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Erstveröffentlichung im Makronom
Die verfassungsrechtliche Anerkennung zukünftiger Generationen als Subjekte mit eigenen Rechten ist eine juristische Neuheit – und stellt unsere Gesellschaft vor Herausforderungen, für die es keine einfachen Lösungen gibt. Ein Beitrag von Carla Reemtsma.
Was folgt aus der Klimakrise für unsere Wirtschaft(sweisen) und das Denken darüber? Im Angesicht der Fridays-for-Future-Proteste hat sich aus dem Netzwerk Plurale Ökonomik eine neue Initiative herausgebildet: Economists for Future. Mit der gleichnamigen Debattenreihe werden zentrale Fragen einer zukunftsfähigen Wirtschaft in den Fokus gerückt. Im Zentrum stehen nicht nur kritische Auseinandersetzungen mit dem Status Quo der Wirtschaftswissenschaften, sondern auch mögliche Wege und angemessene Antworten auf die dringlichen Herausforderungen und Notwendigkeiten. Dabei werden verschiedene Orientierungspunkte für einen tiefgreifenden Strukturwandel diskutiert.
Urteile des Bundesverfassungsgerichtes werden nicht selten mit einer gewissen Spannung erwartet: Einige der Urteile bedeuten für die häufig selbst betroffenen Kläger*innen das Ende oft jahrelanger Kämpfe, etwa bei der steuerrechtlichen Gleichstellung homosexueller Paare oder dem Urteil zur Strafbarkeit von Schwangerschaftsabbrüchen. Andere Urteile sind von so grundlegender Bedeutung, dass sie sogar Jahrzehnte später noch Teil des kollektiven Sprachgebrauchs sind, sowie regelmäßig als Basis von Gerichtsurteilen zu ähnlichen Fällen dienen, wie etwa das als „Brokdorf-Beschluss“ bekannte Urteil zur Versammlungsfreiheit von 1985. Und wiederum andere Urteile sind vor allem eins: politisch höchstrelevant.
Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts über die Verfassungsbeschwerden gegen das Klimaschutzgesetz der Großen Koalition ist ein solch politisch höchstrelevantes Urteil. Darin stellt das Gericht fest, dass das Klimaschutzgesetz aus dem Herbst 2019 in Teilen verfassungswidrig ist, da es unzureichende Bestimmungen über den Klimaschutz trifft. Das Gericht bemängelt, dass durch die fehlenden Pläne zur Emissionsreduktion nach 2030 zukünftige Generationen die Hauptlast der Klimaschutzbemühungen leisten müssten, während aktuelle Generationen vergleichsweise gering belastet würden. Die Reduktionen, die wir in Zukunft zu leisten hätten, wären so groß, dass sie unsere Freiheitsrechte unverhältnismäßig einschränken müssten – was wiederum verfassungswidrig wäre. Das Bundesverfassungsschutzgericht hat die Bundesregierung daher zum Nachbessern aufgefordert und ebenso dazu, klare Reduktionsziele für die Zeit nach 2030 vorzulegen.
So weit, so historisch. Die mit dem Urteil einhergehende verfassungsrechtliche Anerkennung zukünftiger Generationen als Subjekte mit eigenen Rechten stellt eine noch nie dagewesene juristische Neuheit dar. Zwar ist ein Hauch von Generationengerechtigkeit schon seit 1994 in Artikel 20a des Grundgesetzes verankert – „Der Staat schützt auch in Verantwortung für die künftigen Generationen die natürlichen Lebensgrundlagen (…)“ –, allerdings ohne die Angehörigen zukünftiger Generationen als eigene Akteur*innen mit eigenen Rechten anzuerkennen.
In Folge des Urteils überschlugen sich die Reaktionen von Bürger*innen, Aktivist*innen, Journalist*innen und ja, auch Politiker*innen. Das Lob einiger Regierungsvertreter*innen für ein Urteil, das ihr eigenes Gesetz als verfassungswidrig bewertete, ist jedoch erstaunlich. Noch erstaunlicher war die Geschwindigkeit, mit der die Große Koalition daraufhin die Anhebung der Emissionsreduktionsziele beschloss. Allerdings: Trotz der häufigen Bekenntnisse zur 1,5-Grad-Grenze steht das neue Ziel, Klimaneutralität in Deutschland 2045 zu erreichen, weiterhin nicht im Einklang mit den für das Pariser Klimaabkommen notwendigen Treibhausgaseinsparungen. Das Urteil bringt mit dem Konzept der Generationengerechtigkeit dennoch eine ganz neue Perspektive an den politischen Verhandlungstisch.
