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Klaus Dörre
Erstveröffentlichung im Makronom
Die alten kapitalistischen Zentren, aber auch die großen Schwellenländer befinden sich inmitten eines epochalen Umbruchs. Politikansätze, die das Problem der Klimaungerechtigkeit ignorieren, werden heftige Widerstände gegen die sozial-ökologische Transformation auslösen. Ein Beitrag von Klaus Dörre.
Unsere Gesellschaft befindet sich inmitten eines tiefgreifenden Transformationsprozesses. Im Zentrum: die Wirtschaft. Die nächsten Jahre werden entscheiden, ob uns der Wandel by disaster passiert oder uns by design gelingt. Die Debattenreihe Economists for Future widmet sich den damit verbundenen ökonomischen Herausforderungen. Sie beleuchten einerseits kritisch-konstruktiv Engführungen in den Wirtschaftswissenschaften sowie Leerstellen der aktuellen Wirtschaftspolitik. Andererseits diskutieren wir Orientierungspunkte für eine zukunftsfähige Wirtschaft und setzen Impulse für eine plurale Ökonomik, in der sich angemessen mit sozial-ökologischen Notwendigkeiten auseinandergesetzt wird.
„Wir kämpfen den Kampf unseres Lebens – und sind dabei zu verlieren“, erklärte UN-Generalsekretär Antonio Guterres anlässlich der Weltklimakonferenz Cop-27. Obwohl die Welt wegen der Corona-Pandemie zeitweilig stillzustehen schien, stiegen die Kohlenstoffemissionen 2021 wieder an und erreichten 2022 ein Rekordniveau. So warnt der Emissions GAP Report davor, dass die derzeitige Politik den Planeten um 2,8 °C erwärmen wird und die angekündigten Klimaschutzmaßnahmen weiter unzureichend sind. Brände, Flutkatastrophen, Kriege um Land und Wasser, aber auch Flüchtlingsströme und das Artensterben signalisieren, dass der Planet dabei ist, sich irreversibel zu verändern. Angesichts der katastrophenträchtigen Entwicklung stellt sich die Frage nach gesellschaftlichen Verhältnissen, unter denen das, was nun auch der Weltklimarat fordert – eine globale Nachhaltigkeitsrevolution – realisiert werden kann.
Ein Bericht der Nichtregierungsorganisation Oxfam deutet an, woran gutgemeinte Klimapolitik immer wieder scheitert: Zwanzig der reichsten Milliardäre emittieren schätzungsweise bis zu achttausendmal mehr Kohlenstoff als jene Individuen, die zur Milliarde der ärmsten Menschen zählen. Wie das Problem der Klimagerechtigkeit, das sich in dieser Relation andeutet, politisch bearbeitet werden kann, wird in Sozialwissenschaften und Ökonomik kontrovers diskutiert. Markt- und technikzentrierte Politiken stehen in Konkurrenz zu einem neuen Staatsinterventionismus, der sich wiederum durch Forderungen nach einer radikalen Demokratisierung von Wirtschaft und Gesellschaft herausgefordert sieht. Jede dieser Optionen muss sich daran messen lassen, wie sie das Spannungsverhältnis zwischen sozialer und ökologischer Nachhaltigkeit bearbeiten. Bei den daraus entstehenden Konflikten geht es, so meine These, letztendlich um Entscheidungsmacht über Produkte, Produktionsverfahren und deren stoffliche Zusammensetzung.
Die alten kapitalistischen Zentren, aber auch die großen Schwellenländer befinden sich inmitten eines epochalen Umbruchs, der als ökonomisch-ökologische Zangenkrise bezeichnet werden kann. Die Generierung von Wirtschaftswachstum nach den Kriterien des Bruttoinlandsprodukts war bislang das wichtigste Mittel zur Befriedung sozialer Konflikte im Kapitalismus. Die Zangenkrise entsteht dadurch, dass Wachstum unter den Bedingungen des Status quo ökologisch destruktiv und damit gesellschaftszerstörend wirkt. Dieser Status quo bedeutet eine enge Koppelung von Wirtschaftswachstum, hoher Emissionslast, ressourcenintensiven Produktions- und Lebensweisen sowie einem stetig steigenden Energieverbrauch auf fossiler Basis.
Die Zangenkrise ist damit mehr als eine der seltenen „großen Krisen“ des Kapitalismus, vergleichbar etwa mit der Großen Depression des 19. Jahrhunderts, der Weltwirtschaftskrise 1929-1932 oder der Weltwirtschaftskrise 1973/74. Während Begriffe wie „multiple Krise“ oder „Polykrise“ lediglich auf die Häufung von Krisenherden abzielen, lässt sich mit der Diagnose der Zangenkrise eine klare Hierarchie der Krisenursachen benennen. Es ist primär der ökologische Gesellschaftskonflikt, der zu raschen, radikalen Veränderungen zwingt. Die Zangenkrise kann nur überwunden werden, wenn das instrumentelle Verhältnis zur außermenschlichen Natur korrigiert wird, das sich seit der neolithischen Revolution – der Sesshaftwerdung der Menschen – verfestigt hat.
Grundsätzlich bieten sich zwei Pfade zur Bearbeitung dieser Problematik an: (a) Ansätze, die beanspruchen, wirtschaftliches Wachstum von seinen ökologisch destruktiven Zerstörungsfolgen entkoppeln zu können, oder (b) Strategien, die Gesellschaften vom systemischen Zwang zu gewinngetriebener Marktexpansion und permanentem, raschem Wirtschaftswachstum befreien wollen.
In ihrer großen Mehrheit setzen wirtschaftliche und politische Eliten noch immer auf den Wachstumspfad. Anhänger*innen der Marktoption plädieren dafür, künstlich zu verknappen, was einstmals im Überfluss vorhanden war. Das geschieht z.B. indem CO2-Äquivalente einen Preis erhalten. Der Preismechanismus soll dafür sorgen, dass Technologien und Produktionsverfahren, bei denen fossile Energieträger zum Einsatz kommen, von umweltfreundlicheren Alternativen aus dem Markt gedrängt werden. Der Emissionshandel, gegebenenfalls auch eine CO2-Steuer, werden zum Hauptinstrument, um den menschengemachten Klimawandel zu bekämpfen. Das Hauptproblem marktkompatibler Instrumente besteht indes darin, dass sie in ihren Auswirkungen sozial blind sind. Marktzentrierte Klimapolitiken haben, so der Ökonom Lucas Chancel, in den letzten Jahrzehnten einkommensschwache und emissionsarme Gruppen unverhältnismäßig stark belastet, während das CO2-Preissignal für hohe und reiche Emittenten häufig zu schwach ist, um bei Wohlhabenden notwendige Änderungen der Verbrauchs- und Investitionsmuster zu bewirken.
Die Technikoption verbindet Marktmechanismen deshalb mit einem Plädoyer für einen beschleunigten technologischen Wandel. Vorreiter sind Repräsentanten der New Economy wie Elon Musk und Bill Gates. Beide stehen für eine Ideologie, die in unternehmerischer Kreativität, technischen Innovationen und einer Berücksichtigung des Gesetzes von Angebot und Nachfrage die Lösung für nahezu jedes Weltproblem sieht. Der Staat wird als Protagonist technologischen Wandels durchaus gebraucht. Investiert werden soll beispielsweise in CO2-neutralen Stahl, eine CO2-freie Wasserstoffproduktion sowie in die CO2-Abscheidung und die Kernspaltung der nächsten Generation.
Doch auch die Technikoption weist gravierende Mängel auf. Geht es nach dem technikbasierten Solutionismus, fahren wir künftig mit dem Elektroauto, verfügen über synthetische Kraftstoffe, essen aus Pflanzen hergestelltes Fleisch, bauen mit emissionsfreiem Material, verarbeiten klimaneutralen Stahl, lassen die Welt aber zugleich im Großen und Ganzen so, wie sie ist. Das ist eine Wette auf die Zukunft, die nicht aufgehen wird, weil die systemischen Treiber einer auf Wachstum, Marktexpansion und privaten Gewinn ausgerichteten Wirtschaft in einer Welt mit endlichen Ressourcen fortbestehen.
Damit wird deutlich, dass weder die Markt- noch die Technikoption in der Lage sind, Klimagerechtigkeit herzustellen. Klimagerechtigkeit bedeutet beispielsweise, dass alle Bevölkerungsgruppen gemäß ihres Klimafußabdrucks an den Kosten der Transformation beteiligt werden. Gegenwärtig ist das Gegenteil der Fall. Wie Lucas Chancel in einer Studie zeigt, hat die ärmere Hälfte der erwachsenen Bevölkerung in Europa und Nordamerika Werte erreicht, die sich denen der Pariser Klimaziele für 2030 annähern oder ihnen entsprechen. Die wohlhabendsten ein Prozent emittierten hingegen 2019 26 Prozent mehr als vor 30 Jahren, die reichsten 0,01 Prozent gar 80 Prozent mehr. Die Daten belegen, dass die Produktion für den Luxuskosnsum der Reichsten zum wichtigsten Treiber eines Klimawandels geworden ist, unter dessen Folgen vor allem jene Einkommenklassen zu leiden haben, die zur Emissionslast am wenigsten beitragen.
Politikansätze, die dieses Problem der Klimaungerechtigkeit ignorieren, sind – zumal unter Inflationsbedingungen – geeignet, heftige Widerstände gegen die sozial-ökologische Transformation auszulösen. Der Aufschwung einer radikalen Rechten, die den Klimawandel leugnet oder relativiert, zeugt von solch politischen Blockaden.
Anders ist die Staatsoption zu bewerten. Auch sie lässt Marktmechanismen Raum und setzt auf technologischen Wandel. Sie bricht jedoch mit der Vorstellung, der Staat sei ein schlechter Unternehmer. Stattdessen wird darauf verwiesen, dass die vermeintlich größte Stärke des Kapitalismus, seine Innovationsfähigkeit, maßgeblich von den Eingriffen und finanziellen Ressourcen eines steuernden Staates abhängig ist. Ohne staatliche Unterstützung wäre in der Vergangenheit keine der großen Sprunginnovationen und die dafür notwendige Forschung möglich gewesen, argumentiert die Ökonomin Mariana Mazzucato zurecht. Als Beispiel führt sie das Projekt der Mondlandung an, bei dem ein unternehmerischer Staat mit langfristiger strategischer Planung, enormer Forschungskapazität und dem gezielten Einsatz finanzieller Ressourcen erfolgreich agieren konnte. Dementsprechend plädiert sie für einen Staat, der sich nicht bloß auf die Reparatur nicht funktionierender Märkte beschränkt, sondern der Märkte selbst kreiert, reguliert und an gesellschaftliche Werte und Ziele koppelt.
Um es klar zu sagen: Gäbe es einen solchen Staat, der die 17 Sustainable Development Goals zur verbindlichen Richtschnur politischer Missionen machen würde, wäre das ein riesiger Fortschritt gegenüber dem Status quo. Denn ohne den Staat als gestaltenden Akteur hat die sozial-ökologische Transformation nicht den Hauch einer Chance.
Aber auch die Staatsoption hat ihre Tücken. So ist der Staat in kapitalistischen Marktwirtschaften ein Apparat, der Klassen- und Kräfteverhältnisse „verdichtet“. Unter den gegebenen Bedingungen sind wirtschaftsfreundliche Staatsinterventionen kaum in der Lage, Rent-Seeking-Strategien zu begegnen, mit deren Hilfe große Marktakteure das eigene Einkommen auf Kosten anderer Marktteilnehmer steigern. Hinzu kommt, dass staatlicher Apparate und Behörden aufgrund politisch gewollter Zurückhaltung unter akuter industrie- und strukturpolitischer Fantasielosigkeit leiden. Den Staat ähnlich wie in China und nun auch in den USA gezielt einzusetzen, um die Wirtschaft zu entwickeln und beispielsweise eine nachhaltige Wasserstoffwirtschaft mit gerechten Handelsbeziehungen aufzubauen, käme hiesigen Wirtschaftspolitikern erst gar nicht in den Sinn. Ein staatlich gelenkter radikaler Umbau der Wirtschaft ist mit schwerfälligen Behörden, die im Routinemodus erstarren, aber kaum zu machen. Hinzu kommt, dass privatwirtschaftliche – und neuerdings auch militärische Interessen – den finanziellen Handlungsspielraum des Staates begrenzen.
Entscheidend ist jedoch, dass mit Mariana Mazzucato selbst eine weit vorausdenkende Befürworterin eines progressiven Staatsinterventionismus letztlich davor zurückscheut, die Eigentumsfrage und damit die Frage nach der Entscheidungsmacht über Produkte und Produktionsverfahren zu stellen. Ihr Plädoyer für neue öffentlich-private Partnerschaften wirkt daher merkwürdig zahnlos; ähnliches gilt für ihr Festhalten an einem modifizierten Wachstumsbegriff. Man wird den Eindruck nicht los, dass Mazzucato vor radikalen Konsequenzen ihrer eigenen Markt- und Kapitalismuskritik zurückscheut.
So ist in allen bisher genannten Optionen ein eigentümlicher Widerspruch zu erkennen: Hält man nämlich an der Möglichkeit einer Entkopplung des Wirtschaftswachstums von seinen ökologisch destruktiven Folgen fest, dann muss sich fast alles andere rasch ändern, nur die Grundregel kapitalistischer Marktwirtschaften – der Zwang zur unendlichen Akkumulation und zum fortwährenden raschen Wirtschaftswachstum – soll bestehen bleiben. Der Finanzkapitalismus wird in dieser Vorstellung zum „Naturkapitalismus“, wobei dieselben systemischen Mechanismen, die die Möglichkeit des Ökozids hervorgebracht haben, nun zu seiner Überwindung beitragen sollen. Dabei wird ignoriert, was Lucas Chancel als Hauptursache für die steigende Emissionslast identifiziert: Es sind die Investitionen und nicht die individuellen Konsummuster.
Im Jahr 2019 resultierten über 70 Prozent der Emissionen des reichsten 1 Prozents aus Investitionen. Parallel zur wachsenden Ungleichheit und Vermögenskonzentration ist der Anteil der Investitionen am Pro-Kopf-Fußabdruck der Spitzengruppen seit den 1990er Jahren kontinuierlich gestiegen. Investitionsbedingte Emissionen resultieren aus Entscheidungen der Kapitaleigner über den Produktionsprozess (d.h. Emissionen, die beim Bau von Maschinen, Fabriken usw. entstehen). Emissionen aus Staatsausgaben beziehen sich auf kollektive Konsumausgaben oder Investitionen (staatliche Verwaltung, öffentliche Straßen, Verteidigung usw.).
Kapitalistischer Besitz als expansives Prinzip stößt damit zunehmend an die Grenzen eines Planeten mit endlichen Ressourcen und einem verwundbaren Ökosystem. Die Kritik an diesem Prinzip prägt die Demokratisierungsoption, unter der sich äußerst heterogene Strategien versammeln. Klimaschutz wird hier mit der Demokratisierung wirtschaftlicher Entscheidungsmacht, ökologischer Nachhaltigkeit und mit dem Übergang zu einem anderen, postkapitalistischen Gesellschaftstyp verbunden. In unterschiedlicher Weise wird dabei darauf abgezielt, ökonomische Entscheidungen an gesellschaftliche Zielsetzungen rückzubinden. Die Trennung von Produktion und Gewissen – wie sie nach dem Philosophen Günter Anders verwertungsgetriebenen Arbeitsprozessen innewohnt – soll durch die Wiederherstellung einer kollektiven Verantwortung der Produzenten für das Was, das Wie und das Wozu der Produktion rückgängig gemacht werden. Apokalypse-Blindheit entsteht demnach, weil das Produkt und seine Herstellung moralisch voneinander abgetrennt werden. Was auch immer Arbeitende produzierten, ein Gewissen benötigten sie dafür nicht.
Diese Gleichgültigkeit kann nur durch einen radikalen Umbau der Wirtschaftsmodelle überwunden werden, der Wachstums- durch Entwicklungs- und Wohlfahrtsindikatoren ersetzt. Konkret bedeutet das: die Schrumpfung der Rentenökonomie (Finanzsektor), ein radikaler Umbau vor allem des industriellen Exportsektors sowie eine Stärkung der Nahversorgung, der unmittelbaren wie auch der erweiterten Daseinsvorsorge.
Dieser Umbau schafft und erfordert jede Menge Arbeit. Die Halbierung der Arbeits- und Produktmenge ist daher keine Alternative, wohl aber eine nachhaltige Arbeitszeitverkürzung. Im Kern geht es um die Umstellung auf eine ressourcenschonende, kohlenstofffreie Produktion mit langlebigen Gütern und nachhaltigen Dienstleistungen. Ziel ist eine nachhaltige Qualitätsproduktion, die es erlaubt, weniger, dafür aber höherwertige Güter herzustellen und zu konsumieren. Entsprechende Weichenstellungen sind ohne den Bruch mit Produktionsabläufen, die primär von Märkten und Konsumenten her konzipiert werden, nicht vorstellbar. Der Übergang zu einer nachhaltigen Qualitätsproduktion kann zudem nur gelingen, wenn die Erzeugnisse einer solchen Produktionsweise trotz höherer Preise auch noch von den untersten Einkommensgruppen gekauft und konsumiert werden können. Ökologische Austerität, d.h. Verzichtsempfehlungen an die unteren Klassen, wäre für eine solche Politik geradezu kontraproduktiv.
Förderlich sind dagegen Eigentumsformen, die helfen die „Gewissenlosigkeit“ bei der Herstellung auch subjektiv zu überwinden. Demokratisierungsansätze zielen daher darauf ab, die Wirtschaft einer Kontrolle und Planung durch demokratische Zivilgesellschaften zu überantworten. Favorisiert werden neue Formen des kollektiven Selbsteigentums (Genossenschaften, Mitarbeiter*innengesellschaften) und eine stärkere Gewichtung des Öffentlichen (Commons), gekoppelt mit Ansätzen einer demokratischen Rahmenplanung. Hinzu kommen politische Innovationen, etwa in Gestalt von Transformations- und Nachhaltigkeitsräten, die Öffentlichkeit für die Erreichung von Nachhaltigkeitszielen herstellen und damit kontinuierlich Druck auf die Entscheidungstragenden ausüben sollen.
Strategien und Konzepte zur Verwirklichung der Demokratisierungsoption tragen unterschiedliche Namen: Demokratische Postwachstumsgesellschaft, Gemeinwohlwirtschaft, partizipativ-demokratischer, nachhaltiger oder ökologischer Sozialismus sind einige gängige Bezeichnungen. Gemeinsam ist ihnen, dass sie ökologische Nachhaltigkeit mit der Überwindung von Armut und der Bekämpfung sozialer Ungerechtigkeit verbinden. Wichtigster Ansatzpunkt ist eine ausreichend finanzierte, soziale Infrastruktur, die Gesundheit, Pflege, Erziehung, Bildung und Mobilität zu öffentlichen Gütern macht, die allen zugänglich sind. Denn Gesellschaften funktionieren am besten mit einer gut ausgebauten sozialen Infrastruktur, die allen zur Verfügung steht – nicht nur im eigenen Land, sondern überall in Europa und weltweit.
Der Einsatz für eine soziale Infrastruktur mit öffentlicher Daseinsvorsorge ist daher eines der wichtigsten Projekte auf dem Weg zu nachhaltigen und d.h. immer auch armutsfreien und armutsfesten Gesellschaften. Die Aussichten für solche politischen Optionen mögen gegenwärtig nicht sonderlich gut sein. Doch für Gesellschaften, die mit Hunger und Massenarmut zugleich die Gefahr eines drohenden Ökozids erhöhen, könnte zutreffen, was der Weltsystemtheoretiker Immanuel Wallerstein über Systeme im Niedergang geschrieben hat. Ihm zufolge ist die letzte Phase des Niedergangs besonders offen für den Faktor des freien Willens: Gelegenheiten zu erkennen, die sich bieten, wenn scheinbar unveränderbare Systeme erodieren. Diesen Anspruch müssen sich die Befürworter*innen zukunftsorientierter Demokratisierungsstrategien zu eigen machen, wenn sie erfolgreich sein wollen. Für eine solche Option zu streiten lohnt sich, „denn wirklich frei sind wir allein dann, wenn wir mitbestimmen, was wir herstellen, und was (auf Grund der von uns mithergestellten Produkte) aus der Welt wird“ (Günther Anders).
Zu den Autoren
Klaus Dörre ist seit 2005 Professor für Arbeits-, Industrie- und Wirtschaftssoziologie an der Friedrich- Schiller-Universität Jena. Von 2011-2021 war er einer der Direktoren des DFG-Kollegs Postwachstumsgesellschaften. Gemeinsam mit Heike Kraußlach ist er verantwortlich für das Zentrum Digitale Transformation Thüringen (ZeTT) und Mitherausgeber des Berliner Journal für Soziologie. Seine Arbeitsschwerpunkte sind Kapitalismusmustheorie, sozial-ökologische Transformation, Arbeitsbeziehungen, soziale Folgen der Digitalisierung sowie Rechtspopulismus.