Wenn es an deiner Universität oder Hochschule keine, oder nur wenige VWL-Professorinnen gibt, ist das leider nicht die Ausnahme, sondern die Regel. Die gesamte VWL ist männlich dominiert, wie ein Blick in die Liste der vergebenen Wirtschaftsnobelpreise1 zeigt. Unter den 74 Personen, an die dieser Preis verliehen wurde, findet sich mit Elinor Ostrom, die bezeichnenderweise Politikwissenschaftlerin war, lediglich eine Frau. Diese Einseitigkeit besteht auch bei den Preisen, die an Nachwuchswissenschaftler*innen verliehen werden (Boston Globe, 2012) oder in Rankings, die sich explizit auf den deutschsprachigen Raum beziehen, wie dem des Handelsblattes.
Dies liegt zu einem daran, dass das Wissenschaftssystem bzw. die Universitäten lange Zeit von explizit sexistischen institutionellen Regeln durchzogen waren und heute noch sind. In Deutschland haben Frauen erst seit Anfang des 20. Jahrhunderts das Recht, an einer Universität zu studieren. Die Habilitation von Frauen war lange Zeit streng reguliert oder schlicht verboten (in Preußen bis 1920). Frauen, die es trotz dieser Hürden in den wissenschaftlichen Betrieb schafften, wie Rosalind Franklin, Harriet Taylor Mill und Jocelyn Bell Burnell, hatten damit zu kämpfen, dass ihre Forschungsergebnisse Männern zugerechnet wurden.
Heutzutage haben Frauen einen wesentlich einfacheren Zugang zum Studium, allerdings nimmt der Frauenanteil stetig ab, je höher die Hierarchieebene ist: „In 2013 new doctorates were 35% female, falling to 27.8% for assistant professors, to 24.5% for tenured associate professors and to 12% for full professors.“ (American Economic Association, 2013: 12). Dies ist sicherlich ein allgemeines Problem, doch die VWL sticht besonders heraus: „The differences between economics and the other disciplines are striking. Economics has by far the largest gender promotion gap of any discipline“ (Ginther, 2004). Selbst wenn für Bildung, Befähigung, Produktivität und Familiengestaltung (wie Partner*innen oder Kinder) kontrolliert wird, haben Männer eine etwa 16 Prozentpunkte höhere Wahrscheinlichkeit zu einer vollen Professur befördert zu werden. Selbst Frauen mit renomierten Posten in der VWL bekommen bei Koautor*innenschaften weniger Anerkennung (Wolfers 2015). Ein Grund dürfte der oben beschriebene historische Ballast sein, der unsere Universitäten immer noch prägt. Zudem lässt sich das in der Soziologie beschriebene Phänomen, dass eine homogene Gruppe bevorzugt Individuen beitreten lässt, die den Gruppenmitgliedern ähnlich sind, an der gegenwärtigen Berufungspraxis deutlich beobachten. Es sei angemerkt, dass sich die Diskriminierung von Individuen, die nicht den Merkmalen der In-Group entsprechen nicht auf das Merkmal Geschlecht beschränkt (Beoku-Betts, 2004).
1 Eigentlich „Preis der Schwedischen Nationalbank im Gedenken an Alfred Nobel“. Träger*innen dieses Preises sind hier zu finden.
Die Stickeraktion wurde von der Gruppe Was ist Ökonomie? initiiert und für das Netzwerk Plurale Ökonomik erstellt. Vielen Dank für die finanzielle Unterstützung des Projekts an das Institut für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung.
1. Wann kommt die nächste Krise, Herr Professor*?
2. Grenzenloses Kapital? Grenzenlose Arbeit? Grenzenlose Freiheit?
3. Markt United vs. FC Staat: Wer gewinnt?
5. Ein Ökonom kommt in eine Krise: Was tut er?
6. Mit neuem Nationalismus aus der Wirtschaftskrise?
7. Mit Green Growth die Welt retten?
9. Hat Griechenland Schuld(en)?
10. Wie viele Theorieschulen gibt es eigentlich in der VWL?
11. Werde ich durch das VWL Studium egoistischer?
12. Ist der repräsentative Agent männlich oder weiblich?
13. Was ist mit ökonomischen Inhalten, die nicht in Matheformeln passen?
14. Wieso sehen meine VWL-Professor*innen auch dort Gleichgewichte, wo keine sind?
15. Hat Geld wirklich keinen Einfluss auf die reale Wirtschaft?
16. Wieso nimmt mein VWL-Professor andere Sozialwissenschaften nicht ernst?
17. Wie funktionieren eigentlich andere Wirtschaftssysteme?
18. Warum sind meine VWL-Professoren fast nur männlich?
19. Wieso kennen meine VWL-Modelle keine Geschichte?
20. Studiere ich VWL oder Neoklassik?
Boston Globe (2012): Women making gains in economics, but progress is slow. 14. Mai 2012 online erschienen.
American Economic Association (2013): The 2013 Report of the Committee on the Status of Women in the Economics Profession.
Hier sind Daten für Deutschland zu finden.
Ginther, Kahn (2004): Women in Economics: Moving Up or Falling Off the Academic Career Ladder? Journal of Economic Perspectives, Summer 2004
Wolfers, Justin (2015): Even Famous Female Economists Get No Respect. New York Times.