Fragen der Ressourcennutzung – die sich auch in der Klimakrise und ihrer Bekämpfung stellen – sind stets Generationenfragen. Das meine ich nicht in dem häufig unterstellten Sinn, dass jüngere Generationen klimapolitisch konsequentere Maßnahmen befürworten würden oder sauer auf die angebliche Untätigkeit älterer Generationen seien. Ich meine damit, dass der Umgang vorangehender Generationen mit Ressourcen stets direkte Auswirkungen auf die Ressourcen hat, die der nachfolgenden Generationen zur Verfügung stehen werden.
Bei den meisten natürlichen Ressourcen handelt es sich – unabhängig davon, ob sie wie Erdöl endlich oder wie Fischbestände erneuerbar sind – um sogenannte Allmendegüter. Als Allmendegüter, englisch commons, werden in der ökonomischen Theorie Güter bezeichnet, die zwei Kriterien erfüllen:
Bekannte Beispiele für Allmendegüter sind unter anderem gemeinschaftlich genutzte Weiden, Fischbestände oder Bewässerungssysteme.
Anders als bei privaten oder öffentlichen Gütern kommt es bei der Bereitstellung und Verteilung von Allmendegütern häufig zu Marktversagen – also einer Situation, in der Güter nicht so verwendet werden, dass sie den gesamtgesellschaftlich höchsten Nutzen stiften. Ursächlich dafür ist die Kombination der Merkmale Nicht-Exkludierbarkeit und Konsumrivalität. Auch öffentliche Güter, wie zum Beispiel Straßenbeleuchtung, Luft oder nationale Verteidigung sind nicht-exkludierbar: Sind sie einmal bereitgestellt, kann niemand (bzw. nur zu unverhältnismäßigen Kosten) davon ausgeschlossen werden, diese zu nutzen und von ihrer Bereitstellung zu profitieren. Das führt allerdings zum Trittbrettfahrer-Problem: Da niemand von der Nutzung ausgeschlossen werden kann, hat auch niemand einen Anreiz, sich an den Kosten zu beteiligen.
Das Trittbrettfahrer-Problem ist der Grund, weshalb bestimmte Güter wie öffentliche Straßen, Leuchttürme oder Umweltschutz nicht durch den Markt bereitgestellt werden. Besteht trotzdem ein gesamtgesellschaftliches Interesse an diesen Gütern – etwa weil durch Straßenbeleuchtung Mobilität auch nachts ermöglicht wird und Unfälle verhindert werden – übernimmt meist der Staat die Versorgung mit diesen Gütern. Sind sie erst einmal bereitgestellt – als natürliche Ressourcen oder durch staatliche Intervention –, ist ihre Verteilung unproblematisch: Jede*r nutzt Straßen, saubere Luft oder andere öffentliche Güter so viel, dass er*sie den höchstmöglichen Nutzen davonträgt.
Der Umgang vorangehender Generationen mit Ressourcen hat stets direkte Auswirkungen auf die Ressourcen, die der nachfolgenden Generationen zur Verfügung stehen werden
Anders verhält es sich bei Allmendegütern: Im Gegensatz zu öffentlichen Gütern können Allmendegüter nicht unbegrenzt verbraucht werden. Der ökonomischen Lehrmeinung folgend konsumiert der rationale Homo oeconomicus so viel wie möglich, um seinen eigenen Nutzen zu maximieren, da er*sie davon ausgehen muss, dass die anderen Nutzer*innen dies auch tun werden. Das führt allerdings zu einem gesamtgesellschaftlich negativen Überkonsum: Die Ressource wird aufgebraucht oder bei erneuerbaren Ressourcen so weit ausgenutzt, dass sie sich nicht mehr regenerieren kann. Das für jede*n Einzelne*n rationale Verhalten führt also zu einem gesamtgesellschaftlich irrationalen Ergebnis. Dies sind keine theoretischen Gedankenspiele: Überfischte Meere, unzureichende Klimaschutzanstrengungen, erschöpfte Ölvorkommen, überbewirtschaftete Landflächen und verfallene gemeinschaftlich betriebene Bewässerungssysteme sind nur einige Beispiele von Allmendegütern, bei deren Verteilung oder Erhaltung es zu realem Marktversagen kommt.
Und nun? Die vorherrschende ökonomische Meinung sieht zwei mögliche Auswege aus diesem auch als „Tragik der Allmende“ bekannten Marktversagen: Staat oder Markt. Spätestens seit dem politökonomischen Bedeutungszuwachs des (Neo-)Liberalismus in den 1970er Jahren werden Marktlösungen in den Wirtschaftswissenschaften fast immer gegenüber staatlichen Eingriffen bevorzugt und genießen auch realpolitisch eine deutlich größere Bedeutung. Dabei soll das Trittbrettfahrer-Problem durch „Kommodifizierung” oder das Einführen privater Nutzungsrechte verhindert werden, die den Marktmechanismus wieder funktionsfähig machen sollen.
Eine solche Umwandlung von Allmendegütern in Privatgüter kann etwa in Form von Fischfanglizenzen, Emissionszertifikaten oder der Privatisierung ehemals gemeinschaftlich genutzter Landwirtschaftsflächen stattfinden. Damit der Marktmechanismus seine allokative Effizienz und damit nutzenmaximierende Wirkung entfalten kann, ist es wichtig, dass diese neu entstandenen Privatgüter auch zwischen verschiedenen potenziellen Nutzer*innen gehandelt werden können. Dies soll dazu führen, dass derjenige die Ressourcen nutzt, dem sie den größten Nutzen (meist in Form monetären Profits) stiftet.
Die Alternative zu Marktlösungen stellen staatliche Eingriffe verschiedenster Art dar, die von der Instandhaltung von Bewässerungssystemen über Schadstoffauflagen hin zur planwirtschaftlichen Verwaltung von Ressourcen reichen können. So weit, so (un)eindeutig.
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Doch welche Rolle spielt das alles bei der Frage nach Generationengerechtigkeit?
Wie bereits erwähnt sind Ressourcenfragen immer auch Generationenfragen: Die heutige Nutzung von Ressourcen hat direkte Auswirkungen auf die Ressourcen, die den Menschen zukünftig zur Verfügung stehen. Politische Entscheidungen über die Art der Verwaltung erzeugen somit Pfadabhängigkeiten für Gestaltungsmöglichkeiten in späteren Generationen.
Sobald jedoch Mitglieder unterschiedlicher Generationen miteinander interagieren, verkomplizieren sich die oben skizzierten Probleme: Das Trittbrettfahrer-Problem wird ungleich schwieriger zu lösen, wenn auch zukünftige Generationen eine Rolle spielen. Nutzer*innen derselben Generation sind alle vom Trittbrettfahren der anderen betroffen und können für sich alle einen insgesamt höheren Nutzen realisieren, indem eine Lösung für das Allmendegut-Problem gefunden wird. Zieht sich das Trittbrettfahrer-Problem allerdings über mehrere Generationen von Nutzer*innen, haben die Angehörigen der ersten Generation keinen Anreiz, sich kooperativ zu verhalten, da sie – anders als beim Trittbrettfahrer-Problem innerhalb einer Generation – keinen Vorteil erhalten, sondern erst die Angehörigen der kommenden Generationen.
Beispiel gefällig? Stellen wir uns etwa eine Weide vor, die nicht ausreichend Futter für alle Kühe bereitstellen kann, wenn zu viele auf ihr grasen. In diesem Fall haben Landwirt*innen einen Anreiz, durch Verhandlungen, Verträge etc. zu erreichen, dass nur so viele Kühe auf der Weide grasen, dass alle satt werden.
Sind die Präferenzen der zukünftigen Generationen anders als die der heutigen, kann das Marktergebnis niemals im Sinne dieser Generationen sein
Anders gestaltet sich jedoch das Problem, wenn die Ursachen an einem anderen Zeitpunkt oder Ort liegen, als die Folgen auftreten. Die Klimakrise ist ein solches intergenerationales Problem. Genauer gesagt: die Nutzung der Atmosphäre als Senke für Treibhausgase (also als Ort, an dem CO2, Methan und andere Treibhausgase gespeichert werden). Die Folgen von übermäßigem Treibhausgasausstoß – also der Übernutzung der Atmosphäre – treten als Klimafolgen nicht schon beim Ausstoß der Emissionen, sondern deutlich später auf. Dadurch erleben nur die späteren Generationen einen durch Klimafolgen verringerten Nutzen in Form von zerstörten Lebensgrundlagen durch Dürren, Überflutungen oder Stürmen und stärkere Freiheitseinschränkungen zur Eindämmung der Klimakrise. Sprich: Da die Verursachergeneration keine Folgen trägt, gibt es für sie keinen Grund, auf die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas oder intensive Landwirtschaft zu verzichten, um den Ausstoß an Treibhausgasen einzudämmen.
Dieser Mechanismus verunmöglicht allerdings auch die Lösung intergenerationaler Allmendegut-Dilemmata durch einfache Mechanismen. Kein Marktmechanismus, kein einzelnes Gesetz, keine noch so wohlmeinende Regierung wird diese Probleme lösen, denn sie können nicht dafür sorgen, dass zukünftige Generationen ihre Perspektiven und Forderungen mit einbringen. Zuerst einmal blenden reine Marktlösungen grundsätzlich aus, dass die entstehenden Ergebnisse immer maßgeblich von der Ausgangsverteilung von Ressourcen und Geld abhängen. Doch selbst wenn primär die Effizienz der Lösungen sowie die Kosten-Nutzen-Abwägung im Vordergrund steht – und Marktmechanismen der Theorie nach stets zu kosteneffizienten Lösungen führen –, werden auf dem Markt immer nur die Präferenzen der heutigen Generation abgebildet. Sind die Präferenzen der zukünftigen Generationen anders als die der heutigen, dann kann auch das Marktergebnis niemals im Sinne dieser Generationen sein. Das tritt etwa bei der Nutzung von Ressourcen mit langfristigen Folgen auf.
Doch auch alle Verantwortung an den Staat im Sinne eines „Treuhänders zukünftiger Generationen“ abzugeben, hat seine Schattenseiten: Demokratien sind immer auch geprägt von einer Gegenwartspräferenz. Politiker*innen wollen allgemein wiedergewählt werden, das nachhaltige Wirtschaften mit endlichen Ressourcen ist jedoch oftmals weniger populär. Gleichzeitig existiert auch unter Wissenschaftler*innen wie Ökonom*innen, Politiker*innen und Berater*innen keine Einigkeit über die optimale, generationengerechte Verteilung von Ressourcen. In der Debatte um die richtige Klima- oder Umweltpolitik lässt sich dies regelmäßig beobachten.
Vieles ist bei der Frage nach Generationengerechtigkeit im Umgang mit natürlichen Ressourcen vor allem eins: uneindeutig. Damit wird deutlich, dass es niemals einfache Lösungen geben wird – auch wenn Vertreter*innen mancher Theorien wieder und wieder versuchen, diesen Eindruck zu erzeugen. Beispiele der erfolgreichen Verwaltung von Fischbeständen, Wäldern oder Bewässerungssystemen durch lokale Gemeinschaften zeigen hingegen, dass es mehr gibt, als die binäre Logik von „Staat vs. Markt“, um die komplexen, ineinander verflochtenen Herausforderungen zu bewältigen, vor die uns die Frage nach Generationengerechtigkeit stellt.
Jetzt ist es an uns als Gesellschaft, diese Komplexität anzuerkennen und Lösungen zu entwickeln, die nicht nur auf Effizienzkriterien oder maximale Skalierbarkeit setzen, sondern verschiedene Perspektiven und Ansätze kombinieren. Das gelingt am Besten in einer lebendigen Demokratie. Diese muss für ihre Bürger*innen aber mehr Beteiligung zulassen, als nur einmal alle paar Jahre einen Stimmzettel in eine Wahlurne abzugeben. Um Lösungen zu finden, die sowohl umsetzbar als auch langfristig nachhaltig sein können, braucht es daher eine funktionierende Gewaltenteilung und ein Zusammenbringen von verschiedenen Stimmen aus Wissenschaft und Gesellschaft, aus Schulen, Pflegeheimen, Fabriken und Landwirtschaftsbetrieben.
Zur Autorin:
Carla Reemtsma ist Klimaaktivistin und Pressesprecherin bei Fridays For Future. Im Dezember 2018 hat sie die ersten Klimastreiks in ihrer Studienstadt Münster organisiert und vertritt seitdem die Bewegung mit ihren Forderungen nach Klimagerechtigkeit und Einhaltung des 1,5-Grad-Ziels in der Öffentlichkeit. Vergangenen Herbst hat sie ihren Bachelor in Politik und Wirtschaft mit einer Arbeit im Bereich der Klimaökonomik abgeschlossen und studiert seitdem Integrated Natural Resource Management (Ressourcenökonomik) im Master in Berlin. Auf Twitter: @carla_reemtsma