser Debatte stand die Frage, ob bzw. wie man eine Kosten-Nutzen-Rechnung für ein globales, großskaliges, intergenerationales und mit Unsicherheiten behaftetes Problem wie den Klimawandel einsetzen kann.
So kam William Nordhaus, der für seine Rolle als Vordenker integrierter Klima-Energie-Modelle mit dem Nobelgedächtnispreis ausgezeichnet wurde, zu dem Schluss, dass eine Erwärmung von etwa 3,5 °C optimal sei. Die Prämisse hinter diesem Ergebnis: Zukünftige Generationen werden zwar substantielle Klimaschäden zu spüren bekommen, aber auch – unter der Annahme fortgesetzten Wirtschaftswachstums – deutlich reicher sein als wir heute. Daraus folgt, dass zukünftige Klimaschäden sehr gering gewichtet, also stark diskontiert, werden und die Kosten für ambitionierten Klimaschutz für die gegenwärtige Generation nicht durch vermiedene Schäden in der Zukunft zu rechtfertigen seien.
Andere ÖkonomInnen widersprechen dieser Einschätzung vehement. Sie argumentieren, dass für die Betrachtung des Klimaproblems im Rahmen einer klassischen Kosten-Nutzen-Rechnung niedrige Diskontraten verwendet werden sollten, welche inter-generationale Gerechtigkeit, die Aversion gegen Ungleichheit zwischen wie auch innerhalb der Weltregionen, sowie das Risiko katastrophaler Klimafolgen, widerspiegeln. Aus diesem Blickwinkel ergeben sich Temperaturziele, die mit dem Paris-Abkommen konsistent sind.
Jedoch beantwortet dies noch nicht die Frage, wie diese Ziele erreicht werden können bzw. sollen. Die internationalen Klimaschutzziele erfordern zweifelsohne ein radikales Umsteuern in der Energiewirtschaft, der Industrie, der Mobilität und der Landwirtschaft. So wird oft eine Minderung der globalen Emissionen um 7-8% pro Jahr als Richtschnur für die benötigten Emissionsminderungen genannt. Dies ist mit wichtigen Gerechtigkeitsüberlegungen verknüpft:
1. Eine rasche Emissionsminderung würde zwar vergleichsweise hohe kurzfristige Kosten verursachen, dafür aber mittelfristig mehr Spielraum für schwer zu dekarbonisierende Bereiche, wie etwa Industrie und Landwirtschaft, schaffen. Umgekehrt stellt ein langsameres Absenken der Emissionen eine Wette auf die zukünftige Verfügbarkeit von sauberen Technologien, die momentan noch nicht marktreif sind (wie z.B. Wasserstoff), dar.
2. Auch wenn unstrittig ist, dass Industrieländer für den Großteil der in der Atmosphäre eingelagerten Treibhausgase verantwortlich sind, können ambitionierte Stabilisierungsziele nur erreicht werden, wenn sich bevölkerungsreiche, schnell wachsende Schwellen- und Entwicklungsländer wie China und Indien ebenfalls an globalen Klimaschutzbemühungen beteiligen. Hier stellt sich also die Frage, wie die Kosten der Emissionsminderungen gerecht über Weltregionen verteilt werden können.
4. Und letztendlich benötigen wir eine Antwort auf die Frage, zu welchem Grad Einschränkungen der individuellen Autonomie für klimapolitische Ziele gerechtfertigt werden können. Dies ist insbesondere für Bereiche relevant, in denen das Konsumentenverhalten stark von sozialen Normen und Werten beeinflusst werden, wie beispielsweise Mobilität und Ernährung. Dies birgt aber die Gefahr des paternalistischen „Social Engineering”, um Konsumverhalten in die gewünschte Richtung zu beeinflussen.
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Diese Überlegungen werden durch eine weitere Klimaschutzoption verkompliziert, nämlich der Entnahme bereits emittierter Treibhausgase aus der Atmosphäre. Im Nachgang des Paris-Abkommens wurde der Weltklimarat eingeladen, das 1,5 °C-Ziel genauer unter die Lupe zu nehmen: Ist es überhaupt noch machbar, welche Klimafolgen können durch ein halbes Grad weniger Erwärmung verhindert werden und wie sehen die entsprechenden Emissionspfade aus?
Der resultierende Sonderbericht zeigte deutlich auf, dass es technisch noch möglich sein sollte, das 1,5 °C-Ziel zu erreichen und dass die Risiken irreversibler Klimafolgen dadurch deutlich gesenkt würden. Allerdings sind die damit verbundenen Herausforderungen immens: Eine sofortige Umkehr der derzeitigen Emissionstrends, ein drastisches Herabsenken des CO2-Ausstoßes in der ersten Jahrhunderthälfte, CO2-Neutralität in 2050 und negative Netto-Emissionen danach sind die Konditionen, die alle untersuchten 1,5 °C-Pfade aufweisen.
Selbst die Pfade, die durch extrem ambitionierte nachfrageseitige Emissionsminderungen die CO2-Entnahmen auf ein Minimum beschränken, entnehmen immer noch etwa 100 Gigatonnen CO2 bis zum Ende des Jahrhunderts. Auf die kommenden 80 Jahre umgelegt würde auch in diesem Fall mehr als 1 Gigatonne CO2 pro Jahr entfernt werden müssen – das sind mehr als die gesamten jährlichen Treibhausgasemissionen Deutschlands (etwa 805 Megatonnen CO2-äquiv. im Jahr 2019). Derzeit befinden wir uns mit technologischen Verfahren zur CO2-Entnahme, die bereits tatsächlich als Pilotprojekte erprobt werden, aber eher im einstelligen Megatonnenbereich.
Die Frage, wie man die Risiken des Klimawandels gegen die Risiken der Emissionsminderung aufrechnet, ist eine gesellschaftliche und kann nicht von der Wissenschaft beantwortet werden
Wenn es also unumgänglich ist, einen Teil des überschüssigen CO2 wieder zu entfernen, welche Ansätze stehen dann dafür zur Verfügung? Die bekannteste Methode ist sicher das Anpflanzen von Bäumen, die durch Photosynthese CO2 aufnehmen. Auch Meeressenken können vergrößert werden, z.B. durch Düngung mit Eisen oder anderen Nährstoffen. Des Weiteren können natürliche Prozesse, wie die Verwitterung von Mineralien, beschleunigt werden, indem selbige klein zermahlen auf Flächen ausgebracht werden, wo sie mit dem CO2 reagieren und es dauerhaft binden. Technische Verfahren verlassen sich auf die Abscheidung und Speicherung von CO2, entweder bei der Herstellung von Bioenergie (bei der die zusätzlich angepflanzte Biomasse zuvor CO2 aufgenommen hat, welches dann bei der Umwandlung der Biomasse in Energie nicht in die Atmosphäre entlassen, sondern abgeschieden und geologisch gespeichert wird) oder direkt aus der Umgebungsluft, wiederum durch eine chemische Reaktion.
All diese Verfahren haben ihre Vor- aber auch Nachteile, insbesondere in Bezug auf die Unsicherheit, inwiefern ein Hochskalieren mit anderen Nachhaltigkeitszielen vereinbar ist. Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (CCS) zu kombinieren, erfordert zum Beispiel das Anbauen von Biomasse – auf Land, das wir auch für andere Ziele wie die Sicherstellung der Ernährung einer wachsenden Weltbevölkerung brauchen. Ein kurzfristiges Hochskalieren von Luftfiltern wäre kostspielig und die geologische Speicherung, die damit einhergehen müsste, erfreut sich keiner großen Akzeptanz in der Gesellschaft. Es gilt also, darauf vorbereitet zu sein, dass etwas CO2 entfernt werden muss, aber auch, den Fokus auf die kurzfristigen Emissionsminderungen nicht aus dem Auge zu verlieren, um die Abhängigkeit von großskaligen CO2 -Entnahmen im Rahmen zu halten.
Die Wissenschaft zeigt uns also nicht nur die Kosten des Klimawandels und den Nutzen von Klimaschutz auf, sondern macht auch mögliche Zielkonflikte deutlich, die mit den immensen Anstrengungen, das 1,5 °C-Ziel zu erreichen, einhergehen können. Diese Zielkonflikte betreffen viele verschiedene Akteure auf diversen Ebenen und beinhalten Gerechtigkeitsüberlegungen zwischen Generationen, Weltregionen sowie innerhalb einzelner Gesellschaften.
Die Abwägung der Kosten des Klimaschutzes gegen die vermiedenen Schäden, sowie die Bewertung von Chancen und Möglichkeiten von CO2-Entnahmen kann allerdings nicht von der Wissenschaft erbracht werden. Vielmehr braucht es eine gesellschaftliche Debatte, für welche die Wissenschaft den Optionsraum aufzeigt, indem sie darlegt, unter welchen normativen Voraussetzungen sich welcher Transformationspfad ergibt. Im zuvor erwähnten Sonderbericht des Weltklimarats zu 1,5 °C globaler Erwärmung wird dieser Optionsraum anhand eines breiten Spektrums an Emissionspfaden aufgespannt, für die die in der folgenden Abbildung dargestellten vier Pfade exemplarisch sind:
Am einen Ende des Spektrums (P1) stehen drastische kurzfristige Emissionsminderungen, für die signifikante Änderungen in Verhalten und Lebensstilen nötig sein würden. So würde sich ein Ausschöpfen von immensen Energieeinsparungspotenzialen in Veränderungen nicht nur in der Industrie und bei Gebäuden, sondern auch z.B. bei Konsumgütern und Mobilität wiederspiegeln. Dies senkt die Abhängigkeit von CO2-Entnahmen substantiell. In diesem Fall werden Entnahmen durch Bioenergie mit Kohlenstoffabscheidung und -speicherung (BECCS) sogar komplett vermieden. Die verbleibenden netto-negativen Emissionen werden ausschließlich in Landwirtschaft, Forstwirtschaft und anderer Landnutzung (AFOLU) erzielt.
P4 – am anderen Ende des Spektrums – erlaubt zwar kurzfristig eine „sanftere“ Transformation mit mehr Spielraum für schwierig zu dekarbonisierende Sektoren, erfordert aber mittel- bis langfristig großskalige CO2-Entnahmen (in der Höhe von bis zu 50% der heutigen globalen Treibhausgasemissionen), da der Temperaturanstieg während des Jahrhunderts 1,5 °C überschreitet und durch CO2-Entnahmen zurückgefahren werden soll.
Klar ist, dass für viele Nationen, die bereits jetzt unter verstärkten Klimafolgen leiden, P4 kein gangbarer Weg ist – auch im Hinblick auf die Risiken, die mit einem „Overshoot“ des Temperaturanstiegs und den damit einhergehenden Klimafolgen verbunden sind. Im Kontext der oben angesprochenen Fragen der Gerechtigkeit verschärft die regionale Heterogenität der Klimafolgen die Verteilungsproblematik zusätzlich. Auf der anderen Seite gehen auch die drastischen Emissionseinsparungen, die ein P1-Pfad bedeuten würde, mit enormen politischen Herausforderungen einher. Hier müssen z.B. die ArbeiterInnen in Sektoren, die sehr rasch heruntergefahren werden müssen, kompensiert werden und im Zeitraffer Strukturwandel und Innovationen für Klimaschutz auf den Weg gebracht werden.
Wenn wir über Klimaschutz sprechen, geht es nicht nur darum, das richtige Temperaturziel zu setzen. Vielmehr ist es zentral, die möglichen Transformationspfade dorthin in den Blick zu nehmen. Dabei gilt es, sowohl Möglichkeiten aufzuzeigen, als auch potentielle Zielkonflikte transparent zu machen. Dies ist die Grundlage für robuste Politiken, die auch Unsicherheitsfaktoren mitberücksichtigen können. So dürfen CO2-Entnahmen nicht als Alternative zu kurzfristigen Dekarbonisierungsanstrengungen verstanden werden.
Angesichts der aufgezeigten Risiken und Unsicherheiten erscheint es nicht ratsam, die Abhängigkeit von zukünftigen CO2-Entnahmen noch zusätzlich zu verstärken. Gleichzeitig wäre es auch fahrlässig, nicht darauf vorbereitet zu sein, dass zumindest etwas CO2 entnommen werden muss, wenn das Bekenntnis zu den Zielen des Paris-Abkommens weiter bestehen soll. Die Frage, wie man die Risiken des Klimawandels gegen die Risiken der Emissionsminderung aufrechnet, ist letztendlich eine gesellschaftliche und kann nicht von der Wissenschaft beantwortet werden kann. Aber indem die Wissenschaft mögliche Transformationspfade untersucht und die mit ihnen verbundenen Zielkonflikte aufzeigt, kann sie die für eine gesellschaftliche Debatte notwendigen Grundlagen liefern.
Zu den AutorInnen:
Sabine Fuss ist Leiterin der Arbeitsgruppe „Nachhaltiges Ressourcenmanagement und Globaler Wandel” am Mercator Research Institute on Global Commons & Climate Change (MCC) und Professorin am Geographischen Institut der Humboldt Universität zu Berlin. Sie promovierte in den Niederlanden in Wirtschaftswissenschaften und leitete die Bewertung der CO2-Entnahmetechniken im Rahmen des Sonderberichts des Weltklimarats zu 1,5 °C globaler Erwärmung.
Michael Jakob ist Senior Researcher am Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change (MCC) in Berlin. Er hat Physik, Volkswirtschaft und Internationale Beziehungen studiert und in Umweltökonomie promoviert. Seine Forschung konzentriert sich auf Klimaschutz in Schwellen- und Entwicklungsländern. Schwerpunkte dabei sind die Verteilungswirkung von Klimaschutzmaßnahmen und ihre Auswirkung auf soziale Gerechtigkeit sowie die Analyse der politischen Ökonomie von Energie- und Klimapolitik